Arbeitsrecht

Gerichtsstand des § 215 Abs. 1 VVG bei arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten

Aktenzeichen  12 O 19560/16

Datum:
15.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG VVG § 215 Abs. 1
BetrAVG BetrAVG § 1b Abs. 4
ArbGG ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 4b, § 48 Abs. 1a

 

Leitsatz

1 Eine mitgliedschaftlich organisierte Pensionskasse, deren satzungsgemäßer Zweck die Pensions- und Hinterbliebenenversorgung der Angestellten deutscher Banken ist, ist eine Sozialeinrichtung des privaten Rechts im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4b ArbGG. (redaktioneller Leitsatz)
2 Für Versorgungsansprüche bleibt der rechtliche und unmittelbare wirtschaftliche Zusammenhang im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 4 b ArbGG auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehen. (redaktioneller Leitsatz)
3 § 215 Abs. 1 VVG ist auch bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten anwendbar. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Streitwert wird auf 30.000,00 EUR festgesetzt.
2. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist unzulässig.
3. Der Rechtsstreit wird an das zuständige Arbeitsgericht München verwiesen.

Gründe

I.
Der Kläger macht Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung gegenüber den Beklagten geltend. Der Beklagte zu 1) ist eine mitgliedschaftlich organisierte Pensionskasse. Der Beklagte zu 2 ist eine Unterstützungskasse gemäß § 1b Abs. 4 BetrAVG.
Der Kläger wurde im Jahr 1998 von seiner damaligen Arbeitgeberin bei dem Beklagten zu 1) angemeldet. Gemäß § 1 Absatz 2 seiner Satzung dient der Beklagte der Pensions- und Hinterbliebenenversorgung der Angestellten deutscher Banken sowie ihnen verbundener Dienstleistungsunternehmen. Mitglieder des Beklagten sind nach § 3 seiner Satzung im Falle des Abschlusses eines Versicherungsvertrags die vertragsschließende Bank und der versicherte Angestellte.
Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht eröffnet ist. Der Kläger hat die Verweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht München beantragt. Er macht geltend, die Vorschrift des § 215 Abs. 1 VVG eröffne dem Kläger den Wahlgerichtsstand in München, weil das Versicherungsverhältnis den Vorschriften des WG unterliege. Die Beklagten halten das Arbeitsgericht am Sitz der Beklagten in Berlin für zuständig. Sie machen geltend, der besondere Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsortes gelte nicht für Streitigkeiten nach § 2 Abs. 1 Nr. 4b ArbGG.
Auf den weiteren Vortrag der Parteien wird Bezug genommen.
II.
1. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist nicht eröffnet.
a) Bei den Beklagten handelt es sich um Sozialeinrichtungen des privaten Rechts im Sinne von § 2 Absatz 1 Nr. 4 b ArbGG. Sozialeinrichtungen sind vom Arbeitgeber oder von mehreren Arbeitgebern errichtete Einrichtungen, die bestimmte Leistungen an Arbeitnehmer oder ehemalige Arbeitnehmer erbringen. Dies ist bei einer mitgliedschaftlich organisierten Pensionskasse (auch ausweislich ihrer Satzung) und einer Unterstützungskasse der Fall.
b) Auch stehen die streitgegenständlichen Ansprüche mit dem früheren Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Bank sowohl in einem rechtlichem als auch in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang.
Vorliegend ist der rechtshängige Anspruch aus der – nach klägerischem Vortrag bei beiden Beklagten – bestehenden Versicherung durch das frühere Arbeitsverhältnis bedingt, da die Versicherung zugunsten des Klägers nur deshalb mit den Beklagten abgeschlossen werden konnte, weil der Kläger Arbeitnehmer der Bank war. Der unmittelbar wirtschaftliche Zusammenhang mit dem früheren Arbeitsverhältnis des Klägers ergibt sich bereits aus dem Zweck des Beklagten, nämlich der Pensions- und Hinterbliebenenversorgung der Angestellten deutscher Banken.
Weder der rechtliche noch der unmittelbar wirtschaftliche Zusammenhang sind durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses weggefallen. Die Regelung des § 2 Absatz 1 Nr. 4 b ArbGG umfasst auch die Klagen ehemaliger Arbeitnehmer (Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG 8. Auflage, § 2 Rn. 93).
Damit sind gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4b ArbGG die Arbeitsgerichte ausschließlich zuständig.
2. Das örtlich zuständige Gericht ist das Arbeitsgericht München. Das Versicherungsverhältnis unterliegt unabhängig von der Frage des Rechtswegs den Vorschriften des VVG. Damit findet auch § 215 Abs. 1 WG Anwendung, der dem Kläger als natürlicher Person wie in anderen Versicherungssachen auch mit einem Wahlgerichtsstand die Möglichkeit der wohnortnahen Klage eröffnet. Gründe, warum § 215 Abs. 1 VVG vor den Arbeitsgerichten nicht anwendbar sein sollte, sind nicht ersichtlich (vgl. Klimke in; Prölss/Martin, VVG, 29. Auflage, §215 Rn. 8a).
Aus der Tatsache, dass der besondere Gerichtsstand des § 48 Abs. 1a ArbGG für Streitigkeiten nach § 2 Abs. 1 Nr. 4b ArbGG keine Anwendung findet, ergibt sich nichts anderes. Es ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass der Gerichtsstand des Arbeitsortes bei Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber – für die der besondere Gerichtsstand gilt – nahe liegt, dass der Gesetzgeber jedoch für gerichtliche Auseinandersetzungen mit einer Sozialeinrichtung – also einer Rechtspersönlichkeit, die gerade nicht der Arbeitgeber ist – keine Notwendigkeit für eine Privilegierung des Arbeitnehmers durch eine Klage am Arbeitsort gesehen hat.
3. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist nicht eröffnet. Ausschließlich zulässig sind die Arbeitsgerichte. Örtlich zuständig ist das Arbeitsgericht München. Der Rechtsstreit war gemäß §§ 17a Abs. 2 GVG von Amts wegen an das gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4b ArbGG, 46 Abs. 2 ArbGG, § 35 ZPO, § 215 Abs. 1 WG zuständige Arbeitsgericht München zu verweisen.

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