Arbeitsrecht

Auslegung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel – Anwendbarkeit der Tarifverträge der Deutschen Telekom AG

Aktenzeichen  4 AZR 579/10

Datum:
22.2.2012
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 611 Abs 1 BGB
§ 133 BGB
§ 157 BGB
§ 1 Abs 1 TVG
§ 613a Abs 1 S 1 BGB
§ 256 Abs 1 ZPO
Spruchkörper:
4. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Erfurt, 2. Juli 2009, Az: 7 Ca 554/09, Urteilvorgehend Thüringer Landesarbeitsgericht, 17. September 2010, Az: 7 Sa 449/09, Urteil

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 17. September 2010 – 7 Sa 449/09 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten darüber, welche tariflichen Regelungen aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf ihr Arbeitsverhältnis anzuwenden sind.
2
Die nicht tarifgebundene Klägerin ist seit dem 15. Dezember 1992 als Angestellte bei der Beklagten und ihren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. In dem maßgebenden Arbeitsvertrag vom 15. Dezember 1992, der seinerzeit mit der Deutschen Bundespost Telekom geschlossen wurde, heißt es ua.:
        
„Für das Arbeitsverhältnis gelten
        
–       
der ‚Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Bundespost (TV Ang-O)’ und die sonstigen Tarifverträge für die Angestellten der Deutschen Bundespost im Beitrittsgebiet
        
        
oder   
        
–       
der ‚Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb-O)’ und die sonstigen Tarifverträge für die Arbeiter der Deutschen Bundespost im Beitrittsgebiet
        
in ihrer jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Vertragsparteien vereinbart.“
3
Im Zuge der sog. Postreform II wurden die Geschäftsbereiche der Deutschen Bundespost durch das Gesetz zur Umwandlung der Unternehmen der Deutschen Bundespost in die Rechtsform der Aktiengesellschaft (vom 14. September 1994, BGBl. I S. 2325, 2339 – Postumwandlungsgesetz – PostUmwG) privatisiert. Aus dem Geschäftsbereich, in dem die Klägerin tätig gewesen war, entstand kraft Gesetzes die Deutsche Telekom AG (nachfolgend DT AG). Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde zum 1. Januar 1995 auf die DT AG übergeleitet.
4
Die DT AG vereinbarte in der Folgezeit mit der Deutschen Postgewerkschaft (DPG) Tarifverträge, die ua. die zuvor zwischen der Deutschen Bundespost und der DPG geschlossenen Tarifverträge für die Arbeiter und Angestellten der Deutschen Bundespost in Ost und West für den Bereich der DT AG abänderten. Eine weitgehende Ablösung der vormals mit der Deutschen Bundespost geschlossenen und nachfolgend geänderten Tarifverträge erfolgte anlässlich der Einführung des „Neuen Bewertungs- und Bezahlungssystems – NBBS“ zum 1. Juli 2001 in einem gesonderten Übergangstarifvertrag, dem Tarifvertrag zur Umstellung auf das NBBS.
5
Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurden in dieser Zeit die jeweiligen für sie als Angestellte einschlägigen Tarifverträge der Deutschen Bundespost Telekom und später die der DT AG angewendet.
6
Mit Wirkung ab dem 1. April 2006 wurde das Kundencenter E der DT AG von der V C S GmbH (VCS), einer Tochtergesellschaft der DT AG, im Wege des Betriebsübergangs übernommen. Die Klägerin widersprach dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses zunächst nicht. Die VCS wandte auf das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin in der Folgezeit den zwischen ihr und der Gewerkschaft ver.di geschlossenen und bereits zum 1. März 2004 in Kraft getretenen Tarifvertrag zur Umsetzung des Beschäftigungsbündnisses (Umsetzungs-Tarifvertrag – UTV) an, der Abweichungen von den Tarifverträgen der DT AG enthält. Danach beträgt ua. die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit statt bisher 34 Stunden nunmehr 38 Stunden.
7
Der Beschäftigungsbetrieb der Klägerin wurde im Wege eines weiteren Betriebsübergangs zum 1. Mai 2007 von der nicht tarifgebundenen Beklagten übernommen, die gleichfalls den UTV statisch mit dem Regelungsbestand vom 30. April 2007 auf das auf sie übergegangene Arbeitsverhältnis mit der Klägerin anwendet.
8
Mit Schreiben vom 19. Dezember 2008 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Anwendung der Tarifverträge der DT AG mit dem Regelungsstand vom 31. März 2006 auf ihr Arbeitsverhältnis erfolglos geltend.
9
Mit ihrer Klage hat die Klägerin dieses Ziel weiterverfolgt. Bei der im Arbeitsvertrag vereinbarten Bezugnahmeklausel handele es sich um eine kleine dynamische Bezugnahme, aufgrund derer das Tarifwerk der Deutschen Bundespost und später dasjenige der DT AG anzuwenden gewesen sei. Der UTV sei demgegenüber nicht an die Stelle des Tarifwerks der DT AG getreten.
10
Die Klägerin hat beantragt
        
festzustellen, dass auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin die Bestimmungen der Tarifverträge der Deutschen Telekom AG (Tarifstand 31. März 2006) Anwendung finden.
11
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Feststellungsantrag sei wegen des Vorrangs der Leistungsklage unzulässig. Der Antrag sei nicht geeignet, den Streit zwischen den Parteien abschließend zu klären, da ungeklärt bliebe, welche Regelungen der DT AG und welche des UTV anzuwenden sind. Darüber hinaus sei die Klage unbegründet. Mit dem Betriebsübergang seien die für die DT AG geltenden Tarifbestimmungen durch die bei der VCS geltenden Haustarifverträge ersetzt worden. Aus der zeitdynamischen Bezugnahme des Tarifwerks der Deutschen Bundespost ergebe sich der Parteiwille, auch die Tarifverträge der DT AG und die ihrer Nachfolgeeinheiten in Bezug zu nehmen. Zudem sei ein etwaiger Anspruch der Klägerin, wie das Arbeitsgericht zutreffend entschieden habe, verwirkt.
12
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin der Klage stattgegeben. Bereits vor der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht ist der Betrieb der Beklagten aufgespalten und im Wege des Betriebsübergangs mit Ablauf des Jahres 2009 auf die a b s E GmbH und die a t s E GmbH übertragen worden. Die Klägerin wurde dem Betrieb der a b s E GmbH zugeordnet. Im Verlaufe des Revisionsverfahrens hat die Klägerin mit Schreiben vom 6. Juni 2011 Widerspruch gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses von der VCS zur Beklagten erklärt. Mit weiterem Schreiben vom 8. Dezember 2011 hat sie gegenüber der DT AG dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses von dieser zur VCS widersprochen. Mit Schriftsatz vom 13. Februar 2012 hat die Klägerin mitgeteilt, dass der Widerspruch vom 6. Juni 2011 „wirkungs- und gegenstandslos geworden“ sei, da die DT AG den Widerspruch mit Schreiben vom 20. Juni 2011 als verspätet zurückgewiesen habe. Die Beklagte könne daher aus dem Widerspruch keine Rechtswirkungen ableiten. Vorsorglich werde der Widerspruch zurückgenommen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Befristeter Arbeitsvertrag – Regelungen und Ansprüche

Dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit einem befristeten Vertrag eingestellt werden, ist längst keine Seltenheit mehr. Häufig taucht der Arbeitsvertrag auf Zeit bei jungen Mitarbeitenden auf. Über die wichtigsten Regelungen und Ansprüche informieren wir Sie.
Mehr lesen

Krankschreibung – was darf ich?

Winterzeit heißt Grippezeit. Sie liegen krank im Bett und fragen sich, was Sie während ihrer Krankschreibung tun dürfen und was nicht? Abends ein Konzert besuchen? Schnell ein paar Lebensmittel einkaufen? Wir geben einen Überblick über die wichtigsten Regeln.
Mehr lesen