Arbeitsrecht

Kein Annahmeverzug bei Angebot einer “leidensgerechten Tätigkeit” durch den Arbeitnehmer

Aktenzeichen  1 Ca 167/17

Datum:
15.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 151327
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
Weiden
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1, § 294, § 296, § 297, § 611, § 615 S. 1
GewO § 106 S. 1
SGB IX § 68 Abs. 2 S. 2, § 84 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1 Kann der Arbeitnehmer, dessen Tätigkeit im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschrieben ist, die vom Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts nach § 106 S. 1 GewO wirksam näher bestimmte Tätigkeit aus in seiner Person liegenden Gründen nicht mehr ausüben, aber eine andere im Rahmen der arbeitsvertraglichen Vereinbarung liegende Tätigkeit verrichten, ist für den Annahmeverzug des Arbeitgebers das Angebot einer “leidensgerechten Arbeit” ohne Belang, solange der Arbeitgeber nicht durch eine Neuausübung des Direktionsrechts diese zu der iSv § 294 BGB zu bewirkenden Arbeitsleistung bestimmt hat (Anschluss an BAG BeckRS 2015, 70804 Rn. 19; BeckRS 2010, 72311 Rn. 16). (Rn. 76) (red. LS Alke Kayser)
2 Ist der Arbeitnehmer aus in seiner Person liegenden Gründen nicht mehr in der Lage, die vom Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts nach § 106 S. 1 GewO näher bestimmte Leistung zu erbringen, kann es die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB gebieten, dass der Arbeitgeber von seinem Direktionsrecht erneut Gebrauch macht und die vom Arbeitnehmer zu erbringende Leistung innerhalb des arbeitsvertraglich vereinbarten Rahmens anderweitig derart konkretisiert, dass dem Arbeitnehmer die Leistungserbringung wieder möglich wird. Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Neubestimmung der Tätigkeit des Arbeitnehmers setzt voraus, dass der Arbeitnehmer die Umsetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz verlangt und dem Arbeitgeber mitgeteilt hat, wie er sich seine weitere, die aufgetretenen Leistungshindernisse ausräumende Beschäftigung vorstellt. Dem Verlangen des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber regelmäßig entsprechen, wenn ihm die in der Zuweisung einer anderen Tätigkeit liegende Neubestimmung der zu bewirkenden Arbeitsleistung zumutbar und rechtlich möglich ist (Anschluss an BAG BeckRS 2015, 70804 Rn. 26; BeckRS 2010, 72311 Rn. 27 f.). (Rn. 89 und 90) (red. LS Alke Kayser)
3 In diesem Zusammenhang muss der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Darlegungslast konkret vortragen, mit welchen Aufgaben er in welchen Bereichen vertragsgerecht und leidensgerecht beschäftigt werden kann und wann er eine solche Tätigkeit von dem Arbeitgeber verlangt hat bzw. wann er initiativ geworden ist und dem Arbeitgeber signalisiert hat, dass er im Rahmen einer leidensgerechten Beschäftigung auch konkrete andere Tätigkeiten außerhalb des arbeitsvertraglich geschuldeten Bereiches ausüben kann (Initiativlast; an dieser änderte im Streitfall weder die Notwendigkeit eines Präventionsverfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX noch die eines BEM-Verfahrens nach § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX etwas). (Rn. 91) (red. LS Alke Kayser)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Der Streitwert wird festgesetzt auf 45.360,77 €.
IV. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig. Der Rechtsweg zum Arbeitsgericht ist eröffnet, § 2 Abs. 1 Nr. 3 a) ArbGG i.V.m. den §§ 46, 48 ArbGG. Das Arbeitsgericht Weiden – Außenkammer B-Stadt – ist zur Entscheidung des Rechtsstreites auch örtlich zuständig, § 48 Abs. 1a Satz 1 ArbGG i. V. m. Art. 2 Abs. 2 Nr.10, Art. 3 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 2 BayArbGOrgG.
II.
Die Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keine Ansprüche auf Differenzlohn in geltend gemachter Höhe gegen die Beklagte aus dem rechtlichen Gesichtspunkt des Annahmeverzuges nach §§ 611, 615 BGB oder aus dem rechtlichen Gesichtspunkt des Schadenersatzes nach § 280 Abs. 1 BGB.
A.
Ein Anspruch auf Annahmeverzugslohn gemäß §§ 611, 615 Satz 1 BGB besteht nicht, weil sich die Beklagte während des streitigen Klagezeitraums nach § 297 BGB nicht in Annahmeverzug befand.
1. Nach § 297 BGB kommt der Gläubiger nicht in Verzug, wenn der Schuldner zur Zeit des Angebots oder im Falle des § 296 BGB zu der für die Handlung des Gläubigers bestimmten Zeit nicht willens ist, die geschuldete Leistung zu erbringen, oder aber objektiv außerstande ist, die Leistung zu bewirken, BAG, Urteil vom 22.02.2012 – 5 AZR 249/11 – dort Rdz. 16, zitiert nach juris, in jüngerer Zeit auch BAG, Urteil vom 28.09.2016 -5 AZR 224/16 – dort Rdz. 23, zitiert nach juris.
a. Entfällt das objektive Leistungsvermögen des Arbeitnehmers, wird die vertraglich geschuldete Leistung unmöglich. Die Darlegungs- und Beweislast für das Unvermögen des Arbeitnehmers trägt der Arbeitgeber. Da er über den Gesundheitszustand und das Leistungsvermögen des Arbeitnehmers im Annahmeverzugszeitraum regelmäßig keine näheren Kenntnisse hat, können an seinen Vortrag zum Leistungsunvermögen keine hohen Anforderungen gestellt werden. Es genügt, wenn er Indizien vorträgt, aus denen auf Arbeitsunfähigkeit geschlossen werden kann. In Betracht kommen insbesondere Krankheitszeiten des Arbeitnehmers vor, in und nach dem Verzugszeitraum. Hat der Arbeitgeber solche Indizien vorgetragen, ist es Sache des Arbeitnehmers, die Indizwirkung zu erschüttern. Der Arbeitnehmer muss dartun, warum aus dem Vortrag des Arbeitgebers nicht auf Leistungsunvermögen geschlossen werden kann, BAG, Urteil vom 24.09.2014 – 5 AZR 611/12 – dort Rdz. 17, zitiert nach juris.
b. Zu der Frage des objektiven Leistungs(un) vermögens hat das BAG eine differenzierte Rechtsprechung entwickelt. Es ist nach der Rechtsprechung des BAG nicht darauf abzustellen, ob der Arbeitnehmer alle im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschriebenen Tätigkeiten nicht mehr ausüben kann. Es kommt vielmehr nur darauf, ob er noch objektiv in der Lage ist, die ihm im Rahmen des Direktionsrechtes zugewiesenen Arbeitsaufgaben zu erledigen.
Kann der Arbeitnehmer, dessen Tätigkeit im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschrieben ist, die vom Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts nach § 106 Satz 1 GewO wirksam näher bestimmte Tätigkeit aus in seiner Person liegenden Gründen nicht mehr ausüben, aber eine andere, im Rahmen der arbeitsvertraglichen Vereinbarung liegende Tätigkeit verrichten, ist das Angebot einer „leidensgerechten Arbeit“ durch den Arbeitnehmer ohne Belang, solange der Arbeitgeber nicht durch eine Neuausübung seines Direktionsrechts diese zu der iSv. § 294 BGB zu bewirkenden Arbeitsleistung bestimmt hat. Anderenfalls könnte der Arbeitnehmer den Inhalt der arbeitsvertraglich nur rahmenmäßig umschriebenen Arbeitsleistung selbst konkretisieren. Das widerspräche § 106 Satz 1 GewO. Die Konkretisierung der Arbeitspflicht ist nach § 106 Satz 1 GewO Sache des Arbeitgebers. Verlangt der Arbeitgeber eine bestimmte Arbeit in rechtlich einwandfreier Art und Weise, kommt er nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer diese Arbeit ablehnt und stattdessen eine andere, ebenfalls vertragsgemäße Arbeit anbietet, BAG, Urteil vom 30.04.2008 – 5 AZR 502/07 – dort Rdz. 24, zitiert nach juris. Mit der Ausübung des Direktionsrechts wird die vertraglich geschuldete Tätigkeit näher bestimmt und ist ab diesem Zeitpunkt bis zur – wirksamen – Neuausübung des Direktionsrechts die konkret geschuldete Leistung, BAG, Urteil vom 19.05.2010 – 5 AZR 162/09 – dort Rdz. 16, zitiert nach juris und in jüngerer Zeit BAG, Urteil vom 27.05.2015 -5 AZR 88/14 – dort Rdz. 19, zitiert nach juris. Das objektive Leistungsvermögen des Arbeitnehmers muss insoweit gegeben sein, damit dem Anspruch auf Annahmeverzugslohn nicht § 297 BGB entgegensteht. Auf diese Tätigkeit muss sich auch der Leistungswille des Arbeitnehmers, also sein Arbeitsangebot beziehen, BAG, Urteil vom 27.08.2008 – 5 AZR 16/08 – dort Rdz. 14, zitiert nach juris, BAG, Urteil vom 22.02.2012 – 5 AZR 249/11 – dort Rdz. 21, zitiert nach juris, BAG, Urteil vom 09.04.2014 -10 AZR 637/13 – dort Rdz.37, zitiert nach juris. Dieser Rechtsprechung haben sich auch die Landesarbeitsgerichte angeschlossen, LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.06.2012 – 4 Sa 2151/11 – dort 47, zitiert nach juris, LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.08.2013 – 2 Sa 248/13 – dort Rdz. 45.
2. Für den vorliegenden Fall ergibt sich hieraus:
a. Der Kläger wurde als Elektrotechniker bei der Beklagten eingestellt. Die Tätigkeit, die ihm nach seinem Arbeitsvertrag oblag, umfasste u.a. die Softwareerstellung, die Projektbetreuung und -abwicklung, die Inbetriebsetzung und Kundenschulung. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig. Bei den Programmierarbeiten des Klägers handelte es sich ausschließlich um sog. Sicherheits-SPS (= speicherprogrammierbare Steuerung) bei Fertigungsanlagen. Dies ergibt sich aus dem unbestrittenen Vorbringen der Beklagten. Diese Tätigkeit war die zugewiesene Tätigkeit, hinsichtlich derer zur Begründung von Annahmeverzugsansprüchen objektive Leistungsfähigkeit und subjektiver Leistungswille erforderlich waren.
b. Die nach BAG, Urteil vom 27.05.2015, aaO für die Frage der objektiven Leistungsunfähigkeit maßgebliche vom Kläger geschuldete Tätigkeit war die des Programmierens von Sicherheits-SPS. Mit der Zuweisung dieser Tätigkeit bewegte sich die Beklagte im Rahmen ihres durch den Arbeitsvertrag umschriebenen
Direktionsrechtes. Damit wurde die dem Kläger obliegende Arbeit letztmals innerhalb des Direktionsrechtes der Beklagten konkretisiert. Diese zuletzt zugewiesene Tätigkeit des Programmierens von SPS-Sicherheitssoftware kann der Kläger seit seinem Unfall dauerhaft nicht mehr ausüben. Insoweit schließt sich das erkennende Gericht den überzeugenden Ausführungen des LAG Nürnberg im Berufungsurteil zu den Feststellungen des letzten Gutachters im Gutachten vom 08.08.2013 an. Nach diesem Gutachten, das zu Beweiszwecken beigezogen wurde, ist davon auszugehen, dass beim Kläger eine irreversible hirnorganische Verletzung vorliegt, die dazu führt, dass er die an sich geschuldeten komplexen Programmierarbeiten nicht (mehr) durchführen kann.
Nach dem Gutachten ist beim Kläger eine rechts im Frontalhirn gelegene Narbenzone vorhanden. Diese beeinträchtigt nach den Ausführungen des Gutachters zwei kognitive Funktionen des Gehirns, nämlich temporal das Gedächtnis und die exekutiven Funktionen, wobei zu letzteren beispielsweise Planung, Kontaktfähigkeit und Problemlösung gehören.
Nach dem Ergebnis der gutachterlichen Untersuchung weist der Kläger in den Bereichen Gedächtnisleistung und Lernfähigkeit deutliche Defizite auf, die dazu führen, dass seine Leistungsfähigkeit in seinem Tätigkeitsfeld um 30 bis 40% gemindert ist. Diese Einschätzung beruht auf den vom Gutachter schriftlich dargestellten und nachvollziehbaren Testergebnissen. Die Leistungsminderung bedingt, dass die erbrachten Leistungen nicht von der Beklagten weiter übernommen werden können, sondern vorher von Dritten kontrolliert und revidiert werden müssen. Die vorgängigen Gutachten der anderen Gutachter stehen dem Gutachten vom 08.08.2013 nicht entgegen.
Im neurologischen Zusatzgutachten vom 17.01.2011 ist ausgeführt, dass es durchaus vorstellbar sei, dass der Kläger die frühere Tätigkeit wieder aufnehme. Diesbezüglich erfolgt eine Einschränkung, wenn im Ergebnis ausgeführt wird, es sei dem Kläger eine etwas längere Zeit zur Selbstkontrolle bzw. zur Zuhilfenahme von Gedächtnis- und Planungsstützen einzuräumen. Maßgebend ist indes die Feststellung auf Blatt 27 dieses Gutachtens, die Frage des Gerichtes, ob der Kläger wegen der beim Verkehrsunfall am 23.01.2001 erlittenen Hirnschädigung nicht mehr in der Lage sei, das ihm übertragene Aufgabengebiet zu bearbeiten, könne in dieser Form aus neurologischneuropsychologischer Sicht nicht abschließend beantwortet werden, weil es an einer exakten Spezifikation der zu leistenden Tätigkeit fehle, d.h., der Gutachter besaß keine konkrete Vorstellung davon, welche Arbeit der Kläger zu leisten hatte und welche Anforderungen neurologischer Art diese mit sich brachte.
Das Gleiche gilt im Ergebnis für das Gutachten vom 12.03.2012 und das psychiatrische Teilgutachten vom 12.08.2010. So wird im Gutachten vom 12.03.2012 auf Seite 20 (Bl. 359 der beigezogenen Akten) ausgeführt, inwieweit weiterhin komplexe SPS-Programmiertätigkeiten vorgenommen werden könnten, sei von den Gutachtern schwer beurteilbar, da sie nicht in der Lage seien, dies vor Ort zu überprüfen. Der Ersteller des Gutachtens beantwortet die gestellte Beweisfrage also mit der Aussage, dass er dies in seinem Gutachten nicht abschließend beurteilen konnte. Dies entspricht der Kernaussage im psychiatrischen Teilgutachten vom 12.08.2010. Dort wird von dem Gutachter auf der vorletzten Seite (Bl. 371 der beigezogenen Akte) ausgeführt, der Unterzeichner sehe sich im Ergebnis außerstande, die Beweisfragen fachgerecht und sachgerecht zu beantworten.
Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass der Kläger nach dem Unfall die ihm im Rahmen des Direktionsrechtes zugewiesene Arbeit als SPS-Sicherheitssoftware-Programmierer als Unfallfolge nicht mehr ausüben konnte.
Dem Kläger stehen daher Ansprüche gegen die Beklagte aus Annahmeverzug nicht zu.
B.
Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB zu. Die Beklagte hat nicht schuldhaft ihre Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB verletzt dadurch, dass sie dem Kläger nicht im Rahmen ihres Direktionsrechtes einen leidensgerechten Arbeitsplatz zuwies.
1. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Dies dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Im Arbeitsverhältnis können die Vertragspartner deshalb zur Verwirklichung des Leistungsinteresses zu leistungssichernden Maßnahmen verpflichtet sein. Dazu gehört auch die Pflicht, im Zusammenwirken mit dem Vertragspartner die Voraussetzungen für die Durchführung des Vertrags zu schaffen, Erfüllungshindernisse nicht entstehen zu lassen bzw. zu beseitigen und dem anderen Teil den angestrebten Leistungserfolg zukommen zu lassen. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht kann es auch geboten sein, auf den Wunsch nach Vertragsanpassung als Reaktion auf unerwartete Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse einzugehen, insbesondere wenn anderenfalls in Dauerschuldverhältnissen Unvermögen des Schuldners droht.
Ist der Arbeitnehmer aus in seiner Person liegenden Gründen nicht mehr in der Lage, die vom Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts nach § 106 Satz 1 GewO näher bestimmte Leistung zu erbringen, kann es die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB gebieten, dass der Arbeitgeber von seinem Direktionsrecht erneut Gebrauch macht und die vom Arbeitnehmer zu erbringende Leistung innerhalb des arbeitsvertraglich vereinbarten Rahmens anderweitig derart konkretisiert, dass dem Arbeitnehmer die Leistungserbringung wieder möglich wird. Dementsprechend ist kündigungsrechtlich der Arbeitgeber auch bei dauernder Unmöglichkeit, den Arbeitnehmer in seinem bisherigen Tätigkeitsbereich zu beschäftigen, erst dann zur (Änderungs-)Kündigung berechtigt, wenn das aus der persönlichen Sphäre des Arbeitnehmers resultierende Hindernis nicht nur einer vertragsgemäßen Weiterbeschäftigung am bisherigen Arbeitsplatz und mit den bisherigen Arbeitsaufgaben, sondern auch einer vertragsgemäßen Beschäftigung an anderer Stelle und/oder mit anderen Aufgaben entgegensteht., also eine vertragsgemäße Beschäftigung nicht mehr möglich ist.
Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Neubestimmung der Tätigkeit des Arbeitnehmers setzt voraus, dass der Arbeitnehmer die Umsetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz verlangt und dem Arbeitgeber mitgeteilt hat, wie er sich seine weitere, die aufgetretenen Leistungshindernisse ausräumende Beschäftigung vorstellt. Dem Verlangen des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber regelmäßig entsprechen, wenn ihm die in der Zuweisung einer anderen Tätigkeit liegende Neubestimmung der zu bewirkenden Arbeitsleistung zumutbar und rechtlich möglich ist, vergleiche oben zitierte Rechtsprechung, insbesondere BAG, Urteil vom 19.05.2010, aaO, Rdz. 26, zitiert nach juris und BAG, Urteil vom 27.05.2015, aaO, Rdz. 26, zitiert nach juris. Insoweit unterscheidet das BAG unter Hervorhebung des Direktionsrechtes des Arbeitgebers nicht zwischen der Fallgestaltung, dass die zuletzt zugewiesene Arbeit nicht mehr ausgeübt werden kann, aber eine andere Arbeit ohne Änderung des Arbeitsvertrages zugewiesen werden könnte, so BAG, Urteile vom 19.05.2010 und vom 27.05.2015 oder keine vertraglich vereinbarte Tätigkeit mehr
ausgeübt werden kann, sondern nur eine Tätigkeit, die eine Änderung des Arbeitsvertrages voraussetzt, so BAG, Urteil vom 13.08.2009 – 6 AZR 330/08 – dort Rdz. 28 ff, zitiert nach juris.
In diesem Zusammenhang muss der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Darlegungslast konkret vortragen, mit welchen Aufgaben er in welchen Bereichen vertragsgerecht und leidensgerecht beschäftigt werden kann und wann er eine solche Tätigkeit von dem Arbeitgeber verlangt hat, BAG, Urteil vom 27.05.2017, aaO., Rdz. 35 bzw. wann er initiativ geworden ist und dem Arbeitgeber signalisiert hat, dass er im Rahmen einer leidensgerechten Beschäftigung auch konkrete andere Tätigkeiten außerhalb des arbeitsvertraglich geschuldeten Bereiches ausüben kann, BAG, Urteil vom 13.08.2009, aaO. Rdz. 30f.
2. Der Hinweis des Klägers auf die Notwendigkeit eines Präventionsverfahrens ändert daran nichts.
Die Durchführung eines Präventionsverfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX kann helfen, Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis zu beseitigen und eine dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu ermöglichen. Ein Präventionsverfahren ist geboten bei Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis von schwerbehinderten Menschen und im Hinblick auf § 68 Abs. 3 SGB III behinderten Menschen mit Gleichstellung, vergleiche Knittel, SGB IX, Kommentar, 7. Auflage, Rdz. 1.
Zu diesem Personenkreis zählte der Kläger nach seinem Vorbringen und nach Aktenlage jedenfalls bis zum Ausspruch der letzten Änderungskündigung vom 30.03.2006 nicht. Er beantragte erst am 10.04.2006 die Gleichstellung. Bei positivem Bescheid über die Gleichstellung wird diese erst wirksam mit dem Tag des Eingangs des Antrages bei der zuständigen Behörde, § 68 Abs. 2 Satz 2 SGB IX. Es ist auch nicht aus der Akte ersichtlich, wann der Kläger der Beklagten Kenntnis davon verschafft hätte, dass und ab wann er gleichgestellt ist. Ein pflichtwidriges Handeln der Beklagten ist deshalb vor dem Hintergrund des § 84 Abs. 1 SGB IX nicht ersichtlich.
Es kann deshalb auch dahingestellt bleiben, ob eine etwaige Verletzung der Pflichten aus § 84 Abs. 1 SGB IX seitens der Beklagten überhaupt dazu führt, dass nicht mehr der Kläger eine konkrete leidensgerechte Beschäftigung anbieten müsste, sondern die Beklagte nunmehr von sich aus zur Vermeidung von Schadensersatzansprüchen die leidensgerechte Beschäftigung definieren und anbieten müsste. Denn dazu ist sie ohne nähere Sachverhaltskenntnis von den krankheitsbedingten Einschränkungen im Leistungsvermögen des Klägers auch weiterhin nicht in der Lage. Insoweit ist nichts dafür ersichtlich, dass die Beklagte in einer Initiativlast gewesen wäre, für den Kläger von sich aus im Rahmen des Arbeitsvertrages eine andere Tätigkeit zuzuweisen wie Projektbetreuung und -abwicklung, Inbetriebsetzung, Kundenschulung, usw.
3. Der Hinweis des Klägers auf die Notwendigkeit eines BEM-Verfahrens ändert daran ebenfalls nichts.
Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX kann helfen, einen leidensgerechten Arbeitsplatz innerhalb der Grenzen des bestehenden Arbeitsvertrages mit den notwendigen Hilfen einzurichten, wenn dies dem Arbeitgeber in organisatorischer wie auch finanzieller Hinsicht zumutbar ist. Unterlässt der Arbeitgeber es, ein gebotenes betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, so kann dies bei der Frage der Möglichkeit einer leidensgerechten Beschäftigung und einer im Sinne eines Verschuldens vorwerfbaren Verantwortung des Arbeitgebers dafür, dass es zu einer leidensgerechten Beschäftigung nicht gekommen ist, eine Rolle spielen. Allerdings ist die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagement nach der gesetzlichen Regelung nur dort geboten, wo der Mitarbeiter innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt ist.
Der Kläger hat nicht dazu vorgetragen, dass er in der Zeit vor dem 01.01.2009 einmal innerhalb eines Zeitraumes von einem Jahr länger als sechs Wochen wiederholt oder ununterbrochen arbeitsunfähig krank gewesen wäre. Solche Fehlzeiten ergeben sich auch nicht aus der Akte. Ein pflichtwidriges Handeln der Beklagten ist vor dem Hintergrund des § 84 Abs. 2 SGB IX nicht ersichtlich.
Nach Aktenlage ist nur eine längere Erkrankung des Klägers ersichtlich. Dabei handelt es sich um die längere Zeit der Arbeitsunfähigkeit im Zusammenhang mit dem schweren Unfall des Klägers im Jahr 2001. Diese Arbeitsunfähigkeit hat eine Pflicht der Beklagten zur Einleitung eines BEM-Prozesses nicht auslösen können. Die Vorschrift zum BEM als „Jedermannparagraph“ ohne Beschränkung auf schwerbehinderte Menschen oder behinderte Menschen mit Gleichstellung in der aktuellen Fassung des § 84 Abs. 2 SGB IX ist erst neu und erstmals in Kraft getreten zum 01.05.2004. Nur Zeiten der ununterbrochenen oder wiederholten Arbeitsunfähigkeit von mehr als sechs Wochen innerhalb eines Jahres seit dem Inkrafttreten dieser Norm können deshalb die Pflicht zum BEM-Prozess auslösen.
Zu dem Personenkreis mit einer krankheitsbedingten Fehlzeit von mehr als sechs Wochen in einem Jahr, bei dem der Arbeitgeber in der Pflicht ist, ein BEM anzubieten und bei Mitwirkungsbereitschaft des Arbeitnehmers durchzuführen, zählt der Kläger nach Aktenlage und nach seinem eigenen Vorbringen nicht. Ein pflichtwidriges Handeln der Beklagten ist vor dem Hintergrund des § 84 Abs. 2 SGB IX nicht ersichtlich. Insoweit ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die Beklagte in einer Initiativlast gewesen wäre, für den Kläger von sich aus im Rahmen des Arbeitsvertrages eine andere Tätigkeit zuzuweisen wie Projektbetreuung und -abwicklung, Inbetriebsetzung, Kundenschulung, usw.
4. Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus, dass die Initiativlast beim Kläger lag, er also gehalten war, in einem ersten Schritt die ihm vor dem Hintergrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen noch mögliche Arbeiten im Rahmen oder außerhalb des Rahmens des Arbeitsvertrages näher zu umschreiben und der Beklagten als seine ihm mögliche Arbeitsleistung anzubieten.
Er hat außerhalb der Prozessakte des Kündigungsschutzverfahrens die Beklagte nicht aufgefordert, ihm eine andere Tätigkeit im Rahmen des Arbeitsvertrages zuzuweisen wie Projektbetreuung, Inbetriebsetzung oder Kundenschulung. Dazu hat er nach den gerichtlichen Hinweisen im Termin zur streitigen Verhandlung in dem nachgelassenen Schriftsatz nichts vorgetragen. Entsprechende Aufforderungen finden sich auch nicht im Akt oder in der beigezogenen Akte.
Er hat auch außerhalb der Prozessakte des Kündigungsschutzverfahrens die Beklagte nicht darauf hingewiesen, dass ihm eine andere Tätigkeit außerhalb des Rahmens des Arbeitsvertrages als leidensgerechte Arbeit möglich wäre und welche Tätigkeit er sich in diesem Zusammenhang vorstelle. Dazu hat er nach den gerichtlichen Hinweisen im Termin zur streitigen Verhandlung in dem nachgelassenen Schriftsatz nichts vorgetragen. Entsprechende Aufforderungen finden sich auch nicht im Akt oder in der beigezogenen Akte.
Der Kläger hat nach seinem eigenen Vorbringen sowie nach Aktenlage zu keinem Zeitpunkt der Beklagten eine andere im Rahmen des bestehenden Arbeitsvertrages mögliche Tätigkeit als leidensgerechte Tätigkeit mitgeteilt. Er hat konsequent darauf beharrt, seine bisherige Tätigkeit als Programmierer von SPS-Sicherheitssoftware weiter ausüben zu können. Nach dem Arbeitsvertrag war der Kläger eingestellt als Elektrotechniker. Zu seinem Aufgabengebiet als Elektrotechniker zählte u.a. Softwareerstellung, Projektbetreuung und -abwicklung, Inbetriebsetzung und Kundenschulung. Der Kläger hat nach Aktenlage wie auch nach seinem eigenen Vorbringen gegenüber der Beklagten kein konkretes Angebot gemacht, welche Arbeiten er für die Beklagte künftig leidensgerecht noch ausüben könnte. Er hat in dem Kündigungsschutzverfahren konsequent daran festgehalten, dass er in der Lage ist, seine ursprünglich zugewiesene Arbeit als SPS-Programmierer ausüben zu können.
Soweit er im Kündigungsschutzverfahren auf andere vertragsgerechte Beschäftigungsmöglichkeiten wie Projektbetreuung, Projektabwicklung, Inbetriebsetzung und Kundenschulung hingewiesen hat, lag darin kein konkretes Arbeitsangebot, sondern nur der Hinweis auf die fehlende Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch die Beklagte bei Ausspruch der Änderungskündigung.
Soweit er auf andere nicht vertragsgerechte Beschäftigungsmöglichkeiten wie Anlagenbau und Anlagenfertigung verwiesen hat, ging es dem Kläger dabei ebenfalls nicht um die Darstellung und das Angebot einer konkreten leidensgerechten Beschäftigungsmöglichkeit, sondern um die Darstellung von im Vergleich zu Helfertätigkeiten höherwertigen Beschäftigungsmöglichkeiten wieder vor dem Hintergrund des im Kündigungsschutzrecht geltenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Diese Beschäftigungsmöglichkeiten wie im Anlagenbau konnten von der Beklagten nicht im Rahmen des bestehenden Arbeitsvertrages und in Ausübung des Weisungsrechtes realisiert werden, sondern nur durch einvernehmliche Vertragsänderung. Eine solche Vertragsänderung hat der Kläger ebenfalls nicht nachgesucht, da er im Grunde daran festgehalten hat, weiter als SPS-Programmierer arbeiten zu können. Abgesehen davon werden bei der Beklagten im Anlagenbau wie auch in der Anlagenfertigung verschiedene Arbeitsplätze für unterschiedlichste Ausbildungen und Qualifikationen angeboten. Eine entsprechende Konkretisierung seitens des Klägers, welcher Arbeitsplatz im Anlagenbau oder in der Anlagenfertigung leidensgerecht wäre, ist nicht ersichtlich.
5. Das Angebot einer konkreten leidensgerechten Beschäftigung innerhalb des Direktionsrechtes des bestehenden Vertrages war auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Beklagte eine solche Beschäftigung von vorneherein abgelehnt hätte, wie der Kläger unter Hinweis auf § 281 Abs. 2 BGB geltend macht.
Nach § 281 Abs. 2 BGB ist nur eine Fristsetzung zur Leistungserbringung durch den Schuldner unter den dort genannten Voraussetzungen entbehrlich, nicht aber die hier in Frage stehende Pflicht des Arbeitnehmers als Gläubiger, die vom Schuldner zu erbringende Leistung, den leidensgerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und die leidensgerechte Beschäftigung zuzuweisen, in einem ersten Schritt zu konkretisieren. Erst wenn der Arbeitgeber mit dieser Konkretisierung durch den Arbeitnehmer weiß, was die von ihm zu erbringende Leistung iSd § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB ist, kann er deren Erfüllung ernsthaft und endgültig verweigern iSd § 280 Abs. 2 BGB. Dies war der Beklagten hier schon deshalb nicht möglich, weil aus dem Vorbringen des Klägers in der Vergangenheit nicht konkret hervorging, ob die ihm noch mögliche Arbeitsleistung nach seiner Beurteilung innerhalb des Arbeitsvertrages möglich war oder eine Änderung des Arbeitsvertrages bedingte.
Die Klage war daher abzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt § 91 Abs. 1 ZPO.
IV.
Die gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG gebotene Streitwertfestsetzung folgt § 3 ZPO.
Die Berufung war nicht gesondert zuzulassen nach § 64 Abs. 2 a) ArbGG, da sie ohnehin zulässig ist nach § 64 Abs. 2 b) ArbGG und die Zulassungsvoraussetzungen des § 64 Abs. 3 ArbGG nicht vorliegen.

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