Arbeitsrecht

Auslegung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel – Anwendbarkeit der Tarifverträge der Deutschen Telekom AG

Aktenzeichen  4 AZR 580/10

Datum:
22.2.2012
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 611 Abs 1 BGB
§ 613a Abs 1 S 1 BGB
§ 133 BGB
§ 157 BGB
§ 1 Abs 1 TVG
§ 256 Abs 1 ZPO
Spruchkörper:
4. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Erfurt, 18. Februar 2009, Az: 4 Ca 1772/08, Urteilvorgehend Thüringer Landesarbeitsgericht, 17. September 2010, Az: 7 Sa 167/09, Urteil

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 17. September 2010 – 7 Sa 167/09 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten darüber, welche tariflichen Regelungen aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf ihr Arbeitsverhältnis anzuwenden sind.
2
Die Klägerin ist seit dem 1. September 1989 bei der Beklagten und ihren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. In dem maßgebenden Arbeitsvertrag vom 16. Juli 1991, auf dessen Grundlage die Klägerin seither als Angestellte beschäftigt und der seinerzeit mit der Deutschen Bundespost Telekom geschlossen wurde, heißt es ua.:
        
„Für das Arbeitsverhältnis gelten die für das in Art. 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet vereinbarten Bestimmungen des Tarifvertrages für die Angestellten/Arbeiter der Deutschen Bundespost TELEKOM (TV Ang (Ost) bzw. TV Arb (Ost)) und der sonstigen für das genannte Gebiet vereinbarten Tarifverträge für die Angestellten/Arbeiter der Deutschen Bundespost TELEKOM in ihrer jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Vertragsparteien vereinbart.“
3
Im Zuge der sog. Postreform II wurden die Geschäftsbereiche der Deutschen Bundespost durch das Gesetz zur Umwandlung der Unternehmen der Deutschen Bundespost in die Rechtsform der Aktiengesellschaft (vom 14. September 1994, BGBl. I S. 2325, 2339 – Postumwandlungsgesetz – PostUmwG) privatisiert. Aus dem Geschäftsbereich, in dem die Klägerin tätig gewesen war, entstand kraft Gesetzes die Deutsche Telekom AG (nachfolgend DT AG). Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde zum 1. Januar 1995 auf die DT AG übergeleitet.
4
Die DT AG vereinbarte in der Folgezeit mit der Deutschen Postgewerkschaft (DPG) Tarifverträge, die ua. die zuvor zwischen der Deutschen Bundespost und der DPG geschlossenen Tarifverträge für die Arbeiter und Angestellten der Deutschen Bundespost in Ost und West für den Bereich der DT AG abänderten. Eine weitgehende Ablösung der vormals mit der Deutschen Bundespost geschlossenen und nachfolgend geänderten Tarifverträge erfolgte anlässlich der Einführung des „Neuen Bewertungs- und Bezahlungssystems – NBBS“ zum 1. Juli 2001 in einem gesonderten Übergangstarifvertrag, dem Tarifvertrag zur Umstellung auf das NBBS.
5
Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurden in dieser Zeit die jeweiligen für sie als Angestellte einschlägigen Tarifverträge der Deutschen Bundespost Telekom und später die der DT AG angewendet.
6
Mit Wirkung zum 26. August 2005 wurde das E Call-Center der DT AG, in dem die Klägerin vor Beginn ihrer Elternzeit beschäftigt war, von der V C S GmbH (VCS), einer Tochtergesellschaft der DT AG, im Wege des Betriebsübergangs übernommen. Die VCS wandte in der Folgezeit auf die auf sie übergegangenen Arbeitsverhältnisse den zwischen ihr und der Gewerkschaft ver.di geschlossenen und bereits zum 1. März 2004 in Kraft getretenen Tarifvertrag zur Umsetzung des Beschäftigungsbündnisses (Umsetzungs-Tarifvertrag, UTV) an, der Abweichungen von den Tarifverträgen der DT AG enthält, ua. bei der Arbeitszeit und beim Entgelt. Der Betrieb wurde im Wege eines weiteren Betriebsübergangs zum 1. Mai 2007 von der nicht tarifgebundenen Beklagten übernommen, die gleichfalls den UTV auf das auf sie übergegangene Arbeitsverhältnis mit der Klägerin anwendet.
7
Die Klägerin wurde nach Beendigung ihrer Elternzeit mit zwei Schreiben der VCS vom 20. Juli 2007 nachträglich über den Betriebsübergang von der DT AG auf die VCS und von der VCS auf die Beklagte unterrichtet. Die Beklagte wendet seither auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin den UTV der VCS an. Mit Schreiben vom 19. August 2008 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Anwendung der Tarifverträge der DT AG auf ihr Arbeitsverhältnis erfolglos geltend.
8
Mit ihrer Klage hat dieses Ziel weiterverfolgt. Bei der im Arbeitsvertrag vereinbarten Bezugnahmeklausel handele es sich um eine kleine dynamische Bezugnahme, aufgrund derer das Tarifwerk der Deutschen Bundespost und später dasjenige der DT AG anzuwenden gewesen sei. Daran habe sich nichts geändert, weil eine Tarifwechselklausel nicht vereinbart worden sei, so dass der UTV nicht an die Stelle des Tarifwerks der DT AG getreten sei.
9
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
        
festzustellen, dass auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin die Bestimmungen der Tarifverträge der Deutschen Telekom AG (Tarifstand 25. August 2005) Anwendung finden.
10
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Feststellungsantrag sei wegen des Vorrangs der Leistungsklage unzulässig. Der Antrag sei nicht geeignet, den Streit zwischen den Parteien abschließend zu klären, da ungeklärt bliebe, welche Regelungen der DT AG und welche des UTV anzuwenden sind. Darüber hinaus sei die Klage unbegründet. Mit dem Betriebsübergang seien die für die DT AG geltenden Tarifbestimmungen durch die bei der VCS geltenden Haustarifverträge ersetzt worden. Aus der zeitdynamischen Bezugnahme des Tarifwerks der Deutschen Bundespost ergebe sich der Parteiwille, auch die Tarifverträge der DT AG und die ihrer Nachfolgeeinheiten in Bezug zu nehmen. Zudem sei ein etwaiger Anspruch der Klägerin, wie das Arbeitsgericht zutreffend entschieden habe, verwirkt.
11
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Bereits vor der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht ist der Betrieb der Beklagten mit Ablauf des Jahres 2009 aufgespalten und im Wege des Betriebsübergangs auf die a b s E GmbH und die a t s E GmbH übertragen worden. Die Klägerin wurde dem erstgenannten Betrieb zugeordnet. Eine dagegen gerichtete Klage mit dem Ziel, den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses mit der a t s E GmbH festzustellen, hat das Arbeitsgericht Erfurt abgewiesen. Im Verlaufe des Revisionsverfahrens hat die Klägerin gegenüber der VCS dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte widersprochen. Das Arbeitsgericht hat eine auf diesen Widerspruch gestützte und gegen die VCS gerichtete Klage der Klägerin abgewiesen, weil das Widerspruchsrecht verwirkt sei. Die Klägerin trägt vor, sie habe in diesem Verfahren Rechtsmittelverzicht erklärt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Klageabweisung. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

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