Arbeitsrecht

Betriebsübergang – fehlerhafte Unterrichtung – Widerspruch – Verwirkung

Aktenzeichen  8 AZR 935/08

Datum:
24.2.2011
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 613a Abs 1 BGB
§ 613a Abs 5 BGB
§ 613a Abs 6 BGB
§ 242 BGB
Spruchkörper:
8. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Solingen, 21. Mai 2007, Az: 1 Ca 243/07 lev, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 27. August 2008, Az: 7 Sa 1198/07, Teilurteil

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 27. August 2008 – 7 Sa 1198/07 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 21. Mai 2007 – 1 Ca 243/07 lev – teilweise abgeändert:
Die Klage auf Feststellung, dass zwischen den Parteien ein Anstellungsverhältnis besteht, wird abgewiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz darüber, ob zwischen ihnen über den 1. November 2004 hinaus ein Arbeitsverhältnis fortbesteht.
2
Der Kläger war seit 1974 bei der Beklagten als „Leiter Prozessleittechnik“ im Geschäftsbereich C I (CI) beschäftigt.
3
Dieser Geschäftsbereich verzeichnete seit mehreren Jahren Umsatzrückgänge, welche die Beklagte zu Personalabbaumaßnahmen veranlassten.
4
Mit Schreiben vom 22. Oktober 2004 informierte die Beklagte den Kläger über die beabsichtigte Übertragung des Geschäftsbereichs CI auf die A GmbH. In diesem Schreiben heißt es ua.:
        
„…   
        
die A-G AG plant, den Geschäftsbereich C I (CI) mit Wirkung zum 1. November 2004 auf die A GmbH zu übertragen.
        
Für die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter, die dem Geschäftsbereich CI zugeordnet sind, führt diese Übertragung zu einem automatischen Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse. Dies ist in § 613 a BGB geregelt, dessen Bestimmungen auf den Übergang zwingend anwendbar sind. § 613 a Absatz 5 BGB sieht eine schriftliche Information des von einem solchen Übergang betroffenen Arbeitnehmers vor, der nach § 613 a Absatz 6 BGB dem Übergang auch widersprechen kann.
        
Diese Bestimmungen lauten:
        
        
‚Der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber hat die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang in Textform zu unterrichten über:
        
        
1.    
den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs,
        
        
2.    
den Grund für den Übergang,
        
        
3.    
die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und
        
        
4.    
die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.
        
Der Arbeitnehmer kann dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung nach Absatz 5 schriftlich widersprechen. Der Widerspruch kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber erklärt werden.’
        
Ihr Arbeitsverhältnis ist dem Geschäftsbereich CI zugeordnet und würde deshalb mit dem 1. November 2004 auf A GmbH übergehen.
        
…     
        
1.    
Zum geplanten Zeitpunkt des Übergangs:
           
        
        
Das Datum des geplanten Übergangs ist der 1. November 2004.
        
2.    
Zum Grund für den Übergang:
           
        
        
Grund des Übergangs ist die rechtliche Verselbständigung des Geschäftsbereichs CI in der A GmbH und deren anschließende Veräußerung an N GmbH.
        
        
A GmbH mit Sitz in L umfasst das gesamte bisherige CI-Geschäft der A-G AG, also die Geschäftsfelder Film, Finishing und Laborgeräte. A GmbH übernimmt das Vermögen von CI. Hierzu gehören insbesondere Produktionsanlagen, Markenzeichen, Patente und technologisches Know-how, Vorräte und Forderungen.
        
        
…     
        
        
Das Unternehmen wird mit einem guten Eigenkapital ausgestattet und verfügt über hohe Liquidität, um unerwartet auftretende Risiken bewältigen, in neue Geschäfte investieren und Marktchancen besser nutzen zu können.
        
3.    
Zu den rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer:
           
        
        
Mit dem Übergang des Geschäftsbereichs CI tritt A GmbH in die bestehenden, unveränderten Arbeitsverhältnisse ein. Zur Klärung und Regelung der Einzelheiten haben A-G AG, A GmbH, Gesamtbetriebsrat der A-G AG sowie die örtlichen Betriebsräte am 24. September 2004 eine Überleitungsvereinbarung ‚zur Klärung der rechtlichen Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse betroffener Arbeitnehmer, auf die kollektiv-rechtlichen Regelungen sowie auf die betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen’ abgeschlossen, die davon geprägt ist, so weit wie möglich Kontinuität zu wahren:
        
        
–       
Die bei der A-G AG verbrachten und/oder von ihr anerkannten Dienstjahre werden als Dienstzeit bei A GmbH anerkannt.
        
        
–       
Die Zugehörigkeit zu den Arbeitgeberverbänden der Chemischen Industrie wird auch bei A GmbH bestehen, d.h. es bleibt bei den Chemie-Tarifen.
        
        
…     
        
…     
        
        
5.    
Zu Ihrer persönlichen Situation:
           
        
        
Ihr Arbeitsverhältnis wird nach unserer Planung von dem geplanten Personalabbau gemäß Ziffer 4 betroffen sein. Die Zustimmung des Betriebsrats zu einem Interessenausgleich und zu Ihrer Aufnahme in die Namensliste liegt derzeit noch nicht vor. Insofern sind Verhandlungen mit dem Betriebsrat noch nicht abgeschlossen. Sie müssen jedoch damit rechnen, nach Abschluss dieser Verhandlungen mit oder ohne Ihre Aufnahme in die Namensliste der zur Kündigung vorgesehenen Mitarbeiter eine Kündigung zu erhalten. Zur Milderung wirtschaftlicher Nachteile stehen Ihnen dann die in unserem Sozialplan vorgesehenen Leistungen zu.
        
        
Die geplante Kündigung wirkt sich auf den Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses nicht aus.
        
        
Ihr Arbeitsverhältnis geht trotzdem über und Sie sind verpflichtet, Ihre Tätigkeit bei A GmbH fortzuführen. Die nachfolgend dargestellten Konsequenzen eines eventuellen Widerspruchs treffen auch in Ihrem Falle zu.
        
6.    
Zum Widerspruchsrecht:
           
        
        
Sie haben das Recht, dem Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses auf die A GmbH binnen einer Frist von einem Monat ab Zugang dieses Schreibens schriftlich zu widersprechen. Die Erklärung kann nicht einseitig zurückgenommen oder widerrufen werden. Sie kann auch nicht an eventuelle Bedingungen geknüpft werden.
        
        
Sollten Sie dem Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses widersprechen wollen, müsste das schriftlich mit einer von Ihnen unterschriebenen Erklärung innerhalb dieser Frist erfolgen. Eventuelle Widerspruchsschreiben richten Sie bitte ausschließlich an:
        
        
…     
        
7.    
Zu den Folgen eines Widerspruchs:
           
        
        
Im Falle eines fristgerechten Widerspruchs bleibt Ihr Arbeitsverhältnis bei der A-G AG und geht nicht auf die A GmbH über.
        
        
Da nach dem Übergang des vollständigen Geschäftsbereichs CI auf A GmbH Ihr bisheriger Arbeitsplatz bei A-G AG nicht mehr vorhanden sein wird und eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht besteht, müssen Sie daher im Falle der Ausübung Ihres Widerspruchsrechts mit der Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses durch A-G AG rechnen.
        
        
Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, dass nach der eindeutigen Regelung in der mit dem Gesamtbetriebsrat der A-G AG und den örtlichen Betriebsräten vereinbarten Überleitungsvereinbarung in diesem Fall kein Anspruch auf eine Abfindung besteht, weder gegenüber der A-G AG, noch gegenüber A GmbH. Im Falle eines Widerspruchs müssen Sie deshalb damit rechnen, Ihren Arbeitsplatz ohne jede finanzielle Leistung zu verlieren. Außerdem sind bei einer eventuellen Arbeitslosigkeit nach einem Widerspruch Ihre Ansprüche auf Leistungen der Agentur für Arbeit in Frage gestellt.
        
        
Wir empfehlen Ihnen daher dringend, von einem Widerspruch abzusehen.
        
        
…“   
5
Mit Wirkung zum 1. November 2004 wurde der Geschäftsbereich CI ausgegliedert und auf die neu gegründete A GmbH übertragen. Der Kläger widersprach dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf diese GmbH zunächst nicht.
6
Die A GmbH kündigte dem Kläger mit Schreiben vom 15. November 2004 aus betriebsbedingten Gründen zum 30. Juni 2005. Gegen diese Kündigung erhob der Kläger keine Kündigungsschutzklage.
7
Unter dem Datum des 15. Februar 2005 teilte die A GmbH dem Kläger schriftlich mit, dass dieser zum Ausgleich für die ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung von 137.186,72 Euro erhalten werde.
8
Im Mai 2005 stellte die A GmbH Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, welches am 1. August 2005 eröffnet wurde.
9
Der Kläger widersprach mit anwaltlichem Schreiben vom 28. Juli 2005 gegenüber der Beklagten dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die A GmbH wegen fehlerhafter und unvollständiger Unterrichtung über den Betriebsübergang.
10
Der Kläger meint, er habe dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die A GmbH noch im Juli 2005 wirksam widersprechen können, weil er bis dahin nicht ordnungsgemäß iSd. § 613a Abs. 5 BGB über den Betriebsübergang unterrichtet worden sei. So rügt er insbesondere eine falsche Information über die wirtschaftliche Situation der Betriebserwerberin und über die Haftungsverteilung zwischen der Beklagten und der A GmbH.
11
Der Kläger hat – soweit der Rechtsstreit in die Revisionsinstanz gelangt ist – beantragt
        
festzustellen, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht.
12
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
13
Sie beruft sich darauf, ihr Informationsschreiben vom 22. Oktober 2004 habe den Erfordernissen des § 613a Abs. 5 BGB genügt. Der Widerspruch des Klägers sei verspätet, da er nicht innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist nach Zugang des Unterrichtungsschreibens erhoben worden sei. Zumindest sei das Widerspruchsrecht des Klägers jedoch verwirkt.
14
Das Arbeitsgericht hat der Feststellungsklage in vollem Umfange und der auf Zahlung von Arbeitsvergütung gerichteten Klage überwiegend stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht durch Teilurteil zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Feststellung des Arbeitsgerichts gerichtet hat, zwischen den Parteien bestehe ein Arbeitsverhältnis. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte insoweit ihren Klageabweisungsantrag weiter, während der Kläger die Zurückweisung der Revision beantragt.

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