Aktenzeichen 4 AZR 657/10
§ 611 Abs 1 BGB
§ 1 Abs 1 TVG
§ 133 BGB
§ 157 BGB
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Bonn, 8. Oktober 2009, Az: 1 Ca 474/09, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Köln, 9. Juni 2010, Az: 9 Sa 66/10, Urteil
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 9. Juni 2010 – 9 Sa 66/10 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 8. Oktober 2009 – 1 Ca 474/09 – abgeändert.
Es wird festgestellt, dass auf das Arbeitsverhältnis des Klägers die Tarifverträge der Deutschen Telekom AG (Tarifstand: 30. November 2008) Anwendung finden.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten darüber, welche tariflichen Regelungen aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf ihr Arbeitsverhältnis anzuwenden sind.
2
Der Kläger, Mitglied der Gewerkschaft ver.di, ist seit 1975 bei der Beklagten und ihren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Im schriftlichen Änderungsvertrag mit der Deutschen Bundespost vom 21. November 1991 heißt es ua.:
„Für das Arbeitsverhältnis gelten
–
der ‚Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Bundespost TELEKOM (TV Ang-O)’ und die sonstigen Tarifverträge für die Angestellten der Deutschen Bundespost TELEKOM im Beitrittsgebiet
…
in ihrer jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Vertragsparteien vereinbart. …“
3
Im Zuge der sog. Postreform II wurden die Geschäftsbereiche der Deutschen Bundespost durch das Gesetz zur Umwandlung der Unternehmen der Deutschen Bundespost in die Rechtsform der Aktiengesellschaft (vom 14. September 1994, BGBl. I S. 2325, 2339 – Postumwandlungsgesetz – PostUmwG) privatisiert. Aus dem Geschäftsbereich, in dem der Kläger tätig gewesen war, entstand kraft Gesetzes die Deutsche Telekom AG (nachfolgend DT AG). Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde zum 1. Januar 1995 auf die DT AG übergeleitet.
4
Die DT AG vereinbarte in der Folgezeit mit der Deutschen Postgewerkschaft (DPG) Tarifverträge, die ua. die zuvor zwischen der Deutschen Bundespost und der DPG geschlossenen Tarifverträge für die Arbeiter und Angestellten der Deutschen Bundespost in Ost und West für den Bereich der DT AG abänderten. Eine weitgehende Ablösung der vormals mit der Deutschen Bundespost geschlossenen und nachfolgend geänderten Tarifverträge erfolgte anlässlich der Einführung des „Neuen Bewertungs- und Bezahlungssystems – NBBS“ zum 1. Juli 2001 in einem gesonderten Übergangstarifvertrag, dem Tarifvertrag zur Umstellung auf das NBBS. Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers wurden in dieser Zeit übereinstimmend die jeweiligen für ihn einschlägigen Tarifverträge der Deutschen Bundespost Telekom und später die der DT AG angewendet.
5
Am 25. November 2008 einigten sich die Gewerkschaft ver.di und die DT AG sowie die Beklagte, eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der DT AG, über Regelungen zur Überführung der Technikzentren von der DT AG auf die Beklagte. Die Einigung hat ua. folgenden Wortlaut:
„Tarifeinigung
zur Überführung der Technik-Zentren
(Zentrum Technik Netzmanagement, Zentrum Technik Planung, Zentrum Technik Einführung und Zentrum Technik Qualität und Abnahme)
…
Die Deutsche Telekom AG und die DTNP einerseits und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di andererseits vereinbaren – vorbehaltlich der Zustimmung der Gremien – folgende tarifvertragliche Regelungen:
Abschnitt 1
Für die von der Deutschen Telekom AG auf die Deutsche Netzproduktion GmbH übergehenden Arbeitnehmer finden die Tarifverträge der Deutschen Telekom Netzproduktion GmbH Anwendung, soweit die Arbeitnehmer von dem jeweiligen Geltungsbereich der entsprechenden Tarifverträge erfasst sind und im Folgenden nichts Abweichendes festgelegt wurde.
Abschnitt 2
Für die übergehenden Arbeitnehmer wird ein Tarifvertrag Sonderregelungen (im Folgenden: TV SR II) abgeschlossen, der sich an dem bei der Deutschen Telekom Netzproduktion GmbH bereits bestehenden TV SR vom 25. Juni 2007 (im Folgenden: TV SR) orientiert und folgende Regelungen enthält:
…
–
Geltungsbereich
Dieser Tarifvertrag gilt für die bei der Deutschen Telekom Netzproduktion GmbH (DTNP) beschäftigten Arbeitnehmer, die
(a)
am 30. November 2008 bei der Deutschen Telekom AG (DTAG) in einem Arbeitsverhältnis standen und
(b)
ab dem 1. Dezember 2008 aufgrund von Maßnahmen zur Überführung der Technik-Zentren der DTAG in der DT NP vom Geltungsbereich des § 1 MTV erfasst werden,
…
–
Der TV SR II tritt zum 1. Dezember 2008 in Kraft.
Abschnitt 3
Bezogen auf die übergehenden Arbeitnehmer bzw. die übergehenden Betriebe werden folgende Regelungen vereinbart:
…“
6
Das in der Einleitung zur „Tarifeinigung“ aufgeführte Zentrum, in dem der Kläger bislang tätig war, wurde von der Beklagten im Wege des Betriebsübergangs mit Wirkung ab dem 1. Dezember 2008 übernommen. Der Kläger widersprach dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht. In der Folgezeit wendete die Beklagte auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die von ihr mit der Gewerkschaft ver.di bereits vor dem Betriebsübergang geschlossenen Haustarifverträge, darunter den Manteltarifvertrag Deutsche Telekom Netzproduktion GmbH (MTV DTNP) und den Entgeltrahmentarifvertrag Deutsche Telekom Netzproduktion GmbH (ERTV DTNP), an.
7
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass aufgrund der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Tarifverträge der DT AG mit dem Regelungsbestand vom 30. November 2008 anzuwenden sind. Eine Tarifwechselklausel sei arbeitsvertraglich nicht vereinbart worden, die Bezugnahmeklausel umfasse daher die „Tarifeinigung“ vom November 2008 nicht. Diese sei im Übrigen auch erst ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs wirksam geworden.
8
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass auf das Arbeitsverhältnis des Klägers die Tarifverträge der Deutschen Telekom AG (Tarifstand: 30. November 2008) Anwendung finden.
9
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Mit der Unterzeichnung der „Tarifeinigung“ sei vor dem Betriebsübergang mit der Gewerkschaft ver.di ein neuer spartenbezogener Tarifvertrag für den zu überführenden Bereich wirksam zustande gekommen, der das bisher anzuwendende Tarifrecht noch während des Bestands des Arbeitsverhältnisses mit der DT AG abgelöst habe. Im Übrigen erfasse die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel auch die von ihr selbst vereinbarten Tarifverträge.
10
Das Arbeitsgericht hat die Feststellungsklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Feststellungsantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.