Arbeitsrecht

Bundesfinanzhof, Anspruch auf Kindergeld, Bezug von Kindergeld, Rechtsprechung des BFH, Rechtsmittelbelehrung, Wohnsitz, Vorläufige Vollstreckbarkeit

Aktenzeichen  7 K 2435/15

Datum:
4.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 94469
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Bescheid vom 27. Oktober 2014 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 1. September 2015 werden aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe

I.
Streitig ist, ob dem Kläger im Zeitraum Oktober 2014 bis Juli 2015 Kindergeld für seine Töchter, geboren am 11. Februar 2010 und am 9. April 2012, zusteht.
Der Kläger erhielt für seine Töchter laufend Kindergeld. Mit Schreiben vom 6. August 2014 teilte er der Familienkasse mit, dass er mit seiner Ehefrau und den Töchtern vom 1. September 2014 bis 31. August 2015 für ein Jahr in Elternzeit gehen und sich in diesem Zeitraum in den USA aufhalten würde. Die bisherige 5-Zimmer-Wohnung in der …straße 17 würde untervermietet (vgl. Untermietvertrag mit X und Y für den Zeitraum 27. August 2014 und 26. August 2015). Daraufhin hob die Familienkasse mit Bescheid vom 27. Oktober 2014 die Festsetzung von Kindergeld für den Zeitraum Oktober 2014 bis Juli 2015 auf und forderte das Kindergeld für Oktober 2014 zurück.
Den dagegen eingelegten Einspruch begründete der Kläger damit, dass zumindest bis zum 31. Dezember 2014 wegen seiner unbeschränkten Steuerpflicht ein Anspruch auf Kindergeld bestünde. Er sei Arbeitnehmer bei D und erhalte auch in seiner Elternzeit Provisionen und Tantiemen. Ebenso erziele er aus der Untervermietung der Wohnung Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung. Da er und seine Ehefrau mehr als 186 Tage in Deutschland anwesend gewesen seien, sei ihr Einkommen aufgrund des mit den USA bestehenden Doppelbesteuerungsabkommens in Deutschland versteuert worden. Spätestens zum 26. August 2015 werde die Familie wieder nach Deutschland zurückkommen. Der derzeitige Lebensmittelpunkt liege in den USA, da er und seine Ehefrau über eine Greencard verfügten. Im Fall einer früheren Rückkehr könne bei den Großeltern untergekommen werden. Der Einspruch hatte jedoch keinen Erfolg, er wurde mit Einspruchsentscheidung vom 1. September 2015 als unbegründet zurückgewiesen.
Mit seiner dagegen erhobenen Klage wiederholt und vertieft der Kläger sein Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren. Er sei mit seiner Familie am 2. September 2014 von Frankfurt in die USA geflogen und am 26. August 2015 nach Deutschland zurückgekehrt. Seine Wohnung habe er während seines Aufenthalts in den USA untervermietet und im August 2015 wieder bezogen. Die Rückkehr der Familie nach Deutschland sei von Anfang an geplant gewesen. So ergebe sich aus den Bestätigungen seines Arbeitgebers vom 24. Juni 2014 und der Bestätigung des Arbeitgebers seiner Ehefrau, der Firma GmbH vom 28. Mai 2014, dass lediglich Elternzeit in Anspruch genommen wurde, die Arbeitsverhältnisse jedoch weiterbestanden hätten.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 27. Oktober 2014 und die Einspruchsentscheidung vom 1. September 2015 aufzuheben.
Die Familienkasse beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ergänzend zur Einspruchsentscheidung trägt sie vor, dass die Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld nicht vorlägen, da der Kläger seinen Wohnsitz in Deutschland im Streitzeitraum wegen der Untervermietung seiner Wohnung aufgegeben habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten der Familienkasse, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
II.
Die Klage ist begründet. Der Bescheid vom 27. Oktober 2014, mit dem die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für die Töchter des Klägers gemäß § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) aufgehoben und das für Oktober 2014 gezahlte Kindergeld zurückgefordert hat, und die Einspruchsentscheidung vom 1. September 2015 sind rechtwidrig. Der Kläger und seine Töchter haben in dem zur Beurteilung des Gerichts stehenden Zeitraum von Oktober 2014 bis Juli 2015 ihren Wohnsitz im Sinne von § 8 Abgabenordnung (AO) in Deutschland nicht aufgegeben. Dem Kläger steht somit in diesem Zeitraum Kindergeld zu.
1. Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 3 EStG hat derjenige, der im Inland über einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt verfügt, einen Kindergeldanspruch nur für diejenigen Kinder, die ebenfalls im Inland, in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt innehaben.
Die Vereinigten Staaten von Amerika zählen nicht zu den in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Staaten.
Die Frage, ob eine natürliche Person im Inland einen Wohnsitz hat, beurteilt sich nach § 8 AO. Danach kommt es darauf an, ob die betreffende Person im Inland eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass sie die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Melderechtliche Normen sowie bürgerlich-rechtliche Vorschriften zur Begründung, Beibehaltung und Aufgabe eines Wohnsitzes sind für die Auslegung dieser Vorschriften nicht maßgeblich (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 17. Mai 1995 I R 8/94, BStBl II 1996, 2). Die Begründung eines Wohnsitzes erfolgt durch tatsächliches Handeln, der bloße Wille des Steuerpflichtigen ist dagegen nicht entscheidend. Von ausschlaggebender Bedeutung ist vielmehr die tatsächliche Gestaltung der Verhältnisse, d. h. der objektive Zustand (vgl. BFH-Urteile vom 7. April 2011 III R 77/09, BFH/NV 2011, 1351 m.w.N.).
Der Wohnsitzbegriff i. S. von § 8 AO setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Betreffende tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit – wenn auch in größeren Zeitabständen – aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken oder ein Aufenthalt, der nur Besuchscharakter hat, reichen nicht aus. Außer dem Innehaben einer Wohnung setzt der Wohnsitzbegriff zunächst Umstände voraus, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung durch den Inhaber beibehalten und als solche genutzt werden soll. Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinne besteht somit darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung steht und von ihm subjektiv zu entsprechender Nutzung auch bestimmt ist (vgl. auch Urteil des Finanzgerichts München vom 13. März 2014 5 K 745/12, jurisweb).
Das Innehaben einer Wohnung unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung beibehalten oder benutzt wird, schließt nicht aus, dass die Wohnung vorübergehend nicht benutzt wird. Periodische Auslandsaufenthalte stellen das Innehaben eines Wohnsitzes auch dann nicht in Frage, wenn sie sich über einen Zeitraum von etlichen Jahren erstrecken. Im Einzelfall können auch zwei Wohnsitze nebeneinander bestehen (vgl. auch § 19 Abs. 1 Satz 2 AO), wenn nach den äußeren Umständen der Lebensmittelpunkt zeitlich und örtlich zwei Wohnungen in verschiedenen Orten zuzuordnen ist und so zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse gebildet worden sind (vgl. BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BStBl II 2001, 294, m. w. N., und BFH-Beschluss vom 27. Dezember 2011 III B 24/10, BFH/NV 2012, 917).
2. Nach diesen grundsätzlichen Vorgaben der Rechtsprechung zu § 8 AO steht bei umfassender Würdigung der konkreten Umstände des Streitfalls zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger im hier zu beurteilenden Zeitraum einen Wohnsitz in München hatte. Die 5-Zimmer-Wohnung in der W. Straße 17 war zum dauerhaften Wohnen des Klägers und seiner Familie vorgesehen und geeignet. Wie oben dargestellt kommt es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht darauf an, wenn die Wohnung vorübergehend nicht benutzt wird, da das Innehaben eines Wohnsitzes i.S.d. § 8 AO auch bei Auslandsaufenthalten von etlichen Jahren nicht in Frage gestellt wird. Durch die befristete Untervermietung der möblierten Räume für den Zeitraum 27. August 2014 und 26. August 2015 hat der Kläger diesen Wohnsitz nicht aufgegeben. Vielmehr erfolgte lediglich eine vorübergehende räumliche Trennung vom Wohnort während des einjährigen Aufenthaltes in den USA. Aus den vorgelegten Bescheinigungen der Arbeitgeber des Klägers und seiner Ehefrau geht klar hervor, dass die Arbeitsverhältnisse nach Ablauf der Elternzeit weitergeführt werden. Diese von vornherein befristete Abwesenheit während des dritten Jahres der Elternzeit für die Tochter steht der Beibehaltung des Wohnsitzes nicht entgegen, auch wenn innerhalb dieser zwölf Monate eines besuchsweise Rückkehr zum Wohnsitz etwa zu Ferienzwecken wegen der großen Entfernung oder aus Kostengründen nicht beabsichtigt und tatsächlich nicht erfolgt ist. Wie der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, bestand darüber hinaus bei einer vorzeitigen Beendigung des Auslandsaufenthaltes vor Ablauf des Untermietvertrags die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung des Untermietvertrages. Somit stand dem Kläger die Wohnung jederzeit zur Verfügung, er konnte tatsächlich über sie verfügen.
Ohne Bedeutung für den Streitfall ist, ob der Kläger daneben während seines Auslandsaufenthalts möglicherweise einen weiteren Wohnsitz in den USA begründet hat. Zudem ist im Streitfall die Frage der unbeschränkten Steuerpflicht des Klägers in Deutschland in den Jahren 2014 und 2015 nicht erheblich.
3. Die Kinder des Klägers teilten mit ihm auch während des Auslandaufenthaltes den Wohnsitz in München.
Nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG werden Kinder bei dem Kindergeldanspruch nicht berücksichtigt, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, haben, es sei denn, sie leben im Haushalt eines Berechtigten im Sinne des § 62 Absatz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Die Voraussetzungen letztgenannter Ausnahmeregelung liegen im Streitfall nicht vor. Entscheidend für den Kindergeldanspruch des Klägers kommt es daher darauf an, ob seine Töchter im streitbefangenen Zeitraum einen Wohnsitz im Inland, also in Deutschland hatten.
Minderjährige Kinder teilen grundsätzlich den Wohnsitz ihrer Eltern, weil sie über ihre Haushaltszugehörigkeit eine abgeleitete Nutzungsmöglichkeit besitzen und damit zugleich die elterliche Wohnung i.S. des § 8 AO innehaben (vgl. BFH-Urteil vom 7. April 2011 III R 77/09, BFH/NV 2011, 1351). Dies ist jedoch nicht zwingend der Fall, sondern hängt maßgeblich von den objektiven Umständen des Einzelfalls ab. Die Entscheidung, ob Kinder, die sich zeitweise außerhalb des bisher im Inland begründeten elterlichen Haushalts im Ausland aufhalten, ihren inländischen Wohnsitz (§ 8 AO) beibehalten oder aber zunächst aufgegeben haben und erst bei der späteren Rückkehr einen Wohnsitz im Inland wieder neu begründen, hängt nach der Rechtsprechung des BFH nicht allein von der Dauer des Auslandsaufenthalts, sondern von einer Vielzahl von Faktoren ab. So sind neben der voraussichtlichen Dauer der auswärtigen Unterbringung insbesondere auch das Alter des Kindes und der Zweck des Auslandsaufenthalts ausschlaggebend. Eine konkrete zeitliche Grenze i.S. eines „Maximalaufenthalts“ kann daher generell und abstrakt nicht festgelegt werden. Vielmehr ist unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falles im Wege der Tatsachenwürdigung zu beurteilen, ob im Einzelfall von einem beibehaltenen Wohnsitz im Inland auszugehen ist (vgl. BFH- Beschlüsse vom 22. November 2011 III B 154/11, BFH/NV 2012, 375 und vom 27.Dezember 2011 III B 24/10, BFH/NV 2012, 917, vgl. auch Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 30. April 2014 5 K 531/13, juris-web).
Im Streitfall hatten die Töchter des Klägers, die im Streitzeitraum vier und zwei Jahre alt waren, vor ihrer Abreise in die USA einen Wohnsitz in der elterlichen Wohnung im Inland. Diesen haben sich auch durch den Aufenthalt in den USA in der Zeit von Oktober 2014 bis Juli 2015 nicht aufgegeben. Aufgrund ihres Alters ist keine Trennung aus der elterlichen Obhut erfolgt. Der Aufenthalt in den USA war von Anfang an befristet, der gemeinsame Wohnsitz in München wurde nicht aufgegeben.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und des Vollstreckungsschutzes folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

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