Arbeitsrecht

Frage versicherungspflichtiger Beschäftigung – Tätigkeit einer Pflegefachkraft

Aktenzeichen  S 31 R 1146/16

Datum:
9.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV SGB IV § 7

 

Leitsatz

Eine Pflegefachkraft, die laut Vertrag als freier Mitarbeiter für eine ambulantes Pflegeunternehmen in der Heimpflege tätig ist, ein nicht ganz erheblich über dem Stundensatz von vergleichbaren Beschäftigten liegendes Entgelt bezieht, sich vertraglich auf die Einhaltung der Pflegestandards des Pflegeunternehmens verpflichtet, ihre zeitliche Verfügbarkeit in einen Dienstplan einträgt, der auch die Einteilung der Festangestellten enthält, regelmäßig an Teambesprechungen des Pflegeunternehmens teilnimmt und für das Pflegeunternehmen Werbeveranstaltungen durchführt, ist beschäftigt im Sinne von § 7 SGB IV, auch wenn einzelne Aufträge abgelehnt werden durften und tatsächlich abgelehnt wurden, und keine Einzelanweisungen zur Pflege erteilt wurden. (Rn. 28 ff.)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Gründe

Die Klage ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Die Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden, die sie im Rahmen ihrer Zuständigkeit nach § 7a SGB IV erlassen hat, mit Recht entschieden, dass der Beigeladene seine Tätigkeit als Fachkrankenpfleger für D-Firma vom 01.03.2001 bis zum 30.09.2003 im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses gemäß § 7 SGB IV ausgeübt hat. Die angefochtenen Bescheide verletzen die Klägerin somit nicht in ihren Rechten.
Beurteilungsmaßstab für die Prüfung, ob eine Beschäftigung vorlag, ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisungen und die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Ob demnach eine Beschäftigung besteht, ist nach Gesamtwürdigung aller Umstände, die für oder gegen eine Beschäftigung sprechen, zu entscheiden. Maßgeblich ist dabei, welche Umstände überwiegen. Ausgangspunkt ist dabei das Vertragsverhältnis, wie es sich aus den Vereinbarungen ergibt. Weichen die tatsächlichen Verhältnisse davon ab, sind diese maßgeblich, soweit die Abbedingung vertraglicher Vereinbarungen rechtlich zulässig ist.
Nach Auffassung des erkennenden Gerichts gibt es bei der streitigen Tätigkeit sowohl Kriterien, die für eine selbständige Tätigkeit sprechen, als auch Kriterien, die für eine Beschäftigung sprechen.
Für selbständige Tätigkeit spricht in erster Linie, dass der Beigeladene seine Arbeitskraft nicht in vollem Umfang oder im Sinne einer Teilzeitbeschäftigung zumindest teilweise der Klägerin zur Verfügung gestellt hat. Vielmehr ist sowohl dem Vertrag über freie Mitarbeit vom 10.03.2001, als auch den glaubwürdigen Ausführungen des Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung zu entnehmen, dass der Beigeladene tatsächlich frei und selbst darüber entschied, welche Zeiträume er D-Firma anbieten wollte, und welche Aufträge er beispielsweise im Hinblick auf die Person des Patienten annehmen wollte. Der Beigeladene genoss hier ein Maß an Freiheit, wie es Angestellte im Allgemeinen nicht haben und auch die angestellten Pflegekräfte von D-Firma nicht hatten. Ihren Angestellten konnte D-Firma im Zweifelsfalle die Weisung erteilen, zu einer bestimmten Zeit einen bestimmten Patienten zu pflegen. Sie war nicht verpflichtet, Änderungswünsche von Angestellten zu berücksichtigen. Vielmehr hatte sie die Rechtsmacht, diesbezüglich Arbeitgeber-Weisungen zu erteilen. Die Freiheit des Angestellten beschränkte sich dann darauf, die Pflege eines bestimmten Patienten weisungswidrig abzulehnen mit dem Risiko, den Arbeitsplatz auf Grund Nichterfüllung der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen komplett zu verlieren. Dies ist nicht vergleichbar mit der Möglichkeit des Beigeladenen, bestimmte Patienten abzulehnen und stattdessen andere Aufträge entgegenzunehmen.
Weiterhin spricht für Selbständigkeit, dass der Beigeladene über seine Tätigkeit Rechnungen stellte und im Falle seiner Verhinderung verpflichtet war, Ersatz zu stellen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass es tatsächlich niemals zur Stellung einer solchen Ersatzkraft gekommen ist. Diesem Indiz kann somit kein großes Gewicht für die Annahme von Selbständigkeit beigemessen werden, ebenso wenig der Tatsache, dass der Beigeladene laut Vertrag nicht zur Teilnahme an Dienstbesprechungen verpflichtet war. Denn tatsächlich hat er regelmäßig an Teambesprechungen von D-Firma teilgenommen.
Stärkeres Gewicht haben im vorliegenden Fall die Kriterien, die für eine Beschäftigung sprechen. Hierzu zählt zunächst die durchaus vorhandene Eingliederung des Beigeladenen in den Betrieb von D-Firma. Diese Eingliederung wird bereits daran erkennbar, dass der Beigeladene sich online in denselben Einsatzplan eintrug, der auch den Einsatz der angestellten Pflegekräfte regelte. Der Beigeladene war somit ein wesentlicher Baustein bei der Planung der D-Firma hinsichtlich der Erfüllung ihrer gegenüber den Patienten übernommenen vollumfänglichen Pflegeverpflichtung.
Die Eingliederung wird weiterhin sichtbar an der Teilnahme des Beigeladenen an Teambesprechungen, sowie an Durchführung von Werbeveranstaltungen für D-Firma. Das werbende Auftreten des Beigeladenen diente nicht der eigenen Auftragsakquise, sondern der Verbesserung der Auftragssituation von D-Firma. Der Beigeladene war damit stärker in den klägerischen Betrieb von D-Firma eingebunden, als andere Pflegekräfte, die der erkennenden Kammer aus Parallelverfahren zum gleichen Rechtsproblem bekannt sind und hier als selbständig eingeschätzt wurden.
Davon abgesehen ist als weiteres Indiz für Selbständigkeit zu beachten, dass der Beigeladene keinerlei unternehmerische Kalkulation durchgeführt hatte, was dazu führte, dass ihm im vorhinein gar nicht klar war, dass eine Bezahlung mit 35.- DM pro Stunde in Anbetracht der Abzüge, die ein Selbständiger für Versicherungen und Steuern zu tragen hat, kein ausreichendes Entgelt für einen Selbständigen darstellten. Anders als in dem Fall eines Erziehungsbeistandes, für den das BSG mit Urteil vom 31.03.2017 (Az.: B 12 R 7/15 R) auf Selbständigkeit entschieden hat, wurde die streitige Tätigkeit somit nicht mit einem Entgelt vergütet, das ganz erheblich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten Beschäftigten lag. Dies wäre nämlich nach dem genannten BSGUrteil ein ganz wesentliches Kriterium, das den Ausschlag für Selbständigkeit geben könnte (im dortigen Fall wurden dem vom BSG als selbständig eingestuften Erziehungsbeistand 40,- bis 41,50 EUR Stundensatz bezahlt). Der Beigeladene hatte im streitigen Zeitraum als Beschäftigter 25.- DM pro Stunde verdient, und als „Selbständiger“ im Durchschnitt 35.- DM pro Stunde. Eine ganz erheblich höhere Vergütung stellt das nicht dar.
Dass der Beigeladene hinsichtlich der Art und Weise seiner Pflegetätigkeit keine Einzelanweisungen von D-Firma erhielt, spielt für die Statusbeurteilung keine maßgebliche Rolle. Im Hinblick auf die qualifizierte Ausbildung des Beigeladenen, ebenso wie der der angestellten Fachpflegekräfte, entspricht es auch der Arbeitswirklichkeit eines Beschäftigten, dass Einzelweisungen hinsichtlich der Frage, wie die Pflege auszuführen ist, sich erübrigen. Für Beschäftigung spricht allerdings, dass der Beigeladene vertraglich auf Einhaltung der Pflegestandards von D-Firma verpflichtet wurde, was als Ausfluss eines Arbeitgeber-Weisungsrechts anzusehen ist.
Keine Rolle spielte für die Entscheidung der Kammer, dass der Beigeladene keine nennenswerten Investitionen für seine Tätigkeit getroffen hat. Dies ist in vielen Dienstleistungsbranchen der Fall, auch wenn Tätigkeiten von unzweifelhaft Selbständigen ausgeübt werden – schlicht deshalb, weil viele Dienstleistungen keine nennenswerten Investitionen erfordern. Das Vorliegen eines erheblichen Unternehmerrisikos stellt in solchen Tätigkeiten daher kein taugliches Abgrenzungskriterium dar (vgl. BSG vom 31.3.2017, B 12 R 7/15 R, NZS 2017, S. 665, Rn 42f).
Gleiches gilt für die Tatsache, dass der Beigeladene keine eigene Betriebsstätte unterhielt, da eine Betriebsstätte für selbständige Tätigkeiten in der Heimpflege generell nicht nötig ist (vgl. BSG, a.a.O., Rn 44).
Bei Abwägung aller Umstände ist die erkennende Kammer im vorliegenden Fall, vor allem mit Blick auf die starke Eingliederung des Beigeladenen in den Betrieb von D-Firma, gleichwohl der Auffassung, dass hier mehr für eine Beschäftigung spricht, als für eine selbständige Tätigkeit.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO und berücksichtigt die Tatsache, dass die Klägerin in vollem Umfang unterlegen ist. Eine Kostentragungspflicht des Beigeladenen scheidet gemäß § 154 Abs. 3 VwGO aus, da er keinen Antrag gestellt hat.

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