Aktenzeichen 34 Wx 84/16 Kost
BGB BGB § 133
Leitsatz
1. Eine Prozesshandlung – hier die verspätete Einlegung der Beschwerde -, die in der irrigen Annahme von Rechtzeitigkeit vorgenommen wird, kann nicht als Wiedereinsetzungsantrag ausgelegt werden (Anschluss an BGH NJW-RR 2012,1206). (amtlicher Leitsatz)
2. Wenn nach Hinweis auf das Fristversäumnis nur die rechtsirrige Meinung zur Fristeinhaltung vorgetragen wird, ohne vorsorglich Wiedereinsetzungsgründe geltend zu machen, scheidet eine Auslegung als konkludent gestellter Wiedereinsetzungsantrag aus. (amtlicher Leitsatz)
3. Ein Rechtsmittel ist als Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auszulegen, wenn die Versäumung der Frist für die Einlegung des Rechtsmittels offenkundig und sämtliche die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen aktenkundig sind; in diesem Fall kann angenommen werden, dass der Rechtsmittelführer sich der Notwendigkeit einer Wiedereinsetzungsentscheidung bewusst gewesen ist und eine solche erstrebt (Anschluss an BGHZ 63, 389 [392] = NJW 1975, 928). (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
unbekannt 2015-12-16 Bes AGALTOETTING AG Altötting
Tenor
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Altötting – Grundbuchamt – vom 16. Dezember 2015 wird verworfen.
Gründe
I. Gemäß Urkunde vom 28.11.2014 übertrug der 1949 geborene Beteiligte zu 1 unter anderem das Eigentum an einem in 2012 zum Preis von 206.000 € erworbenen, mit Wohnhaus nebst Garage bebauten Grundbesitz in der Gemarkung T. und die im Jahr 2005 für 216.000 € erworbenen, mit dem Sondereigentum an einer Wohnung sowie an einem Tiefgaragenstellplatz verbundenen Miteigentumsanteile an einem Grundstück in A. unentgeltlich auf einen seiner Söhne. Er behielt sich auf seine Lebensdauer den Nießbrauch am gesamten Vertragsgegenstand vor. Die am 9.1.2015 beantragten Eintragungen der Auflassung und des Nießbrauchs wurden am 4.2.2015 im Grundbuch vollzogen. Gegen die hierfür in Rechnung gestellten Kosten wandte der Beteiligte zu 1 ein, sie seien im Verhältnis zum Zeitaufwand für die Eintragungstätigkeit unverhältnismäßig hoch.
Im daraufhin eingeleiteten Verfahren hat das Grundbuchamt nach Vorlage einer Brandversicherungsurkunde für das Objekt in T. und nach Anhörung des Beteiligten zu 2 – Bezirksrevisor – mit Beschluss vom 16.12.2015 den Geschäftswert festgesetzt, nämlich für den Vollzug des Eigentumswechsels auf insgesamt 459.000 € (Objekt T.: 235.400 €, Objekt A.: 223.667 €) und für den Nießbrauch auf 229.500 €. Für die Ermittlung des Objektwerts T. hat das Grundbuchamt die vereinfachte Sachwertmethode angewandt und den auf der Basis des Bodenrichtwerts ermittelten Bodenverkehrswert mit dem nach dem Brandversicherungswert ermittelten Gebäudewert für Wohnhaus und Garage addiert. Den Wert des Objekts A. hat es nach der Baupreisindex-Methode aus dem vormals entrichteten Kaufpreis abgeleitet. Für den Wert des Nießbrauchs hat es den mit 5% vom Immobilienwert angesetzten Jahreswert unter Berücksichtigung des Lebensalters des Berechtigten mit dem Faktor 10 multipliziert. Die angefügte Rechtsbehelfsbelehrung lautet auszugsweise wie folgt:
Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb einer Frist von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, eingelegt wird. Ist der Geschäftswert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung … des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Gegen die ihm am 19.12.2015 förmlich zugestellte Entscheidung hat der Beteiligte zu 1 am 11.2.2016 Beschwerde eingelegt, mit der er beanstandet, dass keine Abschläge für den Nießbrauch, die Vermietung und „ggf. andere Faktoren“ erkennbar seien. Die angesetzten Werte entsprächen nicht der Realität und seien überhöht. Er beantragt eine „deutlich niedrigere“ Neufestsetzung „unter Einbeziehung aller möglichen Abzüge“. Das Grundbuchamt hat mit Beschluss vom 29.2.2015 nicht abgeholfen und die Beschwerde für verfristet angesehen.
Das Beschwerdegericht hat den Beteiligten zu 1 gemäß Verfügung vom 4.3.2016 auf die verspätete Beschwerdeeinlegung bei zutreffender Rechtsbehelfsbelehrung hingewiesen. In seiner Antwort vom 14.3.2016 hat sich der Beteiligte zu 1 auf den Standpunkt gestellt, die in der Rechtsbehelfsbelehrung angegebene „Einspruchsfrist“ von sechs Monaten eingehalten zu haben.
II. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 erweist sich als unzulässig, weil die Beschwerdefrist versäumt wurde.
1. Weil sich das Hauptsacheverfahren, auf das sich die gegenständliche Wertfestsetzung gemäß § 79 Abs. 1 Satz 3 GNotKG bezieht, mit dem Grundbuchvollzug am 4.2.2015 erledigt hat und die Festsetzung vom 16.12.2015 erst nach Ablauf von fünf Monaten ab diesem Datum (in den Worten des Gesetzes: „später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist“ von sechs Monaten ab Erledigung) erfolgt ist, beträgt die Frist für die Einlegung der hiergegen gerichteten Beschwerde gemäß § 83 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 GNotKG einen Monat, beginnend mit dem Datum der Zustellung des Festsetzungsbeschlusses an den Beteiligten zu 1.
Die mithin mit Ablauf des 19.1.2016 endende Frist hat der Beteiligte zu 1 nicht eingehalten.
Einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist (§ 83 Abs. 2 Satz 1 GNotKG) hat der Beteiligte zu 1 weder gleichzeitig mit der Beschwerde noch in seinem Schreiben vom 14.3.2016 gestellt. Der seinerseits fristgebundene (§ 83 Abs. 2 Satz 1 GNotKG) Antrag muss zwar nicht ausdrücklich als solcher formuliert, sondern kann auch konkludent und gegebenenfalls vorsorglich im Sinne eines Hilfsantrags zum Ausdruck gebracht werden (BGHZ 63, 389/391; NJW 2006, 1518). Er kann sich auch aus den Umständen der Rechtsmitteleinlegung ergeben, etwa wenn die Fristversäumnis offenkundig und sämtliche die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen aktenkundig sind, so dass angenommen werden kann, der Rechtsmittelführer sei sich der Notwendigkeit einer Wiedereinsetzungsentscheidung bewusst gewesen und habe eine solche erstrebt (BGHZ 63, 389/392).
Eine Prozesshandlung – hier die verspätete Einlegung der Beschwerde -, die in der irrigen Annahme von Rechtzeitigkeit vorgenommen wird, kann hingegen nicht als Wiedereinsetzungsantrag ausgelegt werden (BGH NJW-RR 2012,1206; BGHZ 7, 194/197 f.). Ihr liegt gerade nicht die Vorstellung zugrunde, eine Frist versäumt zu haben. Sie enthält daher nicht den Willen, eine Wiedereinsetzungsentscheidung herbeizuführen.
Auch dem Schreiben des Beteiligten zu 1 vom 14.3.2016 kann ein Wiedereinsetzungsverlangen nicht entnommen werden. Für einen konkludenten Wiedereinsetzungsantrag kann es zwar ausreichend sein, wenn in Kenntnis der Fristversäumnis der Wunsch zum Ausdruck gebracht wird, das Verfahren trotz Fristablaufs wegen fehlender Vorwerfbarkeit der Verspätung fortzusetzen (BGHZ 61, 394/395). Selbst wenn sich der Säumige primär auf eine angebliche Fristwahrung beruft, kann in vorsorglichen Ausführungen zu den Ursachen der Fristversäumnis unter Darlegung fehlenden eigenen Verschuldens ein konkludenter Wiedereinsetzungsantrag zu sehen sein (BGH NJW 2006, 1518). So liegt der Sachverhalt hier aber nicht. Der Beteiligte zu 1 hat zwar sein Verlangen nach Verfahrensfortsetzung und inhaltlicher Überprüfung seines Anliegens geäußert, im Übrigen jedoch nur seine Sicht verteidigt, die Rechtsmittelfrist eingehalten zu haben. Er hat damit zum Ausdruck gebracht, einer Wiedereinsetzung mangels Fristversäumnis nach seiner Meinung nicht zu bedürfen. Zudem hat er nicht einmal vorsorglich für den Fall der Fristversäumnis Ausführungen dazu gemacht, dass und aus welchen Gründen er das etwaige Versäumnis für unverschuldet halte. Indem der Beteiligte zu 1 ein Fristversäumnis ausgeschlossen und sich auf fehlendes Verschulden nicht einmal hilfsweise berufen hat, indem er weiterhin keine Umstände vorgetragen hat, um das Fristversäumnis als nicht vorwerfbar darzustellen, hat er zwar seine rechtsirrige Sicht dargelegt, jedoch kein Wiedereinsetzungsgesuch gestellt. Auch bei der Auslegung von Prozesshandlungen ist nach dem Grundsatz des § 133 BGB auf den wirklichen Willen abzustellen (BGHZ 63, 389/392). Eine – unzulässige – Umdeutung seiner Einlassung in das Gegenteil des Erklärten kommt daher nicht in Betracht.
Es kommt für die Entscheidung mithin nicht mehr darauf an, dass ein Wiedereinsetzungsgrund – nämlich unverschuldete Umstände, welche die Nichteinhaltung der Frist verursacht haben – nicht zu erkennen ist, zumal die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung in verständlicher Weise die gesetzliche Regelung wiedergibt und inhaltlich zutreffend ist, so dass die gesetzliche Vermutung des § 83 Abs. 2 Satz 2 GNotKG dem Beteiligten zu 1 nicht zugute kommt. Eine möglicherweise mangelnde Sorgfalt bei der Erfassung der Belehrung schließt fehlendes Verschulden ebenso aus wie eine unterlassene Nachfrage bei Unverständnis.
Aus diesen Gründen kommt eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht, so dass das Rechtsmittel ohne Sachprüfung als unzulässig zu verwerfen ist.
Zu entscheiden hat nach § 81 Abs. 6 Satz 1 GNotKG die Einzelrichterin des Senats.
2. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil das Verfahren gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden (vgl. § 83 Abs. 3 GNotKG).
Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht statthaft (§ 83 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 81 Abs. 3 Satz 3 GNotKG).