Aktenzeichen W 1 K 19.792
BayBeamtVG Art. 52, Art. 62
Leitsatz
Tenor
I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Landesamtes für Finanzen vom 5. Juni 2019 verpflichtet, über den Antrag des Klägers vom 28. Dezember 2018, die Erfüllung des mit Versäumnisurteil des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 4. Juni 2018 rechtskräftig festgestellten Anspruchs des Klägers auf Schmerzensgeld in Höhe von 4.000,00 EUR zu übernehmen, erneut unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens hat der Beklagte 4/5 und der Kläger 1/5 zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostengläubiger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostenschuldner vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist im Sinne eines Bescheidungsurteils begründet, da der Kläger einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag auf Erfüllungsübernahme durch den Beklagten hat. Die Ablehnung des Antrags ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§§ 113 Abs. 5 Satz 2, 114 VwGO).
Nach Art. 97 Abs. 1 BayBG kann der Dienstherr die Erfüllung eines rechtskräftig festgestellten Anspruchs auf Schmerzensgeld übernehmen, welcher daraus resultiert, dass ein Beamter in Ausübung des Dienstes oder außerhalb dessen wegen seiner Eigenschaft als Beamter einen tätlichen rechtswidrigen Angriff erleidet. Der Dienstherr kann den Anspruch bis zur Höhe des festgestellten Schmerzensgeldbetrages übernehmen, soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig ist. Eine solche liegt nach Art. 97 Abs. 2 BayBG insbesondere vor, wenn die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500,00 EUR erfolglos geblieben ist. Die Übernahme der Erfüllung ist innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach Rechtskraft des Urteils schriftlich unter Nachweis der Vollstreckungsversuche zu beantragen (Art. 97 Abs. 3 BayBG).
Die Voraussetzungen zur Erfüllungsübernahme nach Art. 97 BayBG liegen grundsätzlich vor.
Der Kläger hat bei der Festnahme des Schädigers durch die Gegenwehr des Schädigers in Ausübung seines Dienstes einen tätlichen rechtswidrigen Angriff erlitten.
Aufgrund des rechtskräftigen Versäumnisurteils des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 4. Juni 2018 verfügt der Kläger über einen rechtskräftig festgestellten Anspruch auf Schmerzensgeld gegen einen Dritten, seinen Schädiger M.S.
Soweit der Beklagte die Auffassung vertritt, Versäumnisurteile könnten nur dann einen rechtskräftig festgestellten Anspruch im Sinne des Art. 97 BayBG ergeben, sofern die Höhe des dort festgestellten Schmerzensgeldes angemessen ist, so kann dieser Einwand nicht durchgreifen. Ein Versäumnisurteil stellt einen Anspruch rechtskräftig fest im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG und ist insbesondere nicht mit Vergleichen gemäß Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BG gleichzusetzen. Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG unterscheidet seinem Wortlaut nach nicht, auf welche Weise die rechtskräftige Feststellung des Anspruchs zustande gekommen ist. Ein Versäumnisurteil erwächst ebenso wie ein Endurteil in formelle und materielle Rechtskraft, sodass dieses auch einen rechtskräftig festgestellten Anspruch im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG begründen kann. Im Übrigen hat der Kläger vor dem Zivilgericht keine Einflussmöglichkeiten auf das Prozessverhalten des Beklagten, sodass dieser es nicht in der Hand hat, ob nunmehr ein Versäumnisurteil oder ein Endurteil ergeht. Dies kann dem Kläger jedoch nicht zum Nachteil gereichen. Zudem ist dem eindeutigen Wortlaut des Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG nach lediglich bei Vergleichen eine Einschränkung dahingehend vorzunehmen, dass diese nur dann einem rechtskräftig festgestellten Anspruch gleichstehen, wenn die Höhe desselben angemessen ist. Eine solche Einschränkung sieht die Norm für Versäumnisurteile gerade nicht vor. Im Übrigen ist eine solche Einschränkung für ein Versäumnisurteil nach dem Sinn und Zweck der Norm auch nicht begründet. Bei Vergleichen findet keine richterliche Kontrolle dahingehend statt, ob der festgesetzte Schmerzensgeldanspruch durch die Schädigung gerechtfertigt ist. Insoweit muss es dem Beklagten möglich sein, die Angemessenheit des Schmerzensgeldes, der im Wege eines Vergleiches geregelt wird, zu überprüfen. Ein solcher Zweck ist bei einem Versäumnisurteil hingegen nicht gegeben. Zwar werden bei einem Versäumnisurteil die Tatsachenbehauptungen des Klägers als wahr unterstellt, jedoch hat auf der Rechtsfolgenseite das Gericht eine eigene Prüfung vorzunehmen, welcher Schmerzensgeldbetrag durch die Schädigung angemessen ist. So steht die Bestimmung des Schmerzensgeldes nach § 287 ZPO im Ermessen des Gerichts. Ein Anspruch, der aufgrund eines Versäumnisurteils festgestellt ist, stellt somit einen rechtskräftig festgestellten Anspruch im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG dar.
Vorliegend lag dem Versäumnisurteil auch nicht, wie der Beklagte meint, ein falscher Sachverhalt zu Grunde. So trug der Beklagte zunächst vor, in der Klageschrift, die dem Versäumnisurteil zugrunde lag, sei eine falsche Dauer der Dienstunfähigkeit angegeben worden. Die Höhe des Schmerzensgeldes richtet sich unter anderem nach der Art, Schwere und Dauer des durch die Verletzung ausgelösten Leidens und Beeinträchtigung der Lebensführung (Jauernig/Teichmann, 17. Aufl. 2018, BGB § 253 Rn. 3-9; BGH, U.v. 10.1.2006 – VI ZB 26/05 – juris). Somit kann die Dauer der Dienstunfähigkeit Auswirkungen auf die Höhe des Schmerzensgeldes haben. Vorliegend enthält die Klageschrift an einer Stelle zwar die Ausführung, der Kläger sei bis zum 9. Mai 2017 dienstunfähig gewesen, tatsächlich war er jedoch nur bis zum 9. Mai 2016 dienstunfähig. Im weiteren Verlauf der Klageschrift wird dies jedoch bereits korrigiert und die Dauer der Dienstunfähigkeit mit 6,5 Wochen und der Zeitraum 25. März 2016 bis 9. Mai 2016 angegeben. Insofern handelte es sich bei dem Datum 9. Mai 2017 ersichtlich um einen Schreibfehler. Es ist daher davon auszugehen, dass der Zivilrichter die korrekte Dauer der Dienstunfähigkeit dem Schmerzensgeld zugrunde gelegt hat. Zudem gibt der Beklagte an, der Kläger habe in der Klageschrift angegeben, er habe an einer Kniegelenkskontusion mit Knochenquetschung gelitten, tatsächlich sei ihm diese Diagnose jedoch nicht gestellt worden. Zudem sei nur eine Prellung des rechten Knies als Dienstunfallfolge anerkannt worden. Zunächst ist festzuhalten, dass dem Kläger entgegen der Angaben des Beklagten die Diagnose Kniegelenkskontusion mit Knochenquetschung gestellt wurde. In dem ärztlichen Bericht vom 12. April 2016 heißt es zwar, der Kläger habe eine Kniegelenkskontusion mit Bone Bruise erlitten. Bone Bruise stellt dabei jedoch nur die englische Bezeichnung für eine Knochenquetschung dar (https://schulterinfo.de/bone_bruise.html). Dem Beklagten ist zwar zuzugestehen, dass dem Kläger lediglich eine Prellung des Knies als Dienstunfallfolge anerkannt wurde und diese nicht zwangsläufig identisch ist mit einer Kniegelenkskontusion mit Bone Bruise. Allerdings umfasst die Anerkennung einer Dienstunfallfolge nicht zugleich die Aussage, dass keinerlei andere Erkrankungen/Verletzungen auf den Dienstunfall zurückzuführen sind. So lag bereits im Dienstunfallverfahren dem Beklagten das ärztliche Schreiben vom 12. April 2016 mit der Diagnose Kniegelenkskontusion mit Bone Bruise vor, dennoch hat sich der Beklagte in dem Bescheid vom 11. Mai 2016, mit welchem eine Dienstunfallfolge anerkannt wurde, nicht mit dieser Diagnose auseinandergesetzt. Insbesondere hat er keine Ablehnung dieser Diagnose als Dienstunfallfolge ausgesprochen. Dass im Wege der Erfüllungsübernahme zudem nur die Diagnose aus dem Dienstunfallverfahren zugrunde zu legen ist, ist dem Wortlaut des Art. 97 BayBG nicht zu entnehmen. Vorliegend liegt zudem nahe, dass die Kniegelenkskontusion mit Bone Bruise ebenfalls bedingt durch den Dienstunfall entstanden ist. So lässt sich dem MRT-Bericht, welcher dem ärztlichen Schreiben vom 12. April 2016 zugrunde lag, bereits nicht entnehmen, dass es sich um eine degenerative Erkrankung handelt, anders etwa bei der dort festgestellten initialen Degeneration des Vorderhorns des Innenminiskus des Klägers. Zudem wurde die Diagnose des Bone Bruise erstmals nach dem Dienstunfall gestellt. Anhaltspunkte, dass eine solche Verletzung bereits vorher vorlag, sind nicht gegeben. Ein Bone Bruise entsteht zudem in der Regel durch ein traumatisches Ereignis und tritt häufig in der Nähe von Gelenken auf (u.a. am Knie), anders als etwa Stressfrakturen als Folge von Überbelastungen (https://www.zeitschrift-sportmedizin.de/ bone-bruise-und-stressfraktur-knochen-im-stress/). Zusammenfassend lag dem Versäumnisurteil daher kein falscher Sachverhalt zu Grunde.
Der Kläger hat zudem gemäß Art. 97 Abs. 3 Satz 1 BayBG ausreichende Nachweise für erfolglose Vollstreckungsbemühungen vorgelegt. Der Kläger hat vorliegend eine Vermögensauskunft des Schädigers vorgelegt, aus der ersichtlich wird, dass der Schädiger vermögenslos und somit nicht im Stande war den Schmerzensgeldanspruch zu erfüllen. Dies genügt den Anforderungen des Art. 97 Abs. 3 Satz 1 BayBG; einen Vollstreckungsversuch zu unternehmen, war dem Kläger nicht zumutbar (VG Ansbach, U.v. 25.7.2019 – AN 1 K 18.01545 – juris).
Art. 97 BayBG sieht auf der Rechtsfolgenseite die Erfüllungsübernahme „bis zur Höhe“ des festgestellten Betrages und mithin eine Ermessensentscheidung des Dienstherrn hinsichtlich der Höhe des zu übernehmenden Betrages vor. Ein Ermessensspielraum hinsichtlich der Frage, ob eine Erfüllungsübernahme erfolgt, ist hingegen nicht gegeben (VG München, U.v. 5.7.2017 – M 5 K 16.4266 – juris). Eine Ermessensentscheidung hinsichtlich der Höhe der Übernahme hat der Beklagte indes nicht getroffen, da er zu Unrecht vom Fehlen eines rechtskräftig festgestellten Anspruchs ausging. Eine unbillige Härte liegt zudem auch nach Auffassung des Dienstherrn vor, da dieser offensichtlich davon ausgeht, ein Schmerzensgeld zwischen ca. 500,00 EUR und 1.500,00 EUR wäre angesichts der erlittenen Verletzungen des Klägers angemessen, so dass der Mindestbetrag des Art. 97 Abs. 2 BayBG jedenfalls übertroffen ist. Dem Schmerzensgeld kommt eine Doppelfunktion zu. Zum einen dient es dem Ausgleich für Schäden nicht-vermögensrechtlicher Art, zum anderen trägt es dem Umstand Rechnung, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet für das, was er ihm angetan hat. Was als „billige“ und damit gerechte Entschädigung des Nichtvermögensschadens anzusehen ist, kann nur aufgrund einer wertenden Gesamtschau aller maßgeblichen Fallumstände vor dem Hintergrund der Funktion des Schmerzensgeldes bestimmt werden. Hierzu stellt die einschlägige aktuelle Rechtsprechung (die Heranziehung von Vergleichsfällen ist notwendig; KG Berlin, B.v. 12.7.2010 – 12 U 193/09 – juris) einen wesentlichen Orientierungsrahmen dar (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, 25. Aufl. 2018, BGB § 253 Rn. 16a). Im Hinblick auf die Ausgleichsfunktion richtet sich die Höhe des Schmerzensgeldes nach den hervorgerufenen Verletzungen, ihrer Versorgung, künftigen gesundheitlichen Risiken sowie physischen und psychischen Auswirkungen auf den Verletzten und sein berufliches und soziales Leben (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, 25. Aufl. 2018, BGB § 253 Rn. 18a). Hinsichtlich der Genugtuungsfunktion hingegen ist etwa der Verschuldensgrad sowie eine Mithaftung des Verletzten zu berücksichtigen (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, 25. Aufl. 2018, BGB § 253 Rn. 32). Im Hinblick auf die seitens des Beklagten als Vergleichsrechtsprechung herangezogenen Fälle bleibt festzuhalten, dass dem Urteil des Amtsgerichts Trier vom 15. März 1996 ein Fall zugrunde lag, bei dem der Geschädigte leidglich zehn Tage krankgeschrieben wurde und ein Heilungsverlauf allein mittels Salben und Verbänden erfolgte. Vorliegend war der Kläger hingegen 6,5 Wochen erkrankt und musste sich unter anderem Lymphdrainagen unterziehen. Insofern ist dieses Urteil bereits nicht vergleichbar mit dem hiesigen Sachverhalt. Im Übrigen stellt sich die Frage, ob diese Entscheidung hinreichend aktuell ist.
Ein sonstiger Grund für eine Verweigerung der Erfüllungsübernahme (Gewährung einer einmaligen Unfallentschädigung nach Art. 62 BayBeamtVG oder eines Unfallausgleichs nach Art. 52 BayBeamtVG) ist nicht ersichtlich (Art. 97 Abs. 2 Satz 2 BayBG).
Der Klage war daher im Sinne des Bescheidungsurteils überwiegend stattzugeben. Daraus folgend hat der Kläger keinen Anspruch auf Prozesszinsen nach §§ 291 Satz 1, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
Die Kostenfolge folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO und berücksichtigt den jeweiligen Grad des Obsiegens und Unterliegens.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.