Aktenzeichen 8 AZR 583/14
§ 2 Abs 1 Nr 1 AGG
§ 3 Abs 1 AGG
§ 3 Abs 2 AGG
§ 6 Abs 1 S 2 AGG
§ 7 Abs 1 AGG
§ 8 Abs 1 AGG
§ 9 AGG
§ 10 AGG
§ 11 AGG
§ 15 Abs 2 AGG
§ 15 Abs 4 AGG
§ 22 AGG
Art 12 Abs 1 GG
Art 1 EGRL 78/2000
Art 2 Abs 2 Buchst b EGRL 78/2000
Art 3 Abs 1 EGRL 78/2000
Art 4 Abs 1 EGRL 78/2000
§ 242 BGB
§ 12a ArbGG
§ 61b Abs 1 ArbGG
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Hamm, 4. März 2014, Az: 1 Ca 721/13, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), 25. Juli 2014, Az: 10 Sa 503/14, Urteil
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 25. Juli 2014 – 10 Sa 503/14 – aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch darüber, ob die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, an den Kläger eine Entschädigung wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot des AGG zu zahlen.
2
Der 1953 geborene Kläger ist seit 1988 als Einzelanwalt in R tätig. In den Jahren 1979 und 1983 absolvierte er die beiden juristischen Staatsprüfungen in Baden-Württemberg und erzielte dabei jeweils die Note befriedigend (7 Punkte). Im Jahr 1982 promovierte er zum Doktor beider Rechte und erzielte dabei die Note „cum laude“. In der Zeit vom 15. November 2007 bis zum 5. April 2008 nahm er mit Erfolg am Fachanwaltslehrgang Medizinrecht teil. Den Fachanwaltstitel darf der Kläger nicht führen, da es ihm an der nötigen Anzahl in der Praxis bearbeiteter Fälle fehlt.
3
Die Beklagte zu 1. ist eine Rechtsanwaltspartnerschaftsgesellschaft in H. Die Beklagten zu 2. bis 4. sind die hierin verbundenen Partner.
4
Im März 2013 veröffentlichte die Beklagte zu 1. in der Neuen Juristischen Wochenschrift (im Folgenden NJW) die folgende Stellenanzeige:
„Wir suchen
eine/n Rechtsanwältin/Rechtsanwalt
im Bereich des Medizin- und Haftungsrechts
zum nächstmöglichen Zeitpunkt.
Sie sind Berufsanfänger/in oder ein/e Kollege/in mit kürzerer Berufserfahrung. Ihre hervorragenden juristischen Fähigkeiten haben Sie mit überdurchschnittlichen Examina und idealerweise durch eine Promotion unter Beweis gestellt. Ein besonderes Interesse an haftungs- und medizinrechtlichen Fragestellungen haben Sie bereits dokumentiert. Sie sind engagiert, verfügen über ein sicheres Auftreten und unternehmerische Initiative.
Bitte senden Sie Ihre aussagefähigen Bewerbungsunterlagen an:
…, z.Hd. RA Dr. M
…“
5
Der Kläger bewarb sich mit E-Mail vom 29. März 2013 bei der Beklagten zu 1. auf diese Stelle. In der E-Mail, der eine pdf-Datei mit Bewerbungsunterlagen beigefügt war, heißt es ua.:
„Sehr geehrter Herr Dr. M,
ich bin seit einigen Jahren als Rechtsanwalt überwiegend im Bereich Arzthaftungs- und Medizinrecht tätig. Den Fachanwaltskurs habe ich erfolgreich absolviert. Für den Fachanwaltstitel mangelt es allerdings an der nötigen Anzahl von Fällen. Überdurchschnittliche Kenntnisse im Zivilrecht ergeben sich u. a. auch durch meine langjährige Anwaltstätigkeit. Englischkenntnisse und Kenntnisse in MS-Office sind selbstverständlich. Persönlich und örtlich bin ich völlig ungebunden.
Ich würde mich freuen, wenn Sie auf meine Bewerbung zurückkommen würden.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
gez. Dr. R
Rechtsanwalt
Anlage: Bewerbungsmappe“
6
Mit E-Mail vom 3. April 2013 teilte der Beklagte zu 3. dem Kläger mit:
„Sehr geehrter Herr Kollege Dr. R,
leider können wir Ihnen keine Stelle anbieten. Wir danken Ihnen gleichwohl für Ihr Interesse an unserer Kanzlei und wünschen Ihnen für Ihren weiteren Werdegang alles Gute.
Freundliche Grüße
…“
7
Der Kläger machte daraufhin mit einem an die Beklagte zu 1. gerichteten Schreiben vom 4. April 2013 Ansprüche auf Entschädigung und Schadensersatz geltend. In diesem Schreiben heißt es:
„…
Sehr geehrter Herr Kollege Dr. M,
ich hatte mich mit Schreiben vom 29. März 2013 unter Beifügung von Bewerbungsunterlagen auf die von Ihnen in der NJW 2013 ausgeschriebene Stelle als Rechtsanwalt beworben. Mit Schreiben vom 3. April 2013 haben Sie mitgeteilt, daß man mir keine Stelle anbieten konnte.
Die Behandlung meiner Bewerbung erfolgte ganz offensichtlich unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 AGG. Nach § 7 Abs. 1 AGG dürfen Arbeitgeber Beschäftigte nicht wegen ihres Alters oder wegen eines anderen in § 1 genannten Grundes benachteiligen. Das gilt auch für Stellenbewerber (§ 6 Abs. 1 Satz 2 AGG). Daß Sie gegen diese Vorschrift verstoßen haben, belegt bereits ein Blick in die Stellenanzeige, wo ganz offen gesagt wird, man suche Berufsanfänger oder Kollegen mit ‚kürzerer Berufserfahrung‘, mithin offenbar jüngere Bewerber als mich.
Sie schulden demnach eine Entschädigung und Schadensersatz nach § 15 AGG. Mangels genauer Kenntnis der näheren Umstände und der von Ihnen gezahlten Gehälter etc. können diese Forderungen derzeit nur geschätzt werden. Insoweit fordere ich eine angemessene Entschädigung in Höhe von 10.000,00 EUR und Schadensersatz in Höhe von 50.000,00 EUR. Hinzu kommen meine unten berechneten Rechtsanwaltsgebühren, so daß bis spätestens
Donnerstag, den 18. April 2013
insgesamt (10.000,00 EUR+50.000,00 EUR +1.761,08 EUR)
61.761,08 EUR
auf mein Konto bei der S zu zahlen sind andernfalls ich ohne Weiteres Klage erheben werde.
Sollte der oben genannte Betrag pünktlich gezahlt werden, werde ich keine weiteren Forderungen mehr geltend machen, was hiermit ausdrücklich versichert wird.
Für den Fall der Fristversäumung fordere ich Sie bereits jetzt auf, Auskunft über die eingestellten Bewerber und deren Qualifikation sowie deren Bezahlung zu erteilen.
…
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
…“
8
Nach den Angaben eines am 9. September 2013 in der Zeitschrift „J“ erschienen Artikels hat der Kläger im Jahr 2013 gegenüber insgesamt 16 Anwaltskanzleien bzw. Unternehmen Ansprüche nach § 15 AGG geltend gemacht.
9
Nachdem die Beklagte zu 1. mit Schreiben vom 5. April 2013 die Forderungen des Klägers abgelehnt hatte, hat dieser mit seiner am 10. April 2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage sein Begehren nach Zahlung einer Entschädigung sowie von Schadensersatz weiter verfolgt. Hinsichtlich der Schadensersatzansprüche hat er die Klage im Verlauf der ersten Instanz zurückgenommen.
10
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Ablehnung seiner Bewerbung beruhe auf einer Benachteiligung wegen seines Alters. Mit der Stellenanzeige in der NJW hätten die Beklagten eine/n „Berufsanfänger/in oder ein/e Kollege/in mit kürzerer Berufserfahrung“ gesucht und damit Ältere, darunter ihn, benachteiligt. Er entspreche dem Anforderungsprofil der Stellenanzeige. Er sei promoviert, habe überdurchschnittliche Examina abgelegt und habe Interesse für Medizinrecht gezeigt. Sein Entschädigungsverlangen sei auch nicht dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand ausgesetzt. Seine Bewerbung sei ernsthaft gewesen. Vor dem Hintergrund, dass die Beklagten in der Stellenanzeige ihre E-Mail-Adresse angegeben hätten, sei eine Bewerbung per E-Mail nicht ungewöhnlich gewesen. Dass er sich mehrfach gegen diskriminierendes Verhalten gewehrt habe, sei nicht rechtsmissbräuchlich. Dieser Einwand könnte allenfalls greifen, wenn es ihm ausschließlich um einen Entschädigungsanspruch gegangen wäre. Dies sei jedoch nicht der Fall.
11
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn eine angemessene Entschädigung zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen hieraus iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
12
Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt. Sie haben die Auffassung vertreten, die Stellenausschreibung sei nicht diskriminierend. Die Bezeichnungen „Berufsanfänger“ und „kurze Berufserfahrung“ seien – jedenfalls bezogen auf den Rechtsanwaltsberuf – altersneutral. Auch Menschen fortgeschrittenen Alters könnten in diesem Beruf Berufsanfänger sein, was beispielsweise für Studierende des zweiten Bildungswegs, Berufswechsler, ausgeschiedene Wahlbeamte, pensionierte Verwaltungsjuristen und pensionierte Richter zutreffe. Zudem habe der Kläger das Anforderungsprofil der ausgeschriebenen Stelle, wonach überdurchschnittliche und damit vollbefriedigende Examina gefordert gewesen seien, nicht erfüllt. Allein der Besuch eines Fachanwaltslehrgangs qualifiziere den Kläger nicht hinreichend im Medizinrecht, zumal er offensichtlich nicht über genügend praktische Erfahrung verfüge. Auch hätten sie im Interesse ihrer Mandanten einen Anwalt im Medizinrecht gesucht, der Krankenhäuser und Versicherungen vertreten habe; die Einstellung eines Anwalts, der – wie der Kläger – zuvor Patienten vertreten habe, sei damit nicht vereinbar. Jedenfalls sei das Entschädigungsverlangen des Klägers rechtsmissbräuchlich. Dies folge bereits aus der Vielzahl seiner Bewerbungen auf Stellenanzeigen, die er für diskriminierend halte und die Tätigkeiten in ganz unterschiedlichen rechtlichen Bereichen beträfen, sowie den entsprechenden Entschädigungsklagen. Gegen die Ernsthaftigkeit der Bewerbung sprächen auch die lieblos erstellte E-Mail-Bewerbung sowie die außerordentliche Höhe der geltend gemachten Forderungen.
13
Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Versäumnisurteil abgewiesen und dieses nach Einspruch des Klägers aufrechterhalten. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger den Entschädigungsanspruch weiter.