Aktenzeichen 10 AZR 138/19
Art 2 Abs 1 GG
Art 20 Abs 3 GG
Art 9 Abs 3 GG
§ 195 BGB
§ 199 BGB
§ 202 BGB
§ 204 Abs 1 Nr 3 BGB
§ 271 BGB
§ 7 Abs 1 SokaSiG
§ 7 Abs 6 SokaSiG
§ 10 Abs 1 SokaSiG
Anl 26 SokaSiG
Anl 31 SokaSiG
Anl 37 Abs 4 Nr 1 SokaSiG
§ 5 Abs 4 TVG
§ 1 Abs 2 Abschn IV Nr 2 VTV-Bau
§ 1 Abs 2 Abschn VII Nr 6 VTV-Bau
VTV-Bau vom 24.11.2015
VTV-Bau vom 10.12.2014
VTV-Bau vom 03.12.2013
VTV-Bau vom 03.05.2013
VTV-Bau vom 17.12.2012
VTV-Bau vom 21.12.2011
Leitsatz
1. Eisenschutzarbeiten, die industriell versehen werden, unterfallen auch dann dem betrieblichen Geltungsbereich der Tarifverträge über das
Sozialkassenverfahren im Baugewerbe, wenn sie nicht an einem Bauwerk ausgeführt werden.
2. Werden Nebenarbeiten in einem engen organisatorischen Zusammenhang mit baugewerblichen Hauptleistungen unter einer einheitlichen Leitung erbracht, können sie den Haupttätigkeiten zugeordnet werden. Der betriebliche Geltungsbereich der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe kann in diesem Fall eröffnet sein. Das ist bei der Arbeitnehmerüberlassung nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz regelmäßig anzunehmen.
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Wiesbaden, 9. Februar 2018, Az: 8 Ca 72/17, Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht, 5. März 2019, Az: 12 Sa 525/18 SK, Urteil
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 5. März 2019 – 12 Sa 525/18 SK – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft.
2
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er ist tarifvertraglich zum Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft verpflichtet. Der Kläger nimmt die Beklagte auf der Grundlage verschiedener Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) auf Beiträge für mindestens 45 beschäftigte gewerbliche Arbeitnehmer in Anspruch. Er verlangt Beiträge iHv. insgesamt 2.000.880,00 Euro für die Zeit von Januar 2012 bis Juli 2017. Der Kläger stützt seine Ansprüche für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2012 auf den VTV vom 18. Dezember 2009 idF vom 21. Dezember 2011 (VTV 2011), für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2013 auf den VTV vom 18. Dezember 2009 idF vom 17. Dezember 2012 (VTV 2012), für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2013 auf den VTV vom 3. Mai 2013 (VTV 2013 I), für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2014 auf den VTV vom 3. Mai 2013 idF vom 3. Dezember 2013 (VTV 2013 II), für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2015 auf den VTV vom 3. Mai 2013 idF vom 10. Dezember 2014 (VTV 2014) und für die Zeit vom 1. Januar 2016 bis 31. Juli 2017 auf den VTV vom 3. Mai 2013 idF vom 24. November 2015 (VTV 2015). Für die erhobenen Beitragsansprüche zieht der Kläger die vom Statistischen Bundesamt ermittelten Durchschnittslöhne heran.
3
Die im Klagezeitraum geltenden Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes wurden für allgemeinverbindlich erklärt. Der Senat hat entschieden, dass die Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV 2011, des VTV 2012, des VTV 2013 I und des VTV 2013 II unwirksam sind (BAG 25. Januar 2017 – 10 ABR 43/15 -, nachgehend BVerfG 10. Januar 2020 – 1 BvR 1104/17 -; BAG 25. Januar 2017 – 10 ABR 34/15 -, nachgehend BVerfG 10. Januar 2020 – 1 BvR 1459/17 -; BAG 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 – BAGE 156, 289, nachgehend BVerfG 10. Januar 2020 – 1 BvR 593/17 -). Die Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV 2014 vom 6. Juli 2015 (AVE VTV 2015) und des VTV 2015 vom 4. Mai 2016 (AVE VTV 2016) hat der Senat für wirksam befunden (BAG 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – BAGE 162, 166; 20. November 2018 – 10 ABR 12/18 -).
4
Die nicht originär tarifgebundene Beklagte unterhält in Bremerhaven einen Gewerbebetrieb. In ihm wurden im Streitzeitraum bezogen auf die betriebliche Gesamtarbeitszeit zu weniger als 50 % Korrosionsschutzarbeiten an Spundwänden und Schleusenstoren sowie zu mehr als 50 % Korrosionsschutzarbeiten an und auf Schiffen und Pontons versehen.
5
Der Kläger hat, soweit für die Revision von Interesse, behauptet, die im Betrieb der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer hätten in den Kalenderjahren 2012 bis 2017 jeweils zu mehr als 50 % ihrer persönlichen Arbeitszeit, die zusammen mehr als 50 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit in diesen Kalenderjahren ausgemacht habe, industriell ausgeführte Bauten- und Eisenschutzarbeiten verrichtet. Dazu gehörten Korrosionsschutzarbeiten an und auf Schiffen ebenso wie das Hochdruckreinigen, Schleifen und Konservieren von Pontons. Die Arbeitnehmer der Beklagten hätten ferner die Tätigkeit des sog. Muschelkratzens ausgeführt. Außerdem hätten sie Beschichtungsarbeiten, Korrosionsschutzarbeiten an Spundwänden und Schleusentoren versehen. Die gewerblichen Arbeitnehmer der Beklagten hätten keine reinen Hilfs- und Helfertätigkeiten für Drittunternehmen erbracht.
6
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte unterfalle dem betrieblichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes nach deren § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 2. Die dort genannten Eisenschutzarbeiten seien auch dann baugewerblich, wenn sie an und auf Schiffen ausgeführt würden. Bloße Hilfstätigkeiten für andere Unternehmen seien von den Verfahrenstarifverträgen erfasst. Die Ansprüche seien nicht verjährt. An die Verfahrenstarifverträge sei die Beklagte aufgrund des SokaSiG gebunden, das verfassungsgemäß sei.
7
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.000.880,00 Euro zu zahlen.
8
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, sie überlasse ihre Arbeitnehmer anderen Fachunternehmen. Ihr Betriebszweck bestehe darin, dass ihre gewerblichen Arbeitnehmer grundsätzlich nur anderen Unternehmen Hilfe leisteten. Sie führten zB Reinigungsarbeiten aus oder unterstützten die Fachunternehmen bei ihren Schleif- oder Korrosionsschutzarbeiten.
9
Die Beklagte hat gemeint, der betriebliche Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes sei nicht eröffnet. Tätigkeiten an und auf Schiffen unterfielen nicht § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 2 der Verfahrenstarifverträge. Der von diesen Tarifverträgen vorausgesetzte Bezug zu einem Bauwerk fehle. Selbst wenn Arbeiten an und auf Schiffen erfasst seien, bestehe keine Beitragspflicht. Die von ihren gewerblichen Arbeitnehmern verrichteten Tätigkeiten für andere Unternehmen hätten nicht im Zusammenhang mit eigenen baugewerblichen Tätigkeiten der Beklagten gestanden. Die Ansprüche für den Zeitraum von Januar bis November 2012 seien verjährt. Unabhängig davon bestehe keine Rechtsgrundlage, weil das SokaSiG verfassungswidrig sei.
10
Der Kläger hat die Ansprüche mit fünf Mahnanträgen geltend gemacht. Der die Ansprüche des Jahres 2012 betreffende Mahnantrag ist am 28. Dezember 2016 beim Arbeitsgericht eingereicht worden. Der Mahnbescheid ist der Beklagten am 20. Januar 2017 zugestellt worden (- 8 Ba 2880/16 -). Das Arbeitsgericht hat die Klage nach Verbindung der Verfahren abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Der betriebliche Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes sei nicht eröffnet, weil die Arbeiten überwiegend an und auf Schiffen sowie Pontons und damit nicht an einem Bauwerk ausgeführt worden seien. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter.
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