Arbeitsrecht

Auszahlung von auf dem Ausgleichskonto gutgeschriebenem Lohn zum Ausgleich für den Monatslohn – Auslegung von § 3 Nr. 1.43 Abs. 3 BRTV-Bau

Aktenzeichen  8 Sa 466/17

Datum:
6.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 30180
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
TVG § 1
Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 4.7.2002 (BRTV-Bau) § 3 Nr. 1.43 Abs. 3
SGB III § 101

 

Leitsatz

§ 3 Nr. 1.43 Abs. 3 BRTV-Bau erlaubt dem Arbeitgeber – entgegen klägerischer Auffassung – eine Auszahlung von auf dem Ausgleichskonto gutgeschriebenem Lohn zum Ausgleich für den Monatslohn, ohne dass die auszugleichende Differenz auf witterungsbedingtem Arbeitsausfall beruhen müsste, und ohne dass er in der Schlechtwetterzeit eingetreten sein müsste. Dafür sprechen Wortlaut, Zweck und systematischer Zusammenhang. (Rn. 43 – 54)

Verfahrensgang

33 Ca 7172/16 2017-04-28 Endurteil ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 28.04.2017 – 33 Ca 7172/16 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.
Die – verbliebene – Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die Abweisung seiner Klage erfolgte auch insoweit zu Recht, als sie auf Gutschrift von 41 Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto gerichtet war.
1. Die Klage unterliegt allerdings nicht bereits deshalb der Abweisung, weil der Kläger eine Gutschrift auf einem Arbeitszeitkonto begehrt, dessen rechtliche Existenz er leugnet. Denn nachdem er seine Berufung insoweit zurückgenommen hat, als sie auf Abweisung der Widerklage gerichtet war, steht rechtskräftig fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien unter Führung eines Arbeitszeitkontos nach Maßgabe von § 3 Ziff. 1.4 des Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe (BRTV) besteht (vgl. Nr. 2 des Tenors des – insoweit rechtskräftigen – Ersturteils).
2. Der noch weiter verfolgte Klageantrag ist jedoch unbegründet, weil die Beklagte berechtigt war, mit der Zahlung der Vergütung für den Zeitraum vom 25.04.2016 bis zum 30.04.2016, in dem der Kläger keine Arbeitsleistung erbracht hat, das Arbeitszeitkonto des Klägers entsprechend zu reduzieren. Dies ergibt sich aus § 3 Nr. 1.43 Abs. 3 BRTV.
2.1. Die Norm erlaubt dem Arbeitgeber – entgegen klägerischer Auffassung – eine Auszahlung von auf dem Ausgleichskonto gutgeschriebenen Lohns zum Ausgleich für den Monatslohn, ohne dass die auszugleichende Differenz auf witterungsbedingtem Arbeitsausfall beruhen müsste, und ohne dass er in der Schlechtwetterzeit eingetreten sein müsste. Dies ergibt die Auslegung der Tarifnorm.
2.1.1 Tarifliche Vorschriften sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Berufungskammer folgt, nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln auszulegen. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG, Urteil vom 06.07.2006 – 2 AZR 587/05, NZA 2007, 167-168, Juris, Rn. 14, Urteil vom 10.12.2014 – 4 AZR 503/12, Juris, Rn. 19, jeweils m. w. N.).
2.1.2 Bei Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze ergibt sich das oben genannte Ergebnis.
Zunächst spricht der Wortlaut des § 3 Nr. 1.43 Abs. 3 BRTV dafür, dass eine Auszahlung „zum Ausgleich für den Monatslohn“ ohne das Vorliegen weiterer Merkmale zulässig ist. Denn zwischen dieser Formulierung und der ihr nachfolgenden („bei witterungsbedingtem Arbeitsausfall“) steht ein Komma, was gegen die Annahme spricht, die Formulierung beschreibe nur den Zweck der Auszahlung in einer oder in allen der nachfolgend aufgeführten Fallgruppen. Die Formulierung bezeichnet damit eine von fünf Fallgruppen, in denen die Auszahlung von auf dem Ausgleichskonto gutgeschriebenem Lohn gegen Reduzierung der angesparten Stunden erfolgen darf.
Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass die Möglichkeit einer fehlerhaften Interpunktion erwogen werden muss, weil die Formulierung „zum Ausgleich für den Monatslohn“, anders als die nachfolgenden Fallgruppen, nicht klar umrissene, konkrete Fallgestaltungen beschreibt, und weil sie v. a. wegen ihrer Weite geeignet erscheint, die nachfolgenden Fallgruppen mit zu umfassen, womit deren Niederlegung im Tariftext überflüssig gewesen wäre, und die Formulierung deshalb dahin zu verstehen, dass sie nur den Zweck der Auszahlungen gutgeschriebenen Lohns in den vier nachfolgenden Fallgruppen bezeichnet, und keine eigene Fallgruppe festlegt.
Dagegen spricht jedoch bereits, dass Auszahlungen beim Ausscheiden des Arbeitnehmers oder bei seinem Tod erkennbar der Gesamtabwicklung des dann beendeten Arbeitsverhältnisses dienen, indem die Vergütung für erbrachte Arbeitsleistung ausgezahlt wird, und dass dies unter keinem Gesichtspunkt als „Ausgleich für den Monatslohn“ verstanden werden kann. Soweit der Kläger eine gegenteilige Auffassung vertritt, lässt er hierfür eine nachvollziehbare Begründung vermissen.
Im Übrigen kann eine – der Sache nach wegen der Weite der Formulierung „Ausgleich für den Monatslohn“ – ggfs. unnötige Erwähnung des witterungsbedingten Arbeitsausfalls mit der praktischen Bedeutung dieser Fallgruppe in der Praxis erklärt werden, worauf der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. in seiner Stellungnahme hingewiesen hat (Bl. 149 ff. d. A.).
Weiter spricht gegen das Verständnis des Klägers, dass § 3 Nr. 1.4 BRTV, wie aus § 3 Nr. 1.42 Abs. 1 deutlich wird, dem Arbeitnehmer grundsätzlich eine verstetigte monatliche Lohnzahlung sichern will. Dieses Ziel stellt auch der Kläger nicht in Abrede. Er verkennt jedoch, dass Ausnahmen von diesem Grundsatz nicht vermieden werden können, wie insbesondere § 3 Nr. 1.42 Abs. 2 BRTV zeigt, und dass sich diese Ausnahmen weder auf witterungsbedingte Ausfälle im Allgemeinen noch auf solche in der Schlechtwetterzeit im Besonderen beschränken. Aus systematischen Gründen liegt es deshalb nahe, die Nutzung des Ausgleichskontos jedenfalls in all den Fällen als erlaubt anzusehen, in denen sich der Lohn nach § 3 Nr. 1.42 BRTV mindert.
Systematische Gründe sprechen also gegen und nicht für die klägerische Auslegung. Daran ändert sein Hinweis auf die Regelung in § 4 Nr. 6.1 BRTV nichts. Zwar wird dort das Erlöschen des Lohnanspruchs bei Unmöglichkeit der Arbeitsleistung aus zwingenden Witterungsgründen oder in der Schlechtwetterzeit aus wirtschaftlichen Gründen geregelt und für die Schlechtwetterzeit der Arbeitgeber zur Zahlung von Saison-Kurzarbeitergeld verpflichtet, soweit der Lohnausfall nicht durch Auflösung von Arbeitszeitguthaben ausgeglichen werden kann. Die Regelung setzt damit aber nur die Möglichkeit des Ansparens von Arbeitszeit und des Auflösens des Guthabens voraus; sie erlaubt weder die Annahme, dass der alleinige Zweck des Auflösens der Ausgleich bei Ausfällen aus Witterungs- oder wirtschaftlichen Gründen sein dürfe, noch dass diesen Fallgruppen ein irgendwie gearteter Vorrang zukäme.
An diesem Ergebnis ändert sich auch nichts, wenn die sozialversicherungsrechtlichen Regelungen des Saison-Kurzarbeitergeldes mitberücksichtigt werden. Wie das Arbeitsgericht zutreffend dargestellt hat, ist es nach § 101 SGB III unschädlich, Arbeitszeitguthaben zur Verstetigung des Monatslohns einzusetzen. Auch dies spricht dafür, dass das Guthaben nicht nur in der Schlechtwetterzeit zum Ausgleich witterungsbedingten Arbeitsausfalls genutzt werden kann, sondern eben auch – in den Worten der Tarifnorm – „zum Ausgleich für den Monatslohn“. Wenn die sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen in die Betrachtung einbezogen werden, stützt dies die klägerische Auffassung nicht. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall.
Die von den am Tarifabschluss beteiligten Arbeitgeberverbänden aufgezeigten Umstände enthalten nichts, was die hier zugrunde gelegte Auslegung der Tarifnorm in Zweifel ziehen könnte; die Stellungnahmen bieten vor allem keinen Anhaltspunkt für eine tatsächliche Tarifübung, die der klägerischen Auffassung entsprechen würde.
Es bleibt damit im Ergebnis bei der Auslegung des § 3 Nr. 1.43 Abs. 3 BRTV, die bereits der Wortlaut der Tarifnorm nahelegt, ohne dass es noch der Heranziehung weiterer Kriterien bedürfte.
Auch bei diesem Verständnis der Tarifnorm mag es zwar zutreffen, dass ein Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs des Arbeitgebers (§ 615 Satz 1, §§ 293 ff. BGB) die Auszahlung gutgeschriebenen Lohns nach § 3 Nr. 1.43 Abs. 3 BRTV ausschließt, weil es bereits an einer Minderung des Monatslohns fehlt, die des Ausgleichs bedürfte. Dies kann jedoch dahinstehen, da der Kläger zu den Voraussetzungen eines solchen Anspruchs nicht hinreichend vorgetragen hat. So behauptet er nicht, dass er seine Arbeitsleistung tatsächlich angeboten hat, wie es von § 294 BGB im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis grds. gefordert wird. Auch zum Ausreichen eines nur wörtlichen Angebots gemäß § 295 BGB oder zur Entbehrlichkeit eines Angebots nach § 296 BGB fehlen hinreichende Ausführungen. Damit bleibt der Hinweis des Klägers auf einen vermeintlichen Lohnanspruch aus Annahmeverzug für den streitgegenständlichen Zeitraum unbehelflich.
2.2. Dem Kläger ist auch nicht in der Auffassung zu folgen, dass bei Fehlen eines Betriebsrats der Arbeitgeber – allgemein oder jedenfalls außerhalb der Schlechtwetterzeit – nur dann von der tarifvertraglich eingeräumten Möglichkeit, gutgeschriebenen Lohn zum Ausgleich für den Monatslohn auszuzahlen, Gebrauch machen dürfte, wenn er sich insoweit schriftlich oder ausdrücklich mündlich mit dem Arbeitnehmer geeinigt hätte. Für diese Auffassung fehlt jede Grundlage.
Zunächst sieht der Tarifvertrag für die Auszahlung gutgeschriebenen Lohns überhaupt keine Vereinbarung vor, weder mit dem Betriebsrat noch mit dem Arbeitnehmer. § 3 Nr. 1.43 Abs. 3 BRTV enthält kein derartiges Erfordernis. Den Abschluss einer Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat bzw. – bei Fehlen eines solchen – einer einzelvertraglichen Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer verlangt nur § 3 Nr. 1.41 für eine von der tariflichen Regelung abweichende Verteilung der Arbeitszeit (Abs. 1) und für Lage und Verteilung nachzuarbeitender Arbeitszeit (Abs. 3). Daraus kann nicht auf die Notwendigkeit einer Betriebsvereinbarung oder einer einzelvertraglichen Vereinbarung für die zulässige Auszahlung gutgeschriebenen Lohns geschlossen werden.
Selbst wenn dies aber der Fall wäre, spricht nichts für die Auffassung des Klägers, die einzelvertragliche Vereinbarung bedürfe der Schriftform oder sie müsse jedenfalls durch ausdrückliche Erklärungen erfolgen. Denn es ist anzunehmen, dass die Tarifvertragsparteien einen entsprechenden Regelungswillen durch die Verwendung des Adjektivs „schriftlich“ oder des Adjektivs „ausdrücklich“ zum Ausdruck gebracht hätten. Dies hätte nahegelegen und keinerlei Aufwand bedeutet. Besondere Gründe für ein „planwidriges“ Schweigen sind nicht erkennbar und wurden auch vom Kläger nicht aufgezeigt. Nichts spricht dafür, dass die Tarifvertragspartner in der Annahme auf eine ausdrückliche Regelung der Formbedürftigkeit verzichtet haben, den Normadressaten würde sich ein entsprechender Regelungswille ohne Weiteres erschließen.
Abschließend sei festgehalten, dass auch zu dieser Frage die von den am Tarifabschluss beteiligten Arbeitgeberverbänden vorgelegten Stellungnahmen nichts enthalten, was die hier zugrunde gelegte Auslegung der Tarifnorm in Zweifel ziehen könnte.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
III.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
Der – allein beschwerte – Kläger kann daher Revision nach Maßgabe der nachfolgenden Rechtsmittelbelehrungeinlegen. Der Beklagten steht dieses Rechtsmittel trotz Zulassung nicht zur Verfügung, weil sie durch die vorliegende Entscheidung nicht beschwert ist.

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