Arbeitsrecht

Eingruppierung – Bestimmung von Arbeitsvorgängen

Aktenzeichen  4 AZR 196/20

Datum:
9.9.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2020:090920.U.4AZR196.20.0
Normen:
§ 12 TV-L
§ 13 TV-L
Anl A Abschn II Nr 12.1 Entgeltgr 9a Fallgr 2 TV-L
§ 29a Abs 1 S 1 TVÜ-L
Spruchkörper:
4. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Berlin, 8. Mai 2019, Az: 56 Ca 15355/18, Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg, 12. Februar 2020, Az: 15 Sa 1261/19, Urteil

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. Februar 2020 – 15 Sa 1261/19 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. Mai 2019 – 56 Ca 15355/18 – abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, die Klägerin vom 1. Februar 2018 bis zum 31. Dezember 2018 nach der Entgeltgruppe 9 TV-L und seit dem 1. Januar 2019 nach der Entgeltgruppe 9a TV-L zu vergüten und die jeweiligen Bruttonachzahlungsbeträge ab dem Ersten des jeweiligen Folgemonats mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
3. Das beklagte Land hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin.
2
Die Klägerin ist ausgebildete Justizangestellte. Sie ist seit dem 29. August 1991 bei dem beklagten Land beschäftigt, zunächst als Maschinenschreiberin und anschließend als Protokollführerin. Nachdem sie von Januar bis Dezember 2011 an fachtheoretischen Schulungen teilgenommen hatte, um den Wissensstand einer ausgebildeten Justizfachangestellten zu erlangen, und nach einer berufspraktischen Unterweisung an einem Arbeitsplatz einer Beschäftigten in einer Serviceeinheit von Januar 2011 bis März 2013 wurde ihr bescheinigt, dass sie über Fähigkeiten verfüge, die denen einer nach der Verordnung vom 26. Januar 1998 über die Berufsausbildung zum/zur Justizfachangestellten geprüften Angestellten gleichwertig sind.
3
Nach § 1 des zuletzt zwischen den Parteien geschlossenen Änderungsvertrags vom 3. Mai 2012 ist für das Arbeitsverhältnis der vom Land Berlin mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft – ver.di geschlossene Tarifvertrag zur Angleichung des Tarifrechts des Landes Berlin an das Tarifrecht der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (Angleichungs-TV Land Berlin) vom 14. Oktober 2010 in der jeweiligen Fassung maßgebend, solange das Land Berlin hieran gebunden ist, sowie ergänzend Tarifverträge, die das Land Berlin nach dem 1. November 2010 schließt oder denen es im Falle eines Eintritts in einen Arbeitgeberverband dann unterworfen ist.
4
Seit April 2013 wird die Klägerin als Angestellte in einer Serviceeinheit im Sachgebiet Verkehrsstrafsachen (einschließlich Bußgeldverfahren und Erzwingungshaftsachen) eingesetzt. Die diesbezügliche BAK vom 26. Mai 2010 hat ua. folgenden Inhalt:
        
„Lfd. Nr.
a)    
Arbeitsvorgang
Prozentualer Anteil an der monatlichen Arbeitszeit
        
        
        
gem. Protokollnotiz zu § 22 Abs. 2 BAT mit Angabe des Arbeitsergebnisses (gleiche Arbeitsvorgänge, die gleiche Anforderungen stellen, sind zusammenzufassen)
        
        
b)    
hierfür benötigte Fachkenntnisse und Fähigkeiten
        
1       
a)    
Geschäftsstellentätigkeit: Postbearbeitung, Schriftgutverwaltung, Aussonderungsarbeiten, Datenpflege
42,49 %
        
        
b)    
gründliche Kenntnisse der Aktenordnung (AktO), der Geschäftsordnungsvorschriften (GOV), der Aufbewahrungsbestimmungen (Aufbew.best.), der einschlägigen Verwaltungsvorschriften (GGO I), der Geschäftsanweisung für die Strafabteilungen des Amtsgerichts Tiergarten (GAnwStraf) in der jeweils geltenden Fassung, der Strafprozessordnung (StPO), der Strafverfolgungsstatistik und der Bodenregistraturverfügung
        
        
2       
a)    
Selbständige Fertigung von Inhaltsprotokollen
6,94 %
        
        
b)    
gründliche Kenntnisse der Richtlinien für die Fertigung des Schreibwerks bei den Gerichten und der KEJ in der jeweils geltenden Fassung, gründliche Kenntnisse moderner Informationstechniken, sorgfältige Arbeitsweise, 2. Buch 6. Abschnitt StPO
        
        
3       
a)    
kanzleimäßige Erledigung der Verfügungen der jeweiligen Sachbearbeiter, Mitteilungen an andere Behörden, selbständige Fertigung von Maschinenprotokollen
24,87 %
        
        
b)    
gründliche Kenntnisse der Richtlinien für die Fertigung des Schreibwerks bei den Gerichten und der KEJ in der jeweils geltenden Fassung, gründliche Kenntnisse moderner Informationstechniken, sorgfältige Arbeitsweise, gründliche Kenntnisse der GAnwStraf in der jeweils geltenden Fassung und der Anordnung über die Mitteilungen in Strafsachen (MiStra), Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) 2. Teil 2. Abschnitt
        
        
4       
a)    
Anordnung von Ladungen und Zustellungen, öffentliche Zustellungen
7,42 %
        
        
b)    
gründliche Kenntnisse der GAnwZP, des Zustellungsreformgesetzes (ZustRG), der StPO 1. Buch, 4. – 6. Abschnitt, 2. Buch 5. Abschnitt, der Strafvollstreckungsordnung (StVollstrO) 1. Abschnitt
        
        
5       
a)    
Erteilen vollstreckbarer Ausfertigungen und von Teilrechtskraft- und Rechtskraftattesten
4,20 %
        
        
b)    
gründliche Kenntnisse der GanwStraf in der jeweils geltenden Fassung, des Rechtspflegergesetzes (RpflG) § 22, der Strafvollstreckungsordnung 1. Abschnitt
        
        
6       
a)    
Aufgaben der Kostenbeamten
5,69 %
        
        
b)    
gründliche Kenntnisse der GAnwStraf in der jeweils geltenden Fassung, des Gerichtskostengesetzes (GKG), des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes (JVEG) 1. Abschnitt sowie der Durchführungsvorschriften zu den Kostengesetzen (KostVfg., DB-PKHG), der StPO 7. Buch 2. Abschnitt
        
        
7       
a)    
Aufgaben der Zählkartenanordnung
3,63 %
        
        
b)    
gründliche Kenntnisse der GanwStraf in der jeweils geltenden Fassung, und der Anordnung über die Erhebung von statistischen Daten in Straf- und Bußgeldverfahren (StP/OWi-Statistik) in der jeweils geltenden Fassung
        
        
8       
a)    
Beantwortung von Sachstandsanfragen und Auskunftsersuchen formeller Art
1,24 %
        
        
b)    
gründliche Kenntnisse der Richtlinien für die Fertigung des Schreibwerks bei den Gerichten und der KEJ in der jeweils geltenden Fassung, der StPO 8. Buch und des OWiG 2. Teil 2. Abschnitt
        
        
9       
a)    
unterschriftsreife Vorbereitung von Verfügungen, Urteilen und Beschlüssen für den jeweiligen Sachbearbeiter
1,62 %
        
        
b)    
gründliche Kenntnisse der Richtlinien für die Fertigung des Schreibwerks bei den Gerichten und der KEJ in der jeweils geltenden Fassung, der StPO und des OWiG
        
        
10    
a)    
Mitteilungen an das Bundeszentralregister, Gewerbezentralregister und das Kraftfahrtbundesamt
0,38 %
        
        
b)    
gründliche Kenntnisse der Richtlinien für die Fertigung des Schreibwerks bei den Gerichten und der KEJ in der jeweils geltenden Fassung, gründliche Kenntnisse der GAnwStraf in der jeweils geltenden Fassung und der Anordnung über die Mitteilungen in Strafsachen (MiStra)
        
        
11    
a)    
Mitwirkung bei der Überwachung von Auflagen und Weisungen nach § 153 a Abs. 1 StPO und dem JGG sowie nach § 453 b StPO und der Gnadenordnung sowie die Überwachung von Zahlungen bei der Vollstreckung von Geldstrafen
0,99 %
        
        
b)    
gründliche Kenntnisse der Strafvollstreckungsordnung (StVollstrO) 1., 6. – 7. Abschnitt, der Allgemeinen Verfügung über das Verfahren in Gnadensachen (Gnadenordnung – GnO) in der jeweils geltenden Fassung, der Anordnung über die Mitteilungen in Strafsachen (MiStra) und des OWiG 1. Teil 3., 5. Abschnitt“
        
5
Diese Tätigkeiten übt die Klägerin tatsächlich aus. Sie sind ihr durch das beklagte Land als einheitliche Aufgabe zugewiesen. Das beklagte Land vergütet die Klägerin nach Entgeltgruppe 6 TV-L.
6
Nach erfolgloser Geltendmachung mit einem im August 2018 bei dem beklagten Land eingegangenen Schreiben hat die Klägerin mit ihrer Klage die Auffassung vertreten, seit dem 1. Februar 2018 Anspruch auf eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 9 TV-L zu haben. Ihre gesamte Tätigkeit diene, da es sich um eine nach dem Tarifvertrag vorgegebene einheitliche Funktion handele, einem Arbeitsergebnis, und zwar der Aktenführung und -betreuung sowie der Verwaltung einer Geschäftsstelle. Die Tätigkeiten seien ihr im Interesse einer zügigen Bearbeitung einheitlich übertragen worden, stünden in einem inneren Zusammenhang und seien sinnvoll nicht trennbar. Daher sei von einem einzigen Arbeitsvorgang auszugehen. Innerhalb dessen übe sie in rechtlich erheblichem Ausmaß schwierige Tätigkeiten aus, was zur Erfüllung des Tätigkeitsmerkmals der Entgeltgruppe 9 TV-L „Beschäftigte in Serviceeinheiten bei Gerichten oder Staatsanwaltschaften, deren Tätigkeit sich dadurch aus der Entgeltgruppe 6 Fallgruppe 2 heraushebt, dass sie schwierig ist“ ausreichend sei. Eine Aufspaltung zwischen schwierigen und nicht schwierigen Tätigkeiten innerhalb des Arbeitsvorgangs sehe der Tarifvertrag nicht vor.
7
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
        
festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, sie vom 1. Februar 2018 bis zum 31. Dezember 2018 nach der Entgeltgruppe 9 und seit dem 1. Januar 2019 nach der Entgeltgruppe 9a der Entgeltordnung zum Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) zu vergüten und die jeweiligen Bruttonachzahlungsbeträge ab dem Ersten des jeweiligen Folgemonats mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
8
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Tarifvertragsparteien hätten durch die Festlegung einzelner Tätigkeiten als „schwierig“ in den Protokollerklärungen zu den besonderen Tätigkeitsmerkmalen für Beschäftigte bei Gerichten und Staatsanwaltschaften vorgegeben, dass es sich bei schwierigen und nicht schwierigen Tätigkeiten um unterschiedliche Arbeitsvorgänge im Tarifsinn handeln solle. Arbeitsvorgänge mit schwierigen Tätigkeiten würden daher zu 100 vH aus solchen bestehen. Damit sei entscheidend, ob die Klägerin zu einem Fünftel, einem Drittel oder mit mindestens der Hälfte ihrer Gesamtarbeitszeit schwierige Tätigkeiten auszuüben habe. Die Tarifvertragsparteien seien bei Einführung der Tätigkeitsmerkmale für Beschäftigte in Serviceeinheiten und der Entgeltordnung zum TV-L aufgrund der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon ausgegangen, Tätigkeiten unterschiedlicher tariflicher Wertigkeit könnten nicht in einem Arbeitsvorgang zusammengefasst werden. Es habe ihrem Willen entsprochen, Beschäftigte in Serviceeinheiten je nach dem Anteil der von ihnen auszuübenden schwierigen Tätigkeiten einzugruppieren. Eine Auslegung, die diesen Willen missachte, stelle einen Eingriff in die Tarifautonomie dar und sei daher verfassungswidrig. Aus Nr. 1 der Protokollerklärungen zu § 12 Abs. 1 TV-L ergebe sich zudem, dass die Tarifvertragsparteien von kleinteiligen Arbeitsvorgängen ausgegangen seien. Zumindest sei es bei einheitlichen, die gesamte Tätigkeit einer Beschäftigten erfassenden Arbeitsvorgängen geboten, eine höhere Eingruppierung nur dann anzunehmen, wenn innerhalb dieses Arbeitsvorgangs zu einem Fünftel, einem Drittel oder mindestens der Hälfte der Arbeitszeit schwierige Tätigkeiten zu erbringen seien.
9
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

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