Aktenzeichen L 19 R 683/14
Leitsatz
Für die Zuerkennung fiktiver Pflichtbeitragszeiten nach § 247 Abs. 2a SGB VI trägt der Versicherte als Antragsteller die objektive Darlegungs- und Beweislast, dass er im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses in den elterlichen Betrieb eingegliedert gewesen ist und dort zu seiner Berufsausbildung – nicht zwingend in Form eines Lehrvertrages, sondern zumindest als sonstige zu ihrer Berufsausbildung beschäftigte Person – tätig gewesen ist und dass diese Tätigkeit auch einem Fremdvergleich statthalten kann.
2 Voraussetzung für die Anerkennung von fiktiven Pflichtbeitragszeiten auf der Grundlage des § 247 Abs. 2a SGB VI ist, dass nachgewiesen werden kann, dass eine Tätigkeit verrichtet wurde, die dem Grunde nach eine Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung ausgelöst hätte (und dass nur die Beitragsabführung unterblieben ist) und dass die Beschäftigung auch zu Zwecken der Ausbildung zu einem Berufsbild erfolgt ist. (redaktioneller Leitsatz)
3 Ist eine Tätigkeit nur im Rahmen einer familienhaften Mithilfe erfolgt, ist die Anrechnung von fiktiven Pflichtbeitragszeiten auf der Grundlage des § 247 Abs. 2a SGB VI nicht möglich. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
S 3 R 955/13 2014-07-09 Urt SGWUERZBURG SG Würzburg
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten hin wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 09.07.2014 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 29.05.2012 in Gestalt des Bescheides vom 04.07.2013 sowie des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2013 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG).
Sie ist auch begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine höhere Altersrente, weil weitere fiktive Pflichtbeitragszeiten nach § 247 Abs. 2a SGB VI nicht anzuerkennen sind. Dies hat das SG zu Unrecht angenommen.
Gemäß § 247 Abs. 2a SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer versicherten Beschäftigung auch Zeiten, in denen in der Zeit vom 01.06.1945 bis 30.06.1965 Personen als Lehrlinge oder sonst zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt waren und grundsätzlich Versicherungspflicht bestand, eine Zahlung von Pflichtbeiträgen für diese Zeiten jedoch nicht erfolgte (Zeiten einer beruflichen Ausbildung).
Das SG hat in seinem Urteil vom 09.07.2014 zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Anerkennung von Pflichtbeitragszeiten nach § 247 Abs. 2a SGB VI grundsätzlich längstens bis 30.06.1965 möglich ist, die vom Kläger darüber hinaus geltend gemachten Zeiten bis 15.07.1967 schon deshalb über diese Vorschrift nicht abgedeckt werden können.
Das SG hat weiter zutreffend festgestellt, dass der Kläger nicht nachweisen konnte, in einem Ausbildungsverhältnis als Lehrling gestanden zu haben. Hierfür konnten keinerlei Nachweise vorgelegt werden. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des SG in seinen Entscheidungsgründen im Urteil vom 09.07.2014 verwiesen.
Entgegen der Auffassung des SG ist aber auch nicht nachgewiesen, dass der Kläger in der hier noch streitigen Zeit vom 01.09.1963 bis 30.06.1965 wie ein sonst zu seiner Berufsausbildung Beschäftigter tätig geworden ist und somit dem Grunde nach Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gegeben gewesen wäre. Es ist weder nachgewiesen, dass der Kläger versicherungspflichtig bei seinen Eltern beschäftigt gewesen noch dass dabei eine Ausbildung für einen Beruf erfolgt ist.
Der Kläger hatte bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente nach Arbeitslosigkeit oder Altersteilzeitarbeit beantragt, die die Beklagte mit streitgegenständlichem Bescheid vom 29.05.2012 auch bewilligt hatte, allerdings ohne die Anerkennung entsprechender Ausbildungszeiten in der Zeit vom 01.09.1963 – 15.07.1967. Vielmehr sind im Versicherungsverlauf des Klägers Pflichtbeitragszeiten durchgehend ab dem 15.08.1967 enthalten, die vom Kläger wohl offensichtlich durch eine Versicherungskarte nachgewiesen und in den Versicherungsverlauf übernommen werden konnten. Ab dem 15.08.1967 hatte der Kläger nach seinen eigenen Angaben eine Lehre zum Metzger begonnen, aber wohl im Juli 1970 ohne entsprechenden Abschluss abgebrochen. Ein Nachweis für eine Lehrlingsausbildung zum Metzger konnte insoweit weder vom Kläger vorgelegt noch konnten entsprechende Unterlagen vom Prozessbevollmächtigten des Klägers beigebracht werden. Konsequenterweise wurde der Widerspruch gegen den Bescheid vom 29.05.2012 insoweit nicht mehr aufrechterhalten.
Der Kläger hat – allerdings erst im Widerspruchsverfahren – des Weiteren geltend gemacht, dass er eine Lehre im landwirtschaftlichen Betrieb der Eltern absolviert habe und quasi zum Nachweis dafür das Abschlusszeugnis der Kreisberufsschule O. für die Zeit vom 01.09.1963 – 15.07.1966 vorgelegt. Ein Zeitraum, von wann bis wann diese Lehre absolviert worden sein soll, wurde nicht benannt, sondern nur auf das Abschlusszeugnis der Berufsschule verwiesen.
Im Rahmen der Rentenantragstellung waren die Zeiten von September 1963 bis 15.07.1966 vom Kläger nicht angegeben worden. Im Formblatt des Rentenantrags war ausdrücklich nach Zeiten gefragt worden, die im Versicherungsverlauf noch nicht aufgeführt worden seien, z. B. für Tätigkeiten als Lehrling, Arbeiter, Angestellter etc. Hier hat der Kläger angegeben, dass er in der Zeit von 08/1966 bis 08/1967 im elterlichen Betrieb „mitgearbeitet“ habe. Des Weiteren wurde im Formblattantrag nach „Zeiten der Berufsausbildung (auch ohne Abschluss)“ gefragt, die vom Kläger mit den Angaben: 15.08.1967 bis 00.07.1970 beantwortet wurden mit der Tätigkeitsbeschreibung: „Metzger (ohne Abschluß)“. Hätte der Kläger sich im geltend gemachten Zeitraum in einer Lehre oder in einer sonstigen Berufsausbildung im weiteren Sinne befunden, erscheinen diese Angaben nicht schlüssig. Insoweit erscheint die Angabe des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 18.01.2017, dass er nicht gewusst habe, dass die Zeit bis 1966 auch wichtig sei, nicht nachvollziehbar. Der Kläger war offenbar in der Lage, zwischen Ausbildung bei einem Metzger und Mitarbeit im elterlichen Betrieb zu differenzieren und konnte auch nachvollziehen, dass eine Lehre auch dann angegeben werden konnte, wenn kein förmlicher Abschluss erreicht wurde. Zeiten des Schulbesuches nach Vollendung des 17. Lebensjahres wurden ebenfalls gesondert angegeben und im Antrag erfasst.
Voraussetzung für die Anerkennung von fiktiven Pflichtbeitragszeiten auf der Grundlage des § 247 Abs. 2a SGB VI ist jedoch, dass nachgewiesen werden kann, dass eine Tätigkeit verrichtet wurde, die dem Grunde nach eine Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung ausgelöst hätte (und dass nur die Beitragsabführung unterblieben ist) und dass die Beschäftigung auch zu Zwecken der Ausbildung zu einem Berufsbild erfolgt ist. Ist dagegen eine Tätigkeit nur im Rahmen einer familienhaften Mithilfe erfolgt, ist die Anrechnung von fiktiven Pflichtbeitragszeiten auf der Grundlage des § 247 Abs. 2a SGB VI nicht möglich (Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 23.09.1999, Az. B 12 RJ 1/99 R, Rdnr 19, veröffentlicht bei juris).
Zur Abgrenzung zwischen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung und familienhafter Mithilfe zwischen Ehegatten und/oder Familienangehörigen ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG ein sog. Fremdvergleich durchzuführen. Von einem Arbeitsverhältnis unter Verwandten kann nur dann ausgegangen werden, wenn Tatsachen vorgetragen werden, die die Vermutung rechtfertigen, dass die Tätigkeit vergleichbar durch einen Außenstehenden ausgeübt worden wäre. Dies erfordert den Nachweis, dass der Verwandte ebenso wie ein fremder Arbeitnehmer in die betriebliche Organisation seines Arbeitgebers hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt seiner Tätigkeit eingegliedert und entsprechend weisungsgebunden ist. Hierbei kann in gewissem Maße den besonderen Gegebenheiten in einem Familienbetrieb Rechnung getragen werden, etwa hinsichtlich der Vergütungshöhe (vgl. die Zusammenfassung bei Brand, Kommentar zum SGB III, 7. Auflage 2015 § 25, insbesondere Rdnr 24 – 27 m. w. N.). Zu werten sind hierbei die konkreten Umstände des Einzelfalles, wobei vor allem die Eingliederung des Familienangehörigen in den Betrieb, die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit, die vertragliche Regelung, insbesondere hinsichtlich der Höhe der Geld- oder Sachbezüge, die Angemessenheit des vereinbarten Entgelts im Verhältnis zu den übertragenen Aufgaben sowie zu der Entlohnung vergleichbarer fremder Arbeitskräfte, die Umsetzung der vertraglichen Regelungen in der Praxis, die Entrichtung von Lohnsteuer für das Arbeitsentgelt, die Qualifizierung des Arbeitsentgelts als Betriebsausgaben zu bewerten sind (Brand, a.a.O., § 25 SGB III Rdnr. 24 m. w. N.).
Vorliegend hat der Kläger weder vorgetragen noch nachgewiesen, dass er in die betriebliche Organisation des elterlichen Betriebes eingegliedert war, d. h. dass der Kläger üblicherweise bestimmte Arbeiten auf dem Hof zu erledigen hatte, für die ohne ihn ein anderer Mitarbeiter versicherungspflichtig hätte beschäftigt werden müssen. Auch in der mündlichen Verhandlung vom 18.01.2017 hat der Kläger hierzu keine Angaben machen können. Es wurde weder vorgetragen noch nachgewiesen, dass eine Beschäftigung gegen Entgelt stattgefunden hat. Es wurde lediglich in dem Erörterungstermin vor dem SG ein Betrag genannt, den ein Bruder des Klägers im Rahmen seiner Schlosserlehre von seinem Arbeitgeber erhalten hatte. Diesen Betrag will der Kläger auch von seinen Eltern bekommen haben, ohne darzulegen, ob in der Landwirtschaft üblicherweise der gleiche Lehrlingslohn wie in einer Schlosserlehre gezahlt wurde. Zahlungsnachweise konnten ebenfalls nicht vorgelegt werden. Es ist nicht nachgewiesen, dass Lohnsteuer abgeführt wurde, dass es Absprachen hinsichtlich Urlaub und Krankheit gegeben hätte. Es wurde insbesondere nicht dargelegt, welche Tätigkeiten dem Kläger während seiner Ausbildung nahegebracht worden sein sollen, nachdem eine Lehre zum Landwirt gerade nicht absolviert wurde und auch nicht nachgewiesen werden konnte. Von Seiten des Prozessbevollmächtigten des Klägers wurden lediglich zwei „schriftliche Zeugenerklärungen“ der Brüder des Klägers vorgelegt, die jedoch weitgehend gleichlautend und insbesondere inhaltlich nicht aussagekräftig sind. Beide haben erklärt, dass der Kläger auf dem elterlichen Hof mitgeholfen hat und ihm die Eltern alles beigebracht hätten, was für den Betrieb des Hofes erforderlich gewesen sei. Beide Brüder haben angegeben, dass sie auch auf dem Hof gelebt und am Abend und an den Wochenenden ebenfalls mitgeholfen hätten. Diese Angaben sind nicht geeignet ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Kläger und seinen Eltern nachzuweisen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der elterliche Hof auf die familienhafte Mithilfe aller (oder zumindest mehrerer) Familienangehöriger angewiesen gewesen sein dürfte. Der Kläger hat erst ab August 1967 mit einer Ausbildung zum Metzger begonnen, was zumindest ungewöhnlich gewesen wäre, wenn der Kläger bereits eine abgeschlossene Lehre als Landwirt absolviert gehabt hätte und nachdem der Vater des Klägers und Hofinhaber überraschend im Februar 1965 verstorben war. Der Schulbesuch des Klägers war im Juli 1966 beendet. Ab diesem Zeitpunkt hat er dann – wie im Rentenantrag auch von ihm angegeben – auf dem elterlichen Hof mitgearbeitet. Dieser Zeitraum kann aber nicht mehr über die Fiktion des § 247 Abs. 2 a SGB VI abgedeckt werden.
Auch der Umstand, dass der Vater des Klägers überraschend im Februar 1965 verstarb, spricht gegen eine entsprechende Ausbildung des Klägers in der Landwirtschaft seit 1963. Der Kläger hat den Hof erst im Jahr 1972 übernommen und diesen auch nur als Nebenerwerbslandwirtschaft betrieben, nachdem nach seinen eigenen Angaben die zunehmende Automatisierung dies erlaubt habe. Ein Nachfolger des Ausbilders wurde nicht benannt, im Erörterungstermin vom 25.03.2014 wurde vor dem SG angegeben, dass ein Bekannter des Vaters dem Kläger mit Rat und Tat zur Seite gestanden hätte, der selbst einen Bauernhof betrieben hätte. In der mündlichen Verhandlung vom 18.01.2017 hat der Kläger demgegenüber angegeben, dass die Mutter die Ausbildung fortgesetzt haben könnte.
Die Vorlage des Abschlusszeugnisses der Landwirtschaftlichen Berufsschule O. allein ist ebenfalls nicht geeignet, nachzuweisen, dass der Kläger in einem versicherungspflichtigen Ausbildungsverhältnis bei seinen Eltern gestanden hatte, sondern nur, dass er in der Zeit vom 01.09.1963 – 15.07.1966 dort die Schule besucht hat. Die Beklagte hatte bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass damit nur die Absolvierung der allgemeinen Schulpflicht nachgewiesen wurde, aber kein Ausbildungsverhältnis im Sinne einer Lehre mit dualem Ausbildungscharakter oder auch nur einer Tätigkeit zum Zwecke einer Berufsausbildung.
Der Kläger trägt als Antragsteller die objektive Darlegungs- und Beweislast, dass er im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses in den elterlichen Betrieb eingegliedert gewesen ist und dort zu seiner Berufsausbildung – nicht zwingend in Form eines Lehrvertrages entsprechend der Verordnung über die praktische Ausbildung in der Landwirtschaft von 1956, sondern zumindest als sonstige zu ihrer Berufsausbildung beschäftigte Person – tätig gewesen ist und dass diese Tätigkeit auch einem Fremdvergleich statthalten kann. Ein solcher Nachweis ist nicht geglückt. Fiktive Pflichtbeitragszeiten nach § 247 Abs. 2a SGB VI können deshalb nicht zuerkannt werden.
Nach alledem war auf die Berufung der Beklagten hin das Urteil des SG Würzburg vom 09.07.2014 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 29.05.2012 in Gestalt des Bescheids vom 04.07.2013 und des Widerspruchsbescheids vom 12.09.2013 abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.