Aktenzeichen B 4 K 14.705
Leitsatz
Bei einer völlig untergeordneten Beschäftigung (12 Stunden pro Monat für insgesamt 102,- EUR) liegt keine Arbeitnehmereigenschaft vor, so dass der Betroffene nicht als Arbeitnehmer unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 FreizügG/EU). Wer gegen Entgelt stundenweise einer älteren Dame Gesellschaft leistet, ist ebenfalls nicht als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt, weil diese Tätigkeit keiner am Arbeitsmarkt frei verfügbaren Stelle entspricht. (redaktioneller Leitsatz)
Als nicht erwerbstätiger Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt ist nicht, wer über keine Krankenversicherung verfügt (§ 4 FreizügG/EU). Es ist ermessensfehlerfrei, den Verlust der Freizügigkeit festzustellen, weil ohne Krankenversicherung eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, über kurz oder lang öffentliche Leistungen in Anspruch zu nehmen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 15.09.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Beklagte hat zu Recht gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU den Verlust des Freizügigkeitsrechts des Klägers festgestellt.
Gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers festgestellt werden, wenn die Vor-
aussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen sind oder nicht vorliegen. Wie bei anderen Maßnahmen, die die Beendigung des Aufenthalts gegenüber Unionsbürgern zur Folge haben, ist dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgeblich (VG Regensburg, B. v. 14.02.2014 – RO 9 S 14.110 – juris Rn. 23 unter Verweis auf BVerwG, U. v. 03.08.2004 – 1 C 30/02 – BVerwGE 121, 297/308-310 = NVwZ 2005,220/222f. zu § 12 AufenthG/EWG).
a) Der Kläger hat, unabhängig davon, ob sein bisheriger Aufenthalt rechtmäßig war, jedenfalls seit weniger als fünf Jahren seinen ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet, denn er hat seinen dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet erst mit der Anmeldung in G… am 25.11.2013 begründet. Zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses war erst ein knappes Jahr vergangen.
b) Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung liegen die Voraussetzungen für ein Recht auf Einreise und Aufenthalt des Klägers nicht vor. Er ist weder gemäß § 2 Abs. 2 Nr.1 noch gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1a noch gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 5 i. V. m. § 4 FreizügG/EU unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt.
(1) Der Kläger ist gegenwärtig nicht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. FreizügG/EU als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt. Dahinstehen kann deshalb, ob der Kläger zu einem früheren Zeitpunkt vorübergehend die Arbeitnehmereigenschaft erfüllt hat.
Arbeitnehmer ist jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit für einen anderen nach dessen Weisung ausübt und hierfür eine Vergütung erhält, es sei denn die Tätigkeit hat einen so geringen Umfang, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt. Dies ist anhand aller ein Arbeitsverhältnis kennzeichnenden Aspekte zu bewerten(BVerwG, U. v. 19.04.2012 – 1 C 10/11 – BVerwGE 143, 38/42f. = NVwZ 2012, 1628/1629 Rn. 15).
Legt man diese Maßstäbe zugrunde, ist der Kläger nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung weder aufgrund seiner Beschäftigung in der Gaststätte noch aufgrund seiner Hilfstätigkeiten für die alte Dame als Arbeitnehmer anzusehen.
Nach den Angaben seiner Arbeitgeberin, Frau H., in der mündlichen Verhandlung ist der Kläger nur an den Wochenenden je 1,5 Stunden täglich, also insgesamt 12 Stunden pro Monat in ihrer … Gaststätte tätig. Er erhält dafür seit 01.06.2016 eine Vergütung von 8,50 EUR/Std. Seine Tätigkeit beschreibt sie mit Tische abwischen und Toiletten in Ordnung halten. Das Putzen der Toiletten übernehme sie selbst. Umfangreichere Arbeiten, insbesondere in der Gaststätte könne sie ihm aus hygienischen Gründen wegen seiner kranken Füße und weil er nicht gut laufen könne, nicht übertragen.
Selbst wenn man hier die Grundmerkmale eines Arbeitsverhältnisses, nämlich ein Abhängigkeitsverhältnis und die Zahlung einer Vergütung als Gegenleistung für die vom Kläger erbrachten Leistungen (BVerwG, a. a. O., BVerwGE 143, 38 /43 = NVwZ 2012,1629 Rn. 16) als gegeben ansieht, gelangt man angesichts der geringen Zahl der im Rahmen des sozialversicherungsfreien Arbeitsverhältnisses geleisteten Arbeitsstunden und der minimalen Vergütung von 102,00 EUR/mtl. zu der Einschätzung, dass hier eine völlig untergeordnete Tätigkeit vorliegt, die eine Arbeitnehmereigenschaft nicht erfüllt.
Da das Gericht auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen hat, hat es außer Betracht zu lassen, dass die Lokalinhaberin bereit wäre, den Kläger in größerem Umfang zu beschäftigen, wenn er wieder gesund wäre.
Auch soweit der Kläger seit 01.06.2016 40 Stunden im Monat als Haushalts-/Pflegehilfe bei der 91 jährigen Mutter von Frau H. beschäftigt ist, liegt kein im Rahmen des Freizügigkeitsrechts zu berücksichtigendes Arbeitsverhältnis vor. Gegen eine Arbeitnehmereigenschaft im Sinne einer Teilnahme am Wirtschaftsleben spricht, dass die Tätigkeit, die der Kläger bei der alten Dame ausübt, nicht einer am freien Arbeitsmarkt verfügbaren Arbeitsstelle entspricht, bei der vertraglich Arbeitszeiten, Tätigkeitsumschreibung, Entlohnung und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaub, etc. geregelt würden.
Seine Tätigkeit bei ihr wird so beschrieben, dass er sie in der Regel am Abend besucht, ihr Gesellschaft leistet und Hilfsdienste im Haushalt verrichtet. Nach den Angaben ihrer Tochter sei der Kläger wie ein Sohn für sie. Sie frage ständig nach ihm, wenn er nicht da sei.
Nach diesen Erkenntnissen in der mündlichen Verhandlung stellt es sich so dar, dass über Monate hinweg eine persönliche Beziehung zwischen dem Kläger und der alten Dame gewachsen ist, nachdem der Kläger in B. B. von Frau H. uneigennützig aufgenommen wurde und er sich als Gegenleistung für Kost und Logis in dem Anwesen und der Gaststätte und schließlich auch durch gelegentliche Besuche bei der Mutter nützlich gemacht hat. Da die Betreuung der alten Dame durch den professionellen Pflegedienst sowie die Tochter und Enkelin gesichert ist, bestand und besteht die Aufgabe des Klägers schwerpunktmäßig darin, ihr stundenweise Gesellschaft zu leisten. Erst im Vorfeld der mündlichen Verhandlung (Ladung vom 25.05.2016) wurde unter dem 01.06.2016 aus dem Gefälligkeitsverhältnis ein „Arbeitsverhältnis“ mit Entgeltzahlung geschaffen. Da nicht davon auszugehen ist, dass eine andere Person für diese Tätigkeit eingestellt würde, wenn der Kläger dafür nicht mehr zur Verfügung stünde, entspricht die „Arbeitsstelle“ nicht einer vergleichbar auf dem freien Arbeitsmarkt erhältlichen Stelle. Letztlich gilt dies auch für seine untergeordnete Tätigkeit in der Gaststätte, da man für das Tischabwischen und Auswechseln von Toilettenpapier und -handtüchern nicht gesondert Personal einstellen würde.
(2) Der Kläger ist auch nicht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Diese Vorschrift gewährt arbeitssuchenden Unionsbürgern Freizügigkeit für die Dauer von bis zu sechs Monaten, darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht auf eine Einstellung haben.
Weder sucht der Kläger zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine (weitere) Arbeit, sondern bestreitet seinen Lebensunterhalt mit seinen beiden Beschäftigungen und der freien Kost und Logis in B. B., noch verspricht eine Arbeitsplatzsuche aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen einen Erfolg.
(3) Der Kläger ist weiter auch nicht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 5 i. V. m. § 4 Satz 1 FreizügG/EU als nicht erwerbstätiger Unionsbürger, der über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügt, freizügigkeitsberechtigt.
Das Gericht kann offenlassen, ob der Kläger im Hinblick auf seine freie Kost und Logis und die Vergütung für seine beiden Beschäftigungen über gesicherte ausreichende Existenzmittel verfügt. Denn er ist zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nach eigenen Angaben jedenfalls nicht krankenversichert.
c) Schließlich hat der Beklagte das ihm durch § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU eingeräumte Ermessen, den Verlust des Freizügigkeitsrechts festzustellen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht (mehr) vorliegen, gemäß Art. 40 BayVwVfG dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechend ausgeübt. Denn das öffentliche Interesse, den Verlust des Freizügigkeitsrechts mit der Folge seiner Ausreisepflicht festzustellen, überwiegt das persönliche Interesse des Klägers am weiteren Verbleib in Deutschland.
Der Beklagte hat zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger nicht über eine Krankenversicherung verfügt und deshalb die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass er über kurz oder lang aufgrund einer Erkrankung oder sonstigen Bedürftigkeit öffentliche Leistungen wird in Anspruch nehmen müssen. Das private Interesse des Klägers an einem weiteren Aufenthalt tritt demgegenüber zurück, weil ihm eine Ausreise in die Tschechische Republik zumutbar ist, wo er die längste Zeit seines Lebens seinen Lebensmittelpunkt hatte. Der dagegen kurze Aufenthalt in Deutschland kann nicht zu einer Entfremdung vom Heimatland geführt haben, zumal er dort zwei Söhne und ein Enkelkind hat. Zudem hat er sich 2015 für mehrere Monate in seinem Heimatland aufgehalten.
2. Die Festsetzung der ausreichend bemessenen Ausreisefrist von einem Monat und die Androhung der Abschiebung in die Tschechische Republik beruhen auf § 7 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU.
II.
Als unterliegender Teil trägt der Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach § 124 und § 124a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung die Zulassung der Berufung beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth,
Hausanschrift: Friedrichstraße 16, 95444 Bayreuth oder
Postfachanschrift: Postfach 110321, 95422 Bayreuth,
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für die Stellung des Antrags auf Zulassung der Berufung beim Verwaltungsgericht erster Instanz. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in den § 3 und § 5 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz bezeichneten Personen und Organisationen.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.
Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München oder
Postfachanschrift in München: Postfach 340148, 80098 München,
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach,
einzureichen. Es wird darauf hingewiesen, dass die Berufung nur zuzulassen ist,
1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 5. 000,00 EUR festgesetzt.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Streitwertbeschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth,
Hausanschrift: Friedrichstraße 16, 95444 Bayreuth, oder
Postfachanschrift: Postfach 110321, 95422 Bayreuth,
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieses Beschlusses eingelegt werden. Der Beschwerdeschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.
Die Frist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postfachanschrift in München: Postfach 340148, 80098 München,
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach,
eingeht.