Aktenzeichen 24 Ca 662/16
Leitsatz
1 Die Fahrtkostenerstattung gem. § 5 Ziffer 7.2 BRTV Bau greift bei Fahrten des Arbeitnehmers mit dem Fahrrad zur Baustelle nicht, da die Auslegung des Tarifvertrags zeigt, das tatsächliche Auslagen für ein Fahrzeug – die hier nicht vorliegen – ausgeglichen werden sollen; dies entspricht auch der steuerlichen Rechtslage, die Fahrtkosten für Fahrräder nicht mehr anerkennt. (Rn. 14 – 25) (red. LS Ulf Kortstock)
2 Der Verpflegungszuschuss gem. § 7 Ziff. 3.2 BRTV Bau hängt nur davon ab, ob der Arbeitnehmer mehr als zehn Stunden von seiner Wohnung abwesend ist, was auch bei der Nutzung eines Fahrrades der Fall ist, jedenfalls wenn der Arbeitgeber die Beförderung nicht übernommen hat. (Rn. 26 – 29) (red. LS Ulf Kortstock)
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, 392,83 € brutto (i. W. dreihundertzweiundneunzig 83/100 EURO) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
aus 69,63 € (i. W. neunundsechzig 63/100 EURO) seit dem 15.03.2016,
aus weiteren 61,35 € (i. W. einundsechzig 35/100 EURO) seit dem 15.04.2016,
aus weiteren 65,44 € (i. W. fünfundsechzig 44/100 EURO) seit dem 15.05.2016,
aus weiteren 61,35 € (i.W. einundsechzig 35/100 EURO) seit dem 15.06.2016,
aus weiteren 69,53 € (i.W. neunundsechzig 53/100 EURO) seit dem 15.07.2016,
aus weiteren 65,53 € (i. W. fünfundsechzig 53/100 EURO) seit dem 15.08.2016,
an den Kläger zu zahlen.
2. Die Klageanträge in den Ziffern 3, 4, 6, 9, 12 und 16 werden abgewiesen.
3. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
4. Der Streitwert wird auf 1.201,63 festgesetzt.
5. Die Berufung wird zugelassen.
Gründe
i. Der Rechtsstreit ist derzeit nur hinsichtlich der geltend gemachten Verpflegungszuschüsse sowie der Fahrtkostenabgeltung entscheidungsreif.
Die zulässige Klage ist hinsichtlich der geltend gemachten Verpflegungszuschüsse begründet. Hinsichtlich der geltend gemachten Fahrtkostenabgeltung ist sie unbegründet.
Im Einzelnen:
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zahlung einer Fahrtkostenabgeltung gem. § 7 Ziffer 3.1 BRTV Bau. § 7 Ziffer 3.1 BRTV Bau enthält weder eine ausdrückliche Regelung hinsichtlich der Abgeltung von Fahrten mit dem Fahrrad, noch ergibt sich ein Anspruch des Klägers aufgrund einer Auslegung der Vorschrift.
a. § 7 Ziffer 3. 1 BRTV Bau enthält keine ausdrückliche Regelung hinsichtlich einer Fahrtkostenabgeltung bei Benutzung eines Fahrrads.
Gem. § 7 Ziffer 3.1 BRTV Bau erhält der Arbeitnehmer eine Fahrtkostenabgeltung in Höhe von 0,20 € je Arbeitstag und gefahrenem Kilometer (Kilometergeld), wenn er auf einer mindestens zehn Kilometer von seiner Wohnung entfernten Arbeitsstelle arbeitet und für die Fahrt ein von ihm gestelltes Fahrzeug benutzt. Der arbeitstägliche Anspruch ist dabei auf 20 € begrenzt. Bei der Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels werden dem Arbeitnehmer die hierfür notwendigen Kosten erstattet. Ein Anspruch auf Fahrtkostenabgeltung besteht nicht, wenn die Möglichkeit der kostenlosen Beförderung mit einem vom Arbeitgeber gestellten ordnungsgemäßen Fahrzeug besteht.
b. Auch eine Auslegung der tariflichen Reglung führt zu keinem Anspruch des Klägers.
aa. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung, ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, gesetzeskonformen und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG vom 07.10.2015, Az. 7 AZR 945/13, Rn. 24, zitiert nach juris).
bb. Nach diesen Auslegungsgrundsätzen ergibt sich kein Abgeltungsanspruch des Klägers hinsichtlich der Fahrten, die er mit seinem Fahrrad zurückgelegt hat.
Gem. § 7 Ziffer 3.2 Satz 1 BRTV Bau ist Voraussetzung für die Fahrtkostenabgeltung i.H.v. 0,20 € je Arbeitstag und gefahrenem Kilometer, dass ein vom Arbeitnehmer gestelltes Fahrzeug benutzt wird.
Dem Kläger ist insoweit zuzustimmen, als es sich bei einem Fahrrad grundsätzlich um ein Fahrzeug i.S.d. StVO handelt.
Gleichwohl ergibt sich aus dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der tariflichen Regelung und dem Gesamtzusammenhang, dass bei Benutzung eines Fahrrads kein Anspruch auf Fahrtkostenabgeltung nach der genannten tariflichen Regelung besteht.
Bereits aus dem Wortlaut der tariflichen Regelung, konkret in Ziffer 2.1 von § 7 BRTV Bau ergibt sich, dass die Tarifvertragsparteien im Regelfall von der Benutzung eines Personenkraftwagens ausgegangen sind. Denn bei der Bestimmung der Entfernung kommt es auf die kürzeste mit einem Personenkraftwagen zurücklegbaren öffentlichen Wegstrecke an.
Dieses Ergebnis wird auch auf im Hinblick auf die steuerlichen Reisekostenerstattungssätze für Fahrtkosten gem. § 9 Abs. 1 Nr. 4a Satz 2 EStG gestützt. Auch hier ist seit 2014 eine steuerfreie Erstattung für Fahrten mit dem Fahrrad nicht mehr möglich (vorher 0,05 € pro gefahrenem Kilometer). Für Fahrten mit dem KFZ kann dabei eine steuerfrei Erstattung von 0,30 € pro gefahrenem Kilometer bzw. bei Benutzung eines Motorrads/Motorrollers/Mopeds/Mofa von 0,20 € pro gefahrenem Kilometer erfolgen.
Schließlich wird dieses Ergebnis auch durch den Sinn und Zweck der tariflichen Erstattungsregelung gestützt. Sind und Zweck der Regelung ist – wie sich bereits aus dem Wortlaut ergibt – die „Abgeltung“ von Mehraufwendung des Arbeitnehmers, die tatsächlich dadurch entstehen, dass er für die Fahrten zu Arbeitsstellen, die mindestens zehn Kilometer von seiner Wohnung entfernt liegen, sein eigenes Fahrzeug bzw. öffentliche Verkehrsmittel benutzt . Gleichzeitig geht der Gesetzgeber bei den oben dargestellten Sätzen davon aus, dass hiermit eine angemessene wirtschaftliche Abgeltung der Aufwendungen des Arbeitnehmers erfolgen kann. Vor diesem Hintergrund ergibt sich schon bereits deshalb, dass der tarifliche Erstattungssatz i.H.v. 0,20 € pro gefahrenem Kilometer nicht für Fahrten mit dem eigenen Fahrrad herangezogen werden kann. Nachdem seit 2014 eine steuerliche Erstattung für Fahrten mit dem Fahrrad nicht mehr vorgesehen ist, ergibt sich auch hieraus kein Ansatz für eine Auslegung von § 7 Ziffer 3.1 BRTV Bau dahingehend, dass für Fahrten mit dem eigenen Fahrrad ein geringer Erstattungssatz anzuwenden ist.
2. Der Kläger hat Anspruch auf die Zahlung der geltend gemachten Verpflegungszuschüsse für die Monate Februar bis einschließlich Juli 2016 i.H.v. insgesamt 392,83 € brutto gem. § 7 Ziffer 3.2 BRTV Bau.
a. Gem. § 7 Ziffer 3.2 BRTV Bau erhält der Arbeitnehmer, wenn er ausschließlich aus beruflichen Gründen mehr als zehn Stunden von seiner Wohnung abwesend ist, einen Verpflegungszuschuss in Höhe von 4,09 € je Arbeitstag in Betrieben in den alten Bundesländern.
b. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Nachdem – mangels eines anderweitigen Vortrag der Beklagten – davon auszugehen ist, dass die Beklagte eine kostenlose Beförderung des Klägers mit einem von ihr gestellten Fahrzeug nicht übernehmen wollte und der Kläger damit mit einem eigenen Fahrzeug zu den einzelnen Baustellen fahren musste, war der Kläger aus beruflichen Gründen an den von ihm genannten streitgegenständlichen Arbeitstagen mehr als zehn Stunden von seiner Wohnung abwesend.
c. Die Anspruchshöhe hat die Beklagte nicht bestritten. Sie ergibt sich wie folgt: 69,63 € brutto (Februar 2016), 61,35 € brutto (März 2016), 65,44 € brutto (April 2016), 61,35 € brutto (Mai 2016), 69,53 € brutto (Juni 2016), 65,53 € brutto (Juli 2016).
3. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 5 Ziffer 7.2 BRTV Bau i.V.m. §§ 286, 288 BGB.
II.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
III.
Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG festzusetzen.
IV.
1. Die Berufung war vorliegen gem. § 64 Abs. 3 Nr. 2 b) ArbGG zuzulassen, da es in dem vorliegend Teilurteil um die Auslegung des BRTV Bau geht, der bundesweite Geltung hat.
2. Die Parteien können nach Maßgabe der nachfolgenden Rechtsmittelbelehrunggegen diese Entscheidung das Rechtsmittel der Berufung zum Landesarbeitsgericht in B-Stadt einlegen.