Arbeitsrecht

Der Summenbeitragsbescheid in der Betriebsprüfung

Aktenzeichen  L 7 R 434/15

Datum:
9.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 112455
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV § 24 Abs. 1, § 25, § 28f Abs. 2
SGB X § 12
SchwarzArbG § 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

Bei dem Erlass eines Summenbescheids nach § 28f Abs. 2 S. 1 SGB IV handelt es sich um keine Ermessensentscheidung. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 2 R 564/12 2015-05-08 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 08.05.2015 teilweise aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 10.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2012 insoweit zurückgewiesen, als diese einen Nachforderungsbetrag in Höhe von 267.039,22 EUR, davon Säumniszuschläge in Höhe von 174.131,00 EUR, für den Zeitraum vom 01.12.1992 bis einschließlich 31.12.1996 betreffen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens 4/5, der Kläger 1/5. Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte 1/10 und der Kläger 9/10.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 283.163,93 EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Berufung ist zum Teil begründet.
Zu Unrecht hat das Sozialgericht Augsburg den streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten vom 10.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2012 für den Zeitraum vom 01.12.1992 bis 31.12.1996 aufgehoben, was die Nachforderung in Höhe von 267.039,22 Euro, davon 174.131,00 Euro an Säumniszuschlägen, anbetrifft. Insoweit sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig ergangen mit der Folge, dass die Klage hiergegen abzuweisen ist.
a) Zutreffend hat das SG angenommen, dass es sich bei dem angefochtenen und auch den Gegenstand des Rechtsstreits in der Berufung bildenden Bescheid der Beklagten vom 10.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2012 um einen Summenbescheid iS von § 28f Abs. 2 S. 1 SGB IV handelt.
Welchen Inhalt ein Verwaltungsakt hat, hat das erkennende Gericht mittels Auslegung des Bescheides zu beantworten (BSG Urteil vom 16.12.2015 – B 12 R 11/14 R Rz 16). Darauf, ob die Rechtsgrundlage des § 28f Abs. 2 S. 1 SGB IV im Bescheid genannt wird, kommt es nicht an (vgl. BSG, aaO). Demgemäß war eine Beiladung einzelner Arbeitnehmer auch nicht veranlasst (BSG, aaO).
b) Anders als das Sozialgericht meint, handelt es sich beim Erlass eines Summenbescheids jedoch um keine – dann insoweit gerichtlich nachprüfbare – Ermessensentscheidung.
Rechtsgrundlage des im Anschluss an eine Betriebsprüfung ergangenen Bescheides und der darin festgesetzten Beitragsnachforderung ist § 28p Abs. 1 S. 1 und S. 5 SGB IV.
Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre. Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte (verkörpert im sog Prüfbescheid) zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28h Abs. 2 SGB IV sowie § 93 iVm § 89 Abs. 5 SGB X nicht. Die Feststellung der Versicherungspflicht und Beitragshöhe im Prüfbescheid hat danach grundsätzlich personenbezogen zu erfolgen (vgl. zB BSGE 89, 158, 159 f = SozR 3-2400 § 28f Nr. 3 S. 4 ff mwN).
Als Ausnahme von diesem Grundsatz kann der prüfende Träger der Rentenversicherung nach § 28f Abs. 2 S. 1 SGB IV den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen (sog Summenbescheid), wenn ein Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden können. Dieser Verzicht auf die grundsätzlich erforderliche Personenbezogenheit der Feststellungen ist charakteristisch für den Summenbescheid; erfolgt allein eine Schätzung der Entgelte einzelner Arbeitnehmer (§ 28f Abs. 2 S. 3 und S. 4 SGB IV) bei fortbestehender personenbezogener Feststellung der Beitragshöhe, so liegt kein Summenbescheid iS des § 28f Abs. 2 S. 1 SGB IV vor.
Soweit § 28f Abs. 2 S. 1 SGB IV von „kann“ spricht, handelt es sich um kein Ermessens-Kann. Vielmehr bringt dieses „Kann“ lediglich ein rechtliches Dürfen zum Ausdruck (sog „Kompetenz-Kann“, vgl. etwa BSG, Urteil vom 09.03.2016 – B 14 AS 20/15 R, Rz. 25). Dies ergibt die Auslegung der Vorschrift, insbesondere im Lichte der Gesetzeshistorie, vgl. BSG, Urteil vom 07.02.2002 – B 12 KR 12/01 R -, BSGE 89, 158-167, SozR 3-2400 § 28f Nr. 3, SozR 3-2400 § 14 Nr. 22.
§ 28f Abs. 2 SGB IV regelte danach bei Inkrafttreten eine bis zum Zustandekommen dieser Vorschrift seit Jahrzehnten bestehende Zweifelsfrage, vgl. BSG, Urteil vom 07.02.2002 – B 12 KR 12/01 R.
Die Versicherungs- und Beitragspflicht ist in allen Versicherungszweigen personenbezogen ausgestaltet und hängt zum Teil von Arbeitsentgeltgrenzen ab. Damit entscheiden das Arbeitsentgelt und seine Höhe über das Bestehen von Versicherungsverhältnissen. Die Höhe des Arbeitsentgelts bestimmt in der Regel auch die Höhe der Beiträge. Danach richtet sich teilweise wiederum die Höhe späterer Leistungen, allerdings je nach Versicherungszweig und Art der Leistung in unterschiedlichem Umfang. Insgesamt dienen die Beiträge, die für die Beschäftigten zu entrichten sind, zur Finanzierung von Leistungen aus den einzelnen Versicherungszweigen.
Vor diesem Hintergrund stellte sich die Frage, wie zu verfahren ist, wenn Arbeitgeber ihre Aufzeichnungspflichten nicht erfüllt haben und deswegen die Versicherungs- und Beitragspflicht von Beschäftigten sowie die Beitragshöhe nicht ohne weiteres festgestellt werden können. Es kam in Betracht, entweder zur Sicherung der sozialen Rechte der Beschäftigten möglichst weitgehend an dem Erfordernis einer personenbezogenen Regelung festzuhalten oder unter deren Vernachlässigung der Sicherung des Beitragsaufkommens der Versicherungsträger den Vorrang einzuräumen.
Das weit gehende Festhalten an personenbezogenen Feststellungen konnte verhindern, dass die Verletzung von Aufzeichnungspflichten durch Arbeitgeber zu einer Beeinträchtigung des sozialen Schutzes ihrer Beschäftigten führte.
Andererseits ermöglichte es diesen Arbeitgebern, sich ihren Beitragspflichten zu entziehen und sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, wenn personenbezogene Feststellungen nicht möglich und eine pauschale Beitragsfestsetzung unzulässig war. Die Zulässigkeit einer solchen pauschalen Festsetzung schloss hingegen die genannten Vorteile bei Arbeitgebern aus, sicherte das Beitragsaufkommen der Versicherungsträger insgesamt und trug so zur Finanzierung ihrer Leistungen bei.
Das BSG hatte früher der personenbezogenen Feststellung einen weitgehenden Vorrang eingeräumt. Etwa mit Urteil vom 17.12.1985 (BSGE 59, 235 = SozR 2200 § 1399 Nr. 16) hatte das BSG in Fortführung früherer Rechtsprechung entschieden, dass die Versicherungs- und Beitragspflicht sowie die Beitragshöhe auch dann grundsätzlich personenbezogen festzustellen seien, wenn der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht verletzt hatte und die Aufklärung des Sachverhalts dadurch zwar erschwert, aber nicht unmöglich gemacht worden war. Das BSG hatte den Versicherungsträgern lediglich gewisse Beweiserleichterungen im Sinne des Erlasses von Summenbescheiden eingeräumt.
Erstmals mit Wirkung vom 01.01.1989 ist durch Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Einordnung der Vorschriften über die Meldepflichten des Arbeitgebers in das SGB IV vom 20.12.1988, BGBl I 2330, mit § 28f Abs. 2 SGB IV eine gesetzliche Regelung zu den Summenbescheiden getroffen worden. Sie galt zunächst für den Erlass solcher Bescheide durch die Krankenkassen als Einzugsstellen, die damals noch die Arbeitgeber prüften. In den Anforderungen an die Zulässigkeit von Summenbescheiden blieb § 28f Abs. 2 jedoch in den genannten Sätzen 1 bis 6 unverändert, als die Vorschrift auf die Pflegeversicherung ausgedehnt wurde (Art. 3 Nr. 8 des PflegeVG vom 26.05.1994, BGBl I 1014) und als an Stelle der Krankenkassen (Einzugsstellen) die Träger der Rentenversicherung für die Prüfung der Arbeitgeber zuständig wurden (§ 28f SGB IV idF des Art. 1 Nr. 1 Buchst a und § 28p SGB IV idF des Art. 1 Nr. 4 des 3. SGBÄndG vom 30.06.1995, BGBl I 890).
Zur Begründung für die erstmalige Zulassung von Summenbescheiden in § 28f Abs. 2 SGB IV ursprünglicher Fassung bezieht sich der Gesetzentwurf zwar auf die bis dahin ergangene Rechtsprechung des BSG (BT-Drucks 11/2221 S. 23 zu § 28f). Die Vorschrift enthält aber ungeachtet ihrer Anknüpfung an die frühere Rechtsprechung des BSG eine eigenständige Regelung zur Zulässigkeit von Summenbescheiden. Sie stellt nach Maßgabe ihres Satzes 1 bei nicht ordnungsgemäßer Erfüllung der Aufzeichnungspflicht durch den Arbeitgeber die Zulässigkeit von Summenbescheiden in den Vordergrund (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 07.02.2002 – B 12 KR 12/01 R).
Soweit mit einer Vorschrift ein Behördenhandeln lediglich zulässig gemacht und damit ermöglicht werden soll, handelt es sich um ein „Kompetenz-Kann“. Eine Ermessensausübung ist nicht erforderlich und wurde auch bei keiner der in der Folge zu § 28f Abs. 2 SGB IV ergangenen Entscheidungen des BSG jemals gefordert. Eine Ermessensüberprüfung – wie sie hier das Sozialgericht vorgenommen hat – ist daher nicht möglich und hat zu unterbleiben. Vielmehr sind lediglich die Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Summenbescheides zu überprüfen, wie sie das Gesetz vorsieht.
c) Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass eines Summenbescheides sind hier gegeben. Satz 2 des § 28f Abs. 2 SGB IV stand dem Erlass eines Summenbescheides nicht entgegen.
Im Hinblick auf die Zulässigkeit des Erlasses eines Summenbescheids ist zu prüfen, ob -wie es § 28f Abs. 2 Satz 2 SGB IV fordert -, nicht etwa doch ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand personenbezogene Feststellungen hätten getroffen werden können. Anders als die Klägerseite meint, hätten hier – zumindest für den im Berufungsverfahren nur noch streitgegenständlichen Zeitraum – personenbezogene Feststellungen – wenn überhaupt – nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand getroffen werden können. Prüfungsmaßstab ist im Falle einer personenbezogenen Entgeltschätzung vorrangig eine Abwägung zwischen dem im Einzelfall zu erwartenden Verwaltungsaufwand und den Interessen des Versicherten wie auch des Arbeitgebers an einer exakten Feststellung der Entgelte im Hinblick auf spätere Leistungsansprüche bzw. im Hinblick auf die Vermeidung überobligatorischer Beitragslasten. Allein der Umstand, dass bei einem Arbeitgeber Entgelte einer großen Anzahl von Arbeitnehmern zu ermitteln sind, begründet allerdings für sich genommen noch keinen unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand.
Hier hat der Kläger seine Aufzeichnungspflichtverletzungen schon dadurch eingeräumt, dass er sich darauf beruft, die Werber hätten als Selbständige gearbeitet, seien daher bei ihrer Zeiteinteilung frei gewesen und folglich deren Zeiten von ihm nicht erfasst worden. Was die Höhe des Entgelts betrifft, hat der Kläger ebenfalls gegen seine Aufzeichnungspflichten verstoßen, weil die Provisionsansprüche der einzelnen Werber nicht klar und nachvollziehbar nach Ablauf der Stornierungsfrist abgerechnet wurden. Im Übrigen hat der Kläger auch nicht dargelegt, die Vorgaben der Beitragsüberwachungsverordnung auch nur ansatzweise eingehalten zu haben. Für den im Berufungsverfahren streitgegenständlichen Zeitraum waren Feststellungen, die über den des Strafbefehls des Amtsgerichts D-Stadt vom 15.04.2004, Az.: …, hinausgegangen wären, nach den Ausführungen der Beklagten im Bescheid von 10.08.2011 schon zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr möglich. Eine nach den einzelnen Beschäftigten und ihren jeweiligen individuellen Vorteilen vorgenommene Beitragsberechnung schied aus. Selbst im Falle einer personenbezogenen Beitragsbemessung wäre ein Summenbescheid zulässig gewesen wegen der größeren Zahl der Betroffenen, deren Ermittlung und der Beitragsbemessung nach den jeweiligen Verhältnissen (Jahresarbeitsentgelt, Beitragsbemessungsgrenze, Beitragssatz) mit einem Aufwand verbunden gewesen, den die Beklagte als unverhältnismäßig ansehen durfte. Demgegenüber war kein besonderes Interesse der einzelnen Betroffenen an einer individuellen Feststellung erkennbar, nachdem es sich um eine Vielzahl Betroffener und damit um jeweils verhältnismäßig geringe Beträge, die auf den Einzelnen entfielen, gehandelt hat.
Die Beklagte konnte nach alledem, insbesondere weil die Entgelte zeit- und personenbezogen nicht erfasst waren, das entsprechende Arbeitsentgelt ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand einem bestimmten Beschäftigten nicht zuordnen. Sie hat deshalb schon im Betriebsprüfungsbescheid vom 10.08.2011 zur Begründung angeführt, dass eine personenbezogene Nachberechnung der Beiträge nur mit einem unverhältnismäßig hohen Arbeitsaufwand möglich sei. Hiergegen hat der Kläger im Widerspruchsverfahren nichts eingewandt. Im Widerspruchsbescheid vom 18.04.2012 hat die Beklagte daher auf die fehlende Stellungnahme des Klägers hingewiesen; die Beklagte konnte bei Abschluss des Widerspruchsverfahrens zu Recht von der Zulässigkeit eines Summenbescheides ausgehen.
Die Beklagte konnte über den Erlass eines Summenbescheides und damit über die Frage, ob eine personenbezogene Beitragserhebung unverhältnismäßig verwaltungsaufwendig war, ohnehin nur bis zum Abschluss des Vorverfahrens entscheiden (BSG, Urteil vom 07.02.2002 – B 12 KR 12/01 R -, BSGE 89, 158-167, SozR 3-2400 § 28f Nr. 3, SozR 3-2400 § 14 Nr. 22, Rz. 28) Bis dahin war der Summenbescheid von der Klägerin nicht beanstandet worden. Die Verhältnismäßigkeit des Summenbescheides kann zwar auch im gerichtlichen Verfahren überprüft werden. Dies ist zur Wahrung der sozialen Rechte der Beschäftigten selbst dann erforderlich, wenn der Betroffenen den Erlass eines Summenbescheides nicht rügt. Für eine – spätere – Beanstandung durch ein Gericht ist jedoch erforderlich, dass abgestellt wird allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Widerspruchsverfahrens (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 07.02.2002 – B 12 KR 12/01 R Rz. 28).
Soweit hier der Kläger mit seinem Vorbringen zur angeblichen Möglichkeit der Benennung einzelner Personen für den im Berufungsverfahren streitgegenständlichen Zeitraum erstmals im Prozess und mehrere Jahre nach der Betriebsprüfung und dem Abschluss des Verwaltungsverfahrens den Summenbescheid zu Fall bringen will, kann er deshalb damit keinen Erfolg haben (vgl BSG, Urteil vom 07.02.2002 – B 12 KR 12/01 R Rz. 28). Vielmehr müsste der Kläger, wenn er jetzt noch eine personenbezogene Beitragsbemessung anstrebt, dieses nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens zum Summenbescheid in einem Widerrufsverfahren § 28f SGB IV und damit in einem besonderen Verwaltungsverfahren geltend machen, wobei er nicht nur die Möglichkeit einer personenbezogenen Beitragsfestsetzung aufzeigen, sondern zugleich alle für die individuelle Beitragsfeststellung erforderlichen Angaben mitzuteilen hätte, BSG, Urteil vom 07.02.2002 – B 12 KR 12/01 R Rz. 28.
Nachdem die Voraussetzungen für den Erlass eines Summenbescheides, insbesondere auch im Hinblick auf das Unterlassen weiterer Feststellungen durch die Beklagte im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht, zwar voller gerichtlicher Überprüfung unterliegt, dabei jedoch auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides abzustellen ist (BSGE 89, 158, 162 f = SozR 3-2400 § 28f Nr. 3 S. 8), verletzt die Aktenvernichtung durch das Finanzamt den Kläger – wie von diesem behauptet – auch nicht in seinem Anspruch auf ein faires Verfahren (vgl. dazu etwa BVerfG Beschluss vom 06.04.1998, 1 BvR 2194/97, BFH Beschluss vom 05.02.2014, X B 138/13, BFH Beschluss vom 13.02.2014, X B 168-170/13).
Nach Abschluss des Vorverfahrens war es dem Kläger, nicht mehr möglich, den Summenbescheid dadurch zu Fall zu bringen, dass er nachträglich im gerichtlichen Verfahren die Möglichkeit personenbezogener Feststellungen nachgewiesen hätte. Ausschlaggebend war allein der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids. Zu diesem Zeitpunkt durfte die Beklagte aufgrund ihrer bis dahin vom Kläger nicht in Frage gestellten Feststellungen von der Zulässigkeit eines Summenbescheides ausgehen.
Zum anderen sind die für das Betriebsprüfungsverfahren relevanten Verwaltungsakten der Beklagten noch vorhanden, insbesondere der strafrechtliche und steuerrechtliche Ermittlungsbericht der Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes D-Stadt vom 29.07.2002. Hier kann zumindest anhand der Verwaltungsakten der Beklagten die Rechtmäßigkeit des Bescheides noch insofern beurteilt werden, als die Beklagte sich auf diese Unterlagen gestützt hat (zu abweichenden Fallgestaltungen vgl. BVerfG Beschluss vom 06.04.1998, 1 BvR 2194/97, BFH Beschluss vom 05.02.2014, X B 138/13, BFH Beschluss vom 13.02.2014, X B 168-170/13).
d) Der damit zulässigerweise erlassene Summenbescheid ist zum Teil rechtswidrig. Der Kläger war nicht Arbeitgeber der Werber, die den Vertrag mit Frau K abgeschlossen hatten, so dass die Berufung in Höhe des Betrages zurückzuweisen ist, der auf die für Frau K geführten Verträge entfällt, nämlich 16.124,71 Euro.
aa) Zwar ist die Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass die Werber abhängig beschäftigt waren. Dies ergibt die zutreffende Gesamtabwägung der Beklagten anhand aller relevanten Merkmale, die sich der Senat vollinhaltlich zu eigen macht. Die Werber waren keine selbständigen Handelsunternehmer auf „niedriger“ Stufe, wie der Kläger behauptet, sondern von ihm eingesetzte, in jeder Beziehung abhängige Personen, die sich nur innerhalb der vom Kläger eingeteilten Kolonnen nach dessen Vorgaben bewegen konnten.
bb) Allerdings hat die Beklagte die Arbeitgebereigenschaft des Klägers im Hinblick auf die von seiner jetzigen Ehefrau unter Vertrag genommenen und ihr zugeordneten Werber nicht überzeugend festgestellt mit der Folge, dass der Kläger für diese Werber keine Beiträge nachentrichten muss. Der Bescheid der Beklagten vom 10.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2012 war insoweit rechtswidrig und ist damit insoweit im Ergebnis zutreffend vom Sozialgericht aufgehoben worden.
Soweit die Beklagte im Hinblick auf die Arbeitgebereigenschaft des Klägers bezüglich der Werber, die bei dessen jetziger Ehefrau unter Vertrag waren und mit dieser abgerechnet wurden, auf das Strafurteil des Landgerichts C-Stadt Bezug nimmt, ist das unzureichend. Hier hätte es eigener Ermittlungen der Beklagten bedurft, um entsprechend dieser Feststellungen in den Strafverfahren eine Arbeitnehmereigenschaft des Klägers auch im Hinblick auf die Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen zu belegen. Dies ist unterblieben. Ebenso ist die für später nachgewiesene Gebietsaufteilung auch von der Beklagten in der Anlage zur Berufungsbegründungschrift schon für den im Berufungsverfahren streitgegenständlichen Zeitraum erkennbar vorhanden.
cc) Was die Berechnung der Nachforderung von Beiträgen bezüglich des Klägers in Höhe von 267.039,22 Euro, anbetrifft, ist diese auf der Grundlage des zulässigen Summenbescheides zutreffend erfolgt und die Berufung der Beklagten insoweit erfolgreich.
Die Beklagte durfte die Ermittlungsergebnisse des Hauptzollamtes und der Steuerbehörden ihrer Beitragsberechnung zugrunde legen (vgl etwa LSG NRW Beschluss vom 11.08.2016, L 8 R 1096/14 B ER). Wie die Beklagte zutreffend ausgeführt hat, enthalten die §§ 20, 21 SGB X entsprechende Regelungen für die Beweiserhebung im Verwaltungsverfahren, wonach sich eine Behörde zur Ermittlung des Sachverhalts der Beweismittel bedienen darf, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen für erforderlich hält. Dabei ist der Gesichtspunkt der Amtshilfe durch andere Behörden sowie Unterrichtungspflichten der Behörden der Zollverwaltung nach § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SchwarzArbG zu berücksichtigen. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Satz 3 SchwarzArbG konnte insoweit die Prüfung der Zollverwaltung mit der Prüfung der Beklagten zusammengeführt werden.
Die Beklagte hat im Bescheid für den streitgegenständlichen Zeitraum die Höhe der insgesamt festgesetzten Nachforderung nach den Feststellungen des Senats zutreffend ausgewiesen. Zutreffend hat die Beklagte die von der Steuerfahndung festgestellten Arbeitslöhne zuzüglich der von der Steuerfahndung ermittelten Steuern als Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Beiträge berücksichtigt, vgl. BSG Urteil vom 22.09.1988 – 12 RK 36/86. Die Beklagte berechnet dann in den Anlagen zum Bescheid die Beiträge nach Jahren und Gebietsuntergliederungen, wie sie dem Kläger von V vorgegeben waren, mit der Folge, dass im Ergebnis eine Aufteilung der Betragsnachforderungen der jetzigen Ehefrau des Klägers und den Gebietsnummern des Klägers erfolgte. Die jeweiligen Teilbeträge wurden dann zwar nicht weiter getrennt nach Versicherungszweigen einzelnen Arbeitnehmern und den für diese jeweils zuständigen Einzugsstellen zugeordnet (vgl. dazu BSG Urteil vom 16.12.2015 -B 12 R 11/14 R). Dies war jedoch nach Feststellungen der Beklagten bis zum Abschluss des Vorverfahrens – und damit im Prozess nicht mehr angreifbar – auch nicht möglich. Gleiches gilt für die erst im Prozess von Klägerseite behauptete, angebliche geringfügige Beschäftigung einzelner Werber.
Die Höhe der Nachforderung ist nach den Feststellungen des Senats zutreffend berechnet; insoweit wird Bezug genommen auf die Anlage zum Bescheid vom 02.10.2008 und die dort enthaltenen Berechnungen sowie die Anlage zur Berufungsbegründung der Beklagten vom 01.07.2015.
Die Nachforderung ist auch nicht verjährt, § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV; der Kläger hat vorsätzlich gehandelt. Aus den Umständen, unter denen die Werber eingesetzt wurden, musste ihm klar sein, dass diese keine selbständig Tätigen waren.
dd) Die Säumniszuschläge wurden zu Recht nach § 24 SGB IV in der von Beklagten errechneten Höhe erhoben. Der Kläger hat vorsätzlich gehandelt. Aus den Umständen, unter denen die Werber eingesetzt wurden, musste ihm klar sein, dass diese keine selbständig Tätigen waren.
Im Ergebnis hat die Berufung Erfolg iHv 267.039,22 Euro im Hinblick auf die Werber, die nicht für die Ehefrau des Klägers, sondern für den Kläger entsprechend den Gebietsnummern tätig waren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG und folgt den Erwägungen, dass im die Beklagte im Berufungsverfahren, in dem 283.163,93 Euro streitig waren, mit einem Teilbetrag von 267.039,22 Euro obsiegt hat, also etwa zu neun Zehntel. Bei einer Gesamtnachforderung von ursprünglich 1.528.044,61 Euro und einem Obsiegen des Klägers letztlich iHv 1.261.005,40 Euro führt dies zu einer Kostenquotelung in erster Instanz von etwa vier Fünftel zu Lasten der Beklagten.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren war gemäß § 197a Abs. 1 S. 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs. 2 S. 1, § 52 Abs. 1 und 3, § 47 Abs. 1 GKG in Höhe des Betrags der im Berufungsverfahren noch streitigen Nachforderung festzusetzen (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2015 – B 12 R 11/14 R -, BSGE 120, 209-230, SozR 4-2400 § 28p Nr. 6, Rz. 77). Anders als der Kläger meint, ist der Streitwert nicht in Höhe des erstinstanzlichen Streitwertes anzusetzen. Die Berufung wurde von der Beklagten zulässigerweise auf einen Teilbetrag in Höhe von 283.163,93 EUR beschränkt, der damit auch die wirtschaftliche Bedeutung des Berufungsverfahrens widerspiegelt. Darauf, inwieweit rechtliche Überlegungen den gesamten erstinstanzlichen Streitgegenstand betreffen und ggf auch für das Berufungsverfahren relevant sind, kommt es nicht an. Ohnehin hat die Beklagte in ihrem Bescheid nach Zeiträumen getrennt und damit auch abtrennbare Streitgegenstände geschaffen.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Befristeter Arbeitsvertrag – Regelungen und Ansprüche

Dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit einem befristeten Vertrag eingestellt werden, ist längst keine Seltenheit mehr. Häufig taucht der Arbeitsvertrag auf Zeit bei jungen Mitarbeitenden auf. Über die wichtigsten Regelungen und Ansprüche informieren wir Sie.
Mehr lesen