Arbeitsrecht

Kein Feststellungsinteresse für eine Nichtigkeitsklage bezüglich einer konsensualen Eingliederungsvereinbarung

Aktenzeichen  S 8 AS 1021/17

Datum:
13.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG SGG § 55 Abs. 1 Nr. 1
SGB II SGB II § 40 Abs. 1
SGB X SGB X § 55, § 58 Abs. 2 Nr. 4, § 63 S. 2
BGB BGB § 119

 

Leitsatz

Kein Feststellungsinteresse für Nichtigkeitsklage bezüglich konsensualer Eingliederungsvereinbarung. (Rn. 17 und 18)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Das Gericht entscheidet trotz Ausbleibens der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung. Es ist auf diese Möglichkeit hingewiesen worden, § 110 Abs. 1, § 126 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), und die Sache war entscheidungsreif. Es ist keine Verhinderung belegt worden und keine Terminsänderung beantragt worden.
Die Klage ist nicht zulässig.
Als Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG wäre die Klage – so ist sie allerdings mit anwaltlicher Vertretung auch nicht formuliert worden – nicht statthaft, weil sie sich nicht gegen einen Verwaltungsakt im Sinn des § 31 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) richtet. Denn die EGV ist nicht durch Verwaltungsakt erlassen worden.
Als Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG, gerichtet auf die Feststellung der Nichtigkeit der EGV vom 24. August 2017 und damit des Nichtbestehens einer Rechtsbeziehung der Beteiligten in Form dieser EGV, ist die Klage statthaft. Jedoch sieht das Gericht vorliegend kein ausreichendes Feststellungsinteresse der Klägerin. Dieses ergibt sich nicht, wie klägerseits vorgetragen, mit Blick auf etwaige Sanktionen der Klägerin wegen eines Verstoßes gegen Pflichten aus der EGV. Denn diese kommen, schon wegen der unbefristeten Geltungsdauer der EGV, zwar prinzipiell in Betracht. Jedoch stehen der Klägerin ausreichende, wirksame und rechtzeitige Rechtsschutzmöglichkeiten offen, sollte es tatsächlich zu einer Sanktionierung kommen. Ein ausreichendes Bedürfnis für eine vorzeitige Klärung nimmt das Gericht schon deswegen nicht an. Zudem kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Klägerin die EGV unterzeichnet hat. Sie hat sich dadurch grundsätzlich mit der Vereinbarung für einverstanden erklärt und würde sich treuwidrig verhalten, wenn sie sich danach gegen die von ihr selbst unterschriebene Vereinbarung wendet. Das Gericht meint daher, dass ihr deshalb die Berufung auf mögliche Sanktionen oder auf ein Interesse an der Klärung bzw. Befreiung von aktuellen Pflichten verwehrt ist. Etwas anderes könnte nur für den Fall gelten, dass geltend gemacht wird, die EGV sei mangels Geschäftsfähigkeit nicht wirksam zustande gekommen oder die EGV angefochten wird. Beides ist hier aber nicht der Fall. Soweit vorgetragen wird, die Klägerin habe aus dem Eindruck der Alternativlosigkeit heraus die EGV unterschrieben, könnte damit zwar auf eine Drohungslage im Sinn des § 123 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) abgestellt werden. Allerdings ist bei anwaltlicher Vertretung keine Anfechtung gegenüber dem anderen Teil, dem Beklagten, erklärt worden. Das Gericht sieht sich auch gehindert, bei anwaltlicher Vertretung eine solche Erklärung etwa aus der Klage herauszulesen oder in sie hineinzudeuten. Ferner ergibt sich ein Interesse der Klägerin nicht aus ihrem Wunsch nach einer Umschulung zur Heilpraktikerin, weil der Beklagte darüber gesondert mit Bescheid vom 8. September 2017 entschieden hat. Dagegen steht der Klägerin also ohnedies Rechtsschutz offen. Aus der EGV ist auch nichts dafür zu folgern, dass diese eine Umschulung ausschließen würde, zumal der Beklagte dies auch nicht als Grund für die Ablehnung angeführt hat.
Ein Feststellungsinteresse kann schließlich nicht auf den Gedanken der Wiederholungsgefahr gestützt werden, wie es zur Begründung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses angenommen wird (vgl. BSG, Urteil vom 14. Februar 2013, B 14 AS 195/11 R). Denn der Abschluss der EGV ohne zeitliche Beschränkung bis auf Weiteres schließt aus derzeitiger Sicht gerade die Gefahr eines unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen gleichartigen Handelns (des Beklagten) aus. Zudem liegt hier – anders als beim Erlass eines Eingliederungsverwaltungsakts – kein einseitiges Handeln des Beklagten zugrunde. Und es muss nicht zuletzt zum Tragen kommen, dass die EGV konsensual abgeschlossen wurde, der Leistungsempfänger, hier die Klägerin, sich freiwillig auf die Regelungen eingelassen hat.
Darüber hinaus hat die Klage jedenfalls in der Sache keinen Erfolg.
Die am 24. August 2017 von den Beteiligten unterzeichnete EGV ist wirksam.
Die EGV ist als öffentlich-rechtlicher Vertrag im Sinn des § 55 SGB X wirksam zustande gekommen. Für etwaige Hindernisse an der Wirksamkeit ist nichts ersichtlich. Auch ist die von den §§ 53 ff. SGB X vorgeschrieben Form gewahrt. Vor allem sieht das Grundsicherungsrecht mit § 15 Abs. 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) ausdrücklich den Abschluss einer EGV als Vereinbarung vor.
Das Gericht hat zudem keinen Zweifel daran, dass es sich um einen Austauschvertrag handelt. Denn es sind Regelungen betreffend beide Beteiligte getroffen und Gegenleistungen der Klägerin zum Zweck ihrer Eingliederung in das Berufsleben vereinbart worden. Dieses Ziel dient der Erfüllung der Aufgabe des Beklagten aus den §§ 3 und 14 SGB II.
Die somit wirksam zustande gekommene EGV ist nicht durch Anfechtung, § 40 Abs. 1 SGB II, § 63 Satz 2 SGB X, §§ 119 ff. BGB, beseitigt worden. Wie bereits ausgeführt, ist eine Anfechtung schon nicht erklärt worden. Soweit es die Anfechtung nach § 119 BGB anbelangt, wäre diese wegen Fristablaufs (§ 121 BGB) ohnedies auch nicht mehr möglich. Für eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung fehlt es an einer Täuschung oder Drohung. Eine Täuschung ist schon nicht geltend gemacht worden und auch sonst nicht erkennbar. Das gilt ebenso für eine Drohungslage. Zwar ist klägerseits vorgetragen worden, die Klägerin habe den Abschluss für alternativlos gehalten. Aus dem Vortrag ergeben sich aber schon keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, die Klägerin sei durch Drohung zur Unterzeichnung gebracht worden. Andere Umstände, die auf eine Drohungslage hindeuten würden, sind ebenso wenig zu sehen.
Die EGV ist nicht nichtig, § 40 Abs. 1 SGB II, § 58 SGB X.
Einen Formenmissbrauch kann das Gericht aus den oben bereits genannten Gründen nicht erkennen. Es handelt sich auch inhaltlich um einen Austauschvertrag, die Situation der Klägerin wird ausreichend berücksichtigt, wenngleich sie dies nunmehr anders sehen mag, und der Beklagte sagt ausreichend konkrete, individuelle Leistungen zur Eingliederung der Klägerin in Arbeit zu. So sagt er zu, ihre Bewerbungsbemühungen finanziell zu unterstützen, ihr Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten und sie mittels einer Arbeitsgelegenheit an den Arbeitsmarkt wieder heranführen zu wollen. Gerade der letztgenannte Punkt resultiert aus der individuellen Situation der Klägerin als langjährig Arbeitslose, deren letzte selbstständige Tätigkeit im Oktober 2015 beendet wurde.
Die EGV verstößt auch nicht gegen ein gesetzliches Verbot, weil sie bis auf Weiteres gilt. Der seit August 2016 geltende § 15 Abs. 3 Satz 1 SGB II sieht zwar vor, dass eine EGV regelmäßig, spätestens nach sechs Monaten überprüft werden soll. Daraus ist, schon wie der Vergleich mit dem früheren § 15 Abs. 1 Satz 3 SGB II zeigt, aber nicht zu schließen, dass eine einvernehmlich abgeschlossene EGV nicht länger bzw. auf zunächst unbestimmte Zeit geltend darf. Zudem wird zwar für den Erlass einer EGV durch Verwaltungsakt eine regelmäßige, maximale Geltungsdauer von sechs Monaten angenommen (vgl. BayLSG, Beschluss vom 8. Juni 2017, L 16 AS 291/17 B ER). Doch wird dies damit begründet, der Gesetzgeber habe bezüglich Eingliederungsverwaltungsakten keine neue Regelung treffen wollen, sondern die bisherige Beschränkung der Geltungsdauer beibehalten wollen. Für eine unbefristet mögliche EGV spricht zudem, dass jederzeit eine einvernehmliche Änderung möglich ist oder, falls eine solche trotz geänderter Verhältnisse nicht zustande kommt, eine einseitige Kündigung möglich ist (vgl. BayLSG, Beschluss vom 17. März 2017, L 11 AS 192/17 B ER). Somit können sich beide Seiten, so dies als geboten erachtet wird, auch bei einer unbefristet abgeschlossenen EGV durch einseitige Erklärung daraus lösen und so den Weg für eine Neuregelung, sei es durch einvernehmliche Vereinbarung oder durch Verwaltungsakt frei machen. Damit ist den vom Grundsicherungsrecht vorgegebenen Zwecken Genüge getan.
Ein Verstoß gegen das Koppelungsverbot aus § 58 Abs. 2 Nr. 4 SGB X (i.V.m. § 40 Abs. 1 SGB II) liegt ebenfalls nicht vor. Das Gericht hält das Verhältnis der beiderseitig vorgesehenen Leistungen für ausgewogen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 23. Juni 2016, B 14 AS 30/15 R). Die von der Klägerin zu erbringenden Leistungen bestehen maßgeblich in Bewerbungen auf Vermittlungsvorschläge, Nachweis einer Arbeitsunfähigkeit durch schriftliche Bestätigung und der Teilnahme an einer Arbeitsgelegenheit und sind damit weniger umfangreich als sonst üblich; häufig werden nämlich eine bestimmte Anzahl von Eigenbemühungen um Stellen und deren Nachweis gefordert. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass die Klägerin an eine regelmäßige Beschäftigung erst wieder herangeführt werden soll. Den Leistungen der Klägerin stehen umfangreiche Leistungen des Beklagten gegenüber. Diese beschränken sich nicht nur auf die Übersendung von Vermittlungsvorschlägen, sondern enthalten auch finanzielle Unterstützungsleistungen für Bewerbungen und nicht zuletzt die geplante Zuweisung einer Arbeitsgelegenheit. Die Leistungen des Jobcenters sind in der Eingliederungsvereinbarung auch konkret und verbindlich bestimmt.
Insgesamt ergibt sich somit, dass die EGV vom 24. August 2017 nicht nichtig ist.
Die Klage ist deshalb abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

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