Arbeitsrecht

Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzung wegen Interessenskollision eines Bevollmächtigten

Aktenzeichen  B 5 M 16.115

Datum:
22.6.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 50435
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BRAO § 43a Abs. 4

 

Leitsatz

Der Festsetzung von Anwaltskosten kann mit der Erinnerung nicht entgegen gehalten werden, der Bevollmächtigte der Gegenseite sei wegen widerstreitender Interesse nach § 43a Abs. 4 BRAO nicht zur Vertretung befugt gewesen, wenn mangels Sachverhaltsidentität keine Vertretung einer anderen Partei in “derselben Rechtssache” vorlag. Die Vertretung des Bürgermeisters einer Gemeinde in einem Ermittlungsverfahren gegen ihn betrifft einen anderen Lebenssacherhalt als die Vertretung der Gemeinde gegen eine kommunalverfassungsrechtliche Klage eines Stadtrates, um Tonbandaufnahme von Stadtratssitzungen anzuhören. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Erinnerung wird zurückgewiesen
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
1. Der als Rechtsanwalt tätige Antragsteller war bis zum 30. April 2014 Mitglied des Stadtrates der Antragsgegnerin; er hatte in dem kommunalverfassungsrechtlichen Klageverfahren Az. B 5 K 11.594 die Verpflichtung der anwaltlich vertretenen Antragsgegnerin begehrt, ihn Tonbandaufnahmen von Ausschuss- und Stadtratssitzungen anhören zu lassen. Mit rechtskräftigem Urteil vom 26. April 2013 hatte das Gericht diese Klage abgewiesen und ihm die Kosten des Verfahrens auferlegt. In der Folgezeit begehrte er die Erstattung der ihm in dem Verfahren entstandenen Kosten. Die hierauf gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 16. Juni 2015 ab (Az. B 5 K 13.640); der Antrag auf Zulassung der Berufung blieb ohne Erfolg (BayVGH, B.v. 20.11.2015 Az. 4 ZB 15.1510). Nachdem die Kostenbeamtin des Gerichts die vom Antragsteller für das Klageverfahren zu erstattenden Kosten antragsgemäß auf 621,78 Euro festgesetzt hatte (Beschluss vom 28.10.2015), setzte sie mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. Dezember 2015 die vom Antragsteller an die Antragsgegnerin für das Verfahren auf Zulassung der Berufung zu erstattenden Kosten antragsgemäß auf 406,50 Euro fest.
2. Mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2015, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am 28. Dezember 2015 beantragte der Antragsteller,
die Entscheidung des Gerichts gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. Dezember 2015.
Zur Begründung trug er – ergänzt durch sein Vorbringen in den Schriftsätzen vom 18. und 22. Januar 2016 sowie vom 17. Februar 2016 – vor, dass gegen den ersten Bürgermeister der Antragsgegnerin ein Disziplinar- und erneut ein Ermittlungsverfahren (Az. 16 Js 12323/13) und geführt werde; die Verteidigung erfolge durch die hiesigen Prozessbevollmächtigten. Es bestehe eine Interessenkollision. Mit Übernahme der Verteidigung, die erstmals in dem wegen Betrugs und Untreue im Amt im Jahr 2008 geführten Ermittlungsverfahren (Az.: StA Hof 16 Js 16705/08) erfolgt sei, hätten die Prozessbevollmächtigten die Antragsgegnerin nicht weiter vertreten dürfen, sondern – vor allem nach Kenntnis eines Gutachtens des Bayerischen Kommunalen Prüfungsverbands – empfehlen müssen, rechtliche Schritte gegen den ersten Bürgermeister zu ergreifen. Der Anwaltsvertrag sei wegen Verstoßes gegen das gesetzliche Verbot nach § 134 BGB nichtig. Es liege ein Verstoß gegen die Pflicht aus § 43a Abs. 4 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) vor, so dass der Vergütungsanspruch wegfalle. Das Vertretungsverbot betreffe alle Verfahren, die die Prozessbevollmächtigten für die Antragsgegnerin geführt hätten; es bestehe jeweils ein Rückvergütungsanspruch.
Bereits mit Schriftsatz vom 18. Januar 2016 hatten die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin beantragt,
die Erinnerung zurückzuweisen.
Sie führten aus, die Straf- und Disziplinarverfahren gegen den ersten Bürgermeister stünden in keinem Zusammenhang mit dem Verfahren Az. B 5 K 11.594. Es bestehe keine Interessenkollision, weil sich aus den Stadtratsbeschlüssen keine Regressforderung gegen den ersten Bürgermeister ergebe. Ergänzend führten sie am 8. Februar 2016 aus, dass ihnen die Antragsgegnerin in dem Verfahren Az. B 5 K 11.594 am 13. Oktober 2011 Vollmacht erteilt habe; das klageabweisende Urteil sei am 26. April 2013 ergangen. Die Vertretung des ersten Bürgermeisters in dem Ermittlungsverfahren sei erst im Jahr 2015 erfolgt.
Mit Schreiben vom 23. Februar 2016 legte die Urkundsbeamtin die Erinnerung dem Gericht zur Entscheidung vor. Die Erinnerung sei unbegründet, weil die straf- und disziplinarrechtlichen Verfahren gegen den ersten Bürgermeister in keinem Zusammenhang mit dem vorliegenden kommunalverfassungsrechtlichen Verfahren und der damit verbundenen Kostenfestsetzung des Erstattungsanspruches der obsiegenden Partei stünden.
Mit Schriftsätzen vom 16. März 2016 und vom 11. Mai 2016 widersprachen die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin dem Vorwurf einer Interessenkollision. Die Antragsgegnerin habe anwaltliche Vertretungen vor dem Verwaltungsgericht zur Abwehr von Forderungen Dritter übertragen, so z. B. gegen die Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen (B 2 E 08.244 und B 2 E 08.1234), gegen eine Dienstunfallanerkennung (B 5 K 13.896), gegen Zuwendungsrückforderungen des Freistaates Bayern (B 5 K 12.299), wegen Ordnungs- bzw. Zwangsgeldverhängung/Unterlagenherausgabe (B 5 K 14.551, 550, 518) sowie in der Klage, die der hiesigen Kostensache zugrunde lägen (B 5 K 13.640; 4 ZB 15.1510). Hierbei liege keine Interessenkollision vor. Keines dieser Mandate habe eine Vertretung der Antragsgegnerin auch gegen deren ersten Bürgermeister eingeschlossen. Umgekehrt bewirke auch die Vertretung des ersten Bürgermeisters im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Hof keine Interessenkollision, weil kein gegenläufiger Überprüfungs- oder Vertretungsauftrag der Antragsgegnerin gegen deren ersten Bürgermeister vorgelegen habe. Die Staatsanwaltschaft Hof habe das Ermittlungsverfahren (Az.: 16 Js 16705/08) gem. § 170 Abs. 2 StPO am 17. Dezember 2009 eingestellt.
Mit Schriftsätzen vom 28. April 2016 und vom 20. Juni 2016 trug der Antragsteller ergänzend vor, dass § 3 der Berufsordnung der Rechtsanwälte (BORA) auch sogenannte Zufallserkenntnisse erfasse. Aufgrund der Kenntnisse im Verfahren Az. B 5 K 14.551 hätten die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin zwingend alle diesbezüglichen Mandate sowohl die Antragsgegnerin als auch deren ersten Bürgermeister betreffend niederlegen müssen. Das sei nicht erfolgt. Es werde beantragt, zur Frage der Interessenkollision eine Stellungnahme der Rechtsanwaltskammer einzuholen. Gegen den Beschluss der Staatsanwaltschaft Hof vom 18. Mai 2016, dass neuerliche Ermittlungsverfahren (Az. 16 Js 12323/13) einzustellen, habe er Beschwerde eingelegt.
Ergänzend wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Über die Kostenerinnerung entscheidet die Kammer, weil die Kostengrundentscheidung in dem aufgrund der Kammersitzung vom 16. Juni 2015 erlassenen Urteil getroffen worden war (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl., 2014, Rn. 3 zu § 165; VG Augsburg, B.v. 21.8.2015 – Au 4 M 15.726 – Juris Rn. 29; VG München, B.v. 23.5.2011 – M 12 M 10.3347 – Juris Rn. 9).
2. Die zulässige Kostenerinnerung hat in der Sache keinen Erfolg.
Es kann offenbleiben, ob ein Rechtsanwaltsvertrag nach § 134 BGB nichtig ist, wenn ein Rechtsanwalt entgegen § 43a Abs. 4 BRAO widerstreitende Interessen vertritt, weil in einer solchen Konstellation auf jeden Fall der Anspruch auf gesetzliche Gebühren, die im Zeitpunkt des Verstoßes noch nicht verdient sind, entfällt (vgl. zum Meinungsstand: LG Saarbrücken, U.v. 16.1.2015 – 13 S 124/14 – NJW-Spezial 2015, 203 m. w. N.).
Letztlich bedarf diese Frage aber keiner Klärung, weil hier zur Überzeugung des Gerichts kein Verstoß gegen § 43a Abs. 4 BRAO vorliegt. Nach dieser Vorschrift darf ein Rechtsanwalt keine widerstreitenden Interessen vertreten. Grundlagen dieser Regelung sind das Vertrauensverhältnis zum Mandanten, die Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und die im Interesse des Gemeinwohls in Gestalt der Rechtspflege gebotene Gradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung (Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Aufl. 2016, Rn. 54 zu § 43a BRAO). Dabei verpflichtet diese Norm den Rechtsanwalt nur im Rahmen seiner anwaltlichen Berufsausübung und knüpft dabei an seine berufliche Vorbefassung an; sie erfasst also alle vorangegangenen anwaltlichen Berufstätigkeiten (Feuerich/Weyland, a. a. O., Rn. 56 zu § 43a BRAO; Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl. 2014, Rn. 196 zu § 43a).
Eine von dieser Vorschrift erfasste Fallgestaltung liegt dann vor, wenn bei einer Sachverhaltsidentität der Rechtsanwalt schon einmal eine andere Partei in derselben Rechtssache im entgegengesetzten Interesse beraten oder vertreten hat. Maßgeblich für den Begriff „derselben Rechtssache” ist der sachlich rechtliche Inhalt des anvertrauten Interesses, also das anvertraute materielle Rechtsverhältnis, welches bei natürlicher Betrachtungsweise auf ein innerlich zusammengehöriges, einheitliches Lebensverhältnis zurückzuführen ist. Dabei kommt es nicht auf den einzelnen Anspruch sondern auf das zugrundeliegende einheitliche Lebensverhältnis an, welches auch durch einen längeren Zeitablauf nicht aufgehoben wird. Maßgeblich ist, ob eine Identität der Tatsachen und der Interessengesamtheit besteht bzw. ob die neue Sache noch zu dem ursprünglich dem Rechtsanwalt anvertrauten materiellen Rechtsverhältnis gehört, ohne dass es sich um ein und dasselbe Verfahren handeln muss. Dieselbe Rechtssache liegt vielmehr auch dann vor, wenn in Verfahren verschiedener Art und verschiedener Zielrichtungen ein und derselbe Sachverhalt von rechtlicher Bedeutung sein kann (Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Aufl. 2016, Rn. 60 ff. zu § 43a). Ausreichend ist eine Teilidentität des historischen Vorganges. Der Interessengegensatz muss allerdings konkret gegeben sein, das Anknüpfen an einen möglichen, tatsächlich aber nicht bestehenden (latenten) Interessenkonflikt genügt demgegenüber nicht (vgl. BGH B.v. 16.1.2013 – IV ZB 32/12 – NJW 2013, 1247; U.v. 23.4.2012 – AnwZ (Brfg) 35/11 – NJW 2012, 3039/3041).
Gemessen daran liegt hier kein Verstoß gegen § 43a Abs. 4 BRAO vor. Nach Auffassung des Gerichts, das seine Überzeugung zu der aufgeworfenen Rechtsfrage erlangen konnte, ohne vorher – wie vom Antragsteller in seinem Schriftsatz vom 20. Juni 2016 beantragt – eine Stellungnahme der Rechtsanwaltskammer einholen zu müssen, liegt hier keine Interessenkollision vor, die in dem streitgegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren der unbefangenen Ausübung des Mandats durch die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin entgegengestanden hätte. Denn die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin haben – mangels Sachverhaltsidentität – nicht eine andere Partei in derselben Rechtssache im entgegengesetzten Interesse beraten oder vertreten. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin den ersten Bürgermeister in den Jahren 2008 und 2009 in dem gegen ihn wegen des Verdachts auf Betrug und Untreue im Amt von der Staatsanwaltschaft Hof geführten (Az. 16 Js 16705/08) und mit Beschluss vom 17. Dezember 2009 gemäß § 170 Abs. 2 StPO, d. h. mangels hinreichendem Tatverdacht eingestellten Ermittlungsverfahren vertreten haben. Denn der Sachverhalt, der dem gegen den ersten Bürgermeister der Antragsgegnerin geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zugrunde gelegen hat, und der Sachverhalt, auf dem das verwaltungsgerichtliche Klageverfahren, welches als gegen die Antragsgegnerin geführte kommunalverfassungsrechtliche Streitigkeit darauf gerichtet war, den Antragsteller als (damaligem) Mitglied des Stadtrats der Antragsgegnerin Tonbandaufnahmen von Ausschuss- und Stadtratssitzungen anhören zu lassen, beruht hat, sind bei natürlicher Betrachtungsweise gerade nicht auf ein innerlich zusammengehöriges, einheitliches Lebensverhältnis zurückzuführen. Es kann insbesondere nicht die Rede davon sein, dass in diesen beiden Sachverhalten ein und derselbe historische Vorgang von rechtlicher Bedeutung ist (zu diesem Ansatz: OLG München U.v. 2.10.1996 – 21 U 3394/96 – NJW 1997, 1313/1314; Kleine-Cosack, BRAO, 7. Aufl. 2015, Rn. 142 zu § 43a). Allein der Umstand, dass die Beteiligten – jedenfalls bis zum Ausscheiden des Antragstellers aus dem Stadtrat der Antragsgegnerin – durch eine kommunalverfassungsrechtliche „Klammer“ miteinander verbunden waren, vermag die Annahme eines zumindest teilweise identischen Lebenssachverhalts nicht zu begründen.
Angesichts der Tatsache, dass – wie oben dargelegt – für die Prüfung einer Interessenkollision gemäß § 43a Abs. 4 BRAO allein auf die vorangegangenen anwaltlichen Berufstätigkeiten abzustellen ist, kommt es auf die neuerlichen, d. h. nach Rechtshängigkeit der der Kostenerinnerung zugrundeliegenden verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren eingeleiteten straf- und disziplinarrechtlichen Verfahren gegen den ersten Bürgermeister der Antragsgegnerin ersichtlich nicht an. Abgesehen davon, dass die Staatsanwaltschaft Hof – nach Vortrag des Antragstellers – mittlerweile auch das neuerliche Ermittlungsverfahren (Az. 16 JS 12323/13) eingestellt hat, führte das, selbst wenn man diese anwaltlichen Berufstätigkeiten in die Prüfung mit einbezöge, aus den soeben dargelegten Gründen ebenfalls nicht zur Annahme einer Interessenkollision und damit zu keiner anderen Beurteilung. Zudem sind Anhaltspunkte für einen konkret gegebenen Interessengegensatz (so: BGH B.v. 16.1.2013 – IV ZB 32/12 – NJW 2013, 1247; U.v. 23.4.2012 – AnwZ (Brfg) 35/11 – NJW 2012, 3039/3041) nicht ersichtlich.
3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtsgebühren werden nicht erhoben, weil Teil 5 des als Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG erlassenen Kostenverzeichnisses keinen entsprechenden Gebührentatbestand enthält.

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