Arbeitsrecht

Bestimmte qualitative Anforderungen für die Entstehung der Terminsgebühr bei außergerichtlichen Gesprächen

Aktenzeichen  L 15 SF 63/15

Datum:
16.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
RVG RVG § 56
SGG SGG § 101 Abs. 1 Satz 2
VV RVG n. F. Vorbemerkung 3 Abs. 3 Satz 1
VV RVG n. F. Vorbemerkung 3 Abs. 3 Satz 3
VV RVG Nr. 3106

 

Leitsatz

Hinsichtlich des Entstehens einer Terminsgebühr nach Vorbemerkung 3 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 VV RVG ist eine restriktive Haltung angebracht; erforderlich ist ein hohes Maß an Vergleichbarkeit der Besprechung mit einem regulären Termin, d.h. sie muss konkret an Umfang und Intensität einem Gerichtstermin gleichkommen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 14 SF 140/14 E 2015-02-25 Bes SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 25. Februar 2015 aufgehoben. Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 30. September 2014 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Gegenstand des Verfahrens ist die Höhe des Rechtsanwaltshonorars nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), das dem Beschwerdegegner nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Staatskasse zusteht. Streitig ist die Frage, ob eine Terminsgebühr zusteht.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Würzburg (SG) Aktenzeichen S 9 AS 268/14 ging es um Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Am 28.05.2014 erhoben die Kläger über ihren Bevollmächtigten, den Beschwerdegegner, Klage und beantragten die Gewährung von PKH. Diesem Antrag wurde mit gerichtlichem Beschluss vom 08.07.2014 entsprochen; der Beschwerdegegner wurde beigeordnet.
Der Rechtsstreit endete durch Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs. Die außergerichtlichen Kosten wurden gegeneinander aufgehoben.
Am 30.07.2014 beantragte der Beschwerdegegner, seine Vergütung für das Klageverfahren in Höhe von 1.487,50 EUR festzusetzen. Im Einzelnen ging er von folgenden Kostenansätzen aus:
Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV,
Erhöhung um 1,2 (fünf Auftraggeber)660,00 EUR
Terminsgebühr Nr. 3106 VV 270,00 EUR
Einigungsgebühr Nr. 1006 VV 300,00 EUR
Auslagenpauschale Nr. 7002 VV20,00 EUR
1.250,00 EUR
19% Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV 237,50 EUR
Insgesamt 1.487,50 EUR
Mit Beschluss vom 30.09.2014 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des SG die dem Beschwerdeführer zu erstattenden Gebühren und Auslagen in Höhe von 823,48 EUR, im Einzelnen wie folgt fest:
Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG210,00 EUR
Erhöhungstatbestand Nr. 1008 VV RVG252,00 EUR
Einigungsgebühr Nr. 1006 VV RVG 210,00 EUR
Auslagenpauschale VV Nr. 7002 20,00 EUR
692,00 EUR
19% Mehrwertsteuer VV Nr. 7008 31,48 EUR
insgesamt 823,48 EUR
Zur Begründung führte der Urkundsbeamte aus, dass die (fiktive) Terminsgebühr im Hinblick auf die einschlägigen Entscheidungen der Rechtsprechung nicht angefallen sei.
Am 16.10.2014 hat der Beschwerdegegner Erinnerung eingelegt, soweit die Terminsgebühr nicht festgesetzt worden sei. Die vom Urkundsbeamten herangezogenen Entscheidungen seien aufgrund der Neufassung des RVG nicht mehr einschlägig. Der Beschwerdegegner hat auf Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG verwiesen. Alles spreche dafür, dass eine Terminsgebühr entstanden sei.
Im weiteren Verlauf des Erinnerungsverfahrens hat der Beschwerdegegner ergänzend darauf hingewiesen, dass er nach Erhalt des Vergleichsverschlags durch den Beklagten “die Angelegenheit fernmündlich mit der Sachbearbeiterin im Jobcenter erörtert” habe im Hinblick auf eine Erledigung des Verfahrens.
Mit angefochtenem Beschluss hat das SG am 25.02.2015 die Kostenfestsetzung des Urkundsbeamten vom 30.09.2014 dahingehend abgeändert, dass dem Beschwerdegegner insgesamt eine Kostenerstattung in Höhe von 1.048,39 EUR zustehe. Der Urkundsbeamte habe es zu Unrecht abgelehnt, eine fiktive Terminsgebühr anzusetzen. Diese sei vorliegend angefallen. Es sei nicht einzusehen, weshalb ein außergerichtlicher Vergleich, der in einem Sozialgerichtsverfahren ohne direkte Beteiligung des Gerichts in Schriftform abgeschlossen werde, nicht die fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG n. F. auslösen solle. Auf den Wortlaut der Abschlussverfügung des Hauptsache Richters komme es wegen des Widerspruchs zu den tatsächlichen Vorgängen nicht an. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdegegner die Terminsgebühr auch gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 3 Nr. 2 VV RVG verdienen hätte können.
Am 06.03.2015 hat die Staatskasse hiergegen Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) erhoben. Zur Begründung hat sie vor allem hervorgehoben, dass ein schriftlicher Vergleich im Sinne von Nr. 3106 VV RVG nicht vorliege und dass die Terminsgebühr auch nicht gemäß der genannten Vorbemerkung VV RVG entstanden sei; an solche Besprechungen müssten bestimmte Qualitätsanforderungen gestellt werden.
Der Beschwerdegegner hat sich auf den Erinnerungsbeschluss des SG bezogen. Ergänzend hat er hervorgehoben, dass mit der Einführung des RVG die Gebührensituation der Rechtsanwaltschaft verbessert hätte werden sollen.
Im Übrigen wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses Verfahrens sowie des Erinnerungsverfahrens und des erstinstanzlichen Klageverfahrens des SG verwiesen.
II.
Die Beschwerde hat Erfolg.
Zuständig für die Entscheidung ist der Einzelrichter gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG.
Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall die Regelungen des RVG in ab 01.08.2013 geltenden Fassung gemäß dem Zweiten Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts (Zweites Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – 2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl S. 2586, 2681 ff.). Denn der unbedingte Auftrag i. S. v. § 60 Abs. 1 RVG ist dem Beschwerdeführer nach dem 31.07.2013 erteilt worden.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Sie ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 EUR übersteigt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Die Beschwerde ist auch fristgerecht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt worden.
2. Die Beschwerde ist auch begründet.
Der dem Beschwerdegegner zuerkannte Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse beruht auf §§ 45 ff. RVG.
a. Streitig ist allein die Terminsgebühr (Nr. 3106 VV). Wie der Senat bereits mehrmals entscheiden hat (vgl. z. B. den Beschluss vom 15.06.2016, Az.: L 15 SF 92/14 E, m. w. N.), führt eine Erinnerung nach § 56 RVG anders als in den Fällen des § 4 JVEG nicht zu einer vollumfänglichen Neuentscheidung durch den Kostenrichter. Es erfolgt lediglich eine – bei nur teilweiser Anfechtung partielle – Überprüfung der vorangegangenen Entscheidung des Urkundsbeamten (vgl. auch den Beschluss des Senats vom 04.10.2012, Az.: L 15 SF 131/11 B E). Eine vollumfängliche Prüfung im Rahmen der Erinnerung nach § 56 Abs. 1 RVG und damit auch bei der Beschwerde nach § 56 Abs. 2 RVG kommt nicht in Betracht; Gegenstand ist nur die vorgetragene Beschwer (a.A. z. B. LSG Thüringen, Beschluss vom 09.12.2015, Az.: L 6 SF 1286/15 B).
b. Eine fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 Nr. 1 Alt. 2 VV RVG ist vorliegend nicht entstanden, da kein Vergleich im Sinne des § 101 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorliegt (vgl. im Einzelnen den Beschluss des Senats vom 29.11.2016, Az.: L 15 SF 97/16 E; vgl. ferner den Beschluss vom 01.04.2015, Az.: L 15 SF 259/14 E).
c. Die Terminsgebühr ist auch nicht in Form einer Besprechungsgebühr gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 VV RVG entstanden.
Die dort vorausgesetzten (qualifizierten) Besprechungen, hier Telefonate, hat der Beschwerdegegner nicht, wie §§ 55 Abs. 5 Satz 1 RVG, 104 Abs. 2 Satz 1 ZPO voraussetzt, glaubhaft gemacht. Der Beschwerdegegner hat lediglich – mit Blick auf die Erinnerungsbegründung – erst nachträglich und allgemein auf fernmündliche Erörterungen mit der Sachbearbeiterin verwiesen (siehe oben).
Wie der Senat bereits dargelegt hat (vgl. den Beschluss vom 26.11.2012, Az.: L 15 SF 153/11 BE), ist hinsichtlich des Entstehens einer Terminsgebühr nach der genannten Vormerkung eine restriktive Haltung angebracht. Erforderlich ist ein hohes Maß an Vergleichbarkeit der Besprechung mit einem regulären Termin. Die “Offizialität” des regulären Termins muss durch ein gewisses, nicht zu nieder anzusetzendes Maß an kommunikativer Initiative und Aufeinanderzugehen der Parteien substantiiert werden. Wie der Senat in der genannten Entscheidung bereits darauf hingewiesen hat, ist die Besprechungsgebühr – anders als die Tatbestände der fiktiven Terminsgebühr – nicht erfolgsqualifiziert; nicht die Erledigung, sondern bereits die prozessuale Aktion als solche löst die Gebühr aus. Wenn die Gebührenentstehung aber nicht an die Erledigung des Rechtsstreits geknüpft ist, dann bedarf es nicht zu unterschätzender modaler Voraussetzungen. Mit dem Hessischen Landessozialgericht (Beschluss vom 09.11.2011, Az.: L 2 SO 192/11 B) geht der Senat daher davon aus, dass außergerichtliche (Einigungs-) Gespräche bestimmten qualitativen Anforderungen genügen müssen, um die Besprechungsgebühr/Terminsgebühr auszulösen, wovon die Staatskasse zu Recht ausgeht. Auch der Senat geht davon aus, dass sie konkret an Umfang und Intensität einem Gerichtstermin gleichkommen müssen. Dies kann zwar grundsätzlich auch bei persönlichen (Telefon-)Gesprächen zwischen dem Bevollmächtigten und einem Vertreter des anderen Verfahrensbeteiligten der Fall sein. Wie die Staatskasse vorliegend aber zutreffend darauf hingewiesen hat, fehlen für die Annahme dieser o.g. Voraussetzungen vorliegend konkrete Anhaltspunkte.
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).

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