Arbeitsrecht

Kein Anspruch auf Genehmigung einer Satzungsänderung wegen fehlender Ermächtigungsgrundlage

Aktenzeichen  L 5 KR 330/13 KL

Datum:
12.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB I SGB I § 31
SGB V SGB V § 73b, § 194 Abs. 2 S. 2, § 195 Abs. 1
SGG SGG § 29 Abs. 2 Nr. 2, § 78 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Eine Satzungsbestimmung, die den Zugang zur hausarztzentrierten Versorgung regelt, überschreitet die in § 73b Abs. 3 S. 4 SGB V (a.F.; jetzt § 73b Abs. 3 S. 7 SGB V) festgelegte Satzungsautonomie. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerechte Klage, über welche der Senat nach § 29 Abs. 2 Nr. 2 SGG im ersten Rechtszug entscheidet, ist nach § 78 Abs. 1 Nr. 2 SGG ohne Vorverfahren zulässig. Offen bleiben darf (ebenso BSG v. 18.11.2014 – B 1 A 1/14 R, Rn. 8; LSG Rheinland-Pfalz v. 02.06.2016 – L 5 KR 66/15 KL, Rn. 16 – zitiert jeweils nach juris), ob die Klage um als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) oder als Aufsichtsklage (§ 54 Abs. 3 SGG) zu qualifizieren ist. Auch mit der Aufsichtsklage kann die Vornahme einer begünstigenden Aufsichtsanordnung begehrt werden, nämlich die Erteilung einer beantragten Satzungsgenehmigung, wenn die Aufsichtsbehörde dies abgelehnt hat und der Versicherungsträger – wie hier die Klägerin – geltend macht, dass ein Rechtsanspruch auf die Vornahme dieses Akts bestehe.
1. Nach § 195 Abs. 1 SGB V bedarf die Satzung einer Krankenkasse der Genehmigung der Aufsichtsbehörde. Dies gilt auch für Satzungsänderungen. Hierzu ist in Auswertung des Inhalts der Beklagtenakten sowie des Beteiligtenvorbringens festzustellen, dass die strittige Satzungsänderung in der Verwaltungsratssitzung verfahrensmäßig ordnungsgemäß zu Stande gekommen ist. Insbesondere waren die Förmlichkeiten der Ladung, der Beschlussvorlage 11/90 und der Beschlussfassung eingehalten, die Zuständigkeit des Verwaltungsrates der Klägerin bestand (§ 197 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 64 Abs. 1, 2 SGB V, § 31 Abs. 6 Satzung der Klägerin). Dies hat auch der Beklagte im strittigen Bescheid (zur Verwaltungsaktsqualität der Genehmigung im Verhältnis zum Versicherungsträger vgl. BSG v. 18.11.2014 – B 1 A 1/14 R, Rn. 9 – zitiert nach juris) vom 15.06.2012 zutreffend festgehalten.
Die formelle Zuständigkeit des Beklagten bei Behördenzuständigkeit der Regierung von Oberbayern – Oberversicherungsamt Südbayern – ergibt sich aus §§ 90 Abs. 2, 91 Abs. 2 SGB IV i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 3 AVSG (v. 02.12.2008, BayGVBl S. 912).
2. Festzustellen ist, dass die genehmigungsbeantragte Satzungsänderung in § 19c Abs. 2 der Satzung der Klägerin zum Inhalt hatte, die Sätze 1 und 2 zu fassen wie folgt:
„(2) 1Bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres können Versicherte nur am Vertrag zur pädiatriezentrierten Versorgung teilnehmen. 2Ab Vollendung des 15. Lebensjahres bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres können Versicherte entweder am Vertrag zur pädiatriezentrierten Versorgung oder am Vertrag zur hausärztlichen Versorgung teilnehmen.“
sowie zudem als redaktionelle Folgeänderung die Ersetzung des bisherigen Wort in §19c Abs. 2 Satz 5 „Kinder „ in der künftigen Regelung des Abs. 2 Satz 7 in „Versicherte“ beinhaltet hatte.
Diese Änderungen sind nicht mit höherrangigem Recht vereinbar, so dass kein Anspruch nach § 195 Abs. 1 SGB V besteht, dass insoweit die Satzungsänderung genehmigt wird. Gemäß § 194 Abs. 2 Satz 2 SGB V darf die Satzung nämlich nur Leistungen vorsehen oder vorgesehene Leistungen beschränken, soweit dies das SGB V zulässt.
a) Vorliegend besteht für die strittige Satzungsregelung keine Ermächtigungsgrundlage. Für die Klägerin als gesetzliche Krankenkasse eröffnet § 73b Abs.3 Satz 4 SGB V eine Regelungsbefugnis lediglich für die Durchführung der Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung. Das bedeutet, dass die Versicherten ihre Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung zunächst erklären, welche mit den in der Satzung enthaltenen Durchführungsbestimmung näher ausgestaltet wird.
Einschränkungen hingegen – wie der Zugang zur Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung selbst – benennt § 73b Abs.3 Satz 4 SGB V nicht als Gegenstand, welcher im Wege einer Satzung zu regeln ist. Die hier streitbefangene Änderung des § 19c Abs. 2 der Satzung aber bezieht sich gerade auf den Zugang zur hausarztzentrierten Versorgung und überschreitet damit den Anwendungsbereich in § 73b Abs.3 Satz 4 SGB V sowie die dort festgelegte Satzungsautonomie, welche allein die Durchführung der, nicht aber den Zugang zur hausarztzentrierten Versorgung umfassen. Mit der Formulierung, dass bis 14 Jahre alte Kinder nur am Vertrag zur pädiatriezentrierten Versorgung teilnehmen können werden diese Versicherten von der hausarztzentrierten Versorgung gänzlich ausgeschlossen. Dies ist weder vom Wortlaut noch vom Ziel der gesetzlichen Regelung gedeckt. Dies gilt umso mehr, als nach dem Bescheidinhalt sowie den Feststellungen in der mündlichen Verhandlung eine gewisse Anzahl von Kinderärzten an der hausarztzentrierten Versorgung teilnehmen. Damit wird im Tätigkeitsbereich der Klägerin die fachspezifische medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen über die hausarztzentrierte Versorgung sichergestellt. Der Ausschluss aus diesem Versorgungsweg lässt sich damit sachlich nicht rechtfertigen.
b) Regelbar wäre nach § 73b Abs.5 Satz 1 SGB V das Nähere zum Inhalt, das heißt auch zum Umfang der hausarztzentrierten Versorgung zu regeln, also gegebenenfalls das Alter der Versicherten. Dies gilt aber nur in diesem Rahmen, was den vorherigen Zugang aber denknotwendig voraussetzt.
c) Der Auffassung, der Gesetzgeber habe einen Ausschluss der unter 15-jährigen Versicherten von der hausarztzentrierten Versorgung gewollt, ist nicht zu folgen. Der Gesetzgeber selbst ging nach der Begründung zum einschlägigen Gesetzentwurf ausdrücklich davon aus, dass jeder Versicherte an der hausarztzentrierten Versorgung teilnehmen kann. Zum andern macht die Begründung deutlich, dass eine Teilnahme von Kindern und Jugendlichen an der hausarztzentrierten Versorgung durchaus gewünscht ist und es der Wahlfreiheit der Eltern zugewiesen ist, ob ein Kinder- oder ein Allgemeinarzt als durchführender Hausarzt gewählt werde. Gerade die Teilnahme von Kindern an der hausarztzentrierten Versorgung ist demnach der Grund, dass zum 01.01.2009 die direkte Inanspruchnahme von Kinderärzten gesetzlich ausdrücklich ermöglicht wurde (BT-Drs. 16/10609, S. 53). Daraus folgt im Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber einen Teilnahmeausschluss von Kindern bei der hausarztzentrierten Versorgung gerade nicht im Auge hatte.
Der Gesetzgeber ist vielmehr davon ausgegangen, dass neben der hausarztzentrierten Versorgung die direkte Inanspruchnahme eines Kinderarztes möglich sein soll (§ 73 b Abs. 3 S. 2 SGB V). Dies spricht ebenfalls gegen einen Ausschluss der unter 15-jährigen Versicherten.
Eine Altersbeschränkung, die sich auf den Zugang zur Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung bezieht, bedürfte nach dem Grundsatz des Gesetzesvorbehaltes (§ 31 SGB I) einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung, den gesetzlich begründeten Anspruch der Versicherten – also auch der versicherten Kinder und Jugendlichen – auf Zugang zur hausarztzentrierten Versorgung zu beschränken. Eine solche liegt jedoch nicht vor.
4. Nachvollziehbar ist die Motivation der Klägerin, Kindern und Jugendlichen bayernweit eine qualitativ hochstehende ärztliche Versorgung zur Verfügung zu stellen ebenso wie das Bestreben, besondere medizinische Versorgungsformen nicht in doppelter Ausgestaltung und damit in doppelter Kostenlast für die Beitragszahler aufbauen zu müssen. Ein Abweichen von den bindenden gesetzlichen Regelungen des SGB V lässt sich damit aber nicht rechtfertigen.
Der Klage ist damit der Erfolg zu versagen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG, § 154 Abs. 1 VwGO.
6. Gründe zur Zulassung der Revision iSd § 160 SGG sind nicht ersichtlich, zumal der Tätigkeitsbereich der Klägerin auf den Freistaat Bayern begrenzt ist, die hausarztzentrierte Versorgung in Bayern landesspezifische Strukturen aufweist, welche mit den Gegebenheiten der anderen Bundesländer nicht vergleichbar sind und eine mit der hier strittigen vergleichbare Formulierung – soweit ersichtlich – nicht in anderen Bundesländern oder durch bundesweit tätige Krankenkassen Verwendung findet.

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