Aktenzeichen 21 C 17.2596
Leitsatz
Die für eine urlaubsbedingte Abwesenheit entwickelten Grundsätze, dass bei voraussehbarer längerer Abwesenheit Vorkehrungen dafür getroffen werden müssten, dass eine in dieser Zeit in Gang gesetzte Frist nicht versäumt werde, passen nicht ohne Weiteres für den Fall einer krankheitsbedingten Abwesenheit. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 12 K 17.2310 2017-10-19 Bes VGMUENCHEN VG München
Tenor
Der Klägerin wird unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 19. Oktober 2017 für das Klageverfahren M 12 K 17.2310 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Frank Schneider, 80333 München beigeordnet.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts.
Die Klägerin begehrt in der Hauptsache die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit. Der Antrag der Klägerin auf Gewährung von Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit vom 25. Juli 2017 wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 23. Februar 2017 abgelehnt. Dabei stützte sich die Beklagte auf ein von ihr beauftragtes Gutachten des Dr. med. Broese vom 29. Juli 2016, das zum Ergebnis kam, dass zwar im Zeitraum von Dezember 2012 bis Juli 2014 eine Berufsunfähigkeit im Sinne der Satzung der Beklagten angenommen werden könne, auf Grund der günstigen Prognose aber auch zum damaligen Zeitpunkt über den genannten Zeitraum nicht zu erwarten sei. Eine Tätigkeit der Klägerin im Beruf für 20 bis 25 Stunden pro Woche sei möglich. Dieser Bescheid wurde der Klägerin ausweislich der Postzustellungsurkunde am 24. Februar 2017 zugestellt.
Am 23. Mai 2017 hat die Klägerin Klage erhoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags trug sie vor, dass sie die Frist zur Klageerhebung wegen einer achtwöchigen Klinikbehandlung nicht habe einhalten können. Hierzu legte sie Bescheinigungen der Helios Klinik Stralsund über einen Klinikaufenthalt vom 21. Februar 2017 bis 2. März 2017 und der Ev. Krankenhaus gGmbH Greifswald über einen Klinikaufenthalt vom 17. März 2017 bis 4. Mai 2017 vor. Die Bekanntgabe, nach der die Monatsfrist beginne, habe erst bei Sichtung ihrer Post nach Klinikentlassung am 4. Mai 2017 stattgefunden.
Mit Schriftsatz vom 2. August 2017 hat die Klägerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Rechtsanwalts beantragt, die das Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 19. Oktober 2017 abgelehnt hat. Die Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil die Klage wegen Verfristung unzulässig und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren sei. Die Klägerin sei nicht verhindert gewesen, die Klagefrist einzuhalten, weil sich aus den vorgelegten Bescheinigungen über Klinikaufenthalte lediglich ergebe, dass sie vom 21. Februar 2017 bis 2. März 2017 und danach vom 17. März 2017 bis 4. Mai 2017 stationär untergebracht gewesen sei. Folglich habe sie spätestens am 3. März 2017 und damit innerhalb der Klagefrist von dem am 24. Februar 2017 zugestellten Bescheid Kenntnis nehmen können. Zudem sei nicht glaubhaft gemacht worden, dass die Versäumung der Klagefrist unverschuldet gewesen sei, weil bei voraussehbarer längerer Abwesenheit, was regelmäßig über sechs Wochen der Fall sei, Vorkehrungen getroffen werden müssten, dass eine in dieser Zeit in Gang gesetzte Frist nicht versäumt werde. Dies gelte umso mehr, wenn man mit dem Zugang eines Bescheids habe rechnen müssen. Schließlich fehle es auch an der Einhaltung der Zweiwochenfrist gemäß § 60 Abs. 2 VwGO. Selbst wenn man davon ausginge, das Hindernis für die Klageerhebung sei erst am 4. Mai 2017 weggefallen, habe diese Frist am 18. Mai 2017 geendet, so dass die Beantragung der Wiedereinsetzung am 23. Mai 1017 zu spät gekommen sei.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin, der das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 12. Dezember 2017 nicht abgeholfen hat.
II.
Die nach § 146 Abs. 1, 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die erste Instanz zu Unrecht abgelehnt.
1. Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinsichtlich der hinreichenden Aussicht auf Erfolg dürfen dabei keine überspannten Anforderungen gestellt werden, es genügen vielmehr regelmäßig offene Erfolgsaussichten (Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 23. Aufl. 2017, § 166 Rn. 8).
1.1 Nach diesem Maßstab bietet die von der Klägerin beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Klage verfristet sei und wegen des Fehlens der Voraussetzungen von § 60 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren sei, hält einer Überprüfung im Beschwerdeverfahren nicht stand. Vielmehr sind sowohl die Frage, ob der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, als auch die Erfolgsaussichten in der Sache selbst bei der gebotenen summarischen Prüfung als offen anzusehen.
1.1.1 Die Klägerin hat im Beschwerdeverfahren glaubhaft gemacht, dass sie verhindert war, die gesetzliche Frist des § 74 Abs. 1 und 2 VwGO einzuhalten, wonach die Verpflichtungsklage innerhalb eines Monats nach der Ablehnung der Vornahme des Verwaltungsakts zu erheben ist. Dass sich die Klägerin zum Zeitpunkt der Zustellung des Verwaltungsakts am 24. Februar 2017 in stationärer Behandlung befand, ergibt sich aus der Bescheinigung der Helios Klinik Stralsund und ist nicht weiter streitig. Anders als das Verwaltungsgericht meint, scheidet eine Verhinderung der Klägerin auch nicht deshalb aus, weil die Klägerin dort am 2. März 2017 entlassen und erst ab dem 17. März 2017 erneut (und zwar bis zum 4.5.2017), diesmal im Ev. Krankenhaus Bethanien, stationär untergebracht war. Wie sich aus der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Bescheinigung der Uhlenhaus MVZ GmbH vom 10. November 2017 ergibt, kam es direkt nach der Entlassung am 2. März 2017 zu einem Trinkrückfall. Zudem habe begleitend „eine schwere depressive Symptomatik vorgelegen, mit suizidalen Gedanken und zunehmenden Absichten“. Die am 17. März erfolgte Einweisung in das Ev. Krankenhaus Bethanien sei „notfällig“ erfolgt. Im Vorfeld der Einweisung sei die Klägerin psychisch schwerst belastet gewesen und habe ihren Briefkasten nicht geleert. Es ist somit hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Klägerin aufgrund ihres schlechten Zustands auch zwischen dem 2. März 2017 und dem 17. März 2017 nicht in der Lage war, von den an sie gerichteten Schreiben in ihrem Briefkasten Kenntnis zu nehmen.
1.1.2 Die Verhinderung der Klägerin war auch unverschuldet. Soweit das Verwaltungsgericht darauf abstellt, dass bei voraussehbarer längerer Abwesenheit (regelmäßig über sechs Wochen) Vorkehrungen dafür getroffen werden müssten, dass eine in dieser Zeit in Gang gesetzte Frist nicht versäumt werde, passen diese für eine urlaubsbedingte Abwesenheit entwickelten Grundsätze nicht ohne Weiteres für den Fall einer krankheitsbedingten Abwesenheit. Denn anders als bei einem Urlaub handelt es sich bei einem stationären Aufenthalt in einer Klinik regelmäßig nicht um eine längerfristig geplante Abwesenheit. Selbst wenn man davon ausginge, die erste Klinikbehandlung der Klägerin vom 21. Februar 2017 bis 2. März 2017 sei im Vorhinein geplant gewesen und somit eine Parallele zu einem Urlaub zulässig, gilt dies jedenfalls nicht mehr für die am 17. März 2017 erfolgte „notfällige“ Einweisung in das Ev. Krankenhaus Bethanien. Da die erste Klinikbehandlung der Klägerin für sich genommen die in der Rechtsprechung entwickelte Sechs-Wochen-Grenze nicht ansatzweise erreicht, war die Klägerin auch nicht gehalten, besondere Vorkehrungen zu treffen, so dass von einem Verschulden nicht auszugehen ist (vgl. hierzu auch BVerwG, U. v. 25. März 1987, BVerwGE 77, 157, 161 für einen vierwöchigen Urlaub).
1.1.3 Im Hinblick auf den von der Klägerin durch Atteste glaubhaft gemachten schlechten Gesundheitszustand sieht es der Senat als offen an, ob von der Klägerin die Wiedereinsetzungsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO versäumt wurde. Die Frist nach § 60 Abs. 2 VwGO beginnt mit dem Wegfall des Hindernisses zu laufen, also mit dem Zeitpunkt, in dem die Ursache der Verhinderung beseitigt ist oder aber ihr Fortbestand nicht mehr unverschuldet ist.
Im Beschwerdeverfahren macht die Klägerin geltend, dass auch nach der zweiten Klinikbehandlung alles krankheitsbedingt entsprechend lange gedauert habe, bis sie „mit Hilfe einer Tagesklinik die zahlreich aufgelaufene Behördenpost sortiert, gelesen und bearbeitet habe“. Ob dies zutrifft, bedarf im Rahmen des Klageverfahrens noch weiterer Sachaufklärung. Entscheidend wird dabei sein, ob die Klägerin unmittelbar nach ihrer zweiten Klinikentlassung am 4. Mai 2017 gesundheitlich in der Lage war, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens auf Gewährung von Prozesskostenhilfe genügt für die Glaubhaftmachung jedoch, dass die Klägerin vorträgt, auf fremde Hilfe angewiesen gewesen zu sein und sich aus dem von ihr vorgelegten Attest der Uhlenhaus MVZ GmbH vom 10. November 2017 auch ergibt, dass sie vor der Einweisung psychisch schwerst belastet und nicht in der Lage war, ihre Angelegenheiten aus eigener Kraft wahrzunehmen.
Das Vorbringen der Klägerin, sie habe erst später und nicht schon am 4. Mai 2017 Kenntnis vom Bescheid erlangt, ist auch nicht ohne Weiteres als Schutzbehauptung zu werten. Soweit das Verwaltungsgericht im Nichtabhilfebeschluss vom 12. Dezember 2017 darauf abstellt, die Klägerin habe in der Klageschrift vom 10. Mai 2017 selbst erklärt, dass eine „Sichtung ihrer Post nach Klinikentlassung am 4. Mai 2017“ stattgefunden habe, verkennt es, dass die Worte „am 4. Mai 2017“ bei sachgerechter Auslegung nur dahingehend zu verstehen sind, dass sie sich auf den Zeitpunkt der Klinikentlassung beziehen.
1.1.4 Ebenfalls offen sind die Erfolgsaussichten in der Sache selbst. Die Beklagte stützte sich bei Ablehnung des Antrags der Klägerin auf das von ihr in Auftrag gegebene Gutachten des Dr. med. Broese vom 29. Juli 2016, der zum Ergebnis gelangt war, dass zwar im Zeitraum von Dezember 2012 bis Juli 2014 eine Berufsunfähigkeit im Sinne der Satzung der Beklagten angenommen werden könne, auf Grund der günstigen Prognose aber auch zum damaligen Zeitpunkt über den genannten Zeitraum nicht zu erwarten sei. Inwieweit die Feststellungen dieses Gutachtens nach dem weiteren Verlauf der Erkrankung der Klägerin noch Bestand haben können, wird sich nur im Rahmen einer Beweisaufnahme klären lassen.
1.2 Aus der Erklärung der Klägerin über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und den zugehörigen Nachweisen ergibt sich, dass sie nicht in der Lage ist, die Kosten der Klage auch nur zum Teil oder in Raten zu tragen.
2. Einer Kostenentscheidung und Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da bei einer erfolgreichen Beschwerde im Prozesskostenhilfeverfahren keine Gerichtsgebühren anfallen (vgl. Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) und die außergerichtlichen Aufwendungen der Beteiligten im Beschwerdeverfahren gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattungsfähig sind.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).