Aktenzeichen S 16 R 715/16
GoÄ § 2
Leitsatz
Auf der Grundlage von “Honorarverträgen” für einen abulanten palliativmedizinischen Dienst tätige Ärzte sind nciht so in die Organisationsstruktur dieses Dienstes eingegliedert, dass von einer abhängigen Beschäfitgung auszugehen wäre- (Rn. 21 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 27.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2016 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Diese behalten die Beigeladenen jeweils auf sich.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Er ist daher aufzuheben. Die Beigeladenen 1.) bis 6.) sind selbstständig in Ihrer Tätigkeit für die Klägerin. Beiträge zur Sozialversicherung und Umlagen sind daher nicht zu erheben.
Rechtsgrundlage des von der Beklagten erlassenen Bescheides auf Grund der Betriebsprüfung ist § 28 p Abs. 1 SGB IV. Hiernach kann die Beklagte im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung erlassen. Grundlage der Prüfung sind die Pflichten des Arbeitgebers nach §§ 28 a ff. SGB IV, insbesondere die korrekte Einordnung der Sozialversicherungspflicht/-freiheit von im Betrieb Tätigen (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 21.06.2012, Az.: L 5 R 409/12 B ER m.V.a. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 09.05.2012 – L 5 R 23/12 – jeweils zitiert nach juris).
Grundsätzlich versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung sind gemäß § 1 Satz 1 Nr. 1, 1. HS SGB VI Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind.
Gemäß § 24 Absatz 1 SGB III stehen nach dem Recht der Arbeitsförderung in einem Versicherungspflichtverhältnis Personen, die als Beschäftigte oder aus sonstigen Gründen versicherungspflichtig sind. Nach § 25 Absatz 1 Satz 1 SGB III sind versicherungspflichtig Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt (versicherungspflichtige Beschäftigung) sind.
Gemäß § 5 Absatz 1 Nr. 1 SGB V, § 20 Absatz 1, Sätze 1 und 2 Nr. 1 SGB X I sind in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung Personen versicherungspflichtig, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt werden.
Beschäftigung gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Beschäftigung setzt die persönliche Abhängigkeit voraus. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisung und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. “Die Weisungsgebundenheit kann -vornehmlich bei Diensten höherer Arteingeschränkt und zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert sein” (Bundessozialgericht, Urteil vom 29.08.2012, Az: B 12 KR 25/10 R – zitiert nach juris). Für eine selbstständige Tätigkeit sprechen ein eigenes Unternehmerrisiko bzw. eine eigene Unternehmenschance, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und eine im Wesentlichen freie Gestaltung der Arbeitszeit. Die Entscheidung ergeht auf Grund einer Gesamtabwägung der Umstände, unter denen die jeweilige Tätigkeit ausgeübt worden ist. Die Einordnung als selbstständige oder abhängige Tätigkeit bestimmen die überwiegenden Merkmale. Auszugehen ist zunächst von der vertraglichen Vereinbarung. Weichen die tatsächlichen Verhältnisse hiervon ab, so gehen diese nur vor, soweit eine -formloseAbbedingung rechtlich möglich ist und erfolgte; umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Auch die Rechtsmacht ist Bestandteil der tatsächlichen Verhältnisse (vgl. Bundessozialgericht, Urteile vom 11.11.2015, Az.: B 12 R 2/14 R und vom 29.08.2012, Az: B 12 KR 25/10 R unter ausdrücklichem Hinweis auf die Entscheidung vom 22.06.2005, BSG SozR 4-2400 § 7 Nr. 5; vgl. zum Gesamten auch Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 20.10.2016, Az.: L 7 R 5045/16; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 21.06.2012, Az.: L 5 R 409/12 B ER m.V.a. st. Rechtsprechung, vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 28.06.2011 – L 5 R 880/10; Bundessozialgericht, Urteil vom 12.02.2004, Az.: B 12 KR 26/02 R; Bundessozialgericht, Urteil vom 29.08.2012, Az: B 12 KR 25/10 R – jeweils zitiert nach juris).
Die Beigeladenen 1.) bis 6.) sind selbstständig Tätige als Palliativärzte für die Klägerin. Die Merkmale für eine selbstständige Tätigkeit überwiegen. Zwar spricht für eine abhängige Tätigkeit, dass die Palliativmediziner und Beigeladenen 1.) bis 6.) von der Klägerin als “unsere Mitarbeiter” auf der Internetseite dargestellt werden. Auch die Abrechnung der Patientenleistungen bzw. das Außenverhältnis gegenüber den Patienten erfolgt über die Klägerin. Dies ist jedoch der Struktur des Leistungserbringungsrechts geschuldet (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 31.03.2017, Az.: B 12 KR 7/15 R – zitiert nach juris), weshalb hieraus nicht auf eine abhängige Beschäftigung geschlossen werden kann. Auch liegt eine zeitliche Weisungsgebundenheit gerade nicht vor, da eine entsprechende Absprache unter den Beigeladenen 1.) bis 6.) und der Klägerin erfolgt. Es kann daher dahinstehen, inwiefern sich die Beigeladenen 1.) bis 6.) im Honorarvertrag “regelmäßig und verbindlich” “zur Verfügung” stehen, da im Einzelfall jeweils gerade keine Weisungsgebundenheit, sondern ein entscheidendes Mitspracherecht, besteht. Es besteht direkter Einfluss der Beigeladenen 1.) bis 6.) darauf, wann eine Tätigkeit erfolgt. Auch können konkrete Patienten abgelehnt werden. Auf die Örtlichkeit der Tätigkeit hat weder die Klägerin, noch die Beigeladenen 1.) bis 6.) einen Einfluss. Die Patienten sind dort zu betreuen, wo sie sich befinden. Die Behandlung wird jedenfalls nicht in den Räumen der Klägerin durchgeführt. Dort bestehen auch keine Arbeitsplätze für die Beigeladenen 1.) bis 6.). Im Gegenteil: Die Pflege und Versorgung der Patienten wird bei einer Dritten Einrichtung durchgeführt, was aber die Beigeladenen 1.) bis 6.) auch nicht zu abhängig Beschäftigten dieser Dritten macht. Dass die Beigeladenen 1.) bis 6.) ein ärztliches Behandlungs-/Versorgungskonzept erstellen, das in Zusammenarbeit mit weiteren Kräften (z.B. Pflegekräften) abgearbeitet wird, unterscheidet die Tätigkeit nicht wesentlich von der eines Arztes im eigenen Praxisbetrieb. So verordnet beispielsweise ein Orthopäde eine physiotherapeutische Behandlung, die entsprechend vom Physiotherapeuten durchgeführt wird. Dies gilt auch für die notwendige Zusammenarbeit mit dem Hausarzt, wie der Beigeladene 3.) in der mündlichen Verhandlung ausführt. Dies bindet den Hausarzt auch nicht (über das gewöhnliche Maß) ein und macht den Hausarzt ebenso wenig zum Angestellten der Klägerin wie etwaige Kooperation der Beigeladenen untereinander, wie sie in der Stellenbeschreibung festgehalten ist. Ein medizinisches Behandlungskonzept fordert bereits kraft Natur der Sache eine Kooperation. Dies zeigt sich auch daran, dass eine Pflege der Zusammenarbeit mit dem Klinikum, der Stadt und dem Landkreis … ebenso Teil der Stellenbeschreibung ist. Diese “Zusammenarbeit” macht jedoch ebenso wenig die Beigeladenen 1.) bis 6.) zu abhängig Beschäftigten der Klägerin, wie es die Beigeladenen 1.) bis 6.) zu abhängig Beschäftigten, wie es die “mitarbeitenden” Angestellten der Stadt oder des Landkreises zu abhängig Beschäftigten der Klägerin macht. Dass im Rahmen des Behandlungskonzeptes öffentlichrechtliche Vorgaben zu beachten sind bzw. der SAPV, auf die/den auch in den Honorarverträgen Bezug genommen wird, begründet weder eine Weisungsgebundenheit, noch eine abhängige Beschäftigung (vgl.: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.03.2015, Az.: L 1 KR 105/13 m.V.a. Bundessozialgericht, Urteil vom 25.04.2012, Az.: B 12 KR 24/10 R; vgl. auch Bundessozialgericht, Urteil vom 31.03.2017, Az.: B 12 KR 7/15 R – jeweils zitiert nach juris). Kein Merkmal für eine abhängige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit ist es, wenn nicht nach Regelsätzen der Gebührenordnung für Ärzte (GoÄ) abgerechnet wird, da regelmäßig abweichende Vereinbarungen zulässig sind (vgl. § 2 GoÄ). (vgl. auch: Bundessozialgericht, Urteil vom 31.03.2017, Az.: B 12 KR 7/15 R – zitiert nach juris). Ebenfalls kein Merkmal für eine abhängige Beschäftigung ist das Angebot bzw. die Durchführung von Supervisionen auf freiwilliger Basis, da in diesem Falle gerade keine (Teilnahme-)Weisung erteilt werden kann. Soweit diese zusätzlich selbst bezahlt werden müssen, sind sie sogar als Indiz für eine selbstständige Tätigkeit zu werten. Kein zwingend abhängiges Beschäftigungsmerkmal ist auch die Bezahlung von (gesetzlich) vorgeschriebenen Fortbildungen. Diese können bei der Kalkulation der Stundensätze Berücksichtigung finden. Dass im vorliegenden Fall kein (erhebliches) Eigenkapital im Sinne eines unternehmerischen Risikos eingesetzt wird, ist ebenfalls kein entscheidendes Kriterium für eine abhängige Beschäftigung. Bereits die Art der Tätigkeit erfordert keinen gesteigerten Kapitaleinsatz (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 31.03.2017, Az.: B 12 KR 7/15 R, Rn. 42 f. – zitiert nach juris). Dass nach festen Stundensätzen vergütet wird, ist -insbesondere im Dienstleistungssektor ebenfalls kein Merkmal für eine abhängige Beschäftigung (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 31.03.2017, Az.: B 12 KR 7/15 R, Rn. 48 – zitiert nach juris). Ebenso nicht entscheidend ist die Frage, ob die Beigeladenen 1.) bis 6.) für die konkrete Tätigkeit als Palliativmediziner eine eigene Betriebsstätte aufrechterhalten (Bundessozialgericht, Urteil vom 31.03.2017, Az.: B 12 KR 7/15 R, Rn. 44 – zitiert nach juris).
Letztlich erfolgt die Tätigkeit der Beigeladenen 1.) bis 6.) jedoch inhaltlich und zeitlich unabhängig. Zwar verpflichten sich die Beigeladenen 1.) bis 6.) in den Honorarverträgen zur Gewährleistung der 24h-Pflege (vgl. auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.03.2015, Az.: L 1 KR 105/13 – zitiert nach juris). Es besteht jedoch die Möglichkeit auf diesen Zeitplan Einfluss zu nehmen. Hinzu kommt, dass keine fachlichen Weisungen erteilt werden und erteilt werden können. Eine entsprechende Grundlage hierfür (vgl. auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.03.2015, Az.: L 1 KR 105/13, Rn. 64 – zitiert nach juris) ist in den Honorarverträgen nicht zu sehen. Es ist hingegen eine selbstständige Tätigkeit gewollt. Ob die Voraussetzungen des SAPV durch die Klägerin und die entsprechende Sicherstellung der Einsatzbereitschaft mittels Einsatzes der selbstständigen Beigeladenen 1.) bis 6.) bzw. ggf. unter Änderung durch (spätere) Festanstellung des Beigeladenen 3.) erfüllt werden, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Dies hat jedoch auf das vorliegende Verfahren auch keine Auswirkungen, sondern wäre ggf. von den SAPV-Parteien zu klären. In Abwägung dieser Punkte gilt dies sowohl für die Beigeladenen 1.) und 2.) sowie 4.) bis 6.), als auch für den Beigeladenen 3.), für den in der tatsächlichen Durchführung und Vertragsgestaltung eine gewisse Abweichung, insbesondere auch im repräsentativen Bereich der Klägerin, bestand, die jedoch von der Kammer rechtlich im Ergebnis nicht abweichend beurteilt wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1, § 161 Abs. 1 u. § 162 VwGO (Verwaltungsgerichtsordnung). Den Beigeladenen sind keine Kosten aufzuerlegen, jedoch auch keine Kosten zu erstatten. Gemäß § 197a SGG i.V.m. § 154 Absatz 3 VwGO können einem Beigeladenen Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt. Nach § 197a SGG i.V.m. § 162 Absatz 3 VwGO sind die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt. Nach § 197a Absatz 2 SGG werden dem Beigeladenen die Kosten außer in den Fällen des § 154 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung auch auferlegt, soweit er verurteilt wird (§ 75 Abs. 5). Ist eine der in § 183 genannten Personen beigeladen, können dieser Kosten nur unter den Voraussetzungen von § 192 auferlegt werden. Aufwendungen des Beigeladenen werden unter den Voraussetzungen des § 191 vergütet; sie gehören nicht zu den Gerichtskosten. Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt. Sie haben sich keinem Kostenrisiko ausgesetzt. Eine Kostenerstattung der außergerichtlichen Kosten erfolgt nicht (vgl. auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 197a Rn. 29).