Aktenzeichen RO 10A DK 19.2
Leitsatz
Ein Ruhestandsbeamter, der anonyme Briefe mit verfassungsfeindlichen Kennzeichen, ausländer- und judenfeindlichen Inhalts, sowie einer an einen nationalsozialistischen Sprachduktus angenäherten Ausdrucksweise versendet, verstößt gegen die Pflicht zur Verfassungstreue und damit gegen das Verbot zur Betätigung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG.
Tenor
I. Gegen die Beklagte wird auf die Aberkennung des Ruhegehalts erkannt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Die Disziplinarkammer entscheidet mit Urteil ohne mündliche Verhandlung, da die Parteien ihr Einverständnis hiermit erklärt haben, Art. 3 des Bayerischen Disziplinargesetzes (BayDG) i.V.m. § 87a Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), Art. 58 Abs. 1 Satz 2 BayDG.
Die zulässige Disziplinarklage führt zu der Entscheidung, der Beklagten das Ruhegehalt abzuerkennen, da sie wegen eines schweren Dienstvergehens das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren hat.
Gegen die Ordnungsgemäßheit der Klageschrift bestehen keine Bedenken. Sie entspricht den Anforderungen des Art. 50 Abs. 1 BayDG und gibt in ausreichender Weise den persönlichen und beruflichen Werdegang der Beklagten, den bisherigen Gang des Disziplinarverfahrens sowie die für die Entscheidung bedeutsamen Tatsachen und Beweismittel in geordneter Darstellung wieder. Mängel der Klageschrift wurden nicht geltend gemacht.
1. Das Gericht legt der disziplinarrechtlichen Würdigung die tatsächlichen Feststellungen des seit 20. Januar 2017 rechtskräftigen Strafbefehls des Amtsgerichts Regensburg im Verfahren Az. 29 Cs 102 Js 16771/16 zugrunde. Dieses verurteilte die Beklagte wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in sieben Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung gemäß den §§ 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 86 Abs. 1 Nr. 4, 185, 194 Abs. 1, 53 StGB zu eine Gesamtgeldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen zu je 70 €, also insgesamt 10.500 €.
Die tatsächlichen Feststellungen eines Strafbefehls sind zwar nicht gemäß Art. 55 BayDG i.V.m. Art. 25 Abs. 1 BayDG für ein Disziplinar(-klage) verfahren zwingend bindend. Das Gericht kann sie jedoch gemäß Art. 25 Abs. 2 BayDG seiner Entscheidung ohne nochmalige Prüfung zugrunde legen. Hinzu kommt, dass den in einem rechtskräftigen Strafbefehl getroffenen tatsächlichen Feststellungen eine erhebliche Indizwirkung zukommt (vgl. z.B. BayVGH vom 1.6.2005 Az. 16a D 04.3502). Die Beklagte ist den tatsächlichen Feststellungen des Strafbefehls auch nicht mit – substantiierten – Einwänden entgegen getreten, sondern hat das Versenden der Briefe zugestanden.
2. Die Beklagte hat durch das ihr zur Last gelegte und nachgewiesene Verhalten als Ruhestandsbeamtin gegen ihre Verpflichtung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG verstoßen.
Nach dieser Bestimmung gilt bei Ruhestandsbeamtinnen und Ruhestandsbeamten oder früheren Beamtinnen mit Versorgungsbezügen und früheren Beamten mit Versorgungsbezügen als Dienstvergehen, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes betätigen oder an Bestrebungen teilnehmen, die darauf abzielen, den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen, oder wenn sie schuldhaft gegen die in den §§ 37, 41 und 42 BeamtStG bestimmten Pflichten verstoßen.
Da mit dem Eintritt in den Ruhestand das Beamtenverhältnis endet, also kein Dienstverhältnis mehr besteht, können auch keine Dienstpflichten im Sinne des § 47 Abs. 1 BeamtStG mehr verletzt werden. Abs. 2 Satz 1 enthält deshalb eine gesetzliche Fiktion, indem für Ruhestandsbeamte und gleichgestellte frühere Beamte, obwohl sie in keinem Dienstverhältnis mehr stehen, bestimmte aus dem früheren Beamtenverhältnis fortdauernde Pflichten als Dienstpflichten behandelt werden, deren schuldhafte Verletzung einem Dienstvergehen gleichgestellt wird.
Als Dienstvergehen gilt u.a. die Betätigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.
Die Pflicht zur Verfassungstreue ist die Grundpflicht der Beamten gegenüber dem Staat. Sie bildet auch einen Kernbestandteil des Diensteids (§ 38 Abs. 1 Satz BeamtStG), den die Beklagte 02.05.1975 abgelegt hat. Wegen ihrer grundlegenden Bedeutung wirkt die Pflicht zur Verfassungstreue auch über das Ende des Beamtenverhältnisses hinaus, wenn und solange der (frühere) Beamte aufgrund seines früheren Beamtenverhältnisses finanzielle Leistungen erhält. Zwischen der nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG für aktive und nach § 47 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG für Ruhestandsbeamte und gleichgestellte frühere Beamte getroffenen Regelung besteht ein gradueller Unterschied. Während für die aktiven Beamten ein Gebot zum Bekennen zur freilich demokratischen Grundordnung und eine Verpflichtung besteht, für sie einzutreten, beschränkt sich § 47 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG auf das Verbot der Betätigung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung. Der Pflichtenrahmen ist somit für den Ruhestandsbeamten enger als für den aktiven Beamten gezogen. Der Grund liegt aber nicht darin, dass von Ruhestandsbeamten ein geringeres Maß an Verfassungstreue erwartet wird, sondern dass den Ruhestandsbeamten und gleichgestellten früheren Beamten schon aus altersbedingten Gründen keine weitreichenden aktiven Handlungspflichten auferlegt werden können (Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Rn. 132 zu § 47 BeamtStG).
Während die aktive Beamtin nach § 33 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG sich somit durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten muss, nimmt § 47 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG eine passive Haltung gegenüber verfassungsfeindlichen Bestrebungen hin. Als Dienstvergehen gilt deshalb erst, wenn sich der Ruhestandsbeamte oder frühere Beamte mit Versorgungsbezügen selbst aktiv verfassungsfeindlich betätigt (Schachel in: Schütz/Maiwald, Beamtenrecht, Stand 9/2018, § 47 BeamtStG Rn. 29; Heitz, GKÖD, L § 77 Rn. 14).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts werden dem entsprechend Aktivitäten feindseliger Art gefordert (BVerfG, B.v. 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, BVerfGE 39, 334-391, Rn. 46). Meinungsäußerungen können, müssen aber nicht in jedem Fall den Charakter von solchen Aktivitäten feindseliger Art haben. Solange sie sich daran erschöpfen, im Vertrauen auf die Überzeugungskraft des Arguments Kritik an bestehenden Zuständen zu üben oder bestehende rechtliche Regelungen in Gesetzen und in der Verfassung in den dafür vorgesehenen verfassungsrechtlichen Verfahren zu ändern, erfüllen sie nicht die genannten Tatbestände eines Dienstvergehens. Dagegen stellen Agitationen, die die freiheitlich demokratische Grundordnung herabsetzen, verfassungsrechtliche Wertentscheidungen und Institutionen diffamieren und zum Bruch geltender Gesetze auffordern, Betätigungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung dar (BVerfG, a.a.O.).
Hiervon ausgehend hat die Beklagte durch die strafbare strafbare Verwendung nationalsozialistischer Symbole unter Benutzung nationalsozialistischem judenfeindlichen Gedankentums gegen die Pflichten aus § 47 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG verstoßen. Diese Handlungen und Aussagen sind von dem Recht auf freie Meinungsäußerung nicht gedeckt. Die Schreiben enthalten eindeutig Ausländerund judenfeindlichen Inhalt und belegen eine gedankliche Nähe zum Nationalsozialismus.
3. Die Schwere des Dienstvergehens gebietet nicht nur die Kürzung, sondern die Aberkennung des Ruhegehalts nach Art. 6 Abs. 2 Nummer 2 iVm 13 BayDG.
Nach Art. 14 Abs. 1 BayDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach pflichtgemäßen Ermessen, insbesondere nach der Schwere des Dienstvergehens, dem Persönlichkeitsbild und der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 -, juris; U.v. 29.10.2013 – 1 D 1.12 -, BVerwGE 148, 192). Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden (BVerfG, B.v. 8.12.2004 – 2 BvR 52/02 -, BVerfGK 4, 243). Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, U.v. 20.10.2005 – 2 C 12.04 -, BVerwGE 124, 252).
Nach Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BayDG wird Ruhestandsbeamten und -beamtinnen das Ruhegehalt aberkannt, wenn sie, während sie noch im Dienst, aus dem Beamtenverhältnis hätten entfernt werden müssen. Dies ist vorliegend der Fall.
Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist nur zulässig, wenn der Beamte wegen der schuldhaften Verletzung einer ihm obliegenden Pflicht das für die Ausübung seines Amtes erforderliche Vertrauen endgültig verloren hat. Ruhestandsbeamten und -beamtinnen wird das Ruhegehalt aberkannt.
Da die Schwere des Dienstvergehens nach Art. 14 Abs. 1 BayDG maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme ist, muss das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des Art. 6 Abs. 1 BayDG aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zugeordnet werden. Bei der Auslegung des Begriffs „Schwere des Dienstvergehens“ ist maßgebend auf das Eigengewicht der Verfehlung abzustellen. Hierfür können bestimmend sein objektive Handlungsmerkmale (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, z.B. Kern- oder Nebenpflichtverletzung, sowie besondere Umstände der Tatbegehung, z.B. Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens), subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld des Beamten, Beweggründe für sein Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für Dritte (BVerwG, U.v. 20.10.2005 – 2 C 12.04 -, BVerwGE 124, 252).
Die in Ausfüllung dieses Rahmens zu treffende Bemessungsentscheidung nach Maßgabe des Art. 14 Abs. 1 BayDG führt zur Aberkennung des Ruhegehaltes (Art. 14 Abs. 2 BayDG).
Die Beklagte hat sich – wie ausgeführt – gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung betätigt und damit als Ruhestandsbeamtin ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen, dass bei einem aktiven Beamten zur Entfernung aus dem Dienst führen würde. Anhaltspunkt hierfür ist zunächst der Strafrahmen den der Gesetzgeber für das der Beklagten zur Last gelegte Verhalten vorgesehen hat. Dieser beträgt nach §§ 86a Abs. 1 Nummer 1, Absatz 2, 86 Abs. 1 Nummer 4 StGB bis zu 3 Jahren. Damit kann das strafbare Verhalten bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen (vgl. unter anderem Urteil des BVerwG vom 10.12.2015 -2C6.14-).
Unter Berücksichtigung der weiteren Umstände des Einzelfalles ist festzustellen, dass die Beklagte im Kernbereich ihrer Pflichten, nämlich der besonderen politischen Treuepflicht eines Beamten gegenüber dem Staat und seiner Verfassung verstieß. Dies wurde von der Beklagten durch ihre Postkarten und Briefe deutlich dokumentiert. Insoweit wird ersichtlich, dass die Beklagte sich mit dem Nationalsozialismus identifiziert bzw. mit diesem sympathisiert. Über die strafrechtliche Relevanz der Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen hinaus, waren die Postkarten und Briefe in klassisch nationalsozialistischem Sprachduktus gehalten („Wo Judeda Dreck!“, „Wie aus dem Stürmer entsprungen“, „der jüdische Volksverderber“, „sperrt den Saujuden endlich weg“, „jüdische Ratten wirkten im Hintergrund“, „an den Asylanten Bürgermeister“, „Asylanten sind keine Bereicherung sondern Fressfeinde“), und mehrmals mit der in der rechtsextremen Szene als Code für „Heil Hitler“ benutzten Zahlenkombination „88“ versehen. Hiermit wird eindeutig ein rechtsradikales Gedankengut dokumentiert, welches in eklatantem Widerspruch zur Pflicht der Beklagten zur Verfassungstreue steht, gerade aufgrund der deutschen Geschichte. Damit hat sich die Beklagte aktiv gegen die elementarsten Grundsätze des Rechtsstaates, für den sie aktiv Beamte war und nun Ruhestandsbeamten ist, gestellt. Die insoweit von der Beklagten zur Rechtfertigung vorgetragene Begründung, sie hätte nicht gewusst, dass sie strafbare Siegrunen verwendet, ist vor dem Hintergrund der weiteren ausländerfeindlichen und judenfeindlichen Äußerungen, verbunden mit dem nationalsozialistischen Kürzel „88“ für „Heil Hitler“ als reine Schutzbehauptung einzustufen. Auch vermag bei den über mehrere Monate andauernden Taten die Argumentation, „sie wollte wegen ihrer eigenen Schwierigkeiten und Kränkungen andere verletzen und kränken“ nicht zu überzeugen. Dies wird auch durch die strafrechtliche Verurteilung belegt. Hiermit ist das Vertrauensverhältnis zwischen Dienstherrn und Beamten restlos und schwerwiegend aufgebraucht, ferner tritt damit verbunden ein erheblicher Achtungsverlust für den öffentlichen Dienst ein.
Ergänzend wird auf die zutreffende rechtliche Bewertung des Klägers in der Disziplinarklage verwiesen, die sich die Kammer zu eigen macht.
4. Von einer an sich verwirkten Höchstmaßnahme ist ausnahmsweise zugunsten einer milderen Disziplinarmaßnahme abzusehen, wenn ein anerkannter Milderungsgrund von einem solchen Gewicht vorliegt, der geeignet ist, das schwere Dienstvergehen des Beklagten als weniger gravierend erscheinen zu lassen (vgl. BayVGH vom 22.11.2017 Az. 16b D 15.1182). Es bestehen hier jedoch keine hinreichenden tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die ihr vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen aufgrund einer krankhaften seelischen Störung in einem Zustand der erheblich verminderten Schuldfähigkeit i.S.d. §§ 20, 21 des Strafgesetzbuches (StGB) begangen hat.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind die Schuldunfähigkeit bzw. verminderte Schuldfähigkeit im Disziplinarverfahren unter folgenden Voraussetzungen zu berücksichtigen (vgl. BVerwG vom 19.2.2018 Az. 2 B 51/17 m.w.N.):
„Die Verwaltungsgerichte treffen bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme eine eigene Bemessungsentscheidung gemäß § 13 LDG NRW. Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 2 LDG NRW nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Das Bemessungskriterium „Persönlichkeitsbild des Beamten“ gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 LDG NRW erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges dienstliches Verhalten vor, bei und nach der Tatbegehung. Es erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstvergehen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten übereinstimmt oder etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder einer psychischen Ausnahmesituation davon abweicht (BVerwG, Urteile vom 20. Oktober 2005 – 2 C 12.04 – BVerwGE 124, 252 und vom 3. Mai 2007 – 2 C 9.06 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 14). In diesem Zusammenhang haben die Verwaltungsgerichte auch der Frage einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit im Sinne der §§ 20 und 21 StGB nachzugehen, wenn der Sachverhalt hinreichenden Anlass bietet. Lässt sich nach erschöpfender Sachaufklärung ein Sachverhalt nicht ohne vernünftigen Zweifel ausschließen, dessen rechtliche Würdigung eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Beamten ergibt, so ist dieser Gesichtspunkt nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ in die Gesamtwürdigung einzustellen. Dies trägt auch der disziplinarrechtlichen Geltung des Schuldprinzips und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung (BVerwG, Urteile vom 3. Mai 2007 – 2 C 9.06 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 30 und vom 29. Mai 2008 – 2 C 59.07 – Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3 Rn. 27).
Erheblich verminderte Schuldfähigkeit gemäß §§ 20 und 21 StGB setzt voraus, dass die Fähigkeit, das Unrecht einer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer Störung im Sinne von § 20 StGB bei Tatbegehung erheblich eingeschränkt war. Für die Steuerungsfähigkeit kommt es darauf an, ob das Hemmungsvermögen so stark herabgesetzt war, dass der Betroffene den Tatanreizen erheblich weniger Widerstand als gewöhnlich entgegenzusetzen vermochte (vgl. BGH, Urteile vom 27. November 1959 – 4 StR 394/59 – BGHSt 14, 30 und vom 21. November 1969 – 3 StR 249/68 – BGHSt 23, 176 ; stRspr). Die daran anknüpfende Frage, ob die Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung „erheblich“ war, ist eine Rechtsfrage, die die Verwaltungsgerichte ohne Bindung an die Einschätzung Sachverständiger in eigener Verantwortung zu beantworten haben. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seines Erscheinungsbildes vor, während und nach der Tat und der Berücksichtigung der Tatumstände, insbesondere der Vorgehensweise. Die Erheblichkeitsschwelle liegt umso höher, je schwerer das in Rede stehende Delikt wiegt (vgl. BGH, Urteile vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03 – NStZ 2004, 437 und vom 22. Oktober 2004 – 1 StR 248/04 – NStZ 2005, 329 ). Für die Annahme einer erheblichen Minderung der Schuldfähigkeit sind schwerwiegende Gesichtspunkte heranzuziehen wie etwa Psychopathien, Neurosen, Triebstörungen, leichtere Formen des Schwachsinns, altersbedingte Persönlichkeitsveränderungen, Affektzustände sowie Folgeerscheinungen einer Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder Medikamenten (vgl. Lackner/Kühl, StGB, 28. Auflage 2014, § 21 Rn. 2 m.w.N.). Dementsprechend hängt im Disziplinarrecht die Beurteilung der Erheblichkeit im Sinne von § 21 StGB von der Bedeutung und Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflichten ab. Aufgrund dessen wird sie bei Zugriffsdelikten nur in Ausnahmefällen erreicht werden (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. Mai 2007 – 2 C 9.06 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 34 und vom 29. Mai 2008 – 2 C 59.07 – juris Rn. 30).“
Aufgrund der im behördlichen Verfahren eingeholten psychiatrischen Gutachten (psychiatrisches Sachverständigengutachten vom Frau Dr. B. vom 13.11.2018 sowie psychologisches Zusatzgutachten von Herrn Dr. C. vom 30.07.2018) einschließlich der im gerichtlichen Verfahren eingeholten ergänzenden Stellungnahmen von Frau Dr. B. vom 07.01.2020 und 18.05.2020 steht für das Gericht fest, dass eine erheblich geminderte Schuldfähigkeit bei der Beklagten im tatrelevanten Zeitraum auszuschließen ist. Aus forensische Sicht ist bereits eine forensische Relevanz (Schweregrad der depressiven Störung) nicht oder nicht sicher anzunehmen. Insoweit kann auch eine Beurteilung der dadurch bedingten Auswirkung nicht umfassend bewertet werden. Zudem sprechen laut Gutachter Dr. B. die gezeigten Anpassungsleistungen der Beklagten im Alter, ihre erhaltene Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie die Fähigkeit zur Realitätsprüfung, dass ihr Krankheitsbild keine Auswirkungen in dem Maß hatte, dass eine erheblich geminderte Schuldfähigkeit in Betracht käme.
Anhaltspunkte für weitere anerkannte Milderungsgründe sind nicht ersichtlich. Insbesondere handelt es sich bei den Tathandlungen, welche sich über einen Zeitraum von über eineinhalb Jahre erstrecken, nicht um eine persönlichkeitsfremde Augenblickstat. Auch die Annahme eines Milderungsgrundes im Sinne einer unverschuldeten, schwierigen und überwundenen Lebensphase greift vorliegend nicht. Zwar hat die Klägerin persönliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten in den Jahren 2006-2009 beschrieben (Vermögensverlust durch Finanzkrise 2008, Trennung von Lebensgefährten 2009, sowie Erkrankung der Mutter an Alzheimer mit deutlicher Wesensveränderung im Jahr 2006, Betreuung der Mutter im Pflegeheim ab dem Jahr 2009), doch stellt dies zum einen keine ausweglose Ausnahmesituation dar, zum anderen wurden die ersten Briefe erst ab Oktober 2014 verschickt.
5. Die Aberkennung des Ruhegehalts ist auch nicht unverhältnismäßig. Das aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip folgende Verhältnismäßigkeitsgebot beansprucht auch bei der Verhängung von Disziplinarmaßnahmen Geltung. Danach muss die dem Einzelnen staatlicherseits auferlegte Belastung geeignet und erforderlich sein, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Darüber hinaus darf der Eingriff seiner Intensität nach nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und den von dem Betroffenen hinzunehmenden Einbußen stehen. Ist durch das Gewicht des (aufgrund der gesetzlichen Fiktion des § 47 BeamtStG) Dienstvergehens und mangels Milderungsgründen das Vertrauen endgültig zerstört, erweist sich die Aberkennung des Ruhegehalts als erforderliche und geeignete Maßnahme, den aufgezählten Zwecken der Disziplinarmaßnahme Geltung zu verschaffen. Abzuwägen sind dabei das Gewicht des Dienstvergehens und der dadurch eingetretene Vertrauensschaden einerseits und die mit der Verhängung der Höchstmaßnahme einhergehende Belastung andererseits. Ist das Vertrauensverhältnis – wie hier – endgültig zerstört, erweist sich die Aberkennung des Ruhegehalts als angemessene und erforderliche Reaktion auf das Dienstvergehen. Die Höchstmaßnahme beruht dann auf der schuldhaften Pflichtverletzung durch den Ruhestandsbeamten und ist diesem daher als für alle öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnisse vorhersehbare Folge bei derartigen Dienstpflichtverletzungen zuzurechnen (BayVGH, U.v. 9.4.2014 – 16a D 12.1439 – juris Rn. 106 mit weiteren Nachweisen).
Die Kammer verkennt nicht, dass die Beklagte mit der Aberkennung des Ruhegehalts existentiell betroffen wird. Dies ist jedoch allein die Folge der von ihr begangenen gravierenden Dienstpflichtverletzung im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG. Ihr steht zudem für die Dauer von sechs Monaten ein Unterhaltsbeitrag gemäß Art. 13 Abs. 2 BayDG zu. Auch ist sie in der gesetzlichen Rentenversicherung nachzuversichern (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 iVm. Abs. 2 SGB VI). Im Übrigen ist die Beklagte ggf. auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Sozialleistungen zu verweisen (vgl. BayVGH, U.v. 20.5.2015 – 16a D 14.1158 -, juris Rn. 68 f.).
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Das Verfahren ist gebührenfrei (Art. 73 Abs. 1 BayDG).