Arbeitsrecht

Betriebsvereinbarung – Tarifvorrang

Aktenzeichen  1 AZR 64/18

Datum:
15.1.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2019:150119.U.1AZR64.18.0
Normen:
§ 77 Abs 3 S 1 BetrVG
Spruchkörper:
1. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Berlin, 8. Juni 2017, Az: 63 Ca 4764/16, Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg, 28. November 2017, Az: 11 Sa 1103/17, Urteil

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. November 2017 – 11 Sa 1103/17 – teilweise aufgehoben.
2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. Juni 2017 – 63 Ca 4764/16 – wird insgesamt zurückgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten noch über Weihnachts- und Urlaubsgeld.
2
Die Beklagte ist ein Einzelhandelsunternehmen mit Sitz in Hamburg. In deren Berliner Vertriebsfiliale ist die Klägerin als Verkäuferin beschäftigt. Die Parteien haben unter dem 1. März 1996 einen schriftlichen Arbeitsvertrag niedergelegt, dessen mit „Schlußbestimmung“ überschriebener § 9 Nr. 4 lautet:
        
„Dieser Vertrag ist nur in Verbindung mit der nachfolgenden G-Betriebsvereinbarung gültig.“
3
Bis April 2008 war die Beklagte tarifgebundenes Mitglied im Landesverband des Hamburger Einzelhandels e.V., welcher mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di (bzw. vor deren Gründung mit der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft und der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen – HBV -) Tarifverträge mit einem Geltungsbereich für Einzelhandelsbetriebe auf dem Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg geschlossen hat. Sie ist – und war – nicht Mitglied des Handelsverbands Berlin-Brandenburg e.V. bzw. seines Rechtsvorgängers, der mit ver.di neben dem Manteltarifvertrag für den Berliner Einzelhandel (MTV Berlin) ua. den Tarifvertrag über Gehälter, Löhne und Ausbildungsvergütungen für den Berliner Einzelhandel (TV-GLA Berlin) vereinbart hat. Nach § 1 A. und B. MTV Berlin und dem gleich lautenden § 1 A. und B. TV-GLA Berlin (in ihren jeweils ab 1. Juli 2011 gültigen Fassungen) umfassen die Geltungsbereiche dieser Tarifverträge räumlich das Land Berlin und fachlich „alle Betriebe des Einzelhandels aller Branchen und Betriebsformen einschließlich Dach- bzw. Holdinggesellschaften von Einzelhandelsunternehmen sowie Hilfs- und Nebenbetriebe.“
4
Die Vergütung der in der Filiale Berlin beschäftigten Arbeitnehmer – so auch die der Klägerin – richtete sich nach der von der Beklagten mit dem dort errichteten Betriebsrat mit Wirkung zum 1. März 1997 geschlossenen „G Betriebsvereinbarung“ (BV 97). Diese lautet auszugsweise:
        

Präambel
         
        
Ziel der Konzeption einer Betriebsvereinbarung war die Schaffung eines Gehalts- und Arbeitszeitsystems, das für jeden Mitarbeiter nachvollziehbar, einsehbar und leistungsgerecht ist.
        
Ferner sollen die gesetzlichen Ladenschlußzeiten des Einzelhandels in gerechte Rahmenbedingungen gefügt werden.
        
Als Grundlage wurden größtenteils bestehende Vereinbarungen genommen. Der Tarif berücksichtigt die Mindestforderungen des Einzelhandelstarifes in Hamburg soweit nicht andere Vereinbarungen getroffen werden und diese einen individuellen Leistungsausgleich berücksichtigen (Arbeitsvertrag). Eine Überarbeitung findet mindestens zum Zeitpunkt gültiger Tarifverhandlungen des Einzelhandels statt.
        
Die nachstehenden Paragraphen ergänzen die Regelungen des Arbeitsrechtes und gelten als Bestandteil des Arbeitsvertrages (Individualvereinbarung).
        
Jedem G wird eine Ausfertigung der Vereinbarung bei Beginn des Arbeitsverhältnisses zusammen mit dem Arbeitsvertrag übergeben.
        
Die Bezeichnung des Arbeitnehmers als „G“ ist dem gleichzusetzen.
        
…       
        
§ 8 Urlaubs- und Weihnachtsgeld
           
        
G zahlt in jedem Beschäftigungsjahr ein Urlaubsgeld in Höhe von 62,5 % des Gehaltes.
        
Zahlungstermin ist spätestens der 31. Mai eines jeden Jahres. …
        
G zahlt in jedem Beschäftigungsjahr ein Weihnachtsgeld in Höhe von 62,5 % des Gehaltes.
        
Zahlungstermin ist spätestens der 30. November eines jeden Jahres. …
        
§ 15 Gehaltstarif
           
        
Die G-Gehälter garantieren eine Mindesthöhe über den jeweiligen Hamburger Tarifen.
        
In den Tarifen GO, G1, G2
sind das DM 200,00
        
In dem Tarif
G3    
sind das DM 300,00
        
In dem Tarif G4a
sind das DM 400,00 und in G4b DM 500,00
        
…       
        
        
        
Gehaltserhöhungen:
        
Zukünftige Tariferhöhungen führen mit Wirkung des neuen Tarifabschlusses zu einer entsprechenden Erhöhung des Garantiegehaltes.
        
In den Tarifen GO, G1, G2
sind das DM 200,00
        
In dem Tarif
G3    
sind das DM 300,00
        
In dem Tarif G4a
sind das DM 400,00 und in G4b DM 500,00
        
…       
        
Gehaltsgruppen:
        
Die Tätigkeitsbereiche der G werden verschiedenen Gehaltsgruppen zugeordnet. …“
5
Des Weiteren sind in § 15 BV 97 mehrere Gehaltsgruppen festgelegt, denen allgemeine Tätigkeitsmerkmale und die Aufzählung bestimmter beruflicher Funktionen vorangestellt sind. Jede Gehaltsgruppe enthält eine Tabelle, in der ausgehend vom „Tarif … laut HBV“ Nominalbeträge als Entgelte angeführt sind.
6
Die Beklagte kündigte die BV 97 gegenüber dem Betriebsrat zum 31. Dezember 2014 und stellte die an die Erhöhung der Tarifentgelte des Hamburger Einzelhandels anknüpfenden Entgeltsteigerungen ebenso wie die Weihnachts- und Urlaubsgeldzahlung ein. Mit ihrer Klage und deren späteren Erweiterung hat die Klägerin – soweit für die Revision noch von Bedeutung – die Zahlung des Weihnachtsgeldes 2015 und des Urlaubsgeldes 2016 verlangt und dies auf kollektivrechtliche sowie individualvertragliche Erwägungen gestützt.
7
Sie hat – soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse – sinngemäß beantragt,
        
die Beklagte zu verurteilen, an sie
        
1.    
1.982,09 Euro brutto (Weihnachtsgeld für das Jahr 2015) nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1. Dezember 2015,
        
2.    
1.982,09 Euro brutto (Urlaubsgeld für das Jahr 2016) nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1. Juni 2016
        
zu zahlen.
8
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
9
Das Arbeitsgericht hat die – bei ihm ua. noch monatliche Differenzvergütungen nach § 15 BV 97 umfassende – Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin – unter deren Zurückweisung im Übrigen – das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin das Weihnachtsgeld 2015 und das Urlaubsgeld 2016 iHv. jeweils 1.982,09 Euro brutto nebst Zinsen zu zahlen. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

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