Arbeitsrecht

Erstattungsfähigkeit der Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts

Aktenzeichen  M 3 K 11.5845

Datum:
10.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 143266
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 162 Abs. 1
Nr. 7004 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG
Nr. 7005 Nr. 3 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG

 

Leitsatz

1 Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts sind nach § 162 Abs. 2 S. 1 VwGO stets erstattungsfähig. Die für den Zivilprozess hinsichtlich der Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts durch § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO getroffene Einschränkung findet im Verwaltungsprozess keine Anwendung (ebenso BayVGH BeckRS 2010, 22612). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten eines Rechtsanwalts zur Wahrnehmung gerichtlicher Termine steht im Verwaltungsprozess unter dem Vorbehalt des § 162 Abs. 1 VwGO, wonach es sich um zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Aufwendungen handeln muss. Der daraus resultierende Grundsatz der Kostenminimierung ist bei der Anwaltswahl mit der Folge zu beachten, dass Reisekosten eines Rechtsanwalts ohne nähere Prüfung nur dann voll zu erstatten sind, wenn er seine Kanzlei am Sitz oder im Bezirk des angerufenen Gerichts oder am Wohnsitz seines Mandanten hat (ebenso BayVGH BeckRS 2010, 22612).  (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3 Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass der beauftragte Rechtsanwalt seine Kanzlei weder am Wohnsitz des Mandanten noch am Gerichtssitz hat, sind erstattungsfähig, wenn besondere Gründe vorliegen, die aus Sicht des Antragstellers die Beauftragung des auswärtigen Rechtsanwalts nahelegen. Dies ist etwa der Fall, wenn der beauftragte Anwalt über Spezialkenntnisse verfügt und der Streit Fragen aus dem Fachgebiet von solcher Schwierigkeit aufgeworfen hat, dass ein verständiger Beteiligter die Hinzuziehung eines solchen Anwalts für ratsam erachten konnte. Zudem ist ein Anwaltswechsel aus Gründen der Kostenersparnis als unzumutbar anzusehen, wenn zwischen dem Mandanten und dem auswärtigen Rechtsanwalt ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht (ebenso BayVGH BeckRS 2010, 22612). (Rn. 12 – 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Verwaltungsgerichts München vom 16. Januar 2014 im Verfahren M 3 K 11.5845 wird dahingehend geändert, dass die der Antragstellerin im Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht München entstandenen notwendigen Aufwendungen auf 1.114,03 € festgesetzt werden.
Die Neufassung des Kostenfestsetzungsbeschlusses nach Maßgabe dieses Beschlusses wird der Urkundsbeamtin übertragen.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten der Erinnerungsverfahren zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16. Januar 2014.
Mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 2. Juli 2013, Az.: M 3 K 11.5845, wurde der Antragsgegner unter Aufhebung des Bescheids der Regierung von Oberbayern vom 5. Mai 2011 verpflichtet, der Antragstellerin ein Zeugnis über das Bestehen des schriftlichen Teils des Zweiten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung im Frühjahr 2011 auszuhändigen und die Kosten des Verfahrens dem Antragsgegner und der Beigeladenen auferlegt.
Daraufhin machte die Antragstellerin mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 1. November 2013 unter anderem Kosten für die Geschäftsreise gemäß Nr. 7004 VV RVG für die Benutzung Bahn/Taxi/Bus am 01./02. Juli 2013 i.H.v. 70,33 €, Tage- und Abwesenheitsgeld für mehr als acht Stunden gemäß Nr. 7005 Nr. 3 VV RVG i.H.v. 23,33 € sowie Übernachtungskosten i.H.v. 65,- € geltend und beantragte hierfür die gerichtliche Kostenfestsetzung.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16. Januar 2014, zugestellt am 20. Januar 2014, wurden die vom Antragsgegner und der Beigeladenen im Kostenausgleich an die Antragstellerin zu erstattenden notwendigen Aufwendungen auf 925,23 € festgesetzt und eine Verzinsung mit fünf Prozentpunkten über dem Basissatz ab 04. November 2013 festgelegt. Dabei wurden die beantragten Reisekosten von der Festsetzung ausgeschlossen, da die vorgetragenen Gründe nicht ausreichend seien, um eine Notwendigkeit zu begründen, welche die Zuziehung eines in Marburg ansässigen Rechtsanwalts durch die in München wohnende Klägerin notwendig und zweckmäßig erscheinen ließen. Es seien sehr wohl Rechtsanwälte mit Erfahrungen im Bereich des ärztlichen Prüfungsrechts in München tätig.
Mit Schriftsatz vom 3. Februar 2014, eingegangen am selben Tag, beantragte der Bevollmächtigte der Antragstellerin eine gerichtliche Entscheidung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16. Januar 2014. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beauftragung des auswärtigen Prozessbevollmächtigten für eine hinreichende Prozessvertretung notwendig gewesen sei. Im vorliegenden Fall habe es sich um eine sehr spezielle Vertretung gehandelt. Es sei keine „einfache“ Vertretung im Rahmen des ärztlichen Prüfungsrechts gewesen, vielmehr sei es ausschließlich um eine Vertretung im Rahmen einer Multiple-Choice-Prüfung gegangen. Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin vertrete seit über 30 Jahren Studierende der Medizin im Rahmen ihrer schriftlichen Multiple-Choice-Prüfungen. Es handele sich um sehr spezielle Verfahren, bei denen eine erfolgreiche Anfechtung nur mit erheblicher Prozesserfahrung möglich sei. Diese Erfahrung sei belegt worden durch die Mitbearbeitung des Verfassungsbeschwerdeverfahrens BVerfGE 84, 59, nach dessen Entscheidung am 17. April 1991 die Rechtsprechung bundesdeutscher Verwaltungsgerichte im Rahmen der schriftlichen Medizinerprüfungen habe grundsätzlich geändert werden müssen. Auch sei darauf hingewiesen worden, dass der Bevollmächtigte der Antragstellerin am Verhandlungstag drei Klägerinnen zum genannten Thema vertreten habe. Eine derartige Spezialisierung werde es in München sicherlich nicht geben.
Mit Schreiben vom 13. Februar 2014 half die Kostenbeamtin des Bayerischen Verwaltungsgerichts München dem Antrag vom 3. Februar 2014 nicht ab und legte ihn dem Gericht zur Entscheidung vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie im Verfahren M 3 K 11.5845 verwiesen.
II.
1. Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16. Januar 2014 ist zulässig.
Die Erinnerung ist gemäß §§ 165, 151 Satz 1 VwGO statthaft. Sie wurde auch fristgemäß innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses erhoben (§ 147 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 151 Satz 3 VwGO).
Die Erinnerung ist auch begründet, da die Urkundsbeamtin des Gerichts die beantragten Reisekosten des Bevollmächtigten der Antragstellerin zu Unrecht von der Festsetzung ausgeschlossen hat.
Nach § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts stets erstattungsfähig. Eine Einschränkung des Inhalts, dass Reisekosten eines nicht am Sitz des Gerichts tätigen oder wohnenden Rechtsanwalts nur erstattungsfähig seien, wenn seine Zuziehung notwendig war, kennt die Verwaltungsgerichtsordnung nicht. Die für den Zivilprozess insoweit in § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO getroffene Regelung findet über § 173 VwGO keine Anwendung (BayVGH, B.v. 24.2.2010 – 11 C 10.81 – juris – m.w.N.).
Allerdings wird in Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten eines Anwalts zur Wahrnehmung gerichtlicher Termine unter dem Vorbehalt des § 162 Abs. 1 VwGO steht, wonach es sich um zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Aufwendungen handeln muss. Der daraus herzuleitende Grundsatz der Kostenminimierung ist bei der Anwaltswahl mit der Folge zu beachten, dass ohne nähere Prüfung Reisekosten eines Rechtsanwalts nur dann voll zu erstatten sind, wenn er seine Kanzlei am Sitz oder im Bezirk des angerufenen Gerichts oder am Wohnsitz seines Mandanten oder in dessen Nähe hat (BayVGH, B.v. 24.2.2010 a.a.O.; B.v. 27.7.2006 – 2 N 04.2476 – juris m.w.N.). Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass der beauftragte Rechtsanwalt seine Kanzlei weder am Wohnsitz des Mandanten noch am Gerichtssitz hat, sind grundsätzlich nur bei Vorliegen besonderer Gründe erstattungsfähig, die aus der Sicht des Antragstellers die Beauftragung des auswärtigen Anwalts nahelegen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der beauftragte Anwalt über Spezialkenntnisse verfügt und der Streitfall Fragen aus dem Fachgebiet von solcher Schwierigkeit aufgeworfen hat, dass ein verständiger Beteiligter die Hinzuziehung eines solchen Anwalts für ratsam erachten konnte.
Außerdem wird es überwiegend als unzumutbar angesehen, nur zum Zweck der Kostenersparnis einen Anwaltswechsel zu vollziehen, wenn zwischen dem Mandanten und dem auswärtigen Rechtsanwalt bereits ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht (BayVGH, B.v. 24.2.2010 a.a.O. m.w.N.).
Nach vorstehenden Maßgaben hat hier die Kostenbeamtin die Erstattung der durch die Beauftragung eines auswärtigen im Vergleich zur Beauftragung eines ortsnahen Rechtsanwalts entstandenen Mehrkosten zu Unrecht abgelehnt.
Ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen der Antragstellerin und ihrem Verfahrensbevollmächtigten, etwa aus einer Vertretung in einem vorangegangenen Rechtsstreit, wurde hier weder behauptet noch nachgewiesen.
Dem Gericht ist bekannt, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin seit Jahren über Spezialkenntnisse gerade im Bereich der Anfechtung von medizinischen Prüfungen im Multiple-Choice-Verfahren verfügt. Diese Verfahren erfordern Kenntnisse und Erfahrung, die über das „normale“ allgemeine prüfungsrechtliche Wissen hinausgehen. So vertritt der Bevollmächtigte der Antragstellerin seit Jahren Kläger in den meisten Verfahren, in denen es um die Eliminierung von Multiple-Choice-Fragen bei medizinischen Prüfungen geht. Kanzleien mit derartigen Spezialkenntnissen in diesen Fragen sind dem Gericht in München nicht bekannt.
Demgegenüber ist unbestritten, dass es in München selbstverständlich auch verwaltungsrechtlich ausgerichtete und im Bereich des Prüfungsrechts spezialisierte Kanzleien gibt. Jedoch würde gerade im Bereich der medizinischen Multiple-Choice-Prüfungsfragen ein verständiger Beteiligter die Hinzuziehung eines solchen spezialisierten Anwalts für ratsam erachten.
Somit war die Beauftragung eines auswärtigen Anwalts hier also erforderlich.
Somit sind die Kosten für die Geschäftsreise gemäß Nr. 7004 VV RVG für die Benutzung Bahn/Taxi/Bus am 01./02. Juli 2013 i.H.v. 70,33 €, Tage- und Abwesenheitsgeld für mehr als acht Stunden gemäß Nr. 7005 Nr. 3 VV RVG i.H.v. 23,33 € sowie Übernachtungskosten i.H.v. 65,- €
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Erinnerungsverfahren ist gerichtsgebührenfrei (§ 66 Abs. 8 Satz 1 GKG).
Die Übertragung der abschließenden Kostenfestsetzung auf die Urkundsbeamtin beruht auf § 173 VwGO, § 573 Abs. 1 Satz 3, § 572 Abs. 3 ZPO (vgl. BayVGH, B.v. 8.5.2014 – 9 M 15.254 – juris Rn. 20).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Befristeter Arbeitsvertrag – Regelungen und Ansprüche

Dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit einem befristeten Vertrag eingestellt werden, ist längst keine Seltenheit mehr. Häufig taucht der Arbeitsvertrag auf Zeit bei jungen Mitarbeitenden auf. Über die wichtigsten Regelungen und Ansprüche informieren wir Sie.
Mehr lesen

Krankschreibung – was darf ich?

Winterzeit heißt Grippezeit. Sie liegen krank im Bett und fragen sich, was Sie während ihrer Krankschreibung tun dürfen und was nicht? Abends ein Konzert besuchen? Schnell ein paar Lebensmittel einkaufen? Wir geben einen Überblick über die wichtigsten Regeln.
Mehr lesen