Aktenzeichen 6 AZR 719/09
§ 612 Abs 2 BGB
§ 307 Abs 1 S 1 BGB
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Potsdam, 30. Mai 2008, Az: 5 Ca 190/08, Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg, 11. Juni 2009, Az: 26 Sa 2299/08, Urteil
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. Juni 2009 – 26 Sa 2299/08 – wird hinsichtlich des Zeitraums September 2006 bis einschließlich Februar 2007 verworfen und im Übrigen zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten darüber, ob auf ihr Arbeitsverhältnis die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR-DW-EKD) nach Maßgabe der von der Arbeitsrechtlichen Kommission des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz beschlossenen Arbeitsrechtsregelung (AVR-DWBO) auf ihr Arbeitsverhältnis Anwendung finden.
2
Die Beklagte erbringt Leistungen zur beruflichen Rehabilitation junger Menschen mit Behinderungen. Sie ist Mitglied des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (DWBO) e. V. In der Satzung dieses Vereins heißt es ua.:
„§ 2
Zuordnung zur Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, den Freikirchen und zum Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland
…
§ 7
Rechte und Pflichten der Mitglieder gegenüber dem Diakonischen Werk
…
(4)
Die Mitglieder sind verpflichtet,
…
6.
das Arbeitsrecht eines gliedkirchlichen Diakonischen Werkes oder des DW EKD oder einer der beteiligten Kirchen zu übernehmen. Der Diakonische Rat kann von dieser Verpflichtung Ausnahmen zulassen und außerdem Arbeitsvertragsrichtlinien bzw. Tarifverträge dem Arbeitsrecht der Diakonie zuordnen. …
…
§ 9
Organe
Organe des Diakonischen Werkes sind
…
2.
der Diakonische Rat,
…“
3
Die Klägerin ist Heilerziehungspflegerin. Sie war ab dem 13. September 2004 aufgrund eines bis zum 31. August 2005 befristeten Arbeitsvertrags vom 9. September 2004 bei der Beklagten beschäftigt. Nach diesem am 15. Juni 2005 bis zum 31. August 2006 verlängerten Arbeitsvertrag richtete sich das Arbeitsverhältnis hinsichtlich der Vergütung nach der AVR-DWBO und im Übrigen nach den AVR-DW-EKD. Seit dem 1. September 2006 ist die Klägerin aufgrund eines unbefristeten Arbeitsvertrags vom 31. August 2006 bei der Beklagten tätig. § 2 dieses Vertrags regelt ua.:
„§ 2 Arbeitsordnung
Auf das Arbeitsverhältnis findet die Arbeitsordnung der B gGmbH (AO-BBW) in der jeweils geltenden Fassung Anwendung, sofern in diesem Dienstvertrag nichts anderes vereinbart wurde. …“
4
Die Mitarbeitervertretung der Beklagten verweigerte ihre Zustimmung sowohl zur unbefristeten Einstellung als auch zur Eingruppierung der Klägerin nach der AO-BBW. In einem Schreiben vom 1. November 2006 teilte die Beklagte der Klägerin ua. mit, dass der Widerspruch der Mitarbeitervertretung gegen ihre Einstellung und Eingruppierung am 24. Oktober 2006 vor der Schieds- und Schlichtungsstelle des DWBO verhandelt worden ist, der geschlossene Dienstvertrag Gültigkeit behält, allerdings bis zur Zustimmung der Mitarbeitervertretung oder einer entsprechenden Zustimmungsersetzung durch die Schiedsstelle rückwirkend ab dem 1. September 2006 die AVR-DWBO auf das Dienstverhältnis anzuwenden ist. Mit Beschluss vom 19. Januar 2007 entschied die Schieds- und Schlichtungsstelle, dass die Mitarbeitervertretung keinen Grund hatte, die Zustimmung zur Einstellung und Eingruppierung der Klägerin zu verweigern. Darüber informierte die Beklagte die Klägerin in einem Schreiben vom 26. Januar 2007 und teilte der Klägerin zugleich mit, dass sich das Arbeitsverhältnis ab dem 1. Februar 2007 nach der Ersetzung der Zustimmung der Mitarbeitervertretung hinsichtlich der Vergütung und der Arbeitszeit nach der AO-BBW richtet.
5
Mit einem Schreiben vom 16. November 2007 beantragte die Beklagte gemäß § 7 Abs. 4 Nr. 6 Satz 2 der Satzung des DWBO beim Diakonischen Rat die Genehmigung, statt der AVR-DWBO die AO-BBW anzuwenden. Am 10. Dezember 2007 beschloss der Diakonische Rat, dem Antrag der Beklagten vom 16. November 2007 zu entsprechen. Mit einem Beschluss vom 23. Februar 2010 (- II-0124/R18-09 -) wies der Zweite Senat für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten des Kirchengerichtshofs der Evangelischen Kirche in Deutschland in einem mitarbeitervertretungsrechtlichen Beschwerdeverfahren ua. den Antrag der Mitarbeitervertretung zurück, der Beklagten die Anwendung der AO-BBW zu untersagen.
6
Die Klägerin hat gemeint, die Beklagte habe die AVR-DWBO bzw. die AVR-DW-EKD auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden. Die der Beklagten vom Diakonischen Rat erteilte Ausnahmegenehmigung sei nicht wirksam, weil die Arbeitsrechtliche Kommission im Genehmigungsverfahren nicht ordnungsgemäß beteiligt worden sei. Die staatlichen Gerichte seien nicht an die Entscheidung des Kirchengerichtshofs gebunden. Im Arbeitsvertrag vom 31. August 2006 sei zwar die Anwendung der AO-BBW vereinbart worden, diese Vereinbarung sei jedoch durch die konkludent getroffene Abrede ersetzt worden, dass sich das Arbeitsverhältnis nach der AVR-DWBO bzw. den AVR-DW-EKD bestimmt. Eine arbeitsvertragliche Verweisung auf die AO-BBW in der jeweils geltenden Fassung wäre wegen Verstoßes gegen § 308 Abs. 1 Nr. 4 BGB und § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Aufgrund der Unwirksamkeit der Verweisungsklausel fänden die AVR-DWBO bzw. die AVR-DW-EKD auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Bei ca. 70 % der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beklagten richte sich die Vergütung nach der AVR-DWBO. Selbst wenn die AVR-DWBO nicht als Taxe iSd. § 612 Abs. 2 BGB anzusehen sei, stelle die in ihr geregelte Vergütung doch die übliche Vergütung dar. Vor dem Hintergrund der Rechtsfigur der ergänzenden Vertragsauslegung könne für die übrigen Arbeitsbedingungen nichts anderes gelten. Angesichts der seit vielen Jahren üblichen Anwendung der AVR-DWBO bei der Beklagten hätten die Parteien in Kenntnis der Unwirksamkeit der Verweisung auf die AO-BBW nicht nur gesetzliche Mindeststandards, sondern die AVR-DWBO vereinbart.
7
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass auf ihr Arbeitsverhältnis mit Wirkung seit dem 31. August 2006 nicht die Arbeitsordnung B gGmbH, sondern im Hinblick auf die Vergütungsregelungen die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz in ihrer jeweils geltenden Fassung und auf die übrigen Arbeitsbedingungen die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland in der jeweils geltenden Fassung Anwendung finden,
hilfsweise
festzustellen, dass auf ihr Arbeitsverhältnis mit Wirkung seit dem 1. Februar 2007 nicht die Arbeitsordnung B gGmbH, sondern die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz in der jeweils geltenden Fassung Anwendung finden.
8
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Ansicht vertreten, die AO-BBW sei im Arbeitsvertrag vom 31. August 2006 wirksam in Bezug genommen worden.
9
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.