Aktenzeichen 4 AZR 517/15
§ 4 Abs 1 TVG
§ 5 Abs 4 TVG
§ 253 Abs 2 Nr 2 ZPO
§ 256 Abs 1 ZPO
§ 139 Abs 2 ZPO
Art 103 Abs 1 GG
Leitsatz
Bei einem Antrag auf Feststellung, dass ein bestimmter Tarifvertrag, ggf. in seiner jeweiligen Fassung, auf ein Arbeitsverhältnis anzuwenden ist, muss sich die Identität des Tarifvertrags regelmäßig aus seiner Bezeichnung, den tarifschließenden Parteien und dem Abschlussdatum ergeben.
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Köln, 28. November 2014, Az: 5 Ca 3726/14, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Köln, 13. Juli 2015, Az: 2 Sa 437/15, Urteil
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 13. Juli 2015 – 2 Sa 437/15 – insoweit aufgehoben, als es die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 28. November 2014 – 5 Ca 3726/14 – zurückgewiesen hat.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Anwendbarkeit von Tarifverträgen des Einzelhandels Nordrhein-Westfalen auf ihr Arbeitsverhältnis und damit zusammenhängende Vergütungsdifferenzen sowie über die Anrechnung einer Zulage auf Tariflohnerhöhungen.
2
Der Kläger ist seit 1999 bei der Beklagten, die in K ein Einzelhandelskaufhaus betreibt und zu keinem Zeitpunkt Mitglied eines Arbeitgeberverbands war, in Vollzeit beschäftigt und nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts „in die Vergütungsgruppe L 2 b“ eingruppiert.
3
Der Arbeitsvertrag des Klägers enthält auf der ersten Seite auszugsweise folgende Regelungen:
„…
Tarifliche Einstufung:
L 2 b
Vergütung:
Tarifentgelt
2.993,00 DM
= Gesamtentgelt
2.993,00 DM
“
4
In den an den Arbeitsvertrag angefügten Allgemeinen Vertragsbedingungen ist ua. Folgendes vereinbart:
„…
2. Vergütung
Die arbeitsvertraglich vorgesehene Eingruppierung des Mitarbeiters erfolgt vorbehaltlich einer späteren Überprüfung. Sollte sich hierbei eine fehlerhafte Eingruppierung herausstellen, erklärt sich der Mitarbeiter damit einverstanden, daß mit Wirkung ab dem auf die Feststellung folgenden Monats eine Neugruppierung herbeigeführt wird. Über-/Unterzahlungen werden mit der nächsten Vergütungsabrechnung verrechnet, wobei auf die sozialen Belange des Mitarbeiters Rücksicht zu nehmen ist und ggf. Überzahlungen auf mehrere Monate zu verteilen sind.
…
Freiwillige übertarifliche Zulagen sonstiger Art können bei Änderung der Tarifbezüge, gleich aus welchem Anlaß auf die tariflichen Erhöhungen angerechnet werden.
…
13. Schlußbestimmung
Ergänzend gelten die gesetzlichen und tarifvertraglichen Regelungen, ebenso wie die im Betrieb geltenden Betriebsvereinbarungen.“
5
Die Vergütungstarifverträge im Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen (Gehaltstarifvertrag/Lohntarifvertrag) waren bis zum 31. März 2000 und der Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen (MTV) bis zum 31. März 2003 allgemeinverbindlich. Der MTV sah eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Eingruppierung vor. Die Beklagte wandte bei vielen Arbeitnehmern den gleichen Formulararbeitsvertrag an, unabhängig davon, ob zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch die Vergütungstarifverträge und der MTV, nur der MTV oder keiner der Tarifverträge mehr allgemeinverbindlich waren.
6
Unter dem 25. Mai 2002 vereinbarten die Parteien eine pauschale Überstundenabgeltung iHv. 100,00 Euro im Monat als „freiwillige Zulage“.
7
Zum 27. Mai 2004 erhielt der Kläger eine „Gehaltsveränderungsmitteilung“ mit folgendem Inhalt:
„Tarifgehalt brutto
€ 1.769,00
Freiwillige Zulage
€ 400,00
Gesamtentgelt
€ 2.169,00
Das Gesamtentgelt gilt für das Geschäftsjahr 2004/2005 als fix vereinbart. Zudem kann die freiwillige Zulagen zukünftig bei Änderung der Tarifbezüge, gleich aus welchem Anlass auf die tariflichen Erhöhungen angerechnet werden.“
8
Die Beklagte gab nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auch nach Außerkrafttreten der Allgemeinverbindlichkeit Vergütungserhöhungen aus den Vergütungstarifverträgen des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen vollständig an die Arbeitnehmer weiter. Erst nach einem Tarifabschluss vom 10. Dezember 2013, der rückwirkend ab dem Monat August 2013 eine Tariferhöhung von 3 % und zum 1. Mai 2014 von weiteren 2,1 % vorsah, erhöhte die Beklagte die Vergütung ihrer Arbeitnehmer zum 1. Januar 2014 lediglich um 2 %.
9
An den Kläger zahlte die Beklagte für die Monate August bis Dezember 2013 eine Grundvergütung iHv. jeweils 2.003,00 Euro brutto sowie eine Zulage iHv. jeweils 166,00 Euro brutto. Im November 2013 erhielt der Kläger zudem eine Sonderzahlung iHv. 1.251,88 Euro brutto. Ab Januar 2014 zahlte die Beklagte dem Kläger eine monatliche Grundvergütung iHv. 2.043,06 Euro brutto und eine Zulage iHv. nur noch 150,00 Euro brutto monatlich. Im Juni 2014 erhielt der Kläger von der Beklagten zusätzlich eine Urlaubsvergütung iHv. 1.147,00 Euro brutto. Die Beklagte führte die in diesen Bruttobeträgen enthaltenen Steuern und Sozialversicherungsabgaben ab.
10
Mit seiner der Beklagten am 27. Mai 2014 zugestellten Klage sowie seiner am 11. November 2014 zugestellten Klageerweiterung vom 30. Oktober 2014 hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die jeweils gültigen Entgelttarifverträge des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden und die sich daraus ergebende Vergütung und etwaige Erhöhungen der Vergütung sowie weiterhin die pauschale Überstundenvergütung iHv. 166,00 Euro brutto monatlich an ihn zu zahlen, und für den Zeitraum von August 2013 bis September 2014 Differenzvergütungsansprüche geltend gemacht. Er hat die Ansicht vertreten, er habe einen Anspruch auf das mit dem Tarifabschluss vom 10. Dezember 2013 erhöhte Tarifentgelt, da sein Arbeitsvertrag die Tarifverträge des nordrhein-westfälischen Einzelhandels dynamisch in Bezug nehme. Bei dynamischer Tarifgeltung wären für die Monate August 2013 bis April 2014 – rechnerisch unstreitig – jeweils 2.063,00 Euro brutto geschuldet gewesen. Ab Mai 2014 hätte die monatliche Vergütung 2.106,00 Euro brutto betragen. Das „Weihnachtsgeld“ im November 2013 hätte nach der Rechtsauffassung des Klägers 1.289,38 Euro brutto und die im Juni 2014 gezahlte „Urlaubsvergütung“ 1.157,50 Euro brutto betragen müssen.
11
Der Kläger hat, soweit für die Revision von Bedeutung, beantragt,
1.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 833,46 Euro brutto (Vergütungsnachzahlung für die Monate August 2013 bis einschließlich September 2014) nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
aus 337,50 Euro ab dem 1. Januar 2014,
aus jeweils 29,94 Euro ab dem 1. Februar, dem 1. März, dem 1. April und dem 1. Mai 2014,
aus jeweils 72,94 Euro ab dem 1. Juni, dem 1. August, dem 1. September und dem 1. Oktober 2014 sowie
aus 84,44 Euro ab dem 1. Juli 2014 zu zahlen;
2.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die jeweils gültigen Entgelttarifverträge des Einzelhandels NRW auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sowie weiterhin die pauschale Überstundenvergütung iHv. 166,00 Euro brutto zu zahlen.
12
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags die Auffassung vertreten, der Arbeitsvertrag sei als statische Verweisung auf den bei Arbeitsvertragsschluss anwendbaren Vergütungstarifvertrag auszulegen. Ein Arbeitgeber wolle nie dynamisch an Tarifverträge gebunden sein, wenn er selber nicht Mitglied im Arbeitgeberverband ist. Dies sei so offensichtlich, dass auch Arbeitnehmer dies erkennen müssten. § 305c BGB komme nicht zur Anwendung, da es an einem zweifelhaften Auslegungsergebnis fehle. Bei den Arbeitsverträgen, die während der Allgemeinverbindlichkeit der Vergütungstarifverträge geschlossen wurden, habe sie nur deklaratorisch auf die ohnehin bestehende Verpflichtung zur Zahlung von Tarifvergütung hinweisen wollen. Hinsichtlich der vom Kläger begehrten erhöhten Sonderzahlung für November 2013 hat sie zudem die Ansicht vertreten, diese sei von der später vereinbarten Vergütungserhöhung ausgenommen, da der Stichtag für deren Berechnung der 1. November eines jeden Jahres sei. Die rückwirkende Einigung könne die Sonderzahlung nicht erhöhen.
13
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat das erstinstanzliche Urteil auf die Berufung der Beklagten lediglich im Zinsausspruch abgeändert. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.