Arbeitsrecht

Gewöhnliche Aufenthalt maßgeblich  für Kindergeldberechtigung

Aktenzeichen  5 K 2646/17

Datum:
5.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 49536
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 1 Abs. 1, Abs. 3, § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 6
AO § 8

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Streitig ist, ob die Beklagte (die Familienkasse) die Festsetzung von Kindergeld für das Kind des Klägers M, geboren am X.X. 2015, im Streitzeitraum X. 2015 bis X. 2017 zu Recht abgelehnt hat.
Das Kind des Klägers besitzt wie die Mutter des Kindes die spanische Staatsangehörigkeit und lebt nach Angaben des Klägers in Spanien. Der Kläger ist seit X. März 2014 (bis X. November 2014; von X. April 2015 bis X. November 2015) mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 12 Stunden pro Woche nichtselbständig in Spanien beschäftigt. Außerdem betreibt er in Spanien seit X. Januar 2016 eine Bootsvermietung. Hinsichtlich seiner selbständigen Tätigkeit ist der Kläger in Spanien kranken- und rentenversichert. Anlässlich seiner Inlandsaufenthalte in Deutschland im Jahr 2015 war der Kläger aushilfsweise zusätzlich im elterlichen Metzgereibetrieb tätig. Seit Oktober 2015 übte der Kläger in Deutschland keine Erwerbstätigkeit mehr aus. Im Kindergeldantrag vom 9. Mai 2016 gab der Kläger einen in Spanien gelegenen Wohnsitz an. Auf Nachfrage der Familienkasse vom 20. Juli 2016 teilte der Kläger mit am 3. August 2016 bei der Familienkasse eingegangenen Schreiben mit, dass er seit Oktober 2015 nicht mehr in Deutschland gewesen sei. Er könne nicht genauer angeben, wann er, das Kind und seine Lebensgefährtin in Deutschland lebten. Meistens kämen sie zweimal pro Jahr nach Deutschland, in der Zeit Juli bis August und November bis Februar. In Spanien arbeite er saisonell von März bis Juni und September bis November.
Mit Bescheid vom 27. September 2016 lehnte die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung mit der Begründung ab, dass der Kläger nicht über einen Wohnsitz in Deutschland verfüge. Er sei in Deutschland auch weder unbeschränkt einkommensteuerpflichtig noch werde er als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt. Zur Begründung seines hiergegen erhobenen Einspruchs führte der Kläger aus, dass er ausweislich der Bestätigung des Finanzamts Y vom 28. Juli 2016 seit 1. Februar 2015 als unbeschränkt Steuerpflichtiger geführt werde. Der Einspruch blieb in der Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 2017 ohne Erfolg, da der Kläger weder über einen Wohnsitz in Deutschland verfüge noch im Streitzeitraum eine Erwerbstätigkeit in Deutschland ausgeübt habe. Eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) liege nicht vor.
Zur Begründung seiner hiergegen erhobenen Klage trägt der Vertreter des Klägers zunächst vor, dass die Familienkasse zutreffend festgestellt habe, dass der Kläger im Inland weder seinen gewöhnlichen Aufenthalt noch einen Wohnsitz habe. Es seien jedoch die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG gegeben, wie sich aus der Bestätigung des Finanzamts Y vom 28. Juli 2016 ergebe. Diese Feststellung des Finanzamts sei für die Familienkasse bindend. Mit Schriftsatz vom 14. September 2017 weist der Klägervertreter darauf hin, dass der Kläger entgegen der bisherigen Annahme doch über einen Wohnsitz in Deutschland verfüge. Die Wohnung in der X Straße in Y habe eine Wohnfläche von ca. 100 qm und sei vom Kläger voll möbliert worden. Die Wohnung stehe dem Kläger ganzjährig zur Verfügung und er nutze sie regelmäßig etwa vier Monate im Jahr. Bei der Einordnung seitens des Finanzamts Y handle es sich entgegen bisheriger Annahme doch um das Bestehen einer unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG. Mit Schriftsatz vom 15. Januar 2018 trägt der Klägervertreter vor, dass der Kläger erstmals im September 2012 nach Spanien übergesiedelt sei. Im Jahr 2013 habe er sich (seit 22. November 2012) vom 1. Januar bis 28. Februar, vom 18. August bis 20. September und vom 1. bis 31. Dezember, im Jahr 2014 vom 1. Januar bis 1. März, vom 25. August bis 4. September und vom 29. November bis 26. Dezember, im Jahr 2015 vom 27. Januar bis 4. Februar, von 25. Juli bis 2. September und vom 1. bis 31. Dezember, im Jahr 2016 vom 1. Januar bis 3. Februar, vom 3. Juli bis 30. August und vom 9. bis 18. Dezember und im Jahr 2017 vom 23. bis 25. Juni und vom 15. bis 26. Dezember in Deutschland aufgehalten. Diese Aufenthaltszeiten – mit Ausnahme des Datums 25. Juni 2017 für die Rückkehr nach Spanien, für die in der Aufstellung das Datum 25.07.2017 genannt ist – ergeben sich auch aus einer vom Kläger erstellten Aufstellung über Aufenthaltszeiten in Deutschland, die der als Zeuge benannte Vater des Klägers mit seiner Unterschrift bestätigte. Mit Schriftsatz vom 27. März 2018 trägt der Klägervertreter vor, dass es sich bei der Angabe, der Kläger habe sich vom 1. Dezember 2015 bis 3. Februar 2016 in Deutschland aufgehalten, um ein Versehen oder einen „Zahlendreher“ gehandelt haben müsse. Während der Anwesenheit in Deutschland habe sich der Kläger zu Wohnzwecken ausschließlich in der Wohnung in Y aufgehalten. Dass es sich lediglich um Familienbesuche gehandelt habe, sei für die zu klärende Streitfrage unerheblich. Für einen Wohnsitz sei lediglich erforderlich, dass man eine Wohnung unter Umständen innehabe, die darauf schließen ließen, dass die Wohnung beibehalten und benutzt werde.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid über die Ablehnung der Festsetzung von Kindergeld vom 27. September 2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 2017 aufzuheben, und die Familienkasse zu verpflichten, für den Zeitraum Oktober 2015 bis Januar 2017 Kindergeld festzusetzen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Familienkasse beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Familienkasse gehe nach wie vor davon aus, dass der Kläger im Inland keinen Wohnsitz gehabt habe, wie in der Klagebegründung zunächst auch vorgetragen worden sei. Auf die widersprüchlichen Angaben zu dem Aufenthalt in Deutschland in der Zeit vom 1. Dezember 2015 bis 3. Februar 2016 werde hingewiesen. Die durch die Flugbuchungen bestätigten Aufenthaltszeiten in Deutschland vom 9. bis 18. Dezember 2016, 23. bis 25. Juni 2017 und 15. bis 26. Dezember 2017 hätten lediglich Besuchscharakter im elterlichen Haus.
Der Rechtsstreit wurde dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten, die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 5. Juni 2018 Bezug genommen.
II.
Die Klage ist unbegründet.
1. Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 6 EStG hat derjenige, der im Inland über einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt verfügt, einen Kindergeldanspruch für diejenigen Kinder, die ebenfalls im Inland, in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt innehaben.
a) Der Wohnsitzbegriff des § 8 der Abgabenordnung (AO) setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Betroffene tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit – wenn auch in größeren Zeitabständen – aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken reicht nicht aus. Damit knüpft der Wohnsitzbegriff des § 8 AO ausschließlich an die tatsächliche Gestaltung und nicht an subjektive Vorstellungen an. Außer dem Innehaben einer Wohnung setzt der Wohnsitzbegriff zunächst Umstände voraus, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung durch den Inhaber beibehalten und als solche genutzt werden soll. Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinne besteht somit darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung steht und von ihm subjektiv zu entsprechender Nutzung auch bestimmt ist. In dieser zur objektiven Eignung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz. Das Innehaben der Wohnung muss unter Umständen erfolgen, die darauf schließen lassen, dass die Person die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Die gesetzliche Regelung geht dahin, aus äußeren objektiven Tatsachen Schlüsse auf das zukünftige tatsächliche Verhalten einer Person zu ziehen. Es handelt sich deshalb um eine Prognoseentscheidung. Im Einzelfall können auch zwei Wohnsitze nebeneinander bestehen (vgl. auch § 19 Abs. 1 Satz 2 AO), wenn nach den äußeren Umständen der Lebensmittelpunkt zeitlich und örtlich zwei Wohnungen in verschiedenen Orten zuzuordnen ist und so zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse gebildet worden sind.
Das Innehaben einer Wohnung unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung beibehalten und benutzt wird, schließt nicht aus, dass die Wohnung vorübergehend nicht benutzt wird. Periodische Auslandsaufenthalte stellen das Innehaben eines Wohnsitzes auch dann nicht in Frage, wenn sie sich über einen Zeitraum von etlichen Jahren erstrecken.
Bei von vornherein auf mehr als ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalten reichen kurzzeitige Besuche und sonstige kurzfristige Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs-, familiären oder zu Verwaltungszwecken, die nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkommen und daher nicht „zwischenzeitliches Wohnen“ in der bisherigen Wohnung bedeuten, jedoch nicht dazu aus, um die Aufrechterhaltung des Inlandswohnsitzes anzunehmen.
Keine ausschlaggebende Bedeutung für die Beibehaltung des Wohnsitzes haben regelmäßig die Staatsangehörigkeit und melderechtliche Vorgaben (vgl. insgesamt zu Vorstehendem Bundesfinanzhof – BFH – Urteile vom 25. September 2014 III R 10/14, BFH/NV 2015, 266, vom 28. April 2010 III R 52/09, BStBl II 2010, 1013, und vom 23. November 2000 VI R 107/99, BStBl II 2001, 294, jeweils mit weiteren Nachweisen – m.w.N. -).
b) Bei Berücksichtigung dieser Rechtsprechungsgrundsätze steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger im Streitzeitraum noch über einen Wohnsitz in Deutschland verfügte.
Entgegen der Ansicht des Klägervertreters kommt es bei der Beurteilung der Frage, ob der Kläger im Streitzeitraum über einen Wohnsitz in Deutschland verfügte, nicht nur darauf an, ob dem Kläger im Inland eine Wohnung zur Verfügung stand, die zu seiner Nutzung bestimmt war. Er muss diese vielmehr im Streitzeitraum auch mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufgesucht haben. Ein nur gelegentliches Aufsuchen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Besuchszwecken reicht nach der oben genannten Rechtsprechung des BFH, der sich das Gericht anschließt, nicht aus.
Selbst wenn man – trotz erheblicher Bedenken, da der Kläger mit Schriftsatz seines Vertreters vom 15. Januar 2018 angegeben hat, von 3. Juli bis 30. August 2016 in Deutschland gewesen zu sein, jedoch im Verwaltungsverfahren auf Nachfrage der Familienkasse vom 20. Juli 2016 mit am 3. August 2016 bei der Familienkasse eingegangenen Schreiben mitgeteilt hat, dass er seit Oktober 2015 nicht mehr in Deutschland gewesen sei – die vom Kläger zuletzt für den Streitzeitraum vorgetragenen Aufenthaltszeiten in Deutschland zugrunde legt, steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass diese Aufenthalte in der Wohnung in Y einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkamen und nicht lediglich Besuchscharakter hatten.
aa) Vor der Geburt seiner Tochter hat sich der Kläger außerhalb der von ihm beschriebenen Saison in Spanien (März bis Juni und September bis November) im Wesentlichen in Deutschland aufgehalten, nämlich vom 22. November 2012 bis 28. Februar 2013, vom 18. August bis 20. September 2013, vom 1. Dezember 2013 bis 1. März 2014, vom 25. August 2014 bis 4. September 2014, vom 29. November bis 26. Dezember 2014, vom 27. Januar bis 4. Februar 2015 und vom 25. Juli bis 2. September 2015. Nach der Geburt seiner Tochter im Oktober 2015 hat sich der Kläger während der Winterpause Dezember 2015 bis Februar 2016 gar nicht in Deutschland aufgehalten, in den Winterpausen Dezember 2016 bis Februar 2017 und ab Dezember 2017 lediglich für zehn bzw. zwölf Tage. Während der Sommerpausen (Juli bis August) hat er sich zwar im Jahr 2016 für gute acht Wochen in Deutschland aufgehalten, im Jahr 2017 hingegen lediglich für drei Tage. Dies spricht nach Auffassung des Gerichts dafür, dass die Aufenthalte in Deutschland seit der Geburt der Tochter Besuchscharakter hatten, wohingegen der Kläger vor der Geburt der Tochter außerhalb der „spanischen Saison“ überwiegend in Deutschland gelebt hat.
bb) Auch wenn man die absolute Dauer der Aufenthalte des Klägers in Deutschland im Streitzeitraum betrachtet, spricht dies für den Besuchscharakter dieser Aufenthalte. Im Jahr 2015 hat sich der Kläger nach der Geburt der Tochter gar nicht in Deutschland aufgehalten, im Jahr 2016 insgesamt lediglich für gute neun Wochen, nämlich für acht Wochen im Sommer und ca. zwei Wochen im Dezember und im Jahr 2017 lediglich für gute zwei Wochen (außerhalb des Streitzeitraums), nämlich für drei Tage im Juni und zwölf Tage über Weihnachten.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b, i.V.m. § 1 Abs. 3 und § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 6 EStG, da der Kläger nicht nachgewiesen hat, im Streitzeitraum nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt worden zu sein. Der Kläger hat insoweit schon nicht vorgetragen, im Streitzeitraum inländische Einkünfte i.S.d. § 49 EStG erzielt oder einen Antrag auf Behandlung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gemäß § 1 Abs. 3 EStG gestellt zu haben.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nach § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

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