Arbeitsrecht

Kein Arbeitnehmerstatus einer Systemverwalterin bei freier Entscheidung über Übernahme von Diensten

Aktenzeichen  3 Sa 619/16

Datum:
5.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
HGB BGB: §§ 242, 611 HGB: § 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1. Es wurde der Arbeitnehmerstatus einer Systemverwalterin verneint, weil sowohl der zugrundeliegende Vertrag als auch dessen tatsächliche Durchführung der Systemverwalterin die Möglichkeit einräumen, ihre Dienste selbst in einen Vorplanungskalender einzutragen, bevor sie in den verbindlichen Dienstplan übernommen werden. (amtlicher Leitsatz)
2 Wer faktisch keine Dienste ablehnen kann, weil eine Ablehnung dazu führt, zukünftig zu weniger Diensten eingeteilt zu werden (im Fall widerlegt), kann zeitlich souverän bleiben, ohne dass dieser Umstand zur Abgrenzung zwischen freiem Mitarbeiterverhältnis und Arbeitsvertrag geeignet scheint; denn auch jeder Dienstleister wird umso weniger für Dienste angesprochen werden, je weniger er im Bedarfsfalle zur Verfügung steht (Abgrenzung zu LAG München, Urt. v. 11.6.2012 – 5 Sa 582/09). (red. LS Ulf Kortstock)

Verfahrensgang

11 Ca 10402/15 2016-07-07 Urt ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 07.07.2016 – 11 Ca 10402/15 -abgeändert und die Klage auch hinsichtlich der Anträge zu 1. und 2. abgewiesen.
2. Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin sind zulässig. Jedoch ist nur die Berufung der Beklagten begründet.
I.Die nach § 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. b) und c) ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO.
Die Anschlussberufung der Klägerin ist nach § 524 Abs. 2 S. 1 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 ArbGG statthaft und nach §§ 524 Abs. 2 S. 2, Abs. 3, 519 Abs. 2, 520 Abs. 3 ZPO, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Auch sie ist damit zulässig.
II.Die Berufung der Beklagten ist begründet. Die Klägerin steht bei der Beklagten nicht in einem Arbeitsverhältnis, weshalb das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Klage auch hinsichtlich der Anträge zu 1. und 2. abzuweisen war. Mangels bestehendem Arbeitsverhältnis waren auch der Antrag zu 3. und die Anschlussberufung der Klägerin jedenfalls unbegründet.
1. Zwischen den Parteien besteht kein Arbeitsverhältnis.
a) Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (vgl. BAG, Urteil vom 17.04.2013 – 10 AZR 668/12 – Rn. 15, BeckRS 2013, 71103; vgl. ebenso Urteil vom 09.04.2014 – 10 AZR 590/13 – Rn 16, NZA-RR 2014, 522). Diese Grundsätze sind auch im Bereich Funk und Fernsehen anzuwenden (vgl. schon BAG, Urteil vom 20.05.2009 – 5 AZR 31/08 – Rn. 20 m.w.Nachw., ). Ob ein danach erforderliches Weisungsrecht nach Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit vorliegt, bestimmt sich nach allen Umständen des Einzelfalls und unter Würdigung in ihrer Gesamtheit (vgl. BAG, Urteil vom 14.04.2013, a.a.O., Rn. 15). Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung eines Rechtsverhältnisses ist Letztere für die rechtliche Beurteilung maßgebend (vgl. BAG, Urteil vom 17.04.2013, a.a.O., Rn. 15).
Für eine Cutterin, die bei einer Rundfunkanstalt gegen Tagesgage beschäftigt war, hat das Bundesarbeitsgericht in der Gesamtbetrachtung die auf den Arbeitnehmerstatus deutenden Umstände als deutlich vorherrschend angesehen und „dem freilich nicht zu leugnenden Maß zeitlicher Unabhängigkeit der Klägerin in dem festgestellten Zusammenhang keine entscheidende Bedeutung“ zugemessen (vgl. BAG, Urteil vom 17.04.2013, a.a.O., Rn. 28). Die grundsätzlich bestehende Möglichkeit, die Übernahme von Diensten ablehnen zu können, hindere dann nicht die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft, wenn die Besonderheiten der jeweiligen Handhabung den Schluss nahelegten, es bestehe kein statusrelevanter fundamentaler Unterschied zwischen der zeitlichen Einbindung der festangestellten und der „freien“ Mitarbeiter. Derartige Besonderheiten lägen mit der grundsätzlichen Annahme der Beklagten, die Klägerin werde die angebotenen Schichten übernehmen, und der Tatsache, dass die Klägerin zwar gelegentlich, keineswegs aber regelmäßig, von ihrem Ablehnungsrecht Gebrauch gemacht habe, vor. Auch erwarte die Beklagte von festangestellten Cuttern nicht, jede Diensteinteilung bedingungslos zu befolgen. Insbesondere bei festangestellten Teilzeitbeschäftigten könne die Beklagte nur im begrenzten Rahmen damit rechnen, dass sie auf Abruf ohne weiteres zur Verfügung ständen (vgl. BAG, Urteil vom 17.04.2013, a.a.O., Rn. 27).
b) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung, der sich die erkennende Kammer anschließt, ist für den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt ein Arbeitsverhältnis nicht anzunehmen.
aa) Die seitens der Klägerin vorgelegten Vereinbarungen, auf deren Grundlage ihre Beschäftigung bis einschließlich 2010 ausdrücklich und sodann stillschweigend erfolgte, begründet nach dem Wortlaut kein Arbeitsverhältnis. Die Vereinbarung, die nicht als Arbeitsvertrag überschrieben ist, wird ausweislich ihres Einleitungssatzes überhaupt nur für den Fall getroffen, „dass der Vertragspartner (d.h. die Klägerin) für Produktionen … zur Verfügung steht“. Dementsprechend sollen nach Ziffer 1 der Vereinbarungen „die einzelnen Termine für Beginn und Ende der Tätigkeit“ zwischen den Parteien vereinbart werden. Wie anschließend in Ziffer 1 festgehalten wird, wird mit dieser Regelung eine Verpflichtung des Vertragspartners (d.h. der Klägerin) durch die Vereinbarung nicht begründet. Der Klägerin stand und steht es daher nach den Vereinbarungen frei, ob und in welchem Umfang sie für die Beklagte im Einzelfalls als Systemverwalterin tätig werden will (ebenso zu einer gleichlautenden Vereinbarung bereits LAG Nürnberg, Urteil vom 26.04.2016 – 7 Sa 330/15 -; Anlage BK 2). Darüber hinaus verweist Ziffer 3.3 der Vereinbarung für eventuell anfallende Reisekosten und Diäten ausdrücklich auf die „Regeln des BR für freie Mitarbeiter“. Zu Recht hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass der sozialversicherungsrechtliche Status einer versicherungspflichtigen Person nicht deckungsgleich mit dem arbeitsrechtlichen Status eines Arbeitnehmers sein muss, weshalb die Regelung über Abführung der Sozialversicherungsanteile in Ziffer 3.2 der Vereinbarung nicht auf ein Arbeitsverhältnis hinweist.
bb) Die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses weicht von der vertraglichen Regelung durch die Vereinbarungen nicht ab. Die Klägerin trägt selbst noch im Berufungsverfahren und in Übereinstimmung mit ihrem erstinstanzlichen Vorbringen vor, dass sie und nicht die Beklagte ihre Vorabplanung handschriftlich in einem von der zuständigen Leitung Systemservice Editing ausgehängten Kalender vornehme. Nach Überprüfung durch die Vorgesetzte setze dann die Disposition die „von der Vorgesetzten abgenommenen Dienste der Klägerin“ fest. Erst mit der Festsetzung des Dienstplans durch die Beklagte entsteht aber ein verbindlicher Dienstplan, wie die Klägerin selbst einräumt. Die so organisierte Disposition der Dienstzeiten ermöglicht der Klägerin jeden Monat neu, Dienste nur zu den ihr passenden Zeiten verrichten zu müssen. Erst wenn sie ihre Dienste zu bestimmten Zeiten handschriftlich in dem ausgehängten Kalender anbietet, werden diese für sie verbindlich in den Dienstplan übernommen. Die Klägerin hat damit zeitliche Souveränität über ihre Dienste und unterliegt hinsichtlich des „OB“ der Dienste keinen Weisungen der Beklagten (vgl. in diesem Sinne bereits BAG, Urteil vom 30.11.1994 – 5 AZR 704/93 – NZA 1995, 622 unter B II 2 b (3), III 2 der Gründe). Hierin liegt auch der Unterschied zu den festangestellten Beschäftigten, die sich zwar äußerlich der Klägerin vergleichbar in den Kalender handschriftlich für bestimmte Dienste eintragen, diese Eintragungen aber in Erfüllung ihrer arbeitsvertraglich vereinbarten Wochen- bzw. Monatsarbeitszeiten vornehmen müssen. Schließlich wird diese zeitliche Souveränität der Klägerin auch bei kurzfristigen Um- bzw. Neudispositionen der Dienste gewahrt, weil sie jeweils um deren telefonische, mündliche oder elektronische Bestätigung gebeten wird. Bei einem Arbeitnehmer wäre eine einseitige Einteilung der Dienste als Ausübung des arbeitsvertraglichen Direktionsrechts rechtlich zulässig.
Soweit die Klägerin geltend macht, sie könne faktisch keine Dienste ablehnen, weil eine Ablehnung dazu führe, zukünftig zu weniger Diensten eingeteilt zu werden, steht dies der Annahme einer zeitlichen Souveränität nicht entgegen. Zum einen kann die Klägerin schon im Vorhinein steuern, zu wie viel Diensten sie eingeteilt wird, indem sie weniger bzw. nicht passende Dienste nicht in den Kalender einträgt. Dementsprechend muss sie auch weniger oder keine Dienste absagen. Zum anderen wird auch ein freier Mitarbeiter oder jeder Dienstleister umso weniger für Dienste angesprochen werden, je weniger er im Bedarfsfalle zur Verfügung steht. Dieses Argument scheint daher nicht für die Abgrenzung zwischen freiem und festem Mitarbeiterverhältnis geeignet. Zudem ist nicht maßgebend, wie sich die Klägerin hinsichtlich ihres Arbeitseinsatzes entscheidet, sondern inwieweit sie die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit zur freien Entscheidung hat (vgl. schon LAG Nürnberg, a. a. O). Schließlich kann diese aus einem anderen Verfahren vor dem LAG München zum Gz.: 5 Sa 582/09 abgeleitete Argumentation nicht ohne Weiteres auf die Klägerin übertragen werden, denn nachdem sie im Jahr 2011 lediglich an 191 Tagen für die Beklagten tätig geworden ist, hat sie dennoch im Jahr 2012 an 213 Tage ihren Dienst erbracht. Entgegen ihrer Behauptung war die Leistung weniger Dienste nicht nachteilig für die Anzahl der Dienste im Folgejahr.
cc) Auch sonstige Umstände vermögen die Annahme, es läge ein Arbeitsverhältnis vor, nicht zu begründen. Das BAG nimmt eine persönliche Abhängigkeit nicht bereits deshalb an, weil Rundfunk- und Fernsehmitarbeiter in ihrer Arbeit auf den Apparat der Anstalt und das Mitarbeiter-Team angewiesen sind (BAG, Urteil vom 30.11.1994, a.a.O. unter B II 2 a) der Gründe). Im Übrigen untersteht die Klägerin nur dann einem fachlichen Weisungsrecht, wenn sie sich diesem mit der Eintragung in den Kalender unterstellt.
3. Im Anschluss an die vorstehenden Ausführungen steht der Klägerin der geltend gemachte Beschäftigungsanspruch gegen die Beklagte nicht zu.
Ergänzend stützt die Kammer die Abweisung dieses Antrags darauf, dass schon rechnerisch eine Vollzeitbeschäftigung der Klägerin weder in Jahren 2009 bis 2014 (durchschnittlich 171,67 Tage statt 220 Tage) noch 2009 bis 2012 (durchschnittlich 204,75 Tage statt 220 Tage) vorlag. Wie sich etwaige Urlaubstage auswirken würden, hat die Klägerin nicht konkret dargelegt. Eine Berücksichtigung der Jahre 2013 und 2014, die wohl wegen ihrer Aktualität geboten wäre, ist hingegen nicht möglich, da die Klägerin nicht vorgetragen hat, wie sich die Beschäftigungstage in den einzelnen Jahren 2013 und 2014 verteilt haben.
4. Dementsprechend war auch der Antrag zu 3., der Gegenstand der Anschlussberufung der Klägerin ist, jedenfalls unbegründet. Mangels eines bestehenden Arbeitsverhältnisses finden „die Tarifverträge für die auf unbestimmte Zeit im C. tätigen Arbeitnehmer“ keine Anwendung.
Im Übrigen dürften die Bedenken gegen die Unbestimmtheit des Antrags, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, auch durch das Vorbringen der Klägerin im Rahmen der Anschlussberufung nicht ausgeräumt worden sein. Es ist weiterhin offen, welche konkreten Tarifverträge von der Antragstellung umfasst sein sollen. Dass die Klägerin nicht lediglich den Manteltarifvertrag mit dem Titel „Tarifvertrag für die C.“ meint, ergibt sich bereits aus der im Plural formulierten Fassung des Antrags („die Tarifverträge .).
5. Der Klägerin war kein weiterer Vortrag zu ermöglichen. Die Streitfragen bestanden zwischen den Parteien seit Klageerhebung. Es besteht immer die Möglichkeit, dass das Berufungsgericht sie abweichend von der Erstinstanz beurteilt.
III.Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits und ihrer erfolglosen Anschlussberufung gemäß §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 ArbGG zu tragen.
IV. Die Revision wird nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

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