Arbeitsrecht

Erstattung von Ausbildungskosten bei Ausscheiden aus dem Soldatenverhältnis wegen Kriegsdienstverweigerung

Aktenzeichen  M 21 K 16.3330

Datum:
8.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 15966
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SG § 46 Abs. 2 S. 1, § 55 Abs. 1 S. 1, § 56 Abs. 4
GG Art. 4 Abs. 3

 

Leitsatz

1 § 56 Abs. 4 S. 3 SG ist im Lichte des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung dahin auszulegen, dass der anerkannte Kriegsdienstverweigerer die Kosten einer Ausbildung bei der Bundeswehr nur im Umfang des geldwerten Vorteils erstatten muss, der ihm aus dem Studium für sein Berufsleben verbleibt. Der Vorteil besteht dabei in Höhe der Aufwendungen, die der Soldat erspart hat, weil er das Studium nicht auf eigene Kosten absolvieren musste, nicht in der Aussicht auf künftige Einnahmen (stRspr BVerwG BeckRS 2016, 40247). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die ersparten Ausbildungskosten (Lebensunterhalt, Miete, Studiengebühren, Lernmittel) können unter Anwendung der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks pauschal ermittelt werden (derzeit: 739,00 €). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3 Vermögensvorteile im Zusammenhang mit einem zivilen Studium (Kindergeld, BAföG, Unterhalt gegen die Eltern etc.) sind nicht zu berücksichtigen. Denn die Erstattungspflicht kann nicht von hypothetischen Umständen eines alternativen Lebens- oder Ausbildungsweges abhängig gemacht werden, die einer Beweisführung nicht zugänglich sind (stRspr BVerwG BeckRS 2017, 126142). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 31. März 2015 in der Gestalt dessen Widerspruchsbescheids vom 5. Juli 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die geltend gemachte Erstattung ist § 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SG. Nach dieser Vorschrift muss ein Soldat auf Zeit, dessen militärische Ausbildung mit einem Studium oder einer Fachausbildung verbunden war, die entstandenen Kosten des Studiums oder der Fachausbildung erstatten, wenn er auf seinen Antrag entlassen worden ist oder als auf eigenen Antrag entlassen gilt. Nach dem über § 55 Abs. 1 Satz 1 SG auch auf Soldaten auf Zeit anwendbaren § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 Halbsatz 2 SG gilt die Entlassung eines Berufssoldaten, die – wie vorliegend im Falle des Klägers – auf einer Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer beruht, als Entlassung auf eigenen Antrag. Die militärische Ausbildung war hier auch mit einem Studium verbunden, da der Kläger ein Studium der … auf Kosten der Bundeswehr absolvierte.
Nach § 56 Abs. 4 Satz 3 SG kann auf die Erstattung ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn sie für den Soldaten eine besondere Härte bedeuten würde. Insoweit ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass die Erstattungsverpflichtung, der sich – wie im vorliegenden Fall – ein wegen seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer entlassener Soldat gegenübersieht, eine besondere Härte im Sinne des § 56 Abs. 4 Satz 3 SG begründet, die den Dienstherrn nach dieser Vorschrift zu Ermessenerwägungen über den vollständigen oder teilweisen Verzicht auf einen Ausgleich der Ausbildungskosten zwingt. Einem Soldaten, der – wie der Kläger – eine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst getroffen hat, kann wegen der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Rechtes der Kriegsdienstverweigerung in Art. 4 Abs. 3 GG nicht zugemutet werden, auf den für die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer erforderlichen Antrag allein deshalb zu verzichten sowie weiterhin im Wehrverhältnis zu verbleiben und dabei seinem Gewissen zuwiderzuhandeln, um der andernfalls drohenden Erstattungsverpflichtung zu entgehen (vgl. statt vieler BVerwG, U. v. 30.3.2006 – 2 C 18.05 – Buchholz 449 § 56 SG Nr. 3). Durch die Anerkennung des Klägers als Kriegsdienstverweigerer sind die Voraussetzungen für die Annahme eines Härtefalls entstanden.
Bei der Entscheidung über die Frage, inwieweit auf den Erstattungsbetrag von maximal 123.915,85 € ganz oder teilweise zu verzichten ist, hat die Beklagte mit den von ihr angestellten Erwägungen bezüglich des zurückgeforderten Betrages von 37.016,61 Euro auch ermessensfehlerfrei gehandelt.
§ 56 Abs. 4 Satz 3 GG ist im Lichte des Art. 4 Abs. 3 GG dahingehend auszulegen, dass der anerkannte Kriegsdienstverweigerer die Kosten nur im Umfang des geldwerten Vorteils erstatten muss, der ihm aus dem genossenen Studium für sein weiteres Berufsleben real und nachprüfbar verblieben ist. Diese Reduzierung führt zu dem Betrag, den der Soldat dadurch erspart hat, dass die Beklagte den Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten finanziert hat, die ihm im weiteren Berufsleben von Nutzen sind. Der Soldat muss also die Ausbildungskosten (nur) in Höhe des durch das Studium erlangten Vorteils erstatten. Diese Beschränkung der zu erstattenden Ausbildungskosten auf den erlangten Vorteil stellt sicher, dass die Erstattung nicht zu einer Maßnahme wird, die den Betroffenen von der Stellung eines Antrags auf Kriegsdienstverweigerung abschreckt. Die Abschöpfung lediglich des durch das Studium erworbenen Vorteils führt nämlich zu keiner Einbuße an Vermögensgütern, über die der ehemalige Soldat unabhängig von dem Wehrdienstverhältnis verfügt. Der Vorteilsausgleich stellt nur die Situation wieder her, die in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht bestand, bevor der Soldat das Studium absolviert hat. Mehr soll und darf bei verfassungskonformer Auslegung des Gesetzes nicht abgeschöpft werden. Der erlangte Vorteil besteht dabei in Höhe derjenigen Aufwendungen, die der Soldat dadurch erspart hat, dass er das Studium nicht auf eigene Kosten hat absolvieren müssen (vgl. zu alldem BVerwG, U. v. 30.3.2006 – a.a.O.). Der Vorteil einer Ausbildung besteht dabei in der Ersparnis von Aufwendungen, nicht in der Aussicht auf künftige oder fiktive Einnahmen (BVerwG, U. v. 28.10.2015 – 2 C 40/13 – juris). Maßgeblich ist dabei eine abstrakt-generalisierende Betrachtungsweise (BVerwG, U. v. 28.10.2015 – a.a.O.). Die Bemessung des abzuschöpfenden Vermögensvorteils kann insofern auch nicht von hypothetischen Umständen abhängig gemacht werden, die einer Beweisführung nicht zugänglich sind (BVerwG, U. v. 28.10.2015 – a.a.O.).
Diesen Grundsätzen hat die Beklagte in ihrem Leistungsbescheid Rechnung getragen. Sie hat ihrer Forderung nicht die tatsächlich entstandenen Ausbildungskosten zu Grunde gelegt, sondern den Erstattungsbetrag in Ausübung des insoweit gebundenen Ermessens im Rahmen des Vorteilsausgleichs pauschalierend unter Anwendung der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks „Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland“ (20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, durchgeführt durch das HIS-Institut für Hochschulforschung, 2013, S. 254, abrufbar unter: http://www.studentenwerke.de/sites/default/files/01_20-SE-Hauptbericht.pdf) ermittelt. Rechtliche Bedenken gegen diese generalisierende und pauschalierende Ermittlung der ersparten Aufwendungen bestehen keine (vgl. hierzu BVerwG, a.a.O). Die pauschalierende Annahme der monatlichen Aufwendungen für Lebensunterhalt, Studiengebühren und Lernmittel nach der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks erweist sich als angemessen. So ermittelt die aktuell vorliegende Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks einen durchschnittlichen Bedarf studentischer Lebenshaltung in Höhe von 739,00 € (nicht 738,00 €, wie die Beklagte fehlerhaft, aber zu Gunsten des Klägers annimmt) für das Jahr 2006 und 757,00 € für das Jahr 2009. Dass diese Zahlen nicht sämtliche individuelle Lebenslagen der Studenten in der Bundesrepublik wiederspiegeln, versteht sich dabei von selbst. Insbesondere die Ausgaben für Miete dürften regional stark voneinander abweichen. Darauf kommt es angesichts der im Rahmen der Ermessensausübung zulässigen generalisierenden und pauschalierenden Betrachtung jedoch nicht an.
Die Beklagte hat zu Recht Vermögensvorteile im Zusammenhang mit einem zivilen Studium wie einen Anspruch auf Kindergeld, Leistungen nach dem BAföG, einen Anspruch auf Unterhalt gegen die Eltern sowie Bezahlungen für ein hypothetisches Praktikum nicht berücksichtigt (vgl. BVerwG, U. v. 28.10.2015 – 2 C 40/13 – unter Aufhebung von OVG Münster, U. v. 22.8.2013 – 1 S 2278/11 – juris). Diese Leistungen, die womöglich erbracht worden wären, wenn ein Soldatenverhältnis auf Zeit nicht bestanden hätte, hängen von Voraussetzungen ab, deren Vorliegen ungewiss ist. Der Kläger wäre auch selbst ohnehin nicht Anspruchsinhaber eines Kindergeldanspruchs gewesen, sondern seine Eltern oder sonstige Kindergeldberechtigte. Die durch § 56 Abs. 4 Satz 1 SG statuierte Erstattungspflicht kann nicht von hypothetischen Umständen eines alternativen Lebens- oder Ausbildungsweges abhängig gemacht werden, die einer Beweisführung nicht zugänglich sind (zu alldem vgl. BVerwG, U. v. 12.4.2017 – 2 C 14.16 – juris, m.w.N.).
Die Ermessensentscheidung der Beklagten nach § 56 Abs. 4 Satz 3 SG ist auch nicht deshalb fehlerhaft, weil der von dem Kläger nach Abschluss seines Studiums abgeleistete Dienst vom 30. September 2011 bis 16. Mai 2012 nicht im Rahmen der Härtefallregelung berücksichtigt worden ist.
Zwar ist bei einem früheren Soldaten eine besondere Härte dann anzunehmen, wenn er einen Teil der Ausbildungskosten bereits „abgedient“ hat, so dass der Rückforderungsbetrag insoweit zu reduzieren ist. Dies gilt aber nur dann, wenn der ehemalige Soldat nach Abschluss seiner Fachausbildung oder seines Studiums mit den erworbenen Kenntnissen dem Dienstherrn noch für einen Zeitraum uneingeschränkt zur Verfügung gestanden hat (VG Bayreuth, U. v. 9.5.2017 – B 5 K 16.240 – juris, m.w.N.). Die Auffassung, dass die bereits abgeleistete Dienstzeit in jedem Falle zu einer verhältnismäßigen Minderung des Erstattungsbetrages führen muss, findet schon im Wortlaut des § 56 Abs. 4 Satz 1 SG oder im Sinn und Zweck der Vorschrift oder ihrer Entstehungsgeschichte keine Stütze (OVG NRW, U. v. 30.9.1999 – 12 A 1828/98 – juris, m.w.N.). Der Gesichtspunkt der Abdienzeit kann bei einem Kriegsdienstverweigerer nur insoweit eine Rolle spielen, als der dadurch veranlasste Abschlag von den tatsächlichen Ausbildungsvollkosten zu einem noch niedrigeren Betrag führen würde als der vom Gedanken des Vorteilsausgleichs geprägte besondere Mindestansatz in Höhe der fiktiven Kosten einer gleichwertigen Ausbildung außerhalb der Bundeswehr. Diese Günstigerprüfung auf der Ebene des § 56 Abs. 4 Satz 1 SG ist immer durchzuführen, wurde im vorliegenden Fall von der Beklagten aber in dem angefochtenen Leistungsbescheid zu Recht kommentarlos übergangen, weil angesichts des kurzen Zeitraums zwischen der Beendigung des Studiums und dem Ausscheiden aus dem Soldatenverhältnis offensichtlich ist, dass die Vergleichsberechnung auf der Basis der Erstattung der tatsächlichen Ausbildungskosten unter Abzug der Abdienquote zu einem für den Kläger weitaus ungünstigeren Ergebnis führen würde.
Entgegen der Ansicht des Klägers liegt auch kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG vor, weil ein anderer Zeitsoldat mangels Verwendungsmöglichkeit aus der Bundeswehr entlassen wurde und im Zuge dessen eine Abfindung erhalten hat. Es fehlt bereits an wesentlich gleichen Sachverhalten, da im Falle der Entlassung auf eigenen Antrag die Vorschrift des § 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SG heranzuziehen ist. Diese greift hingegen nicht bei einer Entlassung ohne Antrag des Soldaten, weil der Soldat in solchen Fällen sein eigenes Schicksal nicht selbst beeinflussen kann. Er ist vielmehr von einer Entscheidung der Bundeswehr abhängig. Insoweit unterscheiden sich die beiden Sachverhalte wesentlich voneinander.
Nach alldem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Befristeter Arbeitsvertrag – Regelungen und Ansprüche

Dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit einem befristeten Vertrag eingestellt werden, ist längst keine Seltenheit mehr. Häufig taucht der Arbeitsvertrag auf Zeit bei jungen Mitarbeitenden auf. Über die wichtigsten Regelungen und Ansprüche informieren wir Sie.
Mehr lesen