Arbeitsrecht

Hinterbliebenenversorgung – Spätehenklausel

Aktenzeichen  3 AZR 219/18

Datum:
19.2.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2019:190219.U.3AZR219.18.0
Spruchkörper:
3. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Braunschweig, 14. Juni 2016, Az: 8 Ca 396/15 B, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen, 16. Januar 2018, Az: 3 Sa 786/16 B, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 16. Januar 2018 – 3 Sa 786/16 B – aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 14. Juni 2016 – 8 Ca 396/15 B – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin eine betriebliche Hinterbliebenenrente zu gewähren.
2
Die Klägerin ist die Witwe des im Juli 1922 geborenen und im Dezember 2006 verstorbenen ehemaligen Mitarbeiters der Beklagten K. Die Ehe wurde im Oktober 2000 geschlossen.
3
Auf das bis zum 31. Juli 1981 bestandene Arbeits- und das anschließende Versorgungsverhältnis des verstorbenen Ehemanns der Klägerin mit der Beklagten, einem Unternehmen der Automobilindustrie, fand die Betriebsvereinbarung Nr. 6/76, VERSORGUNGSORDNUNG (im Folgenden VO 1976) vom 21. Dezember 1976 Anwendung. Diese lautet auszugsweise:
        
„§ 1   
        
Grundsätze der Versorgung
        
(1)     
Die Versorgung durch die V AG ergänzt die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung und umfasst
        
        
V-Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit
(§ 3),
        
        
V-Altersrente
(§ 4),
        
        
V-Hinterbliebenenrente
(§ 5).
        
…       
        
(4)     
Die Höhe der V-Rente bemisst sich
        
        
a)    
aus der Anzahl der Jahre des Arbeitsverhältnisses mit der V AG
        
        
und     
        
        
        
b)    
aus dem durchschnittlichen monatlichen Bruttoarbeitsentgelt in den letzten zwölf Kalendermonaten des Arbeitsverhältnisses (§ 6).
        
        
Entsprechend der Anzahl der Jahre (a) ergibt sich ein bestimmter Prozentsatz vom Bruttoarbeitsentgelt (b), der als V-Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit oder als V-Altersrente monatlich gezahlt wird (§ 7 Abs. 1). Die V-Hinterbliebenenrente ist ein Teilbetrag hiervon (§ 7 Abs. 6).
        
…       
        
§ 4     
        
V-Altersrente
        
(1)     
V-Altersrente wird gezahlt, wenn ein V-Mitarbeiter nach Vollendung des 65. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis mit der V AG ausscheidet (= Versorgungsfall bei fester Altersgrenze).
        
(2)     
V-Altersrente wird vorzeitig gezahlt, wenn ein V-Mitarbeiter nach Vollendung des 63. – bei Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit oder bei Schwerbehinderung nach Vollendung des 62. Lebensjahres -, eine V-Mitarbeiterin nach Vollendung des 60. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis mit der V AG ausscheidet (= Versorgungsfall bei flexibler Altersgrenze).
        
…       
        
§ 5     
        
V-Hinterbliebenenrente
        
(1)     
V-Hinterbliebenenrente wird im Falle des Todes eines V-Mitarbeiters (= vorzeitiger Versorgungsfall) oder im Falle des Todes eines V-Rentners (= Versorgungsfall) gezahlt, im ersten Fall jedoch nur, wenn die Wartezeit (§ 2) erfüllt ist.
        
(2)     
Hinterbliebene sind die Witwe oder der Witwer …
        
(3)     
V-Hinterbliebenenrente an eine Witwe oder an einen Witwer setzt voraus, dass bei der Eheschließung der verstorbene Ehemann noch nicht 63, die verstorbene Ehefrau noch nicht 60 Jahre alt war. …
        
…     
        
(5)     
V-Hinterbliebenenrente wird erstmals für den Monat gezahlt, der auf den Monat der letzten V-Rente oder der letzten Zahlung aus dem Arbeitsverhältnis folgt. …
        
…       
        
§ 7     
        
Höhe der V-Renten
        
…       
        
        
(6)     
Die V-Hinterbliebenenrente für die Witwe oder den Witwer beträgt 60 %, die V-Hinterbliebenenrente für eine Halbwaise 10 %, für eine Vollwaise 20 % der V-Rente, die der Verstorbene bezogen hatte …
        
…       
        
§ 8     
        
Vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses
        
(1)     
Ein V-Mitarbeiter, der vor dem Versorgungsfall (§§ 3, 4 und 5) aus dem Arbeitsverhältnis mit der V AG ausscheidet, behält seine Versorgungsanwartschaft, wenn er zum Zeitpunkt des Ausscheidens mindestens 35 Jahre alt ist und wenn sein Arbeitsverhältnis mit der V AG mindestens zehn Jahre ununterbrochen bestanden hat. …
        
…     
        
(3)     
Die V-Rente wird wie folgt berechnet: Es wird ermittelt, welche V-Rente bei angenommener Fortdauer des Arbeitsverhältnisses mit der V AG bis zum Eintritt der nach Absatz 2 maßgebenden Voraussetzungen nach § 7 zu zahlen wäre (= fiktive Vollrente). … Diese Rente wird in dem Verhältnis ermäßigt, in dem die erreichte Dauer des Arbeitsverhältnisses mit der V AG zur erreichbar gewesenen Dauer steht (bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres = feste Altersgrenze).“
4
Die Beklagte wendet § 5 Abs. 3 VO 1976 inzwischen dergestalt an, dass für Männer und Frauen unterschiedslos auf die Vollendung des 63. Lebensjahres abgestellt wird.
5
Seit August 1981 bezog der verstorbene Ehemann der Klägerin eine V-Betriebsrente.
6
Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, der Leistungsausschluss in § 5 Abs. 3 VO 1976 sei altersdiskriminierend und deshalb unwirksam.
7
Die Klägerin hat beantragt,
        
1.    
festzustellen, dass sie gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von betrieblicher Witwenrente seit dem Eintritt des Versicherungsfalls hat;
        
        
hilfsweise für den Fall der Unzulässigkeit der Feststellungsklage
        
2.    
die Beklagte zu verpflichten, ihr Auskunft über die Höhe der ihr zustehenden betrieblichen Witwenrente zu erteilen;
        
3.    
die Beklagte zu verurteilen, an sie die nach der Höhe noch näher zu beziffernde rückständige betriebliche Witwenrente nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem jeweiligen Ersten des jeweiligen Folgemonats, beginnend mit dem Eintritt des Versicherungsfalls und endend mit dem 1. November 2015 zu zahlen;
        
4.    
die Beklagte zu verurteilen, an sie ab dem 1. Dezember 2015 lebenslang zum Ende eines jeden Monats eine betriebliche Witwenrente in noch näher zu beziffernder Höhe zu zahlen.
8
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Spätehenklausel in § 5 Abs. 3 VO 1976 sei bereits nach § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG wirksam. Zudem bezwecke die Klausel, den Versorgungsaufwand der Hinterbliebenenversorgung kalkulierbar zu halten. Auch knüpfe sie an ein betriebsrentenrechtliches Strukturprinzip an. Dies ergebe sich aus der bei ihr üblichen Ausscheidepraxis, dem Durchschnittsalter der ausscheidenden Versorgungsberechtigten und der damaligen Möglichkeit, die gesetzliche Altersrente mit Vollendung des 63. Lebensjahres vorzeitig in Anspruch nehmen zu können. Die Betriebsparteien hätten bei Abschluss der VO 1976 davon ausgehen dürfen, dass Arbeitnehmer eine vorzeitige Altersrente aus der gesetzlichen Altersrente in Anspruch nehmen würden. Bei Unwirksamkeit der Spätehenklausel, die eine Ausweitung der Versorgungsrisiken um mindestens 6,2 Mio. Euro zur Folge hätte, sei eine ergänzende Vertragsauslegung dahingehend vorzunehmen, dass für die Spätehenklausel auf den Versorgungsfall „Alter“ abzustellen sei.
9
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit dem Hauptantrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.

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