Aktenzeichen 10 BV 9/15
BetrVG § 80 Abs. 2 S. 1
Leitsatz
1. Der Betriebsrat hat einmal jährlich bis spätestens 31. März Anspruch darauf, dass ihm vom Arbeitgeber folgende Unterlagen übermittelt werden (§ 80 Abs. 2 Satz 3 SGB IX in Verbindung mit § 80 Abs. 1 SGB IX in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 SGB IX):
2. – Kopie der Anzeige der Daten, die zur Berechnung des Umfangs der Beschäftigungspflicht von Schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten Arbeitnehmern, zur Überwachung der Erfüllung dieser Beschäftigungspflicht und der Ausgleichsabgabe erforderlich sind.
3. – Kopie des Verzeichnisses der bei dem Arbeitgeber beschäftigten Schwerbehinderten, ihnen gleichgestellten behinderten Menschen und sonstigen anrechnungsfähigen Personen, gesondert für jeden Betrieb.
4. Der Betriebsrat hat mangels Zuständigkeit keinen Anspruch gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG auf Auskunftserteilung über Anzahl, Name und Betriebsstätte der im gesamten Unternehmen des Arbeitgebers beschäftigten Schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten Menschen; hierfür ist der Gesamtbetriebsrat zuständig.
Tenor
1. Das Verfahren wird hinsichtlich des mit Ziffer 1 des Schriftsatzes des Antragstellers vom 06. März 2015 angekündigten Antrags eingestellt.
2. Es wird festgestellt, dass die Beteiligte zu 2) verpflichtet ist, dem Antragsteller einmal jährlich bis spätestens zum 31. März eine Kopie der Anzeige der Daten, die zur Berechnung des Umfangs der Beschäftigungspflicht, zur Überwachung deren Erfüllung und der Ausgleichsabgabe im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 SGB IX an die für die Beteiligte zu 2) zuständige Agentur für Arbeit gemacht wurden, sowie eine Kopie des Verzeichnisses der bei der Beteiligten zu 2) beschäftigten Schwerbehinderten, ihnen gleichgestellten behinderten Menschen und sonstigen anrechnungsfähigen Personen, gesondert für jeden Betrieb, zu übermitteln.
3. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Gründe
I.
A. Der Antragsteller (Beteiligter zu 1, Betriebsrat) verlangt von der Arbeitgeberin (Beteiligte zu 2) Auskunft hinsichtlich der bei der im gesamten Unternehmen der Arbeitgeberin beschäftigten schwerbehinderten Menschen und der ihnen Gleichgestellten.
Ferner begehrt der Betriebsrat die einmal jährliche Übermittlung des Verzeichnisses nach § 80 Abs. 1 SGB IX, gesondert für jeden Betrieb, sowie der Anzeige nach § 80 Abs. 2 Satz 1 SGB IX.
Im Unternehmen der Arbeitgeberin sind Schwerbehinderte und ihnen Gleichgestellte beschäftigt.
Der Betriebsrat hat die Arbeitgeberin mehrmals erfolglos aufgefordert, dem Betriebsrat Auskunft über die bei ihr beschäftigten Schwerbehinderten und Gleichgestellten zu erteilen.
Im Termin zur Anhörung vor der Kammer am 22.03.2016 haben die Beteiligten das Verfahren bezüglich des mit Ziffer 1 des Schriftsatzes des Antragstellers vom 06.03.2016 übereinstimmend für erledigt erklärt.
B. Der Betriebsrat beantragt,
1.) Die Beteiligte zu 2) wird verpflichtet, dem Antragsteller Auskunft über Anzahl, Name und Betriebsstätte der in ihrem Unternehmen beschäftigten Schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten Menschen im Sinne des § 2 SGB IX zu erteilen.
2.) Es wird festgestellt, das die Beteiligte zu 2) verpflichtet ist, dem Antragsteller einmal jährlich bis spätestens zum 31.März eine Kopie der Anzeige der Daten, die zur Berechnung des Umfangs der Beschäftigungspflicht, zur Überwachung der Erfüllung und der Ausgleichsabgabe im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 SGB IX an die für die Beteiligte zu 2) zuständige Agentur für Arbeit gemacht wurden, sowie eine Kopie des Verzeichnisses der bei der Beteiligten zu 2) beschäftigten schwerbehinderten, ihnen gleichgestellten behinderten Menschen und sonstigen ihnen anrechnungsfähigen Personen, gesondert für jeden Betrieb, zu übermitteln.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten – einschließlich Anlagen – sowie im Übrigen auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässigen Anträge sind nur zum Teil begründet.
A. Sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor.
Insbesondere besteht für den Feststellungsantrag zu 3) ein Feststellungsinteresse. Streiten die Betriebspartner über den Bestand, den Inhalt oder den Umfang von Mitbestimmungsrechten, so streiten sie damit über das Bestehen oder Nichtbestehen eines entsprechenden Rechtsverhältnisses. Eine derartige Streitigkeit kann im Rahmen eines Feststellungsantrags geklärt werden (ständige Rechtsprechung, zum Beispiel BAG vom 21.09.1999, 1 ABR 40/98; BAG vom 07.11.2000, 1 ABR 28/00).
B. Der Antrag zu 2) ist begründet. Der Antrag zu 1) ist unbegründet:
1. Der Anspruch des Betriebsrats auf Übermittlung einer Kopie der Anzeige nach § 80 Abs. 2 SGB IX und eines Gesamtverzeichnisses nach § 80 Abs. 1 SGB IX, gesondert für jeden Betrieb, ergibt sich aus § 80 Abs. 2 Satz 3 SGB IX.
§ 80 Abs. 2 Satz 3 SGB IX ist dem Betriebsrat eine Kopie der in § 80 Abs. 1 und § 80 Abs. 2 Satz 1 SGB IX genannten Unterlagen zu übermitteln.
Berechtigt ist nach dem Wortlaut des § 80 Abs. 2 Satz 3 SGB IX der Betriebsrat. Systematische Gründe rechtfertigen hier keine andere Auffassung des Begriffs im Sinne der jeweils zuständigen Interessenvertretung oder eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf den Gesamtbetriebsrat (so LAG München vom 17.06.2015, 8 TaBV 8/15).
Der örtliche Betriebsrat hat neben seinem Anspruch auf Übermittlung der Unterlagen gemäß § 80 Abs. 2 Satz 3 SGB IX auch Anspruch auf Übermittlung einer Kopie der Unterlagen bezogen auf das gesamte Unternehmen, gesondert für jeden Betrieb, und nicht des gesonderten Verzeichnisses für den einzelnen Betrieb. Anderenfalls wäre eine Überprüfung der Angaben des Arbeitgebers durch den zuständigen örtlichen Betriebsrat nicht möglich.
Vor Inkrafttreten des SGB IX mussten in der Anzeige die Beschäftigungsverhältnisse im jeweiligen Betrieb/Dienststelle gesondert angegeben werden. Dies geschah deshalb, weil nur auf diese Weise die im Betrieb oder der Dienststelle amtierenden Interessenvertretungen die Einhaltung der Beschäftigungspflicht effektiv kontrollieren konnten.
Mit der Einführung des SGB IX ist diese auf jede Betriebs- und Dienststelle bezogene gesonderte Darstellung der für die Zählung der Arbeitsplätze maßgeblichen Stellendaten in § 80 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zur vermeintlichen Bürokratieentlastung zugunsten einer Gesamtanzeige fallen gelassen worden. Dadurch wird die Nachprüfbarkeit der übermittelten Daten jedoch erschwert beziehungsweise ausgeschlossen (so Dau/Düwell/Joussen, SGB IX, 4. Auflage, § 80 Rn. 10).
Wenn in den übermittelten Daten keine Aufschlüsselung auf der Betriebsebene erfolgt, kann eine effektive Überprüfung nur stattfinden, wenn dem Betriebsrat das gesamte Verzeichnis für das gesamte Unternehmen, gesondert für jeden Betrieb, überlassen wird.
Für dieses Ergebnis spricht auch der Wortlaut des § 80 Abs. 2 Satz 2 SGB IX, wobei der Anzeige für die Agentur für Arbeit das nach § 80 Abs. 1 SGB IX geführte Verzeichnis beizufügen ist. Damit sieht bereits der Gesetzeswortlaut vor, dass die Agentur für Arbeit neben der Anzeige nach § 80 Abs. 2 SGB IX ein Verzeichnis für sämtliche Betriebe beziehungsweise Dienststellen im Sinne von § 80 Abs. 1 SGB IX erhält.
Nachdem der Betriebsrat gemäß dem Wortlaut des § 80 Abs. 2 Satz 3 SGB IX eine Kopie hiervon erhält, hat er auch Anspruch auf Übermittlung des gesamten Verzeichnisses für das Unternehmen, gesondert nach den einzelnen Betrieben beziehungsweise Dienststellen.
2. Der Antrag des Betriebsrats auf Auskunft über Namen und Betriebsstätten der im Unternehmen der Arbeitgeberin beschäftigten Schwerbehinderten und Gleichgestellten ist unbegründet.
Ein Anspruch des Betriebsrats ergibt sich nicht aus § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG in Verbindung mit § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG (so LAG München vom 17.06.2015, 8 TaBV 8/15)
Für Fragen, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Unternehmen betreffen, ist gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG der Gesamtbetriebsrat zuständig .
Aus § 93 SGB IX kann eine entsprechende Auskunftsverpflichtung der Arbeitgeberin nicht hergeleitet werden. Trotz seines Wortlauts gilt § 93 SGB IX auch für den Gesamtbetriebsrat, wie sich aus der Systematik des Gesetzes ergibt.
Die Notwendigkeit einer entsprechenden Anwendung ergibt sich schon aus § 97 SGB IX, der mit der Ansicht unvereinbar ist, nur die Ebene der örtlichen Betriebsräte wäre von Kapitel 5 SGB IX betroffen. Auch können die entsprechenden Verpflichtungen häufig deshalb nicht von den einzelnen örtlichen Betriebsräten wahrgenommen werden, weil teilweise auf den Arbeitgeber als solchen und in anderen Fällen auf mehrere Betriebe abgestellt wird. Deshalb ist der Gesamtbetriebsrat in solchen Fragen zuständig, die nur überbetrieblich zu regeln sind.
Von dieser (auch) den Gesamtbetriebsrat zugewiesenen Aufgabe der Förderung von Schwerbehinderten und Gleichgestellten wird die Aufgabe des Gesamtbetriebsrats erfasst, eine überbetriebliche Integrationsvereinbarung abzuschließen. Wie § 97 Abs. 6 Satz 1, letzter Halbsatz SGB IX zeigt, kommt der Abschluss einer Integrationsvereinbarung auch auf Unternehmensebene (und nicht nur auf betrieblicher Ebene) in Betracht. Diese Norm stellt zwar auf die Gesamtschwerbehindertenvertretung ab, jedoch ist deren Bestehen keine Voraussetzung für die Schaffung einer Integrationsvereinbarung, wie aus § 83 Abs. 1 Satz 3 SGB IX herzuleiten ist. Dort ist bestimmt, dass das Antragsrecht den in § 93 SGB IX genannten Vertretungen zusteht, wenn eine Schwerbehindertenvertretung nicht vorhanden ist.
Zur Klärung der Frage, ob auf den Abschluss eine solchen Vereinbarung hingewirkt werden soll und, falls ja, welcher Inhalt im Einzelnen wünschenswert wäre, muss der Gesamtbetriebsrat die schwerbehinderten und gleichgestellten Mitarbeiter kennen und mit ihnen Kontakt aufnehmen und kommunizieren können. Nur so können die Voraussetzungen für eine effiziente, der konkreten Situation gerecht werdende Förderung dieses Personenkreises geschaffen werden.
Insoweit besteht auch kein Widerspruch zu der unter B II. 2.) der Gründe des Beschlusses des Arbeitsgerichts München, Kammer Ingolstadt, vom 02.12.2014, 10 BV 10/14, geäußerten Auffassung, dass die Auskunft betreffend die Überwachung der Bestimmungen des § 71 SGB IX zwangsläufig unternehmensbezogen zu erteilen ist.
Diese Unternehmensbezogenheit wird gerade durch den dem Betriebsrat gemäß B 2.) der hiesigen Gründe zuerkannten Anspruch sichergestellt.
3. Soweit die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war es gemäß § 83a Abs. 2 Satz 1 ArbGG einzustellen.
C. Das Verfahren ist gemäß § 2 Abs. 2 GKG gerichtskostenfrei Gegen diesen Beschluss können die Beteiligten Beschwerde einlegen.
Im Einzelnen gilt Folgendes: