Aktenzeichen 1 AZR 760/14
§ 112 Abs 1 S 3 BetrVG
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Düsseldorf, 16. Juni 2014, Az: 6 Ca 5898/13, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 20. Oktober 2014, Az: 9 Sa 854/14, Urteil
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 20. Oktober 2014 – 9 Sa 854/14 – teilweise aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 16. Juni 2014 – 6 Ca 5898/13 – teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.549,96 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. November 2012 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Revision der Beklagten und die der Klägerin gegen das vorgenannte Urteil des Landesarbeitsgerichts werden zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 54/100 und die Beklagte zu 46/100 zu tragen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten im Wesentlichen über die Berechnung einer Sozialplanleistung.
2
Die am 26. Juni 1963 geborene und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Klägerin war seit dem 14. November 1994 bei der Beklagten in deren Betriebsstätte in Düsseldorf zuletzt als leitende Angestellte beschäftigt. Ihr war ein Dienstwagen zur privaten Nutzung überlassen. Ihr Entgeltnachweis für August 2012 weist insoweit einen „PKW-Wert gw. Vorteil“ von 356,92 Euro aus. Die Beklagte bringt eine Firmenwagenrichtlinie zur Anwendung, die Company Benefit Car Policy (Car Policy). Diese legt in ihrer Fassung vom Februar 2012 unter „2. Company Car Eligibility“ ua. fest, dass die Anspruchsberechtigung auf einen Firmenwagen auf dem „Job Grade“ – dem Grad der Verantwortung der Tätigkeit – basiert.
3
Bei der Beklagten ist ein Sprecherausschuss gebildet. Mit diesem traf die Beklagte, welche bis zum 11. September 2013 unter Nokia Siemens Networks GmbH & Co. KG (NSN) firmierte, am 21. August 2012 anlässlich einer Restrukturierungsmaßnahme eine Vereinbarung gemäß § 28 Abs. 2 SprAuG (SprAV). In dieser heißt es ua.:
„…
3.
Der mit dem Betriebsrat der Region West abgeschlossene Interessenausgleich und Sozialplan vom 13.08.2012 kommt auch für Leitende Angestellte mit folgenden Modifikationen zur Anwendung:
3.1
…
3.2
Zusätzlich wird ihnen die Nutzung ihres Dienstwagens – sofern der leitende Angestellte zum Zeitpunkt des Angebots einen Dienstwagen nutzt – auch in der Transfergesellschaft zu den vereinbarten Konditionen gestattet. Die Tankkarte ist unverzüglich an NSN zurückzugeben.
Bei leitenden Angestellten, die bisher die Regelungen der Car-allowance nutzen, werden diese im bisherigen Umfang fortgeführt.
Im Übrigen gelten die bisherigen Bedingungen der NSN Car Policy fort.
…“
4
Der mit dem Betriebsrat der Region West am 13. August 2012 geschlossene Sozialplan (SP 2012) sieht den Übergang der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer in die NSN Transfergesellschaft mbH (NSN TG) vor und lautet im Übrigen:
„…
§ 5
MINDESTBEDINGUNGEN DER TRANSFERARBEITSVERHÄLTNISSE
Der Übertritt in die Transfergesellschaft erfolgt auf Basis eines dreiseitigen Vertrages (= drei Vertragsparteien), der die Beendingung des mit NSN bestehenden Arbeitsvertrages und die Begründung eines befristeten Transferarbeitsverhältnisses bei der NSN Transfergesellschaft mbH beinhaltet.
Wesentliche Bestandteile dieses dreiseitigen Vertrages sind:
…
(3)
Die Beschäftigten erhalten innerhalb der BeE – unter Anrechnung der Zahlungen der Agentur für Arbeit – ein BeE-Monatsentgelt von monatlich 75 Prozent ihres Bruttomonatseinkommens. Das Bruttomonatseinkommen umfasst alle tariflichen sowie alle sonstigen individuellen monatlichen Entgeltbestandteile. Es ist das 13,5-fache des bisherigen Bruttomonatsgehaltes dividiert durch zwölf.
…
(8)
Die vermögenswirksamen Leistungen (AVWL) werden in der beE fortgeführt.
…
(15)
In dem Dreiseitigen Vertrag ist der Anspruch auf die Abfindung und deren Fälligkeit festzuhalten.
…
§ 7
ABFINDUNG
(1)
Alle vom Geltungsbereich dieses Sozialplanes erfassten Beschäftigten haben mit Unterzeichnung des dreiseitigen Vertrages (Zustimmung zum Eintritt in die beE) einen Anspruch auf eine aus dem individuellen Bruttomonatsentgelt errechnete Abfindung.
(2)
Abfindung = Abfindungsbetrag X 0,7
Der errechnete Abfindungsbetrag wird mit dem Faktor 0,7 multipliziert. Der Faktor von 0,7 ergibt sich aus dem Angebot einer Transfergesellschaft mit den in § 5 des Sozialplans geregelten Konditionen.
Abfindungsbetrag =
Anzahl der Beschäftigungsjahre (Dienstjahre) x Bruttomonatseinkommen x Faktor
(2.1) Der Faktor ergibt sich aus Lebensalter und Dienstalter:
…
Stichtag für die Ermittlung des Lebensalters und der Betriebszugehörigkeit ist das Austrittsdatum aus NSN. Es gelten die bis zu diesem Zeitpunkt vollendeten Jahre.
Unter Bruttomonatseinkommen sind feste regelmäßige monatliche Einkommensbestandteile auf Basis der vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit zu verstehen. Ausgenommen sind Teile, die Aufwandsersatz darstellen, Einmalzahlungen sowie Mehrarbeitsvergütungen.
Bei Mitarbeitern, die Anspruch auf ein Incentive gem. der NSN GBV 2011/18 haben, wird der Bruttomonatsverdienst zusätzlich um 1/12 der zu beanspruchenden Incentives (BRM=1,0, Zielerreichung 100%) erhöht.
(2.2) Zuschlag pro Kind: Mitarbeiter mit unterhaltsberechtigten Kindern erhalten zusätzlich zu der Abfindung für jedes unterhaltsberechtigte Kind einen Betrag von 2.500,00 € brutto. Maßgeblich sind die bei NSN zum 31.08.2012 aufgrund der Angaben auf der Lohnsteuerkarte bekannten oder bis dahin vom Mitarbeiter mitgeteilten und nachgewiesenen Unterhaltsberechtigungen. Alleinerziehende erhalten einen zusätzlichen Betrag von einmalig 5.000,00 € brutto.
Sofern beide Ehepartner betroffen sind, wird der Zuschlag nur einmal fällig.
(2.3) Zuschlag für Schwerbehinderte: Zum Zeitpunkt der Kündigung oder des Abschlusses eines dreiseitigen Vertrages schwerbehinderte Menschen sowie schwerbehinderten Menschen Gleichgestellte (gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX), erhalten bei Vorlage eines entsprechenden Nachweises einen Zuschlag von 750,00 Euro brutto je 10 Grad der Behinderung.
(2.4) Mitarbeiter ab dem 35. bis zum 46. Lebensjahr erhalten zusätzlich einen Zuschlag in Höhe von 3.000,00 €; ab dem 47. Lebensjahr einen Zuschlag von 6.000,00 € brutto.
(3)
Die Abfindung ist mit dem Ausscheiden aus der beE zur Zahlung fällig. Die Auszahlung erfolgt mit der Entgeltabrechnung im Monat nach dem Ausscheiden aus der beE.
(4)
Beschäftigte können abweichend davon die Zahlung der Abfindung bereits mit Ausscheiden aus der NSN verlangen.
(5)
Abfindungsansprüche sind nach dem Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen und vor Fälligkeit vererbbar, jedoch nicht abtretbar.
(6)
Der Anspruch auf Abfindung und deren Fälligkeit ist in den dreiseitigen Vertrag aufzunehmen.
(7)
Ein Anspruch auf Abfindung besteht nicht, wenn …“
5
Am 3. September 2012 vereinbarten die Parteien und die NSN TG einen „dreiseitigen Vertrag“, nach dem das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Ablauf des 30. September 2012 endete und sie zum 1. Oktober 2012 in die NSN TG eintrat. Mit einer an die Beklagte gerichteten E-Mail vom 6. September 2012 „beantragte“ die Klägerin „Auszahlung der Abfindung zum Ausscheiden bei NSN“.
6
Die Beklagte ermittelte die Sozialplanleistung nach der Rechenoperation:
Anzahl der Beschäftigungsjahre (Dienstjahre) x Bruttomonatseinkommen x individueller (Matrix-)Faktor nach § 7 (2.1) SP = Abfindungsbetrag;
(Abfindungsbetrag + Zuschläge nach § 7 [2.2] bis [2.4] SP 2012) x 0,7 = Zahlbetrag.
7
Bei der Höhe des in die Rechnung eingestellten Bruttomonatseinkommens berücksichtigte sie den (steuerpflichtigen) geldwerten Vorteil des der Klägerin zur privaten Nutzung überlassenen Dienstwagens nicht. Auch die monatlich abgerechnete und gezahlte Kontoführungsgebühr brachte sie nicht in Ansatz.
8
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Zahlung der Differenz geltend gemacht, die sich ergibt, wenn bei der Bemessung der Abfindung von einem höheren Bruttomonatseinkommen – unter Berücksichtigung der Kontoführungsgebühr und dem geldwerten Vorteil für die Privatnutzung des Firmenwagens – ausgegangen wird, und entgegen der Berechnung der Beklagten die Zuschläge des § 7 (2.2) bis (2.4) SP 2012 nicht mit dem Faktor 0,7 multipliziert werden. Des Weiteren hat sie gemeint, die Abfindungszahlung sei am 1. Oktober 2012 – bzw. ein Nachzahlungsbetrag am 1. November 2012 – fällig gewesen. Entsprechend hat sie unter Berücksichtigung der von der Beklagten gezahlten Beträge Verzugszinsen in gestaffelter Höhe beansprucht.
9
Die Klägerin hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen
1.
an sie 6.173,16 Euro brutto zu zahlen;
2.
an sie Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 139.507,05 Euro seit dem 1. Oktober 2012 bis zum 31. Oktober 2012 und aus 6.173,16 Euro seit dem 1. November 2012 zu zahlen.
10
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags ausgeführt, ihre Berechnung der Sozialplanleistung folge zwingend aus der Regelungssystematik des Sozialplans.
11
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 6.160,22 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. November 2012 zu zahlen. Die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Mit ihren Revisionen verfolgen beide Parteien ihre bisherigen Anträge weiter.