Arbeitsrecht

Gegenstandswert im Vollstreckungsantragsverfahren in asylrechtlicher Streitigkeit

Aktenzeichen  M 7 M 19.30323

Datum:
11.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 16517
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 172
RVG § 23 Abs. 1 S. 2, § 30, § 33

 

Leitsatz

1 Verfahren nach dem AsylG sind nicht nur die entsprechenden Hauptsacheverfahren und Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, sondern auch sämtliche Nebenverfahren einschließlich gerichtlicher Vollstreckungsantragsverfahren nach § 172 VwGO (Anschluss an VGH Mannheim BeckRS 2017, 103950 Rn. 2). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die Feststellung des Gegenstandswerts für das gerichtliche Antragsverfahren auf gerichtliche Handlungen der Zwangsvollstreckung nach § 172 VwGO als Neben- bzw. Annexverfahren ist auf das zugrundeliegende Erkenntnisverfahren abzustellen (Anschluss an OVG Münster NVwZ-RR 2010, 999). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Mit durch den Berichterstatter als Einzelrichter ausgesprochenem Urteil vom 10. September 2018 (Az. M 7 K 16.3618) wurde die Antragstellerin (Beklagte) verpflichtet, dem Antragsgegner (Kläger) die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Asylgesetz zuzuerkennen.
Mit Schriftsatz vom 5. November 2018 beantragte der Antragsgegner vertreten durch seine Bevollmächtigten die Vollstreckung aus dem Urteil vom 10. September 2018 (Az. M 7 V 18.34126). Das Verfahren wurde mit Beschluss vom 20. November 2018 eingestellt und der Antragstellerin Verfahrenskosten auferlegt, nachdem die Beteiligten die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt hatten.
Auf Antrag der Bevollmächtigten des Antragsgegners setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 17. Januar 2019 für das Verfahren Az. M 7 V 18.34126 insgesamt 129,81 EUR notwendige Aufwendungen inkl. Verzinsung ab 11. Dezember 2018 mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gegenüber der Antragstellerin fest. Die Festsetzung basierte auf folgenden Angaben der Bevollmächtigten des Antragsgegners:
Gegenstandswert: € 5.000
0,3 Gebühr VV 3009/3310 RVG € 90,90 Post- und Telekommunikationspauschale VV 7002 VV RVG € 18,18
19% Mehrwertsteuer VV 7008 VV RVG € 20,73
€ 129,81
Mit Eingang am 23. Januar 2019 beim Verwaltungsgericht München beantragte die Antragstellerin sinngemäß die Entscheidung des Gerichts bzgl. des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 17. Januar 2019.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass in Anlehnung an Ziff. 1.7.1, Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit der Gegenstandswert für das Vollstreckungsverfahren mit einem Viertel des Gegenstandswerts der zugrundeliegenden Hauptsache zu bemessen sei. Streitgegenständlich im vorliegenden Verfahren sei nicht mehr die materielle Prüfung des Asylbegehrens des Vollstreckungsgläubigers, sondern allein die Durchsetzung des rechtskräftigen Urteils gewesen.
Mit Schriftsatz vom 14. März 2019 beantragten die Bevollmächtigten des Antragsgegners,
die Erinnerung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Ziff. 1.7.1, Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit greife vorliegend schon deswegen nicht, weil die dortige Regelung nur auf selbstständige Vollstreckungsverfahren abziele.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle half der Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss nicht ab und legte ihn dem Gericht zur Entscheidung vor.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten diesem Verfahren und in den Verfahren Az. M 7 K 16.36168 und Az. M 7 V 18.30323 sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Über die Erinnerung entscheidet das Gericht in der Besetzung, in der die zugrundeliegende Kostenentscheidung getroffen wurde, hier also durch den Einzelrichter nach § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG.
Die gemäß § 165 Satz 2 VwGO i.V.m. § 151 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Kostenerinnerung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Dem Kostenfestsetzungsbeschluss wurde zutreffend der – vorliegend allein streitige – Gegenstandswert nach § 30 Abs. 1 RVG zugrunde gelegt (5.000 EUR).
Das Kostenerstattungsverfahren erfolgt auf der Grundlage des Gegenstandswerts in gerichtlichen Verfahren nach dem Asylgesetz, denn das vorliegende Verfahren nach § 172 VwGO ist eine asylrechtliche Streitigkeit. Da für die vorliegende asylrechtliche Streitigkeit nach § 172 VwGO in § 30 RVG unmittelbar keine Regelung des Gegenstandswerts enthalten und nach Maßgabe des § 83b AsylG das vorliegende Verfahren nach § 172 VwGO gerichtskostenfrei ist, ist zur Ermittlung des Gegenstandswerts auf die allgemeine Wertvorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 2 RVG zurückzugreifen, die ihrerseits die entsprechende Anwendung des jeweiligen Kostengesetzes, vorliegend § 52 Abs. 1 GKG, vorsieht (§ 2 i.V.m. Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG [VV], § 13 RVG i.V.m. Anlage 2 zu § 13 Abs. 1 Satz 3 RVG, § 30 RVG, § 23 Abs. 1 Satz 2 RVG,§ 52 Abs. 1 GKG entspr.).
Das vorliegende gerichtliche Vollstreckungsantragsverfahren nach § 172 VwGO, auf das sich das Kostenfestsetzungserinnerungsverfahren bezieht, ist eine Streitigkeit nach dem AsylG, denn das zugrundeliegende Erkenntnisverfahren war eine Streitigkeit nach dem AsylG. Verfahren nach dem AsylG sind nicht nur die entsprechenden Hauptsacheverfahren und Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, sondern auch sämtliche Nebenverfahren (vgl. VGH BW, B.v. 28.2.2017 – A 2 S 271/17 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 22.5.2013 – 8 C 13.30078 – juris Rn. 6).
In Klageverfahren nach dem AsylG (bei Beteiligung nur einer natürlichen Person in demselben Verfahren) beträgt der Gegenstandswert € 5.000 (§ 30 Abs. 1 S. 1 RVG). Ist der nach § 30 Abs. 1 RVG bestimmte Wert nach dem besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Wert festsetzen (§ 30 Abs. 2 RVG).
§ 30 Abs. 1 RVG bestimmt (unmittelbar) keinen Gegenstandswert für das gerichtliche Antragsverfahren auf gerichtliche Handlungen der Zwangsvollstreckung nach § 172 VwGO, denn das gerichtliche Verfahren nach § 172 VwGO ist weder ein Klageverfahren, noch ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutze nach der Verwaltungsgerichtsordnung und gilt aber auch nicht als ein solches unter dem gebührenrechtlichen Blickwinkel. Vielmehr handelt es sich nach dem Gerichtskostengesetz um ein „Besonderes Verfahren“ (vgl. Anlage 1 – zu § 3 Abs. 2 GKG – Kostenverzeichnis: Teil 5 Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Hauptabschnitt 1 Prozessverfahren, Hauptabschnitt 2 Vorläufiger Rechtsschutz, Hauptabschnitt 3 Besondere Verfahren) und auch nach dem RVG stellt es ein „Besonderes Verfahren“ dar (vgl. Anlage 1 – zu § 2 Abs. 2 RVG – Vergütungsverzeichnis: Teil 3 (u.a.) Verfahren der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten, Abschnitt 3 Gebühren für besondere Verfahren, Unterabschnitt 3 Vollstreckung und Vollziehung). Eine unmittelbare Anwendung des § 30 Abs. 1 RVG scheidet bei asylrechtlichen Verfahren nach § 172 VwGO aus.
Eine analoge Anwendung des § 30 Abs. 1 RVG kommt daher mangels planwidriger Regelungslücke nicht in Betracht. Selbst wenn man eine solche Analogie in Betracht ziehen würde, könnte das asylrechtliche Verfahren nach § 172 VwGO als solches abstrakt weder einem asylrechtlichen Klageverfahren, noch gleichermaßen als solches abstrakt einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gleich erachtet werden, denn dies ließe außer Betracht, dass sich das gerichtliche Antragsverfahren auf gerichtliche Handlungen der Zwangsvollstreckung nach § 172 VwGO als Neben- bzw. Annexverfahren sich inhaltlich entweder auf einen Verpflichtungsausspruch in einem mit Urteil beendeten Klageverfahren (§ 113 Abs. 1 Satz 3, Abs. 5 VwGO) oder auf einen Verpflichtungsausspruch in einem mit Beschluss beendeten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (§ 123 VwGO) bezieht.
Eine „Unbilligkeitskorrektur“ nach § 30 Abs. 2 RVG im Nachgang zu einer (analogen) Anwendung des § 30 Abs. 1 RVG oder eine (analoge) Anwendung des § 30 Abs. 2 RVG auf asylrechtliche Verfahren nach § 172 VwGO scheidet ebenfalls aus.
Nach § 30 Abs. 2 RVG kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Wert festsetzen, wenn der nach § 30 Abs. 1 RVG bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig ist. Das gesetzliche Erfordernis der „Unbilligkeit nach den besonderen Umständen des Einzelfalls“ schließt es aus, den Gegenstandswert des Verfahrens nach § 172 VwGO als Nebenverfahren zum vorausgegangenen Erkenntnisverfahren erfassen zu können, denn bei einem Nebenverfahren handelt es sich gerade um keine, auch keine besonderen, Umstände des Einzelfalls, vielmehr um abstrakte gesetzliche Strukturen. Auch eine pauschalierende abstrakte Betrachtung des Arbeitsaufwands des bevollmächtigten Rechtsanwalts mit der Mandatserfüllung für das Antragsverfahrens nach § 172 VwGO, aber auch die pauschalierende abstrakte Bewertung eines asylrechtlichen Nebenverfahren als Verfahrensart, das weder Klageverfahren, noch Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist, erfüllt unter dem gleichen Gesichtspunkt nicht die Voraussetzung der „auf besonderen Umständen des Einzelfalls beruhenden“ Unbilligkeit, so dass – bei analoger Anwendung des § 30 Abs. 1 RVG – eine Herabsetzung nach § 30 Abs. 2 RVG des regulär nach § 30 Abs. 1 RVG anzusetzenden – selbst bei dessen differenzierender Anwendung nach der Art des zugrundeliegenden Erkenntnisverfahrens – Gegenstandswerts ausgeschlossen ist.
Da die spezielle Vorschrift des § 30 Abs. 1 RVG keine unmittelbare Anwendung findet, ist auf die allgemeine Wertvorschrift des RVG, § 23 Abs. 1 RVG, abzustellen. Zu beachten ist, dass auf das vorliegende Verfahren nach § 172 VwGO, da es eine asylrechtliche Streitigkeit ist, § 83b AsylG Anwendung findet mit der Folge, dass es gerichtskostenfrei ist. Für solchermaßen gerichtskostenfreie Verfahren sieht § 23 Abs. 1 Satz 2 RVG vor, dass die Wertvorschriften des jeweiligen Kostengesetzes entsprechende Anwendung finden zur Bemessung des Gegenstandswerts. Vorliegend ist gemäß § 52 Abs. 1 GKG in Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist – was vorliegend der Fall ist -, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag der Klagepartei für sie ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
Für die Feststellung des Gegenstandswerts für das gerichtliche Antragsverfahren auf gerichtliche Handlungen der Zwangsvollstreckung nach § 172 VwGO als Neben- bzw. Annexverfahren ist auf das zugrundeliegende Erkenntnisverfahren abzustellen (überzeugend OVG NRW, B.v. 11.8.2010 – 8 E 555/10 – juris mit weiteren Nachweisen, auch zu abweichender Rechtsprechung; im Ergebnis auch VGH BW, B.v. 12.7.2000 – 13 S 352/00 – juris Rn. 3), das seiner Art nach ein Verpflichtungsausspruch in einem mit Urteil beendeten Klageverfahren (§ 113 Abs. 1 Satz 3, Abs. 5 VwGO) oder in einem mit Beschluss beendeten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (§ 123 VwGO) sein kann. Gerade am Beispiel des Verpflichtungsausspruchs hinsichtlich einer zuerkannten materiell-rechtlichen Rechtsposition in einem Gerichtsurteil in einer Asylstreitigkeit zeigt sich, dass das wirtschaftliche Interesse im gerichtlichen Vollstreckungsverfahren nicht gegenüber dem zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren gemindert ist. Denn solange der gerichtliche Verpflichtungsausspruch im Nachgang nicht als Bescheid durch die Behörde der unterliegenden Beklagten umsetzt wird, aber erst an dessen Existenz nachfolgend andere (positive) Wirkungen wie z.B. die Erteilung eines Aufenthaltstitels mit Beschäftigungserlaubnis durch die Ausländerbehörde geknüpft werden, ist das wirtschaftliche Interesse im gerichtlichen Vollstreckungsverfahren gegenüber dem zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren schlechterdings nicht gemindert.
Dem Ansatz, bei der Ermittlung des Gegenstandswerts in einem Vollstreckungsverfahren nach § 172 VwGO auf die Höhe des beantragten festzusetzenden Zwangsgeldes unter Heranziehung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Abschnitt Allgemeines, Unterpunkt Vollstreckung / weiterer Unterpunkt Selbständige Vollstreckungsverfahren [die Nummerierung wechselt im Zuge der jeweiligen Neuauflage des Streitwertkatalogs] abzustellen (so BayVGH, B.v. 18.1.2010 – 11 C 09.2813 – juris Rn. 30 ohne Begründung), ist nicht zu folgen. Hiernach entspreche in selbständigen Vollstreckungsverfahrens der Streitwert der Höhe des festgesetzten Zwangsgeldes oder der geschätzten Kosten der Ersatzvornahme, im Übrigen betrage er ¼ des Streitwerts der Hauptsache.
Insoweit kann dahinstehen, ob diese Empfehlung des Streitwertkatalogs überhaupt das gerichtliche Vollstreckungsverfahren betrifft oder sich nur auf die Verwaltungsvollstreckung bezieht, denn jedenfalls sind die Empfehlungen des Streitwertkatalogs nachrangig gegenüber einer gesetzlichen Regelung, wie sich auch vorliegend einschlägig ist.
Im vorliegenden Fall beträgt der Gegenstandswert 5.000 EUR. Der Gegenstandswert für das vorliegende Verfahren bemisst sich nach § 23 Abs. 1 RVG, § 52 Abs. 1 GKG entspr. nach dem Wert des zugrundeliegenden Erkenntnisverfahrens. Der Gegenstandswert des zugrundeliegenden Erkenntnisverfahrens bestimmt sich wiederum nach § 30 Abs. 1 RVG. Bei dem zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren handelt es sich um ein Klageverfahren, für das der in § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG vorgesehene Ausgangsbetrag bei einem Kläger 5.000 EUR beträgt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Erinnerungsverfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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