Arbeitsrecht

Hinterbliebenenversorgung – Spätehenklausel

Aktenzeichen  3 AZR 198/18

Datum:
19.2.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2019:190219.U.3AZR198.18.0
Normen:
§ 1 AGG
§ 3 Abs 1 AGG
Spruchkörper:
3. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Braunschweig, 23. Juni 2016, Az: 6 Ca 106/16 B, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen, 16. Januar 2018, Az: 3 Sa 787/16 B, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 16. Januar 2018 – 3 Sa 787/16 B – aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 23. Juni 2016 – 6 Ca 106/16 B – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin eine betriebliche Hinterbliebenenrente zu gewähren.
2
Die Klägerin ist die Witwe des im April 1929 geborenen und im März 2015 verstorbenen ehemaligen Mitarbeiters der Beklagten B. Die Ehe wurde im November 1996 geschlossen.
3
Auf das bis zum 30. April 1987 bestandene Arbeits- und das anschließende Versorgungsverhältnis des verstorbenen Ehemanns der Klägerin und der Beklagten, einem Unternehmen der Automobilindustrie, fand die Betriebsvereinbarung Nr. 1/87, VERSORGUNGS-ORDNUNG I (im Folgenden VO 1987) vom 13. Februar 1987 Anwendung. Die VO 1987 lautet auszugsweise:
        
„§ 1   
        
Grundsätze der Versorgung
        
(1)     
Die Versorgung durch die V AG ergänzt die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung und umfasst
        
        
V-Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit
(§ 3),
        
        
V-Altersrente
(§ 4),
        
        
V-Hinterbliebenenrente
(§ 5).
        
…       
        
(4) Die Höhe der V-Rente bemisst sich
        
        
a)    
aus der Anzahl der Jahre des Arbeitsverhältnisses mit der V AG
        
        
und     
        
        
        
b)    
aus dem durchschnittlichen monatlichen Bruttoarbeitsentgelt in den letzten zwölf Kalendermonaten des Arbeitsverhältnisses (§ 6).
        
        
Entsprechend der Anzahl der Jahre (a) ergibt sich ein bestimmter Prozentsatz vom Bruttoarbeitsentgelt (b), der als V-Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit oder als V-Altersrente monatlich gezahlt wird (§ 7 Abs. 1). Die V-Hinterbliebenenrente ist ein Teilbetrag hiervon … (§ 7 Abs. 6).
        
…       
        
§ 4     
        
V-Altersrente
        
(1)     
V-Altersrente wird gezahlt, wenn Werksangehörige nach Vollendung des 65. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis mit der V AG ausscheiden (= Versorgungsfall bei fester Altersgrenze).
        
(2)     
V-Altersrente wird vorzeitig gezahlt, wenn ein Werksangehöriger nach Vollendung des 63., eine Werksangehörige oder ein schwerbehinderter, erwerbs- oder berufsunfähiger Werksangehöriger nach Vollendung des 60. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis mit der V AG ausscheidet (= Versorgungsfall bei flexibler Altersgrenze).
        
…       
        
§ 5     
        
V-Hinterbliebenenrente
        
(1)     
V-Hinterbliebenenrente wird im Falle des Todes von Werksangehörigen (= vorzeitiger Versorgungsfall) oder im Falle des Todes von Beziehern einer V-Rente (= Versorgungsfall) gezahlt, im ersten Fall jedoch nur, wenn die Wartezeit (§ 2) erfüllt ist.
        
…       
        
        
(3)     
V-Hinterbliebenenrente an eine Witwe oder an einen Witwer setzt voraus, dass bei der Eheschließung der verstorbene Ehemann noch nicht 63, die verstorbene Ehefrau noch nicht 60 Jahre alt war. …
        
…       
        
        
§ 7     
        
Höhe der V-Renten
        
…       
        
        
(6)     
Die V-Hinterbliebenenrente für die Witwe oder den Witwer beträgt 60 % … der V-Rente, die der Verstorbene … bezogen hatte oder die er … hätte beanspruchen können, wenn er … im Zeitpunkt des Todes aus dem Arbeitsverhältnis mit der V AG wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit ausgeschieden wäre. …
        
…       
        
§ 8     
        
Vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses
        
(1)     
Werksangehörige, die vor dem Versorgungsfall (§§ 3, 4 und 5) aus dem Arbeitsverhältnis mit der V AG ausscheiden, behalten ihre Versorgungsanwartschaft, wenn sie zum Zeitpunkt des Ausscheidens mindestens 35 Jahre alt sind und wenn das Arbeitsverhältnis mit der V AG mindestens zehn Jahre ununterbrochen bestanden hat. …
        
…       
        
        
(3)     
V-Rente wird wie folgt berechnet: Es wird ermittelt, welche V-Rente bei angenommener Fortdauer des Arbeitsverhältnisses mit der V AG bis zum Eintritt der nach Absatz 2 in Anspruch genommenen Voraussetzungen nach § 7 zu zahlen wäre (= fiktive Vollrente). … Diese Rente wird in dem Verhältnis ermäßigt, in dem die erreichte Dauer des Arbeitsverhältnisses mit der V AG zur erreichbar gewesenen Dauer steht (bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres = feste Altersgrenze).
        
…“    
        
4
Die Beklagte wendet § 5 Abs. 3 VO 1987 inzwischen dergestalt an, dass für Männer und Frauen unterschiedslos auf die Vollendung des 63. Lebensjahres abgestellt wird.
5
Seit dem 1. Mai 1987 bezog der verstorbene Ehemann der Klägerin eine monatliche V-Rente, zuletzt iHv. 469,97 Euro brutto.
6
Die Klägerin verlangte mit Schreiben vom 15. Oktober 2015 und vom 11. Februar 2016 die Gewährung einer Hinterbliebenenrente iHv. 60 vH der betrieblichen Altersrente ihres verstorbenen Ehemanns.
7
Mit ihrer Klage hat sie geltend gemacht, der Leistungsausschluss in § 5 Abs. 3 VO 1987 sei altersdiskriminierend und deshalb unwirksam.
8
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
        
1.    
die Beklagte zu verurteilen, an sie rückständige Witwenrente für die Monate April 2015 bis Februar 2016 iHv. insgesamt 3.101,78 Euro brutto zu zahlen;
        
2.    
die Beklagte zu verurteilen, an sie rückständige Witwenrente für die Monate März 2016 bis einschließlich Mai 2016 iHv. insgesamt 845,94 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Klageerweiterung zu zahlen.
9
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Spätehenklausel in § 5 Abs. 3 VO 1987 sei bereits nach § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG sachlich gerechtfertigt. Zudem bezwecke die Klausel, den Versorgungsaufwand der Hinterbliebenenversorgung kalkulierbar zu halten. Auch knüpfe sie an ein betriebsrentenrechtliches Strukturprinzip an. Dies ergebe sich aus der bei ihr üblichen Ausscheidepraxis, dem Durchschnittsalter der ausscheidenden Versorgungsberechtigten und der damaligen Möglichkeit, die gesetzliche Altersrente mit Vollendung des 63. Lebensjahres vorzeitig in Anspruch nehmen zu können. Die Betriebsparteien hätten bei Abschluss der VO 1987 davon ausgehen dürfen, dass Arbeitnehmer eine vorzeitige Altersrente aus der gesetzlichen Altersrente in Anspruch nehmen würden. Bei Unwirksamkeit der Spätehenklausel, die eine Ausweitung der Versorgungsrisiken um mindestens 6,2 Mio. Euro zur Folge hätte, sei eine ergänzende Vertragsauslegung dahingehend vorzunehmen, dass für die Spätehenklausel auf den Versorgungsfall „Alter“ abzustellen sei.
10
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin die Wiederherstellung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.

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