Arbeitsrecht

Betriebliche Altersversorgung: Auslegung eines Frühpensionierungsvertrages

Aktenzeichen  2 Sa 69/20

Datum:
6.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 35610
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BetrAVG § 16, § 18a S. 2
BGB § 195, § 305 Abs. 1, § 310 Abs. 3 Nr. 2, § 315
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10

 

Leitsatz

Zur Auslegung eines Frühpensionierungsvertrages, der eine Gesamtzusage durch eine der Höhe nach festgelegte Betriebsrente ersetzt, aber hinsichtlich deren Anpassung weiterhin auf die allgemein geltenden betrieblichen Regelungen verweist (s. auch BAG BeckRS 2018, 32943; BeckRS 2018, 32946). (Rn. 35 – 55) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

12 Ca 6893/19 2019-11-28 Endurteil ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 28.11.2019 – 12 Ca 6893/19 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft und wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 64 Abs. 1, 2b, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II.
Die Berufung ist unbegründet, denn das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Klagepartei die Anpassung der Betriebsrente zum 01.07.2015 und 01.07.2016 entsprechend der Erhöhung der gesetzlichen Rente und damit vom Arbeitsgericht zugesprochenen Zahlungen beanspruchen kann. Infolge der Anpassung der VOFUE-Rente gemäß dem Anstieg der gesetzlichen Renten in 2015 und 2016 erhöhen sich die Ansprüche für die Folgejahre im zugesprochenen Umfang. Auch die Anträge bezüglich der Zinsen sind begründet, da eine die Fälligkeit hinausschiebende Leistungsbestimmung durch das Gericht nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB nicht erfolgt.
1. Die Beklagte ist verpflichtet, die Betriebsrente der Klagepartei nach Ziff. 8 Satz 2 Frühpensionierungsvertrag i. V. m. § 6 Ziff. 1 und Ziff. 2 AB BVW entsprechend der Steigerung der Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung zum 01.07.2015 und zum 01.07.2016 zu erhöhen. Nach den Erwägungen, die das BAG (vgl. Urteil vom 25.09.2018 – 3 AZR 485/17; Urteil vom 19.09.2019 – 3 AZR 281/18, Rn. 30 ff.) bereits in mehreren Entscheidungen dargestellt hat, und denen sich auch die erkennende Berufungskammer anschließt, ist die Klagepartei hinsichtlich der Anpassung ihrer Rente so zu behandeln wie die den BVW unmittelbar unterfallenden Versorgungsberechtigten. Dies folgt aus Ziff. 8 Satz 2 Frühpensionierungsvertrag. Die Beklagte hat keine wirksame Anpassungsentscheidung i. S. d. § 6 Ziff. 3 AB BVW getroffen. Daher verbleibt es bei der in § 6 Ziff. 1 AB BVW vorgesehenen Anpassung (ebenso mehrere Urteile des LAG München in Parallelverfahren, z.B. vom 18.02.2020 – 9 Sa 566/19). Die Berufungskammer hält die Begründungen anderer Kammern für zutreffend und gibt diese im Folgenden teilweise wieder.
1.1. Die Anpassung der betrieblichen Rente der Klagepartei nach Ziff. 8 Frühpensionierungsvertrag richtet sich aufgrund vertraglicher Vereinbarung nach § 6 AB BVW. Das ergibt sich aus der Auslegung von Ziff. 8 Satz 2 Frühpensionierungsvertrag. Dabei kann offenbleiben, ob es sich bei der Regelung um eine Allgemeine Geschäftsbedingung i. S. v. § 305 Abs. 1 BGB, eine Einmalklausel i. S d. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB oder um eine individuelle Vertragsabrede und damit eine nichttypische Willenserklärung handelt.
Der Wortlaut von Ziff. 8 Satz 2 Frühpensionierungsvertrag verweist zwar nicht ausdrücklich auf das BVW. Die Bezugnahme auf die „betrieblichen Bestimmungen“ lässt aber erkennen, dass es sich um ein im Betrieb der Beklagten allgemein geltendes Versorgungswerk wie das BVW handeln muss.
Ziff. 8 Satz 1 Frühpensionierungsvertrag zeigt, dass für die Anpassung der Betriebsrente der Klagepartei auf die Bestimmungen des BVW verwiesen wird. Der Klagepartei war ursprünglich eine Gesamtversorgungszusage mit Gesamtrentenfortschreibung nach dem BVW zugesagt. Mit Abschluss des Frühpensionierungsvertrags haben die Vertragsparteien allerdings in Ziff. 8 Satz 1 Frühpensionierungsvertrag vereinbart, dass die Klagepartei unabhängig von einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und einer Versorgungskassenrente eine in ihrer Ausgangshöhe festgelegte Betriebsrente erhält. Damit haben die Vertragsparteien ausdrücklich bestimmt, dass der Klagepartei keine Gesamtversorgung mehr zustehen soll. Ziff. 8 Satz 2 Frühpensionierungsvertrag sieht eine entsprechende Änderung für die Erhöhung der Betriebsrente dagegen nicht vor, sondern verweist auf die sonst maßgebenden Versorgungsregelungen. Daraus folgt, dass es für die Anpassung der Betriebsrente bei der bisherigen Zusage und damit bei der Anwendung der Anpassungsregelungen in den BVW bleiben soll.
Auch Sinn und Zweck von Ziff. 8 Satz 2 Frühpensionierungsvertrag tragen dieses Verständnis. Die Klagepartei sollte hinsichtlich der Entwicklung ihrer Betriebsrente so behandelt werden, wie die Versorgungsempfänger nach den BVW, indem die Betriebsrente der Klagepartei um denselben Steigerungssatz erhöht wird, wie die Gesamtversorgung nach den BVW. (vgl. BAG, a. a. O.)
1.2. Die Klagepartei kann danach verlangen, dass ihre Betriebsrente zum 01.07.2015 und zum 01.07.2016 entsprechend dem für die Gesamtversorgung geltenden Steigerungssatz nach § 6 Ziff. 1 AB BVW angepasst wird. Die von der Beklagten in den Jahren 2015 und 2016 nach § 6 Ziff. 3 AB BVW getroffene Anpassungsentscheidung ist unwirksam.
Es liegen bereits die Voraussetzungen für eine vom Regelfall des § 6 Ziff. 1 AB BVW abweichende Entscheidung nach AB § 6 Ziff. 3 BVW nicht vor. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Ausnahmeregelung sind nicht dargelegt.
§ 6 Ziff. 3 AB BVW eröffnet das Leistungsbestimmungsrecht nur, wenn objektive Umstände für eine „Nichtvertretbarkeit“ der Anpassung entsprechend der gesetzlichen Renten sprechen. Um dem in § 6 AB BVW angelegten Regel-Ausnahmeverhältnis Rechnung zu tragen, muss ein objektiver Anlass dafür bestehen, dass die Anpassung der Renten entsprechend der Steigerung der gesetzlichen Renten nicht hinnehmbar ist. Dies setzt nicht voraus, dass die Kosten der Rentenanpassung nicht finanzierbar sind, sondern ausreichend ist, dass im weitesten Sinne wirtschaftliche Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Regelanpassung nicht geboten ist. Solche Umstände können sich aus einem unternehmerischen Konzept ergeben, mit dem aufgrund geänderter rechtlicher oder wirtschaftlicher Rahmenbedingungen die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens oder des Konzerns mittel- oder langfristig erhalten oder gesteigert und die Marktposition gestärkt werden soll. Maßgeblich für die Abkoppelung der Rentenanpassung von der als Regelfall vorgesehenen Anlehnung an die gesamtwirtschaftliche Entwicklung sind die wirtschaftlichen Umstände, die konkrete Situation des versorgungspflichtigen Unternehmens, bzw. wegen des vorhandenen Unternehmensgruppenbezugs die Situation des Konzerns. Die fehlende Vertretbarkeit setzt nicht notwendig voraus, dass das Unternehmen keine oder nur geringe Gewinne erwirtschaftet hat. Den Gesellschaftsorganen wurde vielmehr in Abweichung von § 16 BetrAVG die Möglichkeit eingeräumt, von der Regelanpassung nach § 6 Ziff. 1 AB BVW auch dann abzuweichen, wenn zwar eine angemessene Eigenkapitalverzinsung erzielt wird, die Steigerung der Verbindlichkeiten durch eine Erhöhung der Renten nach § 6 Ziff. 1 AB BVW jedoch aus anderen wirtschaftlichen Gründen nicht geboten ist.
Unter Zugrundlegung dieser Maßstäbe kann vorliegend nicht festgestellt werden, dass in den Jahren 2015 und 2016 die Voraussetzungen einer von der Regelanpassung entsprechend der Erhöhung der gesetzlichen Renten nach unten abweichende Anpassung der Betriebsrenten gem. § 6 Ziff. 3 AB BVW gegeben waren. Die Beklagte hat keinen objektiven Grund, z. B. i. S. eines unternehmerischen Konzepts zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Marktposition, dargelegt, aus dem sich ergibt, dass die Regelanpassung der Betriebsrenten nach § 6 Ziff. 1 AB BVW zu den Anpassungsstichtagen 01.07.2015 und 01.07.2016 nicht hinnehmbar war.
Die Beklagte hat bereits ein unternehmerisches Konzept zur Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und Marktposition bzw. der des Konzerns, dem sie angehört, nicht nachvollziehbar dargelegt.
Die Beklagte beruft sich auf eine schwierige Situation der Versicherungsbranche, die sich aus der anhaltenden Niedrigzinsphase und den daraus resultierenden Schwierigkeiten der Gewinnerzielung über den Kapitalmarkt, auf die Verpflichtung Zinszusatzreserven zu bilden, das steigende Langlebigkeitsrisiko, sinkende Kundenloyalität, Kostensenkungen bei den Wettbewerbern und geänderte rechtliche Rahmenbedingen, wie das Lebensversicherungsreformgesetz und Solvency II. Selbst wenn man entgegen dem Bestreiten durch die Klagepartei zugunsten der Beklagten unterstellt, dass damit objektiv ein Anlass für ein Konzept zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Marktposition vorlag, ist ein derartiges Konzept für die Jahre 2015 und 2016 nicht hinreichend konkret dargelegt.
Unternehmerische Entscheidungen sind von den Arbeitsgerichten nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung und ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen. Dieser im Kündigungsschutzrecht in ständiger Rechtsprechung (vgl. BAG, Urteil vom 24.05.2012 – 2 AZR 124/11, Rn. 21 m. w. N.) anerkannte Grundsatz ist auch im Betriebsrentenrecht zu beachten, da er Ausfluss der grundrechtlich geschützten unternehmerischen Freiheit ist. Die Gerichte haben hier, wie es die Beklagte zum Ausdruck bringt, die Einschätzungsprärogative des Arbeitgebers zu beachten.
Da sich die Beklagte auf das Vorliegen eines unternehmerischen Konzeptes zur Rechtfertigung einer ihr günstigen Rechtsfolge beruft, muss sie dieses Konzept so konkret darlegen, dass die Klagepartei die Angaben mit Gegentatsachen bestreiten und das Gericht die Richtigkeit der Angaben überprüfen kann.
Das BAG hat in der Entscheidung vom 09.12.2014 – 3 AZR 323/13 – die Anforderungen an die Darlegung eines Gesamtkonzepts zur Kostensenkung auch durch Reduzierung der Betriebsrenten klargestellt. Vom Arbeitgeber, der sich auf ein Gesamtkonzept zur Kosteneinsparung beruft, ist darzulegen, wie das notwendige Einsparvolumen ermittelt wurde, und es ist das Gesamtkonzept zu erläutern. Hierzu sind sämtliche anderen Maßnahmen im Einzelnen darzulegen, die zur Kosteneinsparung getroffen wurden. Zudem ist vorzutragen, in welchem Umfang diese Maßnahmen bei prognostischer Betrachtung zur Einsparung beitragen und wie das auf die durchgeführten Maßnahmen entfallende Einsparpotential ermittelt wurde. Ferner ist darzutun, in welchem Umfang die betriebliche Altersversorgung zur Kosteneinsparung beiträgt und nach welchen Kriterien das prognostizierte Einsparvolumen ermittelt wurde (vgl. BAG, a. a. O., Rn. 38).
Die Anforderungen an die Darlegungen eines Konzeptes zur Stärkung der künftigen Wettbewerbsfähigkeit und Marktposition, das nach der Rechtsprechung des BAG hier ausreichen kann, um gem. § 6 Ziff. 3 AB BVW von der Regelanpassung nach § 6 Ziff. 1 AB BVW nach unten abzuweichen, können nicht geringer sein. Zum einen ergibt sich die Notwendigkeit, wie ausgeführt, bereits aus prozessualen Gründen, zum anderen handelt es sich vorliegend, um die Beschränkung einer bereits erdienten Regelanpassung. Die Klagepartei hat einen bereits vollständig erdienten Betriebsrentenanspruch, der als Regelfall eine jährliche Anpassung nach § 6 Ziff. 1 AB BVW beinhaltet und nur unter den Voraussetzungen des § 6 Ziff. 3 AB BVW eine reduzierte Anpassung zulässt. An die Darlegung eines unternehmerischen Konzepts, das die Regelanpassung der erdienten Betriebsrente nicht hinnehmbar macht, sind deshalb keine geringeren Anforderungen zu stellen, als an die Darlegung eines Gesamtkonzepts zur Rechtfertigung zur Änderung von Versorgungsregelungen, die noch nicht erdiente Zuwächse betreffen.
Diesen Anforderungen an die Darlegungslast genügt der Vortrag der Beklagten zum SSY- Konzept nicht. Die Beklagte macht geltend, dass das von ihr mit dem Ziel, im Konzern jährlich 160 – 190 Millionen Euro einzusparen, aufgelegte SSY-Konzept, die verringerte Rentenanpassung rechtfertige. Die Beklagte hat aber bereits nicht dargelegt, wie dieses ohnehin sehr flexibel angelegte Einsparvolumen ermittelt wurde und für welche Jahre konkret derartige Einsparungen nach diesem Konzept vorgesehen waren. Ebensowenig hat die Beklagte ein Gesamtkonzept erläutert. Insbesondere wäre konkret zu erläutern gewesen, welche Maßnahmen dieses Konzept für welche Zeiträume konkret beinhaltet sowie dass und in welchem Umfang und für welche Jahre dieses Konzept auch Einsparungen bei den Betriebsrenten beinhaltet, zumal dies von der Klagepartei bestritten wird, auch unter Hinweis darauf, dass das SSY-Konzept im Anhörungsschreiben an den Gesamtbetriebsrat zur Anpassung 2015 keinerlei Erwähnung findet. Es ist auch nicht ersichtlich, dass nicht nur über mehrere Jahre eine Reihe von Einsparungsmaßnahmen durchgeführt wurde, sondern dass diese auf einem Gesamtkonzept basieren. Allein die Vorgabe eines Einsparungsziels ist noch kein Konzept. Die Beklagte listet lediglich einzelne Maßnahmen auf, die sie durchgeführt hat und trägt zu den so erzielten Einsparungen vor. Ein Teil der Maßnahmen bezieht sich aber gerade nicht auf die Jahre 2015 und 2016, in denen eine verminderte Rentenanpassung erfolgte, sondern auf die Jahre 2017 und 2018, z.B. die Reduzierung bei Rentenversicherungen durch die Lebensversicherungs AG in 2017, die Budgetkürzungen bei Sach-, Reise, Bewirtungs- und Fortbildungskosten, die nur für 2017 beziffert sind, die Neustrukturierung des angestellten Außendiensts insbesondere in 2018. Dabei ist in keiner Weise ersichtlich, dass diese Maßnahmen Teil eines bereits die Jahre 2015 und 2016 erfassenden Gesamtkonzeptes sind, noch in welchem Umfang diese Maßnahmen bei einer prognostischen Betrachtung zu einer Einsparung beitragen sollten und nach welchen Kriterien dieses Einsparpotential ermittelt wurde.
Nachdem die Beklagte das von ihr als Rechtfertigung für die Abweichung von der Regelanpassung herangezogene SSY -Konzept bereits nicht nachvollziehbar darlegt, und nicht festgestellt werden kann, dass und in welchem Umfang eine verminderte Rentenanpassung nach § 6 Ziff. 3 AB BVW zum Inhalt dieses Konzepts gehört, kann auch nicht festgestellt werden, dass die Regelanpassung nach § 6 Ziff. 1 AB BVW in Anbetracht dieses Konzepts nicht vertretbar ist. Es kann vielmehr nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei der niedrigeren Rentenanpassung „nur“ um eine Maßnahme handelt, durch die eine Gruppe von Betriebsrentnern mit überdurchschnittlichen Ansprüchen nach der Überzeugung der Vorstände im Sinne der Generationengerechtigkeit einen Beitrag zur Zukunftssicherung leisten soll, wie dies im Schreiben an den Gesamtbetriebsrat vom 13.05.2016 zum Ausdruck kommt. Derartige Billigkeits- oder Zweckmäßigkeitserwägungen genügen jedoch nicht um vom tariflichen Regelfall der Anpassung nach § 6 Ziff. 1 AB BVW abzuweichen.
1.3. Da die Beklagte bereits nicht dargelegt hat, dass die nach § 6 Ziff. 1 AB BVW vorgesehene Regelanpassung der Betriebsrenten nicht hinnehmbar war, weil die verminderte Rentenanpassung in den Jahren 2015 und 2016 in dieser Form Teil des SSYKonzepts war, kommt es auf die Frage, ob bei den konkreten Anpassungsentscheidungen in den Jahren 2015 und 2016 jeweils billiges Ermessen (§ 315 BGB) gewahrt wurde, nicht mehr an.
1.4. Die von der Beklagten getroffenen Anpassungsentscheidungen sind darüber hinaus unwirksam, da sie inhaltlich von § 6 Ziff. 3 AB BVW nicht gedeckt sind.
Wie das BAG ebenfalls in Parallelfällen bereits mehrfach entschieden hat, berechtigt diese Regelung die Beklagte nur dazu, die Gesamtversorgungsbezüge und damit das von den Arbeitnehmern erdiente Gesamtversorgungsniveau gleichmäßig zu verändern, nicht jedoch lediglich eine einzelne, im Rahmen der Gesamtversorgung anzurechnende Leistung des Arbeitnehmers anzuheben. Die isolierte Anhebung einzelner Leistungen ist nicht von der in § 6 BVW AB festgeschriebenen Anpassung der Gesamtversorgung gedeckt und verstößt im Übrigen gegen § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, da die Verteilungsgrundsätze verändert werden (vgl. ausführlich BAG, Urteil vom 25.09.2018 – 3 AZR 333/17, Rn. 16 ff).
1.5. Soweit die Beklagte sich gegen die Unwirksamkeit der von der Regelanpassung abweichenden Anpassungsentscheidung mit dem Argument wendet, dass vorliegend nicht die Anpassung einer Gesamtversorgung geschuldet sei, und das BAG auch in anderen Fällen, in denen nicht die Anpassung einer Gesamtversorgung, sondern nur einer Rente geschuldet sei, nicht von einer Unwirksamkeit der von der Beklagten getroffenen Anpassungsentscheidung wegen des Abweichens vom Prinzip der Gesamtversorgung ausgegangen sei (vgl. BAG, Urteil vom 25.09.2018 – 3 AZR 402/17), greift dieses Argument nicht. In dem vom BAG a. a. O. entschiedenen Fall lag der Anpassung eine eigenständige, wenn auch weitgehend gleichlautende Regelung in § 6 des Tarifvertrages Versorgungsordnung zugrunde. Die Anpassung erfolgte in diesem Fall nach dem selbständigen Regelwerk des Tarifvertrages. Eine Verweisung auf die Regelungen zur Gesamtversorgung ist in diesem Tarifvertrag gerade nicht enthalten.
2. Die Ansprüche der Klagepartei sind unter Berücksichtigung geänderter Anpas sungsentscheidungen auf der Basis der Entwicklung der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung zum 01.07.2015 und 01.07.2016 zu berechnen. Die Argumentation der Beklagten, diese Anpassungsentscheidungen seien für künftige Entscheidungen nicht mehr angreifbar, weil Ansprüche der Klagepartei im Zusammenhang mit den Anpassungen verjährt bzw. verwirkt seien, überzeugt nicht.
2.1. Das Bundesarbeitsgericht sieht die § 16 BetrAVG zu entnehmende Rügefrist als Bestandteil eines Anpassungs-(prüfungs-)anspruchs eines Versorgungsberechtigten an (Urt. v. 14. 5. 2019 – 3 AZR 112/18 – Juris). Der Arbeitgeber müsse zu jedem neuen Anpassungsstichtag prüfen, ob seine aktuelle wirtschaftliche Lage eine Anpassung der Betriebsrenten der Versorgungsempfänger zulasse. Dem könne er nur nachkommen, wenn er über eine hinreichend gesicherte Prognosegrundlage verfügt. Demnach müsse eine gesetzliche Regelung, die den Arbeitgeber zur Anpassungsprüfung und -entscheidung zu bestimmten Anpassungsstichtagen unter Berücksichtigung der Belange der Versorgungsempfänger und seiner wirtschaftlichen Lage verpflichte, auch sicherstellen, dass er seiner Verpflichtung nachkommen und eine Entscheidung nach billigem Ermessen treffen könne.
Greife nach erfolgter Anpassungsentscheidung der Versorgungsempfänger nicht rechtzeitig bis zum nächsten auf die Rügefrist folgenden Anpassungsstichtages diese Entscheidung an, so könne das Klagerecht verwirken (vgl. BAG 25. 4. 2006 – 3 AZR 372/05 -Juris). Im Falle einer getroffenen Anpassungsentscheidung lägen dann regelmäßig die für eine Verwirkung erforderlichen Zeit-, Umstands- und Zumutbarkeitsmomente vor, wenn die Zeit bis zum übernächsten Anpassungszeitraum verstrichen sei (BAG v. 14. 5. 2019, a.a.O. Rz. 36), soweit die Besonderheiten des Einzelfalls, etwa das Verhalten des Arbeitgebers, keine abweichende Beurteilung erforderten.
2.2. Diese Rechtsprechung kann auf vorliegende Fallgestaltung nicht in der Weise übertragen werden, dass angenommen wird, Ansprüche im Zusammenhang mit der Anpassung zum 01.07.2015 seien aufgrund der Klageerhebung im Jahre 2019 verjährt. Die vom Arbeitsgericht angenommene Verjährung der Differenzansprüche für Juli bis Dezember 2015, die rechtskräftig geworden ist, bedeutet nicht, dass die zu niedrige Anpassung auch für die Folgejahre bindend wäre. Insoweit fehlt es schon einem Anspruch der Klagepartei, der der Verjährung unterliegen könnte. Nach § 18a Satz 2 BetrAVG unterliegen nur Ansprüche auf regelmäßig wiederkehrende Leistungen der regelmäßigen Verjährungsfrist von 3 Jahren nach § 195 BGB. Dies sind nur die vom Arbeitsgericht rechtskräftig abgewiesenen Differenzansprüche. Weitergehende Ansprüche der Klagepartei in Verbindung mit der Anpassungsentscheidung zum 01.07.2015 sind nicht ersichtlich. Insbesondere gibt es keinen Anspruch der Klagepartei auf Prüfung der Leistungen und Entscheidung nach billigem Ermessen wie im Rahmen des § 16 BetrAVG. Vielmehr war die Beklagte – wie ausgeführt – verpflichtet, die Gesamtversorgungsbezüge der Klagepartei nach § 6 Ziff. 1 und 2 AB BVW entsprechend der Steigerung der Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung zum 01.07.2015 zu erhöhen.
2.3. Die Beklagte kann auch nicht einwenden, eine Korrektur der Anpassungen 2015 und 2016 könne wegen Verwirkung nicht erfolgen. Das Rechtsinstitut der Verwirkung stellt einen Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung dar und dient dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit. Voraussetzung für die Annahme der Verwirkung ist, dass ein bestimmtes Recht über einen längeren Zeitraum nicht geltend gemacht worden war (Zeitmoment) und, dass der Schuldner auf Grund bestimmter Umstände im Verhalten des Berechtigten damit hatte rechnen dürfen, die Ansprüche würden nicht mehr geltend gemacht werden (Umstandsmoment), weswegen die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen ist. Der Anspruchsberechtigte muss mithin unter Umständen untätig geblieben sein, aus denen der Eindruck hatte entstehen können, er werde sein Recht nicht mehr geltend machen (BAG v. 23. 11. 2017 – 6 AZR 739/15 – NZA 2018, 301).
Wie ausgeführt ist Grundlage für die vom Bundesarbeitsgericht angenommene Verwirkung eine Anpassung nach § 16 BetrAVG. Hier war die Beklagte nicht zu einer Prüfung der Leistungen und einer Entscheidung nach billigem Ermessen gem. § 16 BetrAVG verpflichtet, sondern zu Erhöhungen entsprechend der Steigerung der gesetzlichen Renten. Damit konnte eine rechtsmissbräuchliche Situation nicht dadurch entstehen, dass wichtige Prognosegrundlagen erst lange Zeit nach der getroffenen Entscheidung beigebracht werden. Im Übrigen spricht gegen das für eine Verwirkung erforderliche Umstandsmoment, dass sich die Beklagte angesichts zahlreicher Klagen nicht ohne Weiteres darauf verlassen durfte, die Versorgungsempfänger würden ihr Verhalten hinnehmen.
3. Die Klagepartei hat ihre Ansprüche zutreffend berechnet. Die Beklagte hat inso weit keine Einwände erhoben.
4. Die Klagepartei kann auf die nachzuzahlenden Differenzbeträge jeweils ab dem Tag nach Fälligkeit, also ab dem 2. des Bezugsmonats, Zinsen in gesetzlicher Höhe verlangen (§§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB). Unstreitig wird die streitgegenständliche Zahlung monatlich im Voraus am Ersten eines jeden Monats fällig. Dies gilt auch für die ausgeurteilten Differenzbeträge. Vorliegend ist nicht die Rechtsprechung des BAG zur Fälligkeit von Nachzahlungen aufgrund eines rechtskräftigen Gestaltungsurteils nach § 315 Abs. 3 BGB einschlägig. Ein derartiges Gestaltungsurteil liegt nicht vor, sodass es auch für die Differenzbeträge bei der für die betriebliche Altersversorgung grundsätzlich geltenden Fälligkeit verbleibt. III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG, § 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht erfüllt sind.

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