Arbeitsrecht

Grundsätzlich keine vorläufige Amtsenthebung eines Betriebsratsmitglieds durch einstweilige Verfügung

Aktenzeichen  7 TaBVGa 4/15

Datum:
25.2.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
AuR – 2016, 379
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BetrVG § 23 Absatz 1 BetrVG
ArbGG § 85 Absatz 2 ArbGG i. V. m. §§ 935, 940 ZPO

 

Leitsatz

1. Ein Betriebsratsmitglied ist erst aus dem Amt ausgeschlossen, wenn seine Amtsenthebung aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung feststeht. Die vorläufige Amtsenthebung eines Betriebsratsmitglieds im Wege einer einstweiligen Verfügung ist daher grundsätzlich ausgeschlossen. Sie kann nicht allein darauf gestützt werden, dass ein grober Verstoß gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten vorliege, sondern kommt erst in Betracht, wenn Umstände vorliegen, die ein Belassen im Amt als unzumutbar für das Betriebsratsgremium, den Arbeitgeber und/oder die Belegschaft erscheinen lassen. (amtlicher Leitsatz)
2 Die Weitergabe von Protokollen der Betriebsratssitzungen mit persönlichen Daten von Arbeitnehmern an einen “Vertrauenskörper” der IG Metall und Strafanzeigen der betroffenen Arbeitnehmer lässt es nicht unzumutbar erscheinen, das Betriebsratsmitglied jedenfalls vorläufig im Amt zu belassen. Der etwaige Strafanspruch des Staates (§ 120 BetrVG) beeinträchtigt die Amtsausübung nicht. Das erschütterte Vertrauen der anderen Betriebsratsmitglieder ist insoweit nicht erheblich, weil zwischenzeitlich Sitzungsprotokolle gem. § 34 Abs. 3 BetrVG nur noch zur Einsichtnahme vorgelegt werden und das Betriebsratsmitglied mitgeteilt hat, sich nur irrtümlich auf die Einschätzung des ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden verlassen zu haben, und wegen dieser Einsicht eine Wiederholungsgefahr nicht besteht. (red. LS Ulf Kortstock)

Verfahrensgang

9 BVGa 5/15 2015-10-21 Bes ARBGWUERZBURG ArbG Würzburg

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg vom 21.10.2015 wird zurückgewiesen.

Gründe

I. Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die vorläufige Amtsenthebung eines Betriebsratsmitglieds.
Der Antragsteller ist der 15-köpfige Betriebsrat der Beteiligten zu 3. Der Antragsgegner ist in der Betriebsratswahl am 26.03.2014 (erstmals) in den Betriebsrat gewählt worden. In der konstituierenden Sitzung des Betriebsrats am 01.04.2014 wurde Herr E. zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt.
Im Betrieb der Beteiligten zu 3 besteht ein Vertrauenskörper der Gewerkschaft IG-Metall.
Der Antragsgegner sowie Herr E. gaben zahlreiche Protokolle über die Betriebsratssitzungen an den Vertrauenskörper der IG-Metall weiter. Die Protokolle enthielten persönliche Daten von Mitarbeitern der Beteiligten zu 3.
Die Geschäftsführung der Beteiligten zu 3 informierte den Antragsteller in einer außerordentlichen Betriebsratssitzung über die Weitergabe personenbezogener Daten an Dritte durch den Antragsgegner und Herrn E.
In der Sitzung vom 10.09.2015 beschloss der Antragsteller, gegen den Antragsgegner ein Verfahren auf Amtsenthebung einzuleiten.
Das Amtsenthebungsverfahren wurde am 29.09.2015 beim Arbeitsgericht Würzburg anhängig gemacht. Gleichzeitig wurde der vorliegende Antrag beim Arbeitsgericht Würzburg eingereicht.
Mit Beschluss vom 21.10.2015 wies das Arbeitsgericht sowohl den Antrag auf Amtsenthebung als auch den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ab.
Der Beschluss wurde dem Antragsteller am 23.10.2015 zugestellt.
Der Antragsteller legte gegen den Beschluss am 12.11.2015 Beschwerde ein und begründete sie am 28.12.2015.
Im Hauptsacheverfahren legte der Antragsteller ebenfalls Beschwerde zum Landesarbeitsgericht Nürnberg ein. Das Verfahren ist unter dem Aktenzeichen 3 TaBV 48/15 anhängig. In diesem Beschwerdeverfahren ist noch kein Termin bestimmt.
Der Antragsteller macht geltend, das Verhalten des Antragsgegners stelle einen groben Verstoß gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten dar. Der Antragsgegner habe auch schuldhaft gehandelt. Er habe an Betriebsratsschulungen teilgenommen und dort zweifelsohne Kenntnis davon erworben, dass die Weitergabe personenbedingter Daten unzulässig sei.
Auch der Verfügungsgrund sei gegeben. Die Verhaltensweise des Antragsgegners habe in der Belegschaft zu erheblichen Irritationen geführt. Das zeige sich auch daran, dass seitens der Belegschaft Strafanzeigen gegen den Antragsgegner gestellt worden seien. Es fänden regelmäßig Betriebsratssitzungen statt, bei denen immer wieder Themen, insbesondere auch zu personellen Einzelmaßnahmen nach § 99 BetrVG, besprochen würden. Mangels der Einsichtigkeit des Antragsgegners sei zu befürchten, dass weiterhin sensible Daten an Unbefugte weitergegeben würden. Dieses Risiko könne er, der Antragsteller, nicht eingehen. Das ungestörte Arbeiten im Betriebsrat sei auch nicht mehr gewährleistet, da die Protokolle über die Betriebsratssitzungen nicht mehr an die Betriebsratsmitglieder verteilt würden. Aufgrund der laufenden Sitzungen könne nicht abgewartet werden, bis in der Hauptsache entschieden werde.
Der Antragsteller beantragt:
1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg vom 21.10.2015 (Az. 9 BVGa 5/15) wird abgeändert und dem Antragsgegner die weitere Amtsausübung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag auf Ausschluss aus dem Betriebsrat untersagt.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Der Beteiligte zu 2) und Beschwerdegegner beantragt:
1. die Beschwerde zurückzuweisen.
2. den Gegenstandswert festzusetzen.
Der Antragsgegner rügt, bei der Einleitung des Verfahrens habe es keinen wirksamen Betriebsratsbeschluss gegeben.
Es liege zudem ein grober Pflichtverstoß nicht vor. Der ehemalige Betriebsratsvorsitzende E. habe ihm gesagt, er könne die Unterlagen weitergeben. Auf dessen 30jährige Erfahrung als Betriebsrat habe er sich verlassen. Eine Schulung im Datenschutz habe er nicht erhalten.
Der Antragsgegner trägt vor, er habe sich bereits am 27.08.2015 sowie am 03.09.2015 und am 10.09.2015 gegenüber dem Betriebsratsgremium für sein Verhalten entschuldigt. Auch aus heutiger Sicht bedauere er den Ablauf.
Wegen des weitergehenden Vorbringens der Beteiligten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft, § 87 Absatz 1 ArbGG, sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 87 Absatz 2 Satz 1, 66 Absatz 1 ArbGG.
Der Antragsteller hat wirksam beschlossen, die vorliegende Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg einzulegen und sich dabei von Herrn Rechtsanwalt H. vertreten zu lassen.
Dies ergibt sich aus dem vom Antragsteller in Kopie vorgelegten Protokoll über die Sitzung vom 22.10.2015 (Bl. 278 d. A.).
Der Antragsgegner hat das ordnungsgemäße Zustandekommen dieses Beschlusses nicht beanstandet. Seine Einwendungen beziehen sich auf die Beschlüsse des Antragstellers vom 29.09.2015 und vom 20.10.2015.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Es kann dahinstehen, ob der Antragsteller die Einleitung des vorliegenden Verfahrens auf Erlass der einstweiligen Verfügung ordnungsgemäß beschlossen hat bzw. ob ein etwaiger Mangel durch den Beschluss, insoweit das Beschwerdeverfahren durchzuführen, geheilt ist.
Das Erstgericht hat den Antrag des Antragstellers, dem Antragsgegner die weitere Amtsausführung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag auf Ausschluss aus dem Betriebsrat zu untersagen, zu Recht zurückgewiesen.
Der Erlass einer entsprechenden einstweiligen Verfügung ist nicht veranlasst, § 85 Absatz 2 Satz 1 und 2 ArbGG i. V. m. den §§ 935, 940 ZPO.
Dabei kann dahinstehen, ob das dem Antragsgegner zur Last gelegte Verhalten einen solch groben Verstoß gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten darstellt, dass sein Ausschluss aus dem Betriebsrat gerechtfertigt ist. Diese Entscheidung ist dem Gericht des Hauptsacheverfahrens vorbehalten.
Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist die beantragte einstweilige Verfügung weder zur Abwendung wesentlicher Nachteile noch zur Verhinderung von Gewalt oder aus anderen Gründen erforderlich.
Bei der Frage, ob eine beantragte Maßnahme nötig im Sinne des § 940 ZPO ist, sind die schutzwürdigen Interessen beider Seiten gegeneinander abzuwägen. Dies gilt in besonderem Maße dann, wenn Gegenstand des Antrags nicht die Sicherung eines Anspruchs ist, sondern bei Erlass der einstweiligen Verfügung bereits der mit dem Hauptsacheverfahren verfolgte Rechtszustand eintreten soll. In einem solchen Fall müssen strenge Anforderungen an die Annahme gestellt werden, dass dem Verfügungskläger die vorweg genommene Regelung aus besonderen Gründen nicht versagt werden kann.
Solche Gründe bestehen vorliegend nicht.
Die Entscheidung eines Gerichts, ein Betriebsratsmitglied gemäß § 23 Absatz 1 BetrVG aus dem Gremium auszuschließen, stellt einen rechtsgestaltenden Beschluss dar, der erst mit Rechtskraft der Entscheidung seine Wirkung, nämlich den Ausschluss des Mitglieds aus dem Betriebsrat, entfaltet.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bedarf es, soll eine Gestaltungsentscheidung schon vor deren späteren Rechtskraft eine Rechtsänderung herbeiführen, dazu einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Eine solche Regelung ist in § 23 BetrVG nicht getroffen (vgl. Bundesarbeitsgericht – Beschluss vom 27.01.1983 – 6 ABR 15/82; juris).
Zu beachten ist ferner, dass im Beschlussverfahren die Zwangsvollstreckung grundsätzlich nur aus rechtskräftigen Beschlüssen (oder gerichtlichen Vergleichen) stattfindet, § 85 Absatz 1 Satz 1 ArbGG.
Diese gesetzlichen Vorgaben sind bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen.
Danach ist es ausgeschlossen, den Antragsgegner vorläufig seines Amtes zu entheben.
Der Antragsteller begründet sein Begehren damit, dass der Antragsgegner insbesondere unter Verstoß gegen § 99 Absatz 1 Satz 3 BetrVG persönliche Daten jedenfalls auch an nichtbefugte Personen weitergegeben hat.
Dies allein genügt nicht, dem Antragsgegner die weitere Amtsausübung zu untersagen.
Es mag sein, dass darin ein grober Verstoß gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten liegt. Angesichts der oben dargestellten gesetzlichen Vorgaben stellt allein das Bejahen einen groben Verstoßes im Sinne des § 23 Absatz 1 BetrVG keinen Grund für eine vorläufige Amtsenthebung dar. Da § 23 Absatz 1 BetrVG stets den groben Verstoß gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten verlangt, lägen immer die Voraussetzungen für eine vorläufige Amtsenthebung vor. Gerade diese Möglichkeit hat indes der Gesetzgeber, wie oben ausgeführt, nicht eröffnet.
Demgemäß kommt eine einstweilige Regelung wie beantragt nur in Betracht, wenn über den groben Verstoß hinaus Umstände vorliegen, die es als für das Betriebsratsgremium, den Arbeitgeber und/oder die Belegschaft unzumutbar erscheinen lassen, das Betriebsratsmitglied auch nur vorübergehend in seinem Amt zu belassen.
Solche Umstände sind nicht ersichtlich.
Dass Arbeitnehmer des Betriebs gegen den Antragsgegner wegen der Verletzung von Geheimnissen Strafanzeige erstattet haben (§ 120 BetrVG) ist kein Grund, den Antragsgegner vorläufig des Amts zu entheben. Der etwaig bestehende Strafanspruch des Staates beeinträchtigt die Tätigkeit des Antragsgegners als Betriebsrat nicht.
Auch Vorbehalte, die seitens der Belegschaft oder anderer Betriebsratsmitglieder gegen den Antragsgegner wegen seines Verhaltens bestehen, können den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung nicht begründen.
Die Entscheidung, ob das Verhalten eines Betriebsratsmitglieds so schwerwiegend ist, dass er nicht länger im Amt bleiben kann, liegt bei den Arbeitsgerichten als unabhängiger rechtlicher Instanz. Dagegen ist weder „der Belegschaft“ noch dem Betriebsratsgremium oder einzelnen Betriebsratsmitgliedern die Kompetenz eingeräumt, das Verhalten eines Betriebsratsmitglieds rechtlich zu bewerten. Wie ein Verhalten ethisch, moralisch oder charakterlich zu bewerten ist, ist im Rahmen des § 23 Absatz 1 BetrVG ohnehin unerheblich.
Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Arbeit im Betriebsratsgremium in unzumutbarer Weise erschwert ist. Es mag sein, dass das Vertrauen der übrigen Betriebsratsmitglieder in den Antragsgegner bezüglich seiner Zuverlässigkeit beeinträchtigt ist. Hierauf ist indes zum einen bereits dadurch reagiert worden, dass die Protokolle über die Betriebsratssitzungen nicht mehr an alle Betriebsratsmitglieder ausgehändigt werden. Dies ist im Betriebsverfassungsgesetz auch nicht vorgesehen. Vielmehr haben die einzelnen Betriebsratsmitglieder ein Recht zur Einsichtnahme, § 34 Absatz 3 BetrVG.
Zum anderen ist nicht zu erwarten, dass der Antragsgegner wieder gegen die Pflicht zur Geheimhaltung persönlicher Daten verstoßen wird. Er hat seine Einsicht zum Ausdruck gebracht, dass er nicht rechtmäßig gehandelt habe, sondern sich – zu Unrecht – auf den ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden E. verlassen habe. Es besteht somit nicht die Gefahr, der Antragsgegner werde sein Verhalten wiederholen.
Da somit kein Grund besteht, den Antragsgegner vor einer gerichtlichen Entscheidung und vor Rechtskraft einer entsprechenden Entscheidung faktisch des Amts zu entheben, war die Beschwerde zurückzuweisen.

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