Arbeitsrecht

Betriebliche Altersversorgung – Altersdiskriminierung

Aktenzeichen  3 AZR 19/17

Datum:
26.4.2018
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2018:260418.U.3AZR19.17.0
Normen:
§ 1 AGG
§ 3 AGG
§ 7 Abs 1 AGG
BetrAVG
Spruchkörper:
3. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Berlin, 8. April 2016, Az: 6 Ca 9354/15, Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg, 8. November 2016, Az: 11 Sa 736/16, Urteil

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 8. November 2016 – 11 Sa 736/16 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger aufgrund einer Benachteiligung wegen des Alters eine höhere betriebliche Altersversorgung zusteht.
2
Der im Mai 1948 geborene Kläger war vom 15. November 1981 bis zum 31. Dezember 2013 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Automobilindustrie, beschäftigt. Er gehörte dem Kreis der sogenannten leitenden Führungskräfte an. Im September 1995 schlossen die Parteien einen neuen Arbeitsvertrag, der in seiner Nr. 17 vorsieht, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Ablauf des Monats endet, in dem er das 65. Lebensjahr vollendet.
3
Die Beklagte hatte dem Kläger ursprünglich Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach den Ruhegehaltsbestimmungen vom 1. Dezember 1992 zugesagt. Danach erhielten die Arbeitnehmer einen Festbetrag, wenn sie mit Vollendung des 65. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausschieden bzw. – bei vorzeitigem Ausscheiden – eine ungekürzte Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogen.
4
Die Beklagte stellte Ende 2002 die betriebliche Altersversorgung für ihre leitenden Führungskräfte mit Wirkung zum 1. Januar 2001 auf ein Kapitalbausteinsystem – das Pension Capital – um. Die für das Pension Capital maßgebenden „Versorgungsbestimmungen für Leitende Führungskräfte der D AG“ (im Folgenden VO Pension Capital) lauten auszugsweise:
        
„3     
Beiträge zum Capital One
        
3.1     
Beitragsbereitstellung
        
Das Unternehmen stellt für den Mitarbeiter bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres für jedes Jahr (Beitragsjahr) in der Beitragszeit (3.3) einen Beitrag zum Capital One bereit. …
        
3.2     
Beitragshöhe
        
3.2.1 Der Beitrag setzt sich zusammen aus einem Sockelbetrag von 2.400 EUR und einem Steigerungsbetrag von 60 EUR für jeden Prozentpunkt, um den die beitragsfähigen Bezüge des Beitragsjahres (3.2.3) die für das Beitragsjahr maßgebende Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung (BBG) übersteigen. …
        
…       
        
3.2.3 Beitragsfähig sind die für das Beitragsjahr gezahlten Monatsgrundgehälter und die im Folgejahr für das Beitragsjahr gezahlte variable Vergütung. …
        
3.2.4 Für das Beitragsjahr, in dem das 60. Lebensjahr vollendet wird, sind beitragsfähig die bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres gezahlten Monatsgrundgehälter und die auf diesen Zeitraum entfallende, im Folgejahr gezahlte variable Vergütung.
        
…       
        
3.5     
Unverfallbarkeit
        
…       
        
3.5.2 Endet das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls und sind die gesetzlichen Unverfallbarkeitsvoraussetzungen erfüllt, bleibt die Anwartschaft auf die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung aus dem Capital One erhalten. … Die Höhe des Anspruchs bei Eintritt des Versorgungsfalls richtet sich in Anwendung von § 2 Abs. 5a BetrAVG nach dem beim Ende des Arbeitsverhältnisses erreichten Stand des Capital One zuzüglich etwaiger nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses noch gutgeschriebener Bonussummen …
        
…       
        
5       
Allgemeine Versorgungsbestimmungen
        
5.1     
Versorgungskonto, Kapitalbaustein
        
5.1.1 Das Unternehmen richtet den Mitarbeitern mit Bereitstellung des ersten Beitrags ein persönliches Versorgungskonto ein, für Beiträge nach 3 das Capital One, …
        
5.1.2 Jeder Beitrag zum Versorgungskonto … wird in einen Kapitalbaustein umgerechnet. Der Kapitalbaustein ergibt sich durch Multiplikation des Beitrags mit dem Altersfaktor gemäß der folgenden Tabelle:
        
Alter 
Altersfaktor
        
bis 30
5,0     
        
31    
4,8     
        
32    
4,6     
        
…       
…       
        
40    
3,0     
        
41    
2,9     
        
42    
2,8     
        
…       
…       
        
59    
1,1     
        
ab 60 
1,0     
        
Als Alter gilt die Differenz zwischen dem jeweiligen Kalenderjahr der Bereitstellung des Beitrags und dem Geburtsjahr des Mitarbeiters.
        
…       
        
5.2     
Versorgungsguthaben
        
Das Versorgungsguthaben ist der bei Eintritt des Versorgungsfalls (5.3) erreichte Stand des jeweiligen Versorgungskontos.
        
5.3     
Versorgungsfall
        
5.3.1 Der Versorgungsfall tritt ein mit Erwerb eines Anspruchs nach 5.3.2 bis 5.3.5.
        
5.3.2 Der Mitarbeiter erwirbt im Erlebensfall Anspruch auf das Versorgungsguthaben,
        
• als Altersleistung, wenn das Arbeitsverhältnis mit oder nach Vollendung des 65. Lebensjahres (feste Altersgrenze) endet, oder
        
• als vorzeitige Altersleistung auf Antrag des Mitarbeiters mit Zustimmung des Unternehmens, wenn das Arbeitsverhältnis ab Vollendung des 60. Lebensjahres vor Erreichen der festen Altersgrenze endet, …
        
…       
        
5.5     
Auszahlung von Versorgungsguthaben
        
5.5.1 Die Auszahlung des Versorgungsguthabens erfolgt grundsätzlich in 12 Jahresraten. …
        
…       
        
5.5.3 Abweichend … kann das Versorgungsguthaben aus dem Capital One auf Antrag des Mitarbeiters oder seiner Hinterbliebenen mit Zustimmung des Unternehmens auch verrentet werden. …
        
…       
        
5.5.3.2 Die Rente wird – ggf. unter Anrechnung auf die Verpflichtung nach § 16 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung – ab Rentenbeginn jährlich, jeweils am 1. Juli, um 1 % p.a. angehoben.“
5
In einer Broschüre der Beklagten über die „Neue betriebliche Altersversorgung für Leitende Führungskräfte“ heißt es ua., der Altersfaktor in der VO Pension Capital ersetze auf einfache Weise komplexere Zinsrechnungen durch eine Wertsteigerung von sechs vH p.a.
6
Die „Ergänzungsregelung zum Pension Capital für Inhaber von Ruhegehaltszusagen“ enthält ua. folgende Regelungen:
        
„1     
Geltungsbereich
        
Diese Bestimmungen gelten für Leitende Führungskräfte (Mitarbeiter), die in Ergänzung ihrer bisherigen Ruhegehaltszusage (Altregelung) eine schriftliche Zusage auf Leistungen nach dem Pension Capital erhalten haben und deren Arbeitsverhältnis … nach dem 31.12.2002 endet.
        
2       
Grundsatz, Startbaustein
        
2.1 Die D AG sagt dem Mitarbeiter für nach dem 31.12.2002 eintretende Versorgungsfälle Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach den Versorgungsbestimmungen Pension Capital (VB) zu.
        
2.2 Für die am 31.12.2000 (Einführungsstichtag) nach der Altregelung bestehende Anwartschaft wird dem Versorgungskonto (Capital One) des Mitarbeiters zum 01.01.2003 ein Startbaustein gutgeschrieben.
        
…       
        
3       
Höhe des Startbausteins
        
3.1 Die Höhe des Startbausteins wird in drei Schritten ermittelt:
        
        
•       
1. Schritt:
        
        
Der Barwert im Alter 60 der am Einführungsstichtag zugesagten Rente … wird ermittelt (Kapitalwert alt). …
        
        
•       
2. Schritt:
        
        
Der Kapitalwert alt wird quotiert im Verhältnis der bis zum Ablösungsstichtag abgeleisteten Dienstzeit zu der Zeit vom Beginn der Dienstzeit bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres (erdienter Teil des Kapitalwerts alt).
        
        
•       
3. Schritt:
        
        
Der erdiente Teil des Kapitalwerts alt wird erhöht um 2 % für jedes vom Ablösungsstichtag bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres fehlende Jahr.
        
…       
        
4       
Garantiekapital
        
4.1 Beträgt das Versorgungsguthaben aus dem Versorgungskonto im Versorgungsfall nicht mindestens den Kapitalwert alt, so erfolgt eine entsprechende Anhebung (Garantiekapital).“
7
Zeitnah zur Umstellung der betrieblichen Altersversorgung legte die Beklagte – beginnend mit dem Jahr 2003 – für ihre leitenden Führungskräfte das Konzept „60+“ auf. Danach wurde allen leitenden Führungskräften von der Beklagten angeboten, den Arbeitsvertrag ua. dahin abzuändern, dass das Arbeitsverhältnis mit der Vollendung des 60. Lebensjahres gegen Zahlung eines Kapitalbetrags sein Ende findet. Die Änderungsangebote sahen vor, dass die für die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersleistung nach Nr. 5.3.2 VO Pension Capital erforderliche Zustimmung der Beklagten als erteilt gilt. Für den Fall einer einvernehmlichen Vertragsverlängerung sollte der Kapitalbetrag als Baustein dem Versorgungskonto des Arbeitnehmers gutgeschrieben werden. Der Kläger nahm ein entsprechendes Angebot auf Änderung seines Arbeitsvertrags nicht an.
8
Im Jahr 2012 erließ die Beklagte neue „Versorgungsbestimmungen zur betrieblichen Altersversorgung – D PENSIONS PLAN – für Leitende Führungskräfte der D AG“ (im Folgenden Pensions Plan). Diese gelten nach ihrer Nr. 2.2 für leitende Führungskräfte, die nach dem 31. Dezember 2011 hierzu ernannt oder neu eingestellt und denen Versorgungsleistungen nach diesen Versorgungsbestimmungen zugesagt wurden. Nach Nr. 3.1.1 Pensions Plan stellt das Unternehmen für diese Beschäftigten bis zur Vollendung des 62. Lebensjahres für jedes Jahr jährlich einen Beitrag zu einem Versorgungskonto bereit. Nr. 5.1.2 Pensions Plan sieht vor, dass jeder Beitrag zum Versorgungskonto im Laufe des auf den jeweiligen Bereitstellungsstichtag folgenden Kalendermonats, spätestens jedoch am letzten Handelstag dieses Kalendermonats, in fiktive Fondsanteile umgerechnet wird, die zum Zeitpunkt der Umrechnung dem Versorgungskonto gutgeschrieben werden.
9
Im Jahr 2012 führte die Beklagte für ihre leitenden Führungskräfte das Konzept „62+“ ein. Danach erhielten alle leitenden Führungskräfte, die frühestens im Jahr 2012 das 57. Lebensjahr vollendeten, das Angebot, wahlweise den Arbeitsvertrag auf die Vollendung des 61. oder des 62. Lebensjahres zu befristen. Die Änderungsverträge sahen vor, dass bei einer Befristung auf die Vollendung des 62. Lebensjahres für das 61. und das 62. Lebensjahr von der Beklagten noch Beiträge für das Versorgungskonto zur Verfügung gestellt werden.
10
Der Kläger bezieht seit dem 1. Januar 2014 eine gesetzliche Regelaltersrente. Mit Schreiben vom 24. Februar 2014 bat der Kläger die Beklagte um Verrentung seines Versorgungsguthabens. Die Beklagte zahlt ihm seit dem 1. Januar 2014 eine monatliche Rente. Diese betrug bei Rentenbeginn 4.441,00 Euro brutto.
11
Der Kläger hat geltend gemacht, ihm stehe ein höheres Versorgungsguthaben und damit eine höhere monatliche Rente zu. Die Regelungen in Nr. 3.1 und Nr. 3.2.4 sowie über den Altersfaktor in Nr. 5.1.2 VO Pension Capital bewirkten eine unzulässige Benachteiligung wegen des Alters. Es sei nicht gerechtfertigt, wenn Arbeitnehmer für Zeiten nach Vollendung des 60. Lebensjahres keine Steigerungen des Versorgungsguthabens mehr erwerben könnten. Die Beklagte wolle damit die leitenden Führungskräfte zum Zwecke des Stellenabbaus zu einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis bewegen. Sein auf dem Versorgungskonto befindliches Guthaben sei daher ab dem 31. Dezember 2007 bis zu seinem Ausscheiden mit sechs vH p.a. zu verzinsen. Jedenfalls habe er Anspruch auf Zahlung von Beiträgen bis zur Vollendung des 62. Lebensjahres, da er sowohl im Vergleich zu den vom Konzept „62+“ erfassten als auch unter den Pensions Plan fallenden leitenden Führungskräften ungerechtfertigt benachteiligt werde. Im Übrigen seien die dortigen Begrenzungen der Versorgungsbeiträge auf die Zeit bis zur Vollendung des 62. Lebensjahres altersdiskriminierend.
12
Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn
        
1.    
für den Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis 31. Dezember 2015 75.499,86 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten oberhalb des Basiszinssatzes aus monatlich je 3.126,85 Euro seit dem 1. Februar, 1. März, 1. April, 1. Mai, 1. Juni, 1. Juli 2014 und aus je 3.141,88 Euro seit dem 1. August, 1. September, 1. Oktober, 1. November, 1. Dezember 2014 und 1. Januar, 1. Februar, 1. März, 1. April, 1. Mai, 1. Juni, 1. Juli 2015 und aus je 3.173,30 Euro seit dem 1. August, 1. September, 1. Oktober, 1. November, 1. Dezember 2015 und 1. Januar 2016 zu zahlen;
        
2.    
ab 1. Januar 2016 eine zusätzliche betriebliche Altersversorgung iHv. 3.173,30 Euro brutto monatlich zu zahlen.
13
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, die Regelungen im VO Pension Capital bewirkten bereits keine Benachteiligung wegen des Alters. Jedenfalls sei eine solche gerechtfertigt. Mit den Regelungen werde ein bestimmter Dotierungsrahmen für die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung festgelegt und – angesichts der Ausscheidenspraxis der leitenden Führungskräfte – sichergestellt, dass bereits ab Vollendung des 60. Lebensjahres die maximal erreichbare Versorgung in Anspruch genommen werden könne. Zudem diene die Beschränkung der Steigerung des Versorgungsguthabens auf die Zeit bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres der Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur und der Nachwuchsförderung, indem sie Anreize für das vorzeitige Ausscheiden älterer Führungskräfte setze und damit jüngeren Aufstiegschancen ermögliche.
14
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision erstrebt.

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