Arbeitsrecht

Beendigung eines Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes

Aktenzeichen  2 AZR 495/12

Datum:
21.11.2013
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 155 Abs 1 S 3 SGB 5
§ 155 Abs 1 S 1 SGB 5
§ 155 Abs 1 S 2 SGB 5
§ 155 Abs 4 S 9 SGB 5
§ 164 Abs 3 SGB 5
§ 164 Abs 4 SGB 5
Spruchkörper:
2. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Hamburg, 12. Oktober 2011, Az: 20 Ca 116/11, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg, 31. Mai 2012, Az: 1 Sa 55/11, Urteil

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 31. Mai 2012 – 1 Sa 55/11 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aus Anlass der Schließung der Beklagten.
2
Die Beklagte ist eine – in Abwicklung befindliche – sog. geöffnete Betriebskrankenkasse mit Hauptsitz in S. Sie beschäftigte im Juni 2011 etwa 400 Arbeitnehmer. An ihren Standorten H, B und S waren Personalräte, am Hauptsitz zudem ein Hauptpersonalrat gebildet.
3
Der 1951 geborene Kläger war seit 1970 bei der Stadt H als Verwaltungsangestellter tätig. Zum 1. August 1978 wurde er in ein Beamtenverhältnis übernommen. Im Juni 1995 wurde er unter Fortfall seiner Bezüge bis zum Eintritt in den Ruhestand beurlaubt. Seitdem war er – auf der Grundlage einer Personalüberleitungsvereinbarung – bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen – zuletzt auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 1. Januar 1999 – beschäftigt. Danach findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der Betriebskrankenkassen (MTV) Anwendung. Dieser enthält in § 20 Abs. 1 die Regelung, dass dem Beschäftigten nach Vollendung des 50. Lebensjahres und einer zehnjährigen Beschäftigungszeit „nur aus einem in seiner Person oder in seinem Verhalten liegenden wichtigen Grund fristlos gekündigt werden“ kann. Der Kläger erzielte zuletzt einen Bruttomonatsverdienst in Höhe von etwa 5.900,00 Euro.
4
Mit Bescheid vom 4. Mai 2011 ordnete das Bundesversicherungsamt die Schließung der Beklagten zum 30. Juni 2011 an. Grund war deren Überschuldung und eine damit einhergehende dauernde Leistungsunfähigkeit.
5
Am 20. April und 4. Mai 2011 unterrichtete die Beklagte den Hauptpersonalrat über die bevorstehende Schließung. Sie teilte ihm ferner mit, dass sie beabsichtige, alle Arbeitsverhältnisse vorsorglich außerordentlich zum 30. Juni 2011, hilfsweise fristgemäß bzw. außerordentlich unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist zu kündigen. Der Hauptpersonalrat erhob dagegen Einwände.
6
Mit Schreiben vom 9. Mai 2011 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sein Arbeitsverhältnis aufgrund der Schließung am 30. Juni 2011 enden werde. Zugleich wies sie ihn auf die in der Personalüberleitungsvereinbarung vorgesehene Rückkehrmöglichkeit zur Stadt H hin; mit dieser habe sie – unter Berücksichtigung ihrer bevorstehenden Abwicklung und des insoweit bestehenden Personalbedarfs – Einvernehmen darüber erzielt, dass Beschäftigte bei Wahrnehmung der betreffenden Option „in einem zeitlich gestuften Verfahren“ zur Stadt H zurückkehren sollten.
7
Am 13. Mai 2011 unterbreitete der zuständige BKK Landesverband dem Kläger im Auftrag der S-Betriebskrankenkasse (SBK) ein Stellenangebot mit folgendem Inhalt: „SBK He; Standort: P; Funktion: Sachbearbeiter; Geschäftsbereich: Vertrieb; Vergütung: ERA EG 9, 3.340 – 3.504 EUR (unter Berücksichtigung der Fähigkeiten und der bisherigen Dienststellung); anzuwendender Tarifvertrag: TV Metall und Elektro“. Ergänzend verwies der Landesverband auf eine im Intranet eingerichtete Stellenbörse. Der Kläger nahm das Angebot der SBK He nicht an.
8
Mit Schreiben vom 19. Mai 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien „vorsorglich“ außerordentlich mit Auslauffrist zum 30. Juni 2011, hilfsweise zum 31. Dezember 2011 als dem von ihr angenommenen „nächst möglichen Termin“.
9
Nach dem Schließungszeitpunkt wurde der Kläger auf der Grundlage eines bis zum 30. Juni 2012 befristeten Arbeitsvertrags als „Teamleiter“ bei der Beklagten weiterhin beschäftigt. Die Befristung wurde später zumindest bis zum 31. Dezember 2012 verlängert. Zu einem nicht benannten Zeitpunkt machte der Kläger von seinem „Rückkehrrecht“ zur Stadt H Gebrauch.
10
Mit seiner Klage hat sich der Kläger gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses aufgrund der Schließung und – rechtzeitig – gegen die Kündigung gewandt. Der Kläger hat gemeint, sein Arbeitsverhältnis sei nicht nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V beendet worden. Die Vorschrift müsse dahin ausgelegt werden, dass nur die Arbeitsverhältnisse derjenigen Arbeitnehmer beendet würden, die ein zumutbares Angebot auf anderweitige Unterbringung ausgeschlagen hätten. Ein solches sei ihm nicht unterbreitet worden. Die vorsorglich erklärte Kündigung sei unwirksam. Die Schließung habe nicht zur Stilllegung des Betriebs geführt. Die Beklagte habe über den Schließungszeitpunkt und den 31. Dezember 2011 hinaus Abwicklungsarbeiten durchgeführt. Auch sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.
11
Der Kläger hat, soweit für die Revision von Bedeutung, beantragt
        
1.    
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mit Ablauf des 30. Juni 2011 geendet hat;
        
2.    
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 19. Mai 2011 weder zum 30. Juni 2011 noch zum 31. Dezember 2011 oder einem anderen „nächst möglichen“ Termin aufgelöst worden ist.
12
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, mit ihrer Schließung habe sie ihre Rechtspersönlichkeit als Körperschaft des öffentlichen Rechts verloren. Sie sei damit als Arbeitgeberin „untergegangen“. Schon dies habe unmittelbar zur Beendigung sämtlicher Arbeitsverhältnisse geführt. Zumindest habe das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft gesetzlicher Anordnung nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V sein Ende gefunden. Die Regelung sei verfassungskonform. Durch die unterschiedliche Behandlung der Beschäftigten einer Innungskrankenkasse und der einer Betriebskrankenkasse werde Art. 3 GG nicht verletzt. Die Unterscheidung sei nicht willkürlich. Die Sicherung eines funktionierenden gesetzlichen Gesundheitssystems stelle ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut dar. Das Interesse der Arbeitnehmer am Bestand ihrer Arbeitsverhältnisse müsse dahinter zurücktreten. Ein zumutbares Angebot auf anderweitige Unterbringung habe der Kläger abgelehnt. Falls es darauf ankomme, sei die vorsorglich erklärte Kündigung wirksam. Aufgrund ihrer Schließung seien sämtliche Beschäftigungsmöglichkeiten entfallen. Die befristete Weiterbeschäftigung des Klägers ändere daran nichts. Das Gesetz überantworte die Abwicklung dem Vorstand. Sie beginne ganz ohne eigenes Personal. Auf der Grundlage konkreter Prognosen zum Beschäftigungsbedarf für die Dauer der Abwicklung würden sodann – wie mit dem Kläger – befristete Arbeitsverträge geschlossen.
13
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag weiter, die Klage abzuweisen.

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