Arbeitsrecht

Auslegung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel – Anwendbarkeit der Tarifverträge der Deutschen Telekom AG auf die Arbeiter der Deutschen Bundespost – Zulässigkeit einer Feststellungsklage

Aktenzeichen  4 AZR 494/09

Datum:
6.7.2011
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 611 Abs 1 BGB
§ 133 BGB
§ 157 BGB
§ 613a Abs 1 S 1 BGB
§ 1 TVG
§ 3 Abs 1 TVG
§ 4 Abs 1 TVG
§ 21 Abs 1 PostPersRG
§ 256 Abs 1 ZPO
§ 253 Abs 2 Nr 2 ZPO
Spruchkörper:
4. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Bonn, 23. Juli 2008, Az: 4 Ca 626/08, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Köln, 25. März 2009, Az: 9 Sa 972/08, Urteil

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 25. März 2009 – 9 Sa 972/08 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten darüber, welche tariflichen Regelungen aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis anzuwenden sind.
2
Der Kläger, Mitglied der Gewerkschaft ver.di, ist seit dem Jahre 1975 bei der Beklagten und ihren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. In dem maßgebenden schriftlichen Arbeitsvertrag vom 29. August 1975, der seinerzeit mit der Deutschen Bundespost geschlossen wurde, ist ua. bestimmt:
        
„Die Bestimmungen des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost gelten in ihrer jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Vertragsparteien als vereinbart.“
3
Bereits im Jahr 1990 entstanden im Zuge der sog. Postreform I aus der Deutschen Bundespost die einzelnen Geschäftsbereiche – sog. öffentliche Unternehmen – Postdienst, Postbank und Fernmeldedienst, die nach wie vor (Teil-)Sondervermögen des Bundes bildeten. Der Kläger verblieb im Geschäftsbereich Deutsche Bundespost – Fernmeldedienst (ab 1992 Deutsche Bundespost – Telekom). Die Geschäftsbereiche wurden bei der sog. Postreform II durch das Gesetz zur Umwandlung der Unternehmen der Deutschen Bundespost in die Rechtsform der Aktiengesellschaft (vom 14. September 1994, BGBl. I S. 2325, 2339 – Postumwandlungsgesetz – PostUmwG) privatisiert. Aus dem Geschäftsbereich, in dem der Kläger tätig gewesen war, entstand nach § 1 Abs. 2 dritter Spiegelstrich PostUmwG die Deutsche Telekom AG (nachfolgend DT AG). Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde zum 1. Januar 1995 gemäß § 21 Abs. 1 dritter Spiegelstrich des Gesetzes zum Personalrecht der Beschäftigten der früheren Deutschen Bundespost (vom 14. September 1994, BGBl. I S. 2325, 2353 – Postpersonalrechtsgesetz – PostPersRG) auf die DT AG übergeleitet.
4
Die DT AG vereinbarte in der Folgezeit mit der Deutschen Postgewerkschaft (DPG) Tarifverträge, die ua. die zuvor zwischen der Deutschen Bundespost und der DPG geschlossenen „Tarifverträge für die Arbeiter der Deutschen Bundespost“ (nachfolgend TV Arb) für den Bereich der DT AG abänderten. Eine weitgehende Ablösung der vormals mit der Deutschen Bundespost geschlossenen und auch noch nachfolgend geänderten Tarifverträge erfolgte anlässlich der Einführung des „Neuen Bewertungs- und Bezahlungssystems – NBBS“ zum 1. Juli 2001 in einem gesonderten Übergangstarifvertrag, dem Tarifvertrag zur Umstellung auf das NBBS.
5
Im Jahre 2007 gründete die DT AG drei Telekom Service Gesellschaften, darunter die Beklagte. Das Arbeitsverhältnis des Klägers ging infolge Betriebsübergangs mit dem 25. Juni 2007 auf diese über. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde stets der jeweilige Tarifvertrag der Deutschen Bundespost und später die der DT AG „ohne weiteres“ angewendet. Die Beklagte schloss ebenfalls am 25. Juni 2007 mit der Gewerkschaft ver.di Haustarifverträge ab, darunter den Manteltarifvertrag (MTV DTKS) und den Entgeltrahmentarifvertrag (ERTV DTKS), die von den Tarifverträgen der DT AG ua. bei der Arbeitszeit und beim Entgelt Abweichungen enthalten. Mit Schreiben vom 9. Januar 2008 hat der Kläger erfolglos Ansprüche nach den vormals bei der DT AG bestehenden Tarifverträgen geltend gemacht.
6
Mit seiner Klage begehrt der Kläger ua. die Feststellung, dass auf das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge der DT AG mit dem Regelungsbestand vom 24. Juni 2007 anzuwenden sind. Ein solcher Feststellungsantrag sei zulässig, da damit die Anwendbarkeit der Tarifverträge der DT AG auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis grundsätzlich geklärt werde. Die Hilfsanträge seien für den Fall der Unzulässigkeit des Hauptantrages gestellt. Bei der arbeitsvertraglichen Regelung handele es sich um eine kleine dynamische Bezugnahmeklausel. Mit dem TV Arb sei nicht ein einzelner Tarifvertrag, sondern das Tarifwerk der Deutschen Bundespost und später dasjenige der DT AG gemeint. Da die DT AG kraft Gesetzes Rechtsnachfolgerin der Deutschen Bundespost – Telekom sei, würden die von ihr seit 1995 geschlossenen neuen Tarifverträge ohne weiteres von der Bezugnahmeklausel erfasst. Die mit der Beklagten geschlossenen Haustarifverträge hätten die mit der DT AG vereinbarten hingegen nicht im Wege einer Tarifsukzession ersetzt.
7
Der Kläger hat zuletzt beantragt
        
1.    
festzustellen, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Tarifverträge der Deutschen Telekom AG (Tarifstand 24. Juni 2007) Anwendung finden,
        
2.    
hilfsweise festzustellen, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Bestimmungen der Tarifverträge der Deutschen Telekom AG (Tarifstand 24. Juni 2007) kraft einzelvertraglicher Bezugnahme Anwendung finden, soweit sie günstiger sind als die Tarifverträge der Deutschen Telekom Kundenservice GmbH,
        
3.    
äußerst hilfsweise festzustellen, dass
        
        
a)    
sich die wöchentliche Arbeitszeit nach dem Manteltarifvertrag der Deutschen Telekom AG, Tarifstand 24. Juni 2007, richtet und 34 Stunden wöchentlich beträgt (und nicht 38 Stunden wöchentlich entsprechend dem Tarifvertrag der Deutschen Telekom Kundenservice GmbH),
        
        
b)    
die Beklagte verpflichtet ist, ihm ab dem 1. Juli 2007 ein monatliches Entgelt nach Lohngruppe T 4, Besoldungsgruppe V1, nach dem Entgelttarifvertrag der Deutschen Telekom AG, Tarifstand 24. Juni 2007, zzgl. Funktions- und etwaiger anderer Einsatzzulagen entsprechend dem Entgelttarifvertrag der Deutschen Telekom AG, Tarifstand 24. Juni 2007, zu zahlen,
        
        
c)    
der Samstag kein Regelarbeitstag gem. dem Manteltarifvertrag der Deutschen Telekom AG, Tarifstand 24. Juni 2007, ist (und nicht Regelarbeitstag im Sinne des Manteltarifvertrages der Deutschen Telekom Kundenservice GmbH),
        
        
d)    
Heiligabend, Silvester sowie der Samstag vor Ostersonntag und Pfingstsonntag keine regulären Arbeitstage gem. dem Manteltarifvertrag der Deutschen Telekom AG, Tarifstand 24. Juni 2007, sind (entgegen dem Manteltarifvertrag der Deutschen Telekom Kundenservice GmbH),
        
        
e)    
Samstag und Sonntag zusammenhängende, reguläre, freie Arbeitstage pro Woche gem. den Bestimmungen des Manteltarifvertrages der Deutschen Telekom AG, Tarifstand 24. Juni 2007, sind (entgegen den Bestimmungen des Manteltarifvertrages der Deutschen Telekom Kundenservice GmbH),
        
        
f)    
es keinen sogenannten optimierten Dienstantritt gem. dem Manteltarifvertrag der Deutschen Telekom AG, Tarifstand 24. Juni 2007, gibt (entgegen dem Manteltarifvertrag der Deutschen Telekom Kundenservice GmbH),
        
        
g)    
der Kläger besonderen tariflichen Kündigungsschutz gem. § 26 des Manteltarifvertrages der Deutschen Telekom AG, Tarifstand 24. Juni 2007, hat,
        
        
h)    
es für Samstagsarbeit die Zuschläge gem. Entgeltrahmentarifvertrag und Entgelttarifvertrag der Deutschen Telekom AG gibt (und sie nicht wegfallen gem. den Bestimmungen in den Tarifverträgen der Deutschen Telekom Kundenservice GmbH),
        
        
i)    
es nicht die Möglichkeit der Umbuchung von geleisteten Arbeitsstunden in das Langzeitkonto gem. den Bestimmungen des Manteltarifvertrages der Deutschen Telekom AG, Tarifstand 24. Juni 2007, gibt (entgegen den Bestimmungen im Manteltarifvertrag der Deutschen Telekom Kundenservice GmbH),
        
        
j)    
die 4,19 Minuten persönliche Erholzeit gem. Tarifvertrag Erholzeit der Deutschen Telekom AG, Tarifstand 24. Juni 2007, nicht wegfällt.
8
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie sei unzulässig, da sie keine Klarheit schaffe, welche Tarifverträge der Deutschen Telekom AG anwendbar seien. Der Kläger hätte diejenigen Regelungskomplexe bezeichnen müssen, die auf sein Arbeitsverhältnis Anwendung finden sollen. Daher fehle das Feststellungsinteresse. Darüber hinaus sei die Klage unbegründet. Die arbeitsvertragliche Verweisung sei zwar zunächst als eine sog. kleine dynamische Bezugnahmeklausel vereinbart worden. Trotz des Wortlauts seien auch die neben dem TV Arb geltenden Tarifverträge angewendet worden. Ab dem 1. Juli 2001 habe jedoch eine Regelungslücke bestanden, weil die Tarifverträge vom Wortlaut nicht erfasst seien. Deshalb sei eine ergänzende Auslegung erforderlich gewesen. Bei Vertragsschluss sei es schlicht undenkbar gewesen, dass andere Tarifverträge als der TV Arb anwendbar sein könnten. Aus der zeitdynamischen Bezugnahme auf das Tarifwerk der Deutschen Bundespost ergebe sich der Parteiwille, auch die Tarifverträge der DT AG und die ihrer Nachfolgeeinheiten in Bezug zu nehmen. Die Vertragspraxis der Parteien zeige auch deren Willen, die jeweils einschlägigen Tarifverträge anzuwenden. Zudem habe mit der Gewerkschaft ver.di stets diejenige Gewerkschaft gehandelt, die – früher noch als Deutsche Postgewerkschaft – den TV Arb und die Nachfolgetarifverträge geschlossen habe. Es handele sich um eine unternehmensübergreifende und konzernbezogene Tarifeinigung mit Ablösungswillen. Diese Tarifsukzession setze sich mit der Aufgliederung in immer kleinere Konzerngesellschaften fort. Es gehe nicht um die Anwendung von Tarifverträgen nach einem Branchenwechsel. Es sei Sinn und Zweck der Gleichstellungsabrede, gleiche Arbeitsbedingungen in dem jeweiligen Konzernunternehmen der DT AG sicherzustellen.
9
Das Arbeitsgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Klageabweisung. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

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