Aktenzeichen 2 Ca 418/16
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 8
BGB § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1, § 310 Abs. 4, § 315 Abs. 1
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 4a, § 46 Abs. 2
ZPO § 258, § 259
ABVW § 6 Nr. 2
Leitsatz
1. Bei der Verteilung der Betriebsrentenanpassung besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats der Beklagten gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Hat sich der Arbeitgeber verpflichtet, selbst Versorgungsleistungen zu erbringen, so ergibt sich das Recht des Betriebsrats, bei der Regelung von Fragen der betrieblichen Altersversorgung mitzubestimmen, aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Betriebsrat darf sein Mitbestimmungsrecht nicht in der Weise ausüben, dass er dem Arbeitgeber das alleinige Gestaltungsrecht über den mitbestimmungspflichtigen Tatbestand eröffnet. Zwar dürfen dem Arbeitgeber durch Betriebsvereinbarung gewisse Entscheidungsspielräume in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten eingeräumt werden. Der Betriebsrat kann aber über sein Mitbestimmungsrecht im Interesse der Arbeitnehmer nicht in der Weise verfügen, dass er in der Substanz auf die ihm gesetzlich obliegende Mitbestimmung verzichtet. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger beginnend ab Mai 2016 über die bisher gezahlte Betriebsrente in Höhe von 1.853,84 € brutto hinaus jeweils zum 01. eines Monats einen weiteren Betrag in Höhe von 27,39 € brutto, insgesamt demnach eine Betriebsrente in Höhe von 1.881,23 € brutto zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger rückständige Betriebsrente für den Zeitraum vom 01.07.2015 bis 30.04.2016 in Höhe von 273,90 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
aus 27,39 € brutto seit dem 02.07.2015
aus 27,39 € brutto seit dem 02.08.2015
aus 27,39 € brutto seit dem 02.09.2015
aus 27,39 € brutto seit dem 02.10.2015
aus 27,39 € brutto seit dem 02.11.2015
aus 27,39 € brutto seit dem 02.12.2015
aus 27,39 € brutto seit dem 02.01.2016
aus 27,39 € brutto seit dem 02.02.2016
aus 27,39 € brutto seit dem 02.03.2016 sowi
aus 27,39 € brutto seit dem 02.04.2016
zu zahlen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Der Streitwert wird auf 986,04 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Klage ist hinsichtlich der zuletzt gestellten Anträge in vollem Umfang begründet.
Dem Kläger steht die geltend gemachte Erhöhung seiner Gesamtversorgungsbezüge ab 01.07.2015 um weitere 27,39 € brutto monatlich zu. Die Beklagte hat die Gesamtversorgungsbezüge des Klägers zu Unrecht lediglich um 0,5% statt um 2,1% erhöht.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
I.
Die Klage ist zulässig.
1. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 4 a ArbGG.
2. Das Arbeitsgericht Würzburg ist gemäß § 48 Abs. 1 a Satz 1 ArbGG örtlich zuständig.
3. Soweit der Kläger in Ziffer 1 der Klage künftige Leistungen geltend macht, bestehen hiergegen keine Bedenken. Der Antrag ist auf Zahlung wiederkehrender Leistungen im Sinne von § 258 ZPO gerichtet. Bei wiederkehrenden Leistungen, die – wie Betriebsrentenansprüche – von keiner Gegenleistung abhängen, können gemäß § 258 ZPO grundsätzlich auch künftig fällig werdende Teilbeträge eingeklagt werden. Im Gegensatz zu § 259 ZPO muss nicht die Besorgnis bestehen, dass der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen wird (BAG, Urteil vom 14.07.2015 – 3 AZR 594/13 m. w. N.).
II.
Die Klage ist begründet.
Der Kläger hat ab 01.07.2015 einen Anspruch auf Gesamtversorgungsbezüge in Höhe von 1.881,23 € brutto. Es ergibt sich eine monatliche Differenz von 27,39 € brutto, da die Beklagte lediglich 1,853,84 € brutto monatlich gezahlt hat.
1. Gemäß Nr. 8 der Vereinbarung vom 14.05.1996 ist die Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine monatliche Rente zu zahlen. Diese ist gemäß Satz 2 der Nr. 8 nach den betrieblichen Bestimmungen anzupassen.
2. Die Anpassung nach den betrieblichen Bestimmungen ist in § 6 ABVW geregelt.
a) Gemäß § 6 Nr. 1 ABVW werden die Gesamtversorgungsbezüge jeweils entsprechend der vorgegebenen Entwicklung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst, und zwar zum gleichen Zeitpunkt, zu dem die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung verändert werden (§ 6 Nr. 2 ABVW). Die Beklagte ist hiernach grundsätzlich verpflichtet, die Gesamtversorgungsbezüge des Klägers im gleichen Umfang anzupassen, in dem sich die gesetzlichen Renten erhöhen. Dies gilt nur dann nicht, wenn gemäß § 6 Nr. 3 ABVW ein anderslautender, wirksamer Beschluss des Vorstands und des Aufsichtsrats vorliegt. Einen solchen wirksamen Beschluss gibt es nicht, so dass es bei der Erhöhung der Gesamtversorgungsbezüge um 2,1% gemäß § 6 Nr. 1 ABVW verbleibt.
b) Die von der Beklagten angeführten Beschlüsse von Vorstand und Aufsichtsrat vom 26.08.2015 und 09.10.2015 stehen dem Anspruch des Klägers gemäß § 6 Nr. 1 ABVW nicht entgegen. Die Beschlüsse sind unwirksam, da § 6 Nr. 3 ABVW seinerseits unwirksam ist.
Zu dieser Frage führt das Arbeitsgericht Köln im Urteil vom 07.09.2016 (7 Ca 2664/16) wie folgt aus:
„ii. § 6 Ziff. 3 ABVw ist unwirksam, da der Gesamtbetriebsrat das Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1. Nr. 10 BetrVG – zugunsten einer Alleinentscheidung der Beklagten – in seiner Substanz aufgegeben hat.
(aa) Bei der Verteilung der Betriebsrentenanpassung besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats der Beklagten gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Hat sich – wie hier – der Arbeitgeber verpflichtet, selbst Versorgungsleistungen zu erbringen, so ergibt sich das Recht des Betriebsrats, bei der Regelung von Fragen der betrieblichen Altersversorgung mitzubestimmen, aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Dabei ist allerdings zu unterscheiden zwischen den mitbestimmungsfreien unternehmerischen Grundentscheidungen und der konkreten Ausgestaltung der Leistungsordnung, die ihrerseits mitbestimmungspflichtig ist. Zwar ist die Entscheidung des Arbeitgebers, ob er überhaupt eine betriebliche Altersversorgung gewährt, welche Mittel er hierfür zur Verfügung stellt und welcher Personenkreis bedacht werden soll, mitbestimmungsfrei. Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat allerdings bei allen Regeln beteiligen, mit denen die zur Verfügung stehenden Mittel auf die Begünstigten verteilt werden. Fehler im Mitbestimmungsverfahren führen nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung dazu, dass die getroffene Regelung grundsätzlich unwirksam ist (BAG 19.08.2008 – 3 AZR 194/07 – Rn. 29 mwN.).
Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG darf ein Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht nicht in der Weise ausüben, dass er dem Arbeitgeber das alleinige Gestaltungsrecht über den mitbestimmungspflichtigen Tatbestand eröffnet (vgl. BAG 05.05.2015 – 1 AZR 435/13 – Rn. 19; BAG 26.04.2015 -1 AZR 74/04 – Rn. 18). Zwar dürfen dem Arbeitgeber durch Betriebsvereinbarung gewisse Entscheidungsspielräume in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten eingeräumt werden. Der Betriebsrat kann aber über sein Mitbestimmungsrecht im Interesse der Arbeitnehmer nicht in der Weise verfügen, dass er in der Substanz auf die ihm gesetzlich obliegende Mitbestimmung verzichtet.
(bb) Durch § 6 Ziff. 3 ABVw hat sich der Gesamtbetriebsrat seines nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG besehenden Mitbestimmungsrechts, das die Verteilungsgrundsätze der Betriebsrentenanpassung betrifft, im Kern begeben und allein der Beklagten den Letztentscheid eröffnet. Die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG reduziert § 6 Ziff. 3 ABVw damit im Kernbereich des Mitbestimmungstatbestands auf ein Anhörungsrecht. Das ist unwirksam.
Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge und diese wie Gesetze auszulegen. Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmungen und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei einem unbestimmten Wortsinn sind der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit dies im Text seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt (BAG 08.12.2015 – 3 AZR 267/14 – Rn. 22).
Die Auslegung von § 6 Ziffer 3 ABVw ergibt, dass die Regelung nicht gesetzeskonform dahingehend auszulegen ist, dass sie sich lediglich auf die nicht mitbestimmte Höhe der Betriebsrentenleistungen beschränkt (so aber ArbG D-Stadt 29.06.2016 – 8 Ca 201/15 – S. 14 ohne nähere Erörterung (Bl. 237 dA.). Die Kammer geht jedoch davon aus, dass die Regelung auch die Leistungsverteilung betrifft:
Dies ergibt sich zunächst aus dem Wortlaut der Bestimmung und dem durch ihn vermittelten Wortsinn: § 6 ABVw ist überschrieben mit „Anpassung der betrieblichen Versorgungsbezüge an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse“, enthält also gerade keine wörtliche Beschränkung auf die Höhe der Anpassung. Im Gegenteil kommt eine Beschränkung der Anpassung auf deren Höhe erst in § 6 Ziff. 4 Satz 1 ABVw im Wort „Erhöhung“ zum Ausdruck, während in den anderen Absätzen von § 6 ausdrücklich lediglich von „angepaßt“ (Ziff. 1), „Anpassung“/“verändert“ (Ziff. 2), „Veränderung“/ „was… geschehen soll“ (Ziff. 3) und „Veränderungen“ (Ziff. 4 Satz 2) die Rede ist. Demnach beschränkt sich der Wortsinn außer im hier nicht vorliegenden Sonderfall des § 6 Ziff. 4 Satz 1 eben nicht auf die Höhe oder Erhörung, sondern ist umfassender gewählt. Dieses Wort(sinn) verständnis wird gestützt durch die ausdrücklich allumfassende Formulierung im streitgegenständlichen § 6 Ziff. 3 der Norm: „… so schlägt [der Vorstand] nach Anhören der Betriebsräte… vor …, was nach seiner Auffassung geschehen soll.“ Diese semantisch unbegrenzte Regelungsaufforderung an die Leitung der Beklagten hätte ohne Schwierigkeiten gefasst werden können: „… in welchem Maß die Gesamtversorgungsbezüge erhöht werden.“ Stattdessen haben die Betriebspartner eine möglichst weite Formulierung gewählt, die eben dem Wortsinne nach nicht auf eine andere Mittelhöhe begrenzt ist, sondern durch die Formulierung „…was geschehen soll …“ dem Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten jedweden Spielraum bezüglich der Verteilung etwaig zur Verfügung gestellter Mittel lässt.
Der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck finden in diesem Wortlaut insoweit Berücksichtigung, als dass der Leitungsebene der Beklagten durch die verstärkenden Worte „nach seiner Auffassung“ offenbar eine eigene abschließende Regelungskompetenz hinsichtlich der Anpassungsentscheidung übertragen werden sollte. Das Wort „Auffassung“ betont gerade die subjektive Seite der Entscheidung, nach der eben unabhängig von objektiven Gegebenheiten die Entscheidung der Beklagten ermöglicht werden sollte. Denn dass bei anderen Entscheidungen über das Betriebliche Versorgungswerk die Mitbestimmungsrechte gewahrt werden sollten, zeigt § 4 der Grundbestimmungen, der ausdrücklich in Abs. 1 und Abs. 3 die Zustimmungen des Gesamtbetriebsrats/Betriebsrats für die Ergänzung oder die Änderung von Bestimmungen verlangt.
Auch der Gesamtzusammenhang und die Systematik von § 6 Ziffer 3 ABVw lassen nicht erkennen, dass die Regelung sich lediglich auf die Höhe einer Anpassungsentscheidungen beschränken wollte: mit der Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge hat die (Rechtsvorgängerin der) Beklagte(n) versprochen, unter Einbeziehung unterschiedlichster Leistungen gem. § 5 ABVw den Betriebsrentnern eine Alterssicherung zu bieten und deren wirtschaftliche Anpassung über § 16 BetrAVG hinaus mittels kollektiver Regelung vorzunehmen. Wegen dieser im Vergleich wohl komfortablen Rentenregelungen lag es im Interesse der Beklagten insgesamt, die Anpassung mit einem Regulativ zu begrenzen. Vor diesem Hintergrund soll die größtmögliche Regelungsweite von § 6 Ziff. 3 ABVw mit den Worten „… was geschehen soll …“ der Beklagten die Möglichkeit geben, die Rentenzusage passgenau mit ihrer jeweils aktuellen Lage zu verzahnen. Zu dem, „… was geschehen soll …“ gehört dann aber eben auch nicht nur die Entscheidung, ob die Betriebsrente um 0%, 2,1% oder 0,5% erhöht werden soll, sondern auch die Verteilungsgrundsätze, ob etwa bestimmte Gruppen von Betriebsrentnern bei einer Erhöhung besondere Berücksichtigung finden, zB. nicht der Kläger, sondern finanziell weniger gut ausgestattete Arbeitnehmer. Würde in einem solchen Fall der Betriebsrat eine andere oder eine gleichmäßige Verteilung der Gelder fordern, würde ihm ggf. § 6 Ziff. 3 ABVw und die dort geregelte Begrenzung auf eine bloße Anhörungsverpflichtung entgegen gehalten werden.
iii. Aus der Unwirksamkeit von § 6 Ziff. 3 ABVw folgt nicht die Unwirksamkeit der gesamten ABVw bzw. der gesamten Gesamtbetriebsvereinbarung. Denn nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB gilt, dass die Teilunwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung die Unwirksamkeit auch ihrer übrigen Bestimmungen nur dann zur Folge hat, wenn diese ohne die unwirksamen Teile keine sinnvolle, in sich geschlossene Regelung mehr darstellen (BAG 05.05.2015 – 1 AZR 435/13 – Rn. 20; BAG 26.04.2015 – 1 AZR 76/04 – Rn. 23; BAG 22.03.2005 – 1 ABR 64/03 – Rn. 61; BAG 21.01.2003 – 1 ABR 9/02 -). Danach sind die ABVw als Bestandteil der Gesamtbetriebsvereinbarung „Bestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerkes“ nicht insgesamt unwirksam. Sie bilden auch ohne die unwirksame Festlegung der Anpassung durch den Aufsichtsrat eine in sich geschlossene und praktikable Regelung der anzuwendenden Betriebsrentengrundsätze. Insbesondere lässt sich aus § 6 Ziff. 1 ABVw die Regelanpassung der Gesamtversorgungsbezüge zweifelsfrei ermitteln.“
Diesen zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts Köln schließt sich die erkennende Kammer in vollem Umfang an.
Es kann deshalb insbesondere dahingestellt bleiben, ob eine Beschlussfassung gemäß § 6 Nr. 3 ABVW nach dem 01.07.2015 überhaupt zulässig ist und inwieweit tatsächlich eine dem billigen Ermessen gemäß § 315 Abs. 1 BGB entsprechende Entscheidung getroffen wurde.
3. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
III.
Die Kostentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
IV.
Die Streitwertfestsetzung (§ 61 Abs. 1 ArbGG) folgt aus § 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GKG. Maßgeblich ist der dreijährige Differenzbetrag (27,39 € x 36 = 986,04 €).