Arbeitsrecht

Beendigung eines Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes

Aktenzeichen  2 AZR 598/12

Datum:
21.11.2013
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 155 Abs 1 S 3 SGB 5
§ 155 Abs 1 S 1 SGB 5
§ 155 Abs 1 S 2 SGB 5
§ 155 Abs 4 S 9 SGB 5
§ 164 Abs 3 S 1 SGB 5
§ 164 Abs 3 S 3 SGB 5
§ 164 Abs 3 S 4 SGB 5
§ 164 Abs 4 S 1 SGB 5
Spruchkörper:
2. Senat

Leitsatz

Die gesetzliche Anordnung in § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V (juris: SGB 5), derzufolge die Vertragsverhältnisse der “nicht nach Abs. 3 untergebrachten” Beschäftigten mit dem Tag der Schließung der Innungskrankenkasse enden, findet auf Beschäftigte von Betriebskrankenkassen, deren Arbeitsverhältnisse ordentlich gekündigt werden können, keine entsprechende Anwendung. Da die Vorschrift des § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V für diese Beschäftigten wegen § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V nicht gilt, fehlt es an der Voraussetzung, dass zuvor ein zumutbares Angebot auf anderweitige Unterbringung unterbreitet werden musste und abgelehnt wurde.

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Stuttgart, 14. Dezember 2011, Az: 22 Ca 4297/11, Teilurteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, 21. Mai 2012, Az: 1 Sa 2/12, Urteil

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 21. Mai 2012 – 1 Sa 2/12 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aus Anlass der Schließung der Beklagten.
2
Die Beklagte ist eine – in Abwicklung befindliche – sog. geöffnete Betriebskrankenkasse mit Hauptsitz in S. Sie beschäftigte im Juni 2011 etwa 400 Arbeitnehmer. An ihren Standorten H, B und S waren Personalräte, am Hauptsitz zudem ein Hauptpersonalrat gebildet.
3
Die am 1. Juli 1961 geborene Klägerin war bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin seit 1999 als Sozialversicherungsfachangestellte in S beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der Betriebskrankenkassen (MTV BKK) Anwendung. Dieser enthält in § 20 Abs. 1 die Regelung, dass dem Beschäftigten nach Vollendung des 50. Lebensjahres und einer zehnjährigen Beschäftigungszeit „nur aus einem in seiner Person oder in seinem Verhalten liegenden wichtigen Grund fristlos gekündigt werden“ kann.
4
Mit Bescheid vom 4. Mai 2011 ordnete das Bundesversicherungsamt die Schließung der Beklagten zum 30. Juni 2011 an. Grund war deren Überschuldung und eine damit einhergehende dauernde Leistungsunfähigkeit.
5
Am 20. April und 4. Mai 2011 unterrichtete die Beklagte den Hauptpersonalrat über die bevorstehende Schließung. Sie teilte ihm ferner mit, dass sie beabsichtige, alle Arbeitsverhältnisse vorsorglich außerordentlich zum 30. Juni 2011, hilfsweise fristgemäß bzw. außerordentlich unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist zu kündigen. Der Hauptpersonalrat erhob dagegen Einwände.
6
Mit Schreiben vom 9. Mai 2011 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihr Arbeitsverhältnis aufgrund der Schließung am 30. Juni 2011 enden werde. Am 13. Mai 2011 unterbreitete der BKK-Landesverband der Klägerin ein Angebot, bei der S Krankenkasse in V als Sachbearbeiterin weiterbeschäftigt zu werden. Die Klägerin nahm dieses Angebot nicht an.
7
Mit Schreiben vom 19. Mai 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien „vorsorglich“ außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30. Juni 2011, hilfsweise zum 31. Dezember 2011 als dem von ihr angenommenen „nächst möglichen Termin“.
8
Die Beklagte unterbreitete der Klägerin ferner ein Angebot zum Abschluss eines befristeten Arbeitsverhältnisses zur Durchführung von Abwicklungsarbeiten bis zum 30. Juni 2013. Die Klägerin nahm dieses unter dem Vorbehalt an, den Fortbestand des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses geltend zu machen. Da die Beklagte den Vorbehalt nicht akzeptierte, lehnte die Klägerin auch dieses Angebot ab.
9
Mit ihrer Klage hat sich die Klägerin gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Schließung oder einer entsprechenden Erklärung der Beklagten und gegen die Kündigung gewandt. Sie hat gemeint, ihr Arbeitsverhältnis habe nicht kraft Gesetzes geendet. § 164 Abs. 4 SGB V gelte nur für die Dienstordnungsangestellten und die unkündbaren Arbeitnehmer. Zu beiden Personengruppen zähle sie nicht. Verstehe man die Vorschrift dahin, dass sie auch die ordentlich kündbaren Arbeitnehmer erfasse, sei sie verfassungswidrig. Die vorsorglich erklärte Kündigung sei unwirksam. Die Schließung habe nicht zur Stilllegung des Betriebs geführt. Die Beklagte habe über den Schließungszeitpunkt und den 31. Dezember 2011 hinaus Abwicklungsarbeiten durchgeführt.
10
Die Klägerin hat – soweit für die Revision von Belang – beantragt
        
1.    
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch das Schreiben der Beklagten vom 9. Mai 2011 nicht zum 30. Juni 2011 aufgelöst worden ist;
        
2.    
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände – insbesondere nicht durch die Schließung der Beklagten zum 30. Juni 2011 oder Erklärung der Beklagten – geendet hat, sondern unverändert fortbesteht;
        
3.    
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 19. Mai 2011 weder zum 30. Juni 2011 noch zum 31. Dezember 2011 aufgelöst worden ist;
        
4.    
die Beklagte zu verurteilen, sie über den 30. Juni 2011 hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Rechtsstreits als Sozialversicherungsfachangestellte zu vertragsgemäßen Bedingungen zu beschäftigen.
11
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, mit ihrer Schließung habe sie ihre Rechtspersönlichkeit als Körperschaft des öffentlichen Rechts verloren. Sie sei damit als Arbeitgeberin „untergegangen“. Schon dies habe unmittelbar zur Beendigung sämtlicher Arbeitsverhältnisse geführt. Zumindest habe das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft gesetzlicher Anordnung nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V sein Ende gefunden. Die Regelung sei verfassungskonform. Durch die unterschiedliche Behandlung der Beschäftigten einer Innungskrankenkasse und der einer Betriebskrankenkasse werde Art. 3 GG nicht verletzt. Die Unterscheidung sei nicht willkürlich. Die Sicherung eines funktionierenden gesetzlichen Gesundheitssystems stelle ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut dar. Das Interesse der Arbeitnehmer am Bestand ihrer Arbeitsverhältnisse müsse dahinter zurücktreten. Falls es darauf ankomme, sei die vorsorglich erklärte Kündigung wirksam. Aufgrund ihrer Schließung seien sämtliche Beschäftigungsmöglichkeiten entfallen.
12
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

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