Arbeitsrecht

Kein Dienstunfallschutz beim Verlassen der Autobahn zur Verrichtung der Notdurft

Aktenzeichen  B 5 K 15.935

Datum:
11.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 122688
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBeamtVG Art. 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

Das Verlassen einer (auch mit Parkplätzen versehenen) Autobahn zur Verrichtung der Notdurft unterliegt nicht mehr als Wegeunfall (Art. 46 Abs. 2 Nr. 3 BayBeamtVG) dem Dienstunfallschutz, wenn der Beamte sich hierzu mit dem Auto mehrere Kilometer von der Autobahn entfernt und das Geschehen damit von der bloßen Familienheimfahrt abzugrenzen ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Über die Klage konnte gem. § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten insoweit ihr Einverständnis erklärt haben.
2. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid des Beklagten vom 31. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. November 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung des Unfallereignisses vom … 2015 als Dienstunfall sowie auf Gewährung von Leistungen der Dienstunfallfürsorge (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO). Zur Begründung nimmt das Gericht auf die zutreffenden Gründe des Widerspruchsbescheids Bezug und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung (§ 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend sei auf Folgendes hingewiesen:
Nach Art. 46 Abs. 1 Satz 1 Bayer. Beamtenversorgungsgesetz (BayBeamtVG) ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Dabei erfordert das gesetzliche Merkmal „in Ausübung des Dienstes“ eine besonders enge ursächliche Verknüpfung des Ereignisses mit dem Dienst. Denn Sinn und Zweck der beamtenrechtlichen Dienstunfallfürsorge liegen in einem über die allgemeine Fürsorge hinausgehenden besonderen Schutz des Beamten bei Unfällen, die außerhalb seiner privaten (eigenwirtschaftlichen) Sphäre im Bereich der in der dienstlichen Sphäre liegenden Risiken eintreten, d.h. in dem Gefahrenbereich, in dem der Beamte entscheidend aufgrund der Anforderungen des Dienstes tätig wird. Allgemein gilt, dass der Beamte bei Unfällen, die sich innerhalb des vom Dienstherrn beherrschbaren räumlichen Risikobereichs ereignen, unter dem besonderen Schutz der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge steht (vgl. nur: BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 2 C-17/16 – NVwZ-RR 2017, 425/426 = Juris Rn. 14 f. m.w.N.).
Gemäß Art. 46 Abs. 2 BayBeamtVG gilt als Dienst auch das Zurücklegen des mit dem Dienst zusammenhängenden Wegs zwischen Familienwohnung und Dienststelle (Art. 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayBeamtVG) bzw. der Wege zwischen der Unterkunft, die der Beamte wegen der Entfernung der Familienwohnung vom Dienstort an diesem oder in dessen Nähe genommen hat, und der Familienwohnung oder der Dienststelle (Art. 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayBeamtVG). Der Gesetzgeber hat somit den Wegeunfall, obwohl der Weg zur Dienststelle noch keinen Dienst darstellt, dem Dienstunfall gleichgestellt. Die Gleichstellung dient der Erweiterung der Unfallfürsorge des Dienstherrn auf die Gefahren des allgemeinen Verkehrs im öffentlichen Verkehrsraum, denen sich der Beamte aussetzt, um seinen Dienst zu verrichten. Diese Gefahren stammen zwar nicht aus der Risikosphäre des Dienstherrn, sie können aber auch vom Beamten nicht beherrscht oder beeinflusst werden. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass der Gesetzgeber den Wegeunfall dem Dienstunfall lediglich gleichgestellt und damit verdeutlicht hat, dass der Weg zwischen Dienststelle und Familienwohnung im beamtenrechtlichen Sinne kein Dienst ist. Diese Gleichstellung ist vielmehr eine sozialpolitisch motivierte zusätzliche Leistung des Dienstherrn. Die gesetzestechnische Konstruktion der Gleichstellung durch eine gesetzliche Fiktion in Art. 46 Abs. 2 Satz 1 BayBeamtVG, ferner Sinn und Zweck der Regelung sowie die Konzeption dieser Vorschrift als Ausnahmeregelung lassen jedoch erkennen, dass es nicht zu einer vom Gesetzgeber ungewollten Ausdehnung der Unfallfürsorge auf die im Wesentlichen vom Beamten beherrschten privaten Lebensbereiche kommen soll. Daraus folgt zwingend eine restriktive Auslegung der Vorschrift mit der Folge, dass grundsätzlich alle diejenigen Bereiche nicht vom Dienstunfallschutz erfasst sind, in denen der Beamte die dort gegebene Unfallgefahr im Wesentlichen selbst beherrschen und beeinflussen kann (st.Rspr. vgl. nur: BVerwG, U.v. 27.1.2005 – 2 C-7/04 – BVerwGE 122, 360/361 f. zu der weitgehend gleichlautenden Vorschrift in § 31 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 BeamtVG; BVerwG, U.v. 10.12.2013 – 2 C-7/12 – ZBR 2014, 166/167 = Juris Rn. 19; vgl. auch: BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 3 B 15.327 – Juris Rn. 26 ff.; BayVGH, B.v. vom 11.10.2016 – 3 ZB 15.1521 – Juris Rn. 6 f.; BayVGH B.v. 10.6.2008 – 3 ZB 07.2366 – ZBR 2010, 127 = Juris Rn. 7).
Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Weg von der Familienwohnung zur Dienststelle nicht schlechthin geschützt ist. Zum einen erfasst der Unfallschutz nur das wesentlich durch den Dienst gesetzte Gefahrenrisiko der Fortbewegung auf der Wegstrecke (Teilnahme am Verkehr). Der Weg ist deshalb nur geschützt, soweit er seine wesentliche Ursache im Dienst hat und andere mit dem Dienst zusammenhängende Ursachen für das Zurücklegen des Weges in den Hintergrund treten (BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 3 B 15.327 – Juris Rn. 27; BayVGH, B.v. 11.10.2016 – 3 ZB 15.1521 – Juris Rn. 6 f.; vgl. zu § 31 BeamtVG: BVerwG, U.v. 9.12.2010 – 2 A 4/10 – ZBR 2011, 306 – Juris Rn. 13; siehe auch: Kazmaier in: Stegmüller/ Schmalhofer/ Bauer, Beamtenversorgungsrecht des Bundes und der Länder, Stand: März 2017, § 31 BeamtVG Rn. 176 m.w.N.
Zum anderen erstreckt sich die Unfallfürsorge nicht auf jeglichen Weg, den der Beamte wählt, um zum Dienst zu gelangen oder um nach Beendigung des Dienstes einen anderen Ort zu erreichen. So erfasst insbesondere Art. 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayBeamtVG nur das Zurücklegen der mit dem Dienst zusammenhängenden Wege zwischen der Unterkunft, die der Beamte wegen der Entfernung der Familienwohnung vom Dienstort an diesem oder in dessen Nähe genommen hat, und der Familienwohnung oder der Dienststelle. Eine Ausweitung der Dienstunfallfürsorge auf abweichende Streckenführungen bleibt dem Gesetzgeber vorbehalten. Aus der Gesetzessystematik, dem Gesetzeszweck und der Entstehungsgeschichte ergibt sich zwingend, dass der Beamte – zur Eingrenzung der Risikosphäre des Dienstherrn – nur auf dem unmittelbaren Weg zwischen der Wohnung bzw. Unterkunft und der Dienststelle geschützt ist. Umwege und Unterbrechungen werden somit vom beamtenrechtlichen Unfallschutz generell ausgeschlossen, soweit sie nicht nach ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung gestattet und nicht nur unerheblich sind (vgl. zu § 31 Abs. 2 BeamtVG: BVerwG, U.v. 27.5.2004 – 2 C-29/03 – BVerwGE 121, 67/69 ff. = Juris Rn. 12 ff.; BVerwG U.v. 21.6.1982 – 6 C-90/78 – Buchholz 232 § 135 BBG Nr. 61).
Als geringfügig – und damit unerheblich – ist eine Unterbrechung nur dann anzusehen, wenn sie auf einer Verrichtung beruht, die bei natürlicher Betrachtungsweise zeitlich und räumlich noch als Teil des Wegs nach oder von dem Ort der Tätigkeit in seiner Gesamtheit anzusehen ist. Das ist anzunehmen, wenn die Verrichtung nicht zu einer erheblichen Zäsur in der Fortbewegung in Richtung des ursprünglich aufgenommenen Ziels führt, weil sie ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung „im Vorbeigehen“ oder „ganz nebenher“ erledigt werden kann. Hierunter fallen kurze und belanglose Unterbrechungen, bei denen der Beamte gewissermaßen auf seinem Weg in Bewegung bleibt und nur nebenher andersartig tätig wird. Entscheidend ist, ob der Beamte eine neue objektive Handlungssequenz in Gang setzt, die sich deutlich von dem bloßen „in den Dienst fahren“ abgrenzen lässt (BayVGH, B.v. 11.20.2016 – 3 ZB 15.1521 – Juris Rn. 8 unter Hinweis auf die Rechtsprechung zum sozialversicherungsrechtlichen Wegeunfallschutz, vgl.: BSG, U.v. 31.1.1974 – 2 RU 165/72 – Juris Rn. 20; BSG, U.v. 4.7.2013 – B 2 U 3/13 R – Juris Rn. 15 f.). Zur Abgrenzung des von der Dienstunfallfürsorge erfassten öffentlichen Bereichs einerseits von dem nicht erfassten privaten Lebensbereich der Beamten andererseits ist die Rechtsprechung zwar bemüht, eine Grenze zu ziehen, die an objektive Merkmale anknüpft und im Allgemeinen leicht feststellbar ist; diese Grenzziehung nimmt aber auch Ungereimtheiten in Kauf (BVerwG U.v. 27.1.2005 – 2 C-7/04 – BVerwGE 122, 360/362 = Juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 24.2.2015 – 3 ZB 13.1706 – Juris Rn. 15). Letztendlich ist die Frage, ob der notwendige Zusammenhang mit dem Dienst durch ein Abweichen von dem unmittelbaren Weg zwischen Wohnung und Dienststelle (oder umgekehrt) unterbrochen oder gar gelöst wird, nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. BVerwG, U.v. 9.12.2010 – 2 A 4/10 – ZBR 2011, 306 = Juris Rn. 13; BVerwG, U.v. 21.6.1982, – 6 C-90/78 – Buchholz 232 § 135 BBG Nr. 61 = Juris Rn. 17; VG München, U.v. 20.3.2012 – M 5 K 11.5039 – Juris Rn. 13).
Gemessen daran, befand sich die verstorbene Ehefrau des Klägers am … 2015 im Rahmen ihrer Fahrt von der Unterkunft, die sie wegen ihrer Tätigkeit an der Staatlichen Wirtschaftsschule W … genommen hatte, zu ihrer Familienwohnung in S … … zunächst auf der Autobahn BAB 70 und stand insoweit zunächst unter dem Schutz des Art. 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayBeamtVG. Mit ihrer Entscheidung, von der Autobahn abzufahren, um die Notdurft verrichten zu können, hat sie jedoch ihren Weg nicht nur geringfügig unterbrochen und stand damit nicht weiter unter Unfallschutz. Bei dieser Einschätzung stützt sich die Kammer auf folgende Erwägungen:
Anders als in der vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fallkonstellation, in der einem Beamten, der auf dem Wege von der Dienststelle zu seiner häuslichen Unterkunft sein Kraftfahrzeug für kurze Zeit angehalten und verlassen hat, die Straße zu Fuß überquert hat, um eine private Besorgung zu erledigen, und auf dem Rückweg zum Kraftwagen auf der Straße verunglückt war, Dienstunfallfürsorge zugebilligt wurde (vgl. BVerwG U.v. 21.6.1982 – 6 C-90/78 – Buchholz 232 § 135 BBG Nr. 61), hat die verstorbene Ehefrau des Klägers allein aus privaten Gründen eine neue Handlungssequenz eröffnet. Sie hat mir ihrer Entscheidung, die auch in dem von ihr befahrenen Streckenabschnitt mit Parkplätzen und Raststätten ausgestattete Autobahn A … zu verlassen, mehr als drei Kilometer auf der Staats Straße … in Richtung H … zu fahren und sich nach zwei Ortsdurchfahrten eine Stelle zur Verrichtung der Notdurft zu suchen, einen neuen Geschehensverlauf eingeleitet, der deutlich von der bloßen Familienheimfahrt abzugrenzen ist. Diese neue, mit einem Fahrtrichtungswechsel verbundene Handlungssequenz lässt sich mithin nicht mehr als nur belanglose Unterbrechung einstufen, sondern stellt eine deutliche Zäsur dar. Die verstorbene Ehefrau des Klägers hat mit dieser Entscheidung eine neue Gefahrensituation geschaffen, die dem Dienstherrn nicht zugerechnet werden kann. Somit scheidet die Gewährung von Leistungen der Dienstunfallfürsorge grundsätzlich aus, so dass der Kläger gehalten sein wird, in Bezug auf die streitgegenständlichen Heilbehandlungskosten – wie wohl bereits geschehen – gegen den Beklagten Beihilfeansprüche und ggfs. auch Ansprüche gegen die private Krankenversicherung geltend zu machen.
Angesichts der Tatsache, dass der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Leistungen der Dienstunfallfürsorge bereits aus den vorgenannten Gründen scheitert, bedarf es keiner Klärung der von der Beklagtenseite aufgeworfenen Frage (vgl. nur Schriftsatz vom 6.3.2017), welche Dienstunfallfolgen die Klägerseite in dem Verfahren festgestellt wissen will.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Dier Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Der Ein-räumung einer Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO bedurfte es angesichts der – wenn überhaupt anfallenden – dann allenfalls geringen, vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen des Beklagten nicht, zumal dieser auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eventuell eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.
4. Gründe für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht nach § 124 Abs. 1, § 124a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO liegen nicht vor.

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