Aktenzeichen 1 BvR 3236/08
§ 14 Abs 1 RVG
§ 37 Abs 2 S 2 RVG
Verfahrensgang
vorgehend BGH, 14. Oktober 2008, Az: XI ZR 206/07, Beschlussvorgehend Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 22. Februar 2007, Az: 2 U 51/06, Urteilvorgehend LG Magdeburg, 13. März 2006, Az: 10 O 475/05, Urteilvorgehend BVerfG, 14. November 2012, Az: 1 BvR 3236/08, Stattgebender Kammerbeschluss
Tenor
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 84.000 € (in Worten: vierundachtzigtausend
      Euro) festgesetzt.
   
Gründe
I.
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                            Die Verfassungsbeschwerde betraf eine zivilrechtliche Auseinandersetzung im Zusammenhang mit dem finanzierten Erwerb einer
      Eigentumswohnung zu Steuersparzwecken.
   
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                            1. Im zivilgerichtlichen Ausgangsverfahren nahmen die Beschwerdeführer eine Bausparkasse und eine Bank, die den Kauf finanziert
      hatten, auf Rückabwicklung des Wohnungskaufs und der Finanzierung im Wege des Schadensersatzes in Anspruch. Zur Begründung
      führten sie unter anderem aus, die beklagte Bausparkasse und die beklagte Bank hätten sie darüber unterrichten müssen, dass
      sie durch die Angaben im „Objekt- und Finanzierungsvermittlungsauftrag“, der auch ihnen gegenüber verwendet worden sei, über
      die Höhe der Vertriebsprovisionen getäuscht worden seien. Das Landgericht wies die Klage ab. Die dagegen gerichtete Berufung
      der Beschwerdeführer blieb ohne Erfolg. Der Bundesgerichtshof wies die Nichtzulassungsbeschwerde zurück und setzte den Gegenstandswert
      für das Beschwerdeverfahren auf 169.618,66 € fest.
   
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                            2. Mit ihrer hiergegen gerichteten Verfassungsbeschwerde rügten die Beschwerdeführer hinsichtlich der Entscheidungen der Instanzgerichte
      und des Bundesgerichtshofs eine Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG und hinsichtlich der angegriffenen Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde
      darüber hinaus – der Sache nach – eine Verletzung des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs.
      3 GG) sowie des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG). Nach Zustellung der Verfassungsbeschwerde gab die 3. Kammer des Ersten
      Senats der Verfassungsbeschwerde statt, soweit sie sich gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofs richtete, stellte eine
      Verletzung des Justizgewährungsanspruchs fest, hob den Beschluss des Bundesgerichtshofs auf, verwies die Sache zur erneuten
      Entscheidung an den Bundesgerichtshof zurück und ordnete die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführer durch
      die Bundesrepublik Deutschland an (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. November 2012 – 1 BvR 3236/08,
      1 BvR 3241/08, 1 BvR 83/09, 1 BvR 423/09 -, juris).
   
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                            3. Mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2012 hat der Bevollmächtigte der Beschwerdeführer die Festsetzung des Gegenstandswerts
      auf mindestens 20.000 € beantragt.
   
II.
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                            1. Nach § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG ist der Gegenstandswert im Verfassungsbeschwerdeverfahren unter Berücksichtigung der in § 14
      Abs. 1 RVG genannten Umstände nach billigem Ermessen zu bestimmen; er beträgt jedoch mindestens 4.000 €.
   
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                            2. Ausgangspunkt der Bewertung ist die Bedeutung der Angelegenheit (vgl. BVerfGE 79, 365 , dort noch zu § 113 Abs. 2
      Satz 3 BRAGO a.F.). Der Umstand, dass § 14 Abs. 1 RVG die in der genannten Grundsatzentscheidung aufgegriffene „gesetzliche
      Reihenfolge“ der Kriterien geändert hat und – anders als § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO a.F. – nunmehr den anwaltlichen Arbeitsaufwand
      an erster Stelle nennt, hat insofern keine inhaltliche Änderung bewirkt (vgl. Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge,
      BVerfGG, § 34a Rn. 97 mit Fn. 236 ). Die durch das Bundesverfassungsgericht im 79. Band seiner Entscheidungssammlung
      für die Festsetzung des Gegenstandswerts im Verfahren der Verfassungsbeschwerde entwickelten Maßstäbe gelten fort (vgl. BVerfG,
      Beschluss des Ersten Senats vom 19. August 2010 – 1 BvR 2192/05 -, juris; Beschluss des Ersten Senats vom 10. November 2011
      – 1 BvR 611/07 -, juris; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 18. Juni 2012 – 1 BvR 774/10 -, juris, Rn. 27, insofern
      in NJW 2012, S. 2420 ff. nicht abgedruckt).
   
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                            3. In Anwendung dieser Maßstäbe ist der Gegenstandswert der Tätigkeit des Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführer
      gerundet mit 84.000 € zu bemessen. Maßgebend sind hierfür folgende Erwägungen:
   
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                            a) Das subjektive Interesse der Beschwerdeführer am Verfahrensausgang ist, da sie mit der Verfassungsbeschwerde dasselbe Anliegen
      wie im Ausgangsverfahren weiterverfolgt haben, in Übereinstimmung mit der Streitwertfestsetzung durch den Bundesgerichtshof
      mit 169.618,66 € zu bewerten.
   
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                            b) Die objektive Bedeutung der Sache, die neben der subjektiven Seite bei der Wertfestsetzung einbezogen werden muss (vgl.
      BVerfGE 79, 357 ; 79, 365 ), führt vorliegend zu einer Verringerung des Einsatzwertes.
   
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                            Die objektive Seite des Falls weist im Verhältnis zum subjektiven Interesse kein eigenständiges Gewicht auf.
   
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                            Die angestrebte Entscheidung über die – mit vorausgegangenen Verfassungsbeschwerden (1 BvR 2952/08 u.a.) inhaltlich gleich
      laufende – Verfassungsbeschwerde war nicht mehr geeignet, den Weg für Parallelverfahren, in denen die fachgerichtliche Auslegung
      desselben formularmäßigen Objekt- und Finanzierungsvermittlungsauftrages eine maßgebliche Rolle spielte, maßgeblich vorzuzeichnen.
      Mit der Entscheidung haben – anders als im Fall eines sogenannten Musterverfahrens über eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde
      – die Verfahren anderer Beschwerdeführer nicht ihre Erledigung gefunden. Zudem fehlt es an einer weitergehenden Bedeutung
      der von den Beschwerdeführern erstrebten Entscheidung, weil zuvor der Bundesgerichtshof im Rahmen eines Grundsatzurteils dasselbe
      Formular verbindlich ausgelegt und seine vormals vertretene Rechtsauffassung im Sinne der Beschwerdeführer selbst geändert
      hatte (vgl. BGHZ 186, 96  Rn. 28 ff.).
   
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                            Dass der Sache kein über die subjektive Bedeutung für die Beschwerdeführer hinausgehendes Gewicht zukommt, findet schließlich
      darin seinen Ausdruck, dass über sie die Kammer entschieden hat, weil die zugrunde zu legenden verfassungsrechtlichen Maßstäbe
      geklärt waren (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 BVerfGG; vgl. BVerfGE 79, 365 ).
   
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                            c) Hat, wie hier, die objektive Bedeutung neben dem subjektiven Interesse des Verfassungsbeschwerdeführers keinen eigenen
      Stellenwert, führt der hinzu tretende Umstand, dass das Ausgangsverfahren mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
      nicht endgültig beigelegt war, sondern im fachrechtlichen Instanzenzug erneut über die Nichtzulassungsbeschwerde befunden
      werden muss, zu einer Verringerung des Einsatzwertes für die subjektive Bedeutung (vgl. BVerfGE 79, 365 ). Dies rechtfertigt
      es vorliegend, den Einsatzbetrag für die subjektive Bedeutung der Sache (169.618,66 €) um die Hälfte zu mindern. Dabei ist
      auch berücksichtigt, dass sich auf Grundlage der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Erfolgsaussicht
      der Revision geradezu aufdrängt (vgl. nur BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. Juni 2012 – 1 BvR 2952/08
      -, WM 2013, S. 15 ), obgleich eine erfolgreiche Revision grundsätzlich keine Gewähr für eine abschließende Entscheidung
      durch den Bundesgerichtshof bietet, sondern auch eine Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht in
      Betracht kommt.
   
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                            4. Der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit stehen nicht außer Verhältnis zu der vorstehend bewerteten
      Bedeutung der Sache. Deshalb ist unter diesem Gesichtspunkt eine weitere Änderung des Wertes nicht angezeigt.
   
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                            5. Nach alledem ist für das vorliegende Verfahren – gerundet – die Hälfte des Einsatzwertes für die subjektive Bedeutung der
      Sache festzusetzen.
   




