Arbeitsrecht

Kein Aufenthaltstitel wegen fehlender sozialer Integration und Straffälligkeit

Aktenzeichen  M 9 K 15.2577

Datum:
9.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 115832
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 7
§§ 133, 157 BGB entsprechend.

 

Leitsatz

1 Wird die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Anschluss an eine Duldung davon abhängig gemacht, dass der Betroffene Nachweise zu seiner sozialen Integration (zB Schulabschluss, Ausbildungsvertrag, unbefristeter Arbeitsvertrag) erbringt sowie strafrechtlich nicht erneut in Erscheinung tritt, ist hierbei nicht ausschließlich auf den Tag des Ablaufs des Duldungszeitraums selbst abzustellen, sondern eine längerfristige Betrachtung vorzunehmen.  (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Durch die freiwillige Ausreise entfällt das Erfordernis einer Abschiebung und damit auch das Rechtsschutzbedürfnis für eine Verpflichtungsklage zur Erteilung einer Duldung (vgl. BayVGH BeckRS 1999, 26239). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die als Verpflichtungsklage bezeichnete Klage ist im Hauptantrag zulässig, aber unbegründet (I.) und im Hilfsantrag (II.) bereits unzulässig.
Über die Klage konnte trotz Ausbleibens der Klagepartei in der mündlichen Verhandlung vom 09. März 2016 entschieden werden, da sie ausweislich des Empfangsbekenntnisses vom 11. Februar 2016 ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen war und darauf hingewiesen wurde, dass auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
I. Die auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in Form der Aufenthaltserlaubnis gerichtete und auf Ziffer 3. des Bescheids vom … Februar 2010 gestützte Verpflichtungsklage ist als solche im Hauptantrag zwar zulässig (1.), aber unbegründet (2.).
1. Unabhängig von der rechtlichen Qualität der Ziffer 3. des Bescheids vom … Februar 2010 ist die Verpflichtungsklage für den Kläger vorliegend der statthafte Rechtsbehelf, um den von ihm geltend gemachten, vermeintlich auf dieser Regelung beruhenden Anspruch geltend zu machen. Sowohl für die Durchsetzung von Ansprüchen aufgrund von Zusicherungen nach Art. 38 BayVwVfG als auch für vertraglich begründete Ansprüche ist nicht die allgemeine Leistungsklage, sondern die Verpflichtungsklage gegeben (vgl. u.a. Kopp/Schenke § 42 VwGO Rn. 43).
2. Die Klage ist im Hauptantrag unbegründet, da der Kläger aus Ziffer 3. des Bescheids vom … Februar 2010 keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis herleiten kann, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO, da bei richtiger Auslegung derselben (a) jedenfalls die Voraussetzungen der wirtschaftlichen und sozialen Integration (b) und der Straffreiheit (c) weder während des Duldungszeitraums noch nach dessen Ablauf gegeben waren.
a) Eine Auslegung der streitgegenständlichen Ziffer 3. des Bescheids nach §§ 133, 157 BGB entsprechend (vgl. BayVGH, B. v. 12.01.2016 – 10 CS 15.2239 -, juris) ergibt, dass eine rein „stichtagsbezogene Betrachtung“ sowohl nach dem Wortlaut als auch nach Sinn und Zweck der Regelung nicht erfolgen kann. Bereits der Wortlaut des die Ziffer einleitenden Satzes „Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Ablauf des Duldungszeitraumes von drei Jahren nach Haftentlassung ist, dass…“ zeigt, dass es nicht ausschließlich auf den Tag des Ablaufs des Duldungszeitraums selbst ankommt. Dies wäre auch mit Sinn und Zweck der Regelung nicht vereinbar, zielt sie doch für beide Beteiligte erkennbar darauf ab, dem Kläger im Austausch für eine dauerhafte Legalisierung seines Aufenthalts auch eine anhaltende Bewährung und Integration abzuverlangen. So spricht der Bescheid auch nur davon, dass die Erfüllung der in lit. a.) bis c.) aufgeführten Bedingungen die Voraussetzungen für eine in der Folge zu erteilende Aufenthaltserlaubnis schaffen kann. Alle aufgestellten Anforderungen sind bis zu einem gewissen Grad zukunfts- und damit zeitraum- und nicht stichtagsbezogen formuliert. Eine Aufenthaltserlaubnis sollte erkennbar erst dann erteilt werden, wenn der Kläger den drei an ihn gestellten Anforderungen kumulativ und längerfristig gesichert gerecht geworden ist. Der Kläger selbst nimmt dieses Verständnis für sich in Anspruch, wenn er darauf hinweist, dass es ihm nicht abträglich sein könne, dass er gerade zum Ablauf des Duldungszeitraums nicht beschäftigt war (und damit seinen Lebensunterhalt nicht sichern konnte und wirtschaftlich nicht integriert war), habe er doch ab Januar 2014 bereits wieder eine Arbeit gehabt. Dementsprechend war auch die Beklagte bereit, dem Kläger nach dem 29. November 2013 bis Mitte 2015 weitere Duldungen zu erteilen, um ihm auch nach Ablauf des 3-Jahres-Zeitraums die Möglichkeit zu eröffnen, den (Dauer-) Anforderungen noch nachzukommen. Ersichtlich verstanden somit beide Beteiligte die geschlossene Vereinbarung gleich.
b) Unter Zugrundelegung der obigen Auslegung scheitert ein klägerischer Anspruch bereits an der Voraussetzung der wirtschaftlichen und sozialen Integration. Wie auch den im Bescheid angeführten Beispielen „Schulabschluss, Ausbildungsvertrag, unbefristeter Arbeitsvertrag“ zu entnehmen ist, setzt eine gelungene Integration ein stabiles, auch von einer zeitlichen Komponente geprägtes Fundament voraus. Dem Kläger ist es über drei bzw. 4 ¾ Jahre nicht gelungen, sich ein solches zu schaffen, obwohl die gestellten Anforderungen für einen Integrationswilligen ohne weiteres erfüllbar erscheinen. Wie der als Anlage A 4 zum Gerichtsakt gegebenen AOK-Mitgliedschaftsbescheinigung zu entnehmen ist, dauerten die Arbeitsverhältnisse des Klägers kaum länger als ein bis maximal 2 Monate, oft wurde er nur wenige Tage beschäftigt. Es ist nicht ersichtlich, wieso gerade der Duldungsstatus für derart kurzfristige Beschäftigungszeiträume verantwortlich sein sollte. Eine Ausbildung hat der Kläger nicht begonnen, weiter versuchte er auch nicht, seinen Schulabschluss nachzuholen – gerade diese Grundbausteine jeden Lebenslaufs hätten seine erfolgreiche wirtschaftliche und auch soziale Integration in Deutschland aber befördern können.
c) Ein Anspruch besteht auch deshalb nicht, weil der Kläger im April 2014 erneut straffällig geworden ist. Nach richtiger und so auch vom Kläger an anderer Stelle für sich in Anspruch genommener Lesart schadet es insoweit nicht, dass sich lit. c.) mit seiner Formulierung am vorher in Ziffer 2. definierten Duldungszeitraum zu orientieren scheint. Zum einen wurde dieser Duldungszeitraum mehrfach klägergünstig vonseiten der Beklagten verlängert, weshalb aufgrund der geänderten Sach- bzw. Rechtslage auch eine Neudefinition bzw. Aufweitung „des“ Duldungszeitraums notwendig ist. Damit fällt auch die Tat vom April 2014 ohne weiteres in „den“ Duldungszeitraum. Weiter zielt eine Formulierung wie die Streitgegenständliche ersichtlich nicht darauf ab, dass sich der Adressat im Jahr 2016 auf eine Anspruchsgrundlage aus 2010, die seine Straffreiheit einfordert, soll berufen können, wenn er zwischenzeitlich – gegebenenfalls mehrfach – strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Bei dieser Lesart wäre dem Kläger mit einer derartigen Berechtigung gleichsam ein „Persilschein“ für die Zeit nach Eintritt des Stichtags 29. November 2013 erteilt, was u.a. mit §§ 5 Abs. 1 Nr. 2, 51ff. AufenthG nicht vereinbar ist. Schließlich ist es dem Kläger nicht zuzugestehen, „Rosinen zu picken“: Wenn er sich einerseits darauf beruft, dass ein stichtagsbezogenes Verständnis für die Frage der Sicherung des Lebensunterhalts nicht relevant sein könne, so kann allein aufgrund des systematischen Zusammenhangs innerhalb des Regelungsgeflechts der Ziffer 3. für die von ihm geforderte Bewährung bzw. Straffreiheit nichts anderes gelten. Nur dieses Verständnis verträgt sich auch mit Ziffer 4. des Bescheids, wonach eine erneute Straffälligkeit auch im Hinblick auf bereits erteilte Duldungen sanktioniert werden sollte. Schließlich ist anzumerken, ohne dass es darauf noch tragend ankäme, dass gegen den Kläger auch in 2012 und 2013 wegen tätlichen Auseinandersetzungen strafrechtlich ermittelt wurde, ein unbescholtener Lebenswandel also auch vor der einschlägigen Verurteilung nicht festzustellen ist.
Da die Klage im Hauptantrag erfolglos bleibt, ist über den Hilfsantrag zu entscheiden.
II. Die hilfsweise erhobene Klage auf Erteilung einer Duldung ist bereits unzulässig.
Dem Kläger fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, um eine Duldung erstreiten zu können. Der Regelungsgehalt einer Duldung besteht in der verbindlichen Erklärung der Behörde, dass der Ausländer für eine bestimmte Zeit nicht abgeschoben wird (vgl. Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, Rn. 1203). Der Kläger ist vorliegend freiwillig ausgereist, weshalb eine Abschiebung nicht mehr erfolgen musste. Damit ist auch das Rechtsschutzinteresse für den Hilfsantrag entfallen (BayVGH, B. v. 23.04.1999 – 10 ZE 99.396 -, juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 1, 2 VwGO i.V.m. §§ 708ff. ZPO.

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