Arbeitsrecht

Keine Begründung der Rechtswegzuständigkeit durch Erlass eines Vollstreckungsbescheids

Aktenzeichen  15 U 4594/16

Datum:
23.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
MDR – 2017, 899
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ArbGG § 2
GVG § 13, § 17a
ZPO § 341, § 696 Abs. 5, § 700 Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

Wird im Wege des Mahnverfahrens ein Anspruch geltend gemacht, der in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte fällt, ändert sich an dieser (zwingenden) Rechtswegzuständigkeit nichts dadurch, dass der entsprechende Vollstreckungsbescheid von einem Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit erlassen wurde. Denn nach dem Einspruch wird das Verfahren vom Mahngericht an das im Mahnantrag bezeichnete Streitgericht abgegeben, wobei diese Abgabe aber nicht bindend ist (§ 696 Abs. 5 iVm § 700 Abs. 3 S. 2 ZPO). Das Streitgericht muss vielmehr seine Zuständigkeit nach allgemeinen Grundsätzen von Amts wegen prüfen, was auch die Prüfung des Rechtswegs mit umfasst. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

14 O 3919/16 2016-10-20 Endurteil LGMUENCHENII LG München II

Tenor

Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist nicht gegeben.
Das Verfahren wird unter Aufhebung des Endurteils des Landgerichts München II vom 20.10.2016 (Az. 14 O 3919/16) zur weiteren Verhandlung und Entscheidung über den Einspruch vom 31.08.2016 – sowie über die Kosten des Berufungsverfahrens – an das Arbeitsgericht München verwiesen.

Gründe

I.
Der Beklagte war bis Februar 2011 als LKW-Fahrer beim Kläger aufgrund eines Arbeitsvertrages beschäftigt. Der Kläger erwirkte beim AG Coburg am 12.12.2011 einen Mahnbescheid und am 10.01.2012 einen Vollstreckungsbescheid (VB) über die Summe von 35.000,00 € wegen „Schadensersatz aus Unfall/Vorfall gem. Mahnung vom 15.11.2011 vom 08.02.11“. Der VB wurde dem Beklagten im Wege der Ersatzzustellung am 13.01.2012 durch Niederlegung an der REWE Postpartnerfiliale, … zugestellt. Der Beklagte legte dagegen am 31.08.2016 Einspruch ein und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Der Kläger trägt vor, dass der Beklagte im Zeitraum von Oktober 2010 bis Februar 2011 zusammen mit anderen Arbeitnehmern unberechtigt Waren an sich genommen habe und seinem Kunden, der Fa. REWE, dadurch ein Schaden von 35.000,00 € entstanden sei. Der Beklagte habe die Tat zugegeben, weshalb ihm am 28.02.2011 das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung gekündigt worden sei (vgl. Anlage zum Schriftsatz vom 21.04.2017 = Bl. 85 d.A.). Da der Beklagte bis auf den Betrag von 1.080,00 € keine weiteren Raten zur Wiedergutmachung gezahlt habe, habe er nach erfolgloser Mahnung den Mahn- und Vollstreckungsbescheid erwirkt. Dieser sei dem Beklagten unter der ihm bekannten und einzigen Anschrift … zugestellt worden.
Der Beklagte tritt der Darstellung des Klageanspruchs entgegen und hält seinen Einspruch für zulässig, jedenfalls sei ihm die beantragte Wiedereinsetzung zu gewähren. Mit Schriftsatz vom 22.09.2016 (Bl. 24 d.A.) beantragte er die Verweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht.
Das Landgericht München II wies im angegriffen Urteil vom 20.10.2016 den Antrag auf Wiedereinsetzung zurück und verwarf den Einspruch als unzulässig. Seine Zuständigkeit leitete es aus § 700 Abs. 3 Satz 1 ZPO ab, da das Mahnverfahren an das Landgericht München I abgegeben worden sei. Dagegen wendet sich der Beklagte mit der Berufung.
Mit Verfügung vom 24.04.2017 wurden die Parteien darauf hingewiesen, dass nach dem Vortrag der Parteien der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gegeben sei und der Senat eine Verweisung in Erwägung zieht. Mit Schriftsatz vom 15.05.2017 beantragte auch der Kläger die Verweisung an das zuständige Arbeitsgericht.
II.
Auf die zulässige Berufung des Beklagten war der Rechtsstreit an das zuständige Arbeitsgericht München zu verweisen (§ 17a Abs. 2 Satz 1 GVG).
1. Die Klage macht einen arbeitsrechtlichen (Schadensersatz-)Anspruch geltend, der in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte fällt (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 a), Nr. 3 d) ArbGG).
a) Nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien verrichtete der Beklagte in den Jahren 2010/2011 für den Kläger Dienste als LKW-Fahrer in weisungsgebundener Tätigkeit auf Grund eines Arbeitsvertrages; beide Parteien gingen damals und gehen heute von einem Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien aus (vgl. Kündigungsschreiben des Klägers vom 28.02.2011).
Für Schadenersatzansprüche des Spediteurs, der einen Kunden entschädigen musste, gegen den von ihm beschäftigten Fahrer wegen behaupteter Diebstähle oder Unterschlagungen von Ladungsgut ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 3a) und Nr. 3d) ArbGG das Arbeitsgericht zuständig. Die angeblichen unerlaubten Handlungen stehen mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang. Ohne dieses hätte der Beklagte keinen Zugriff auf die Ladung gehabt; es war gerade seine arbeitsvertragliche Hauptpflicht, diese zu transportieren (und pfleglich zu behandeln). Durch die behauptete Pflichtverletzung soll dem Kläger als Arbeitgeber ein Schaden erwachsen sein.
b) An dieser (zwingenden) Rechtswegzuständigkeit ändert sich nichts dadurch, dass der zugrundeliegende VB von einem Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit (hier: AG Coburg) erlassen wurde.
Nach dem Einspruch wird das Verfahren vom Mahngericht (hier AG Coburg) an das im Mahnantrag bezeichnete Streitgericht abgegeben (§ 700 Abs. 3 Satz 1 ZPO); diese Abgabe ist aber nicht bindend (§ 696 Abs. 5 in Verbindung mit § 700 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Das Streitgericht muss nunmehr seine Zuständigkeit nach allgemeinen Grundsätzen von Amts wegen prüfen, was auch die Prüfung des Rechtswegs mit umfasst. Erst wenn die Zuständigkeit des Streitgerichts feststeht, darf dieses über die Zulässigkeit des Einspruchs (§§ 700 Abs. 4, 341 ZPO) und über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entscheiden. Die Verwerfung des Einspruchs erfolgte damit nicht durch den gesetzlichen Richter und ist im Berufungsverfahren aufzuheben, soweit nicht die einschränkenden Voraussetzungen des § 17a Abs. 5 GVG vorliegen.
2. Die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte steht auch nicht wegen der Entscheidung des LG München II vom 20.10.2016 bindend fest.
Das LG München II hat nicht (und erst recht nicht bindend) über den Rechtsweg entschieden, da es meinte, wegen der an es selbst erfolgten Abgabe des Mahnverfahrens zwingend – ohne jede nähere Prüfung des Rechtswegs – über die Zulässigkeit des Einspruchs entscheiden zu müssen; zudem hat es, entgegen § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG, nicht „vorab“ über den Antrag des Beklagten auf Verweisung an die Arbeitsgerichte entschieden.
a) In seinem Beschluss vom 30.09.2016 (Bl. 30 d.A.), mit dem der Antrag des Beklagten auf Einstellung des Zwangsvollstreckung zurückgewiesen wurde, führte das Landgericht München I aus, dass die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte „derzeit nicht beurteilt werden kann“, dies aber für die Entscheidung über die Wiedereinsetzung „nicht relevant“ sei, da hierfür das Gericht zuständig ist, das über den Einspruch zu entscheiden hat, somit das Gericht, an das das Verfahren nach § 700 Abs. 3 Satz 1 ZPO abgegeben wird. Diese Rechtsauffassung liegt erkennbar auch dem die Instanz abschließenden Endurteil vom 20.10.2016 zugrunde.
Das LG München II hat damit den Rechtsweg nach § 13 GVG, § 2 ArbGG explizit nicht geprüft und damit auch nicht „inzident“ bejaht. Die von ihm angenommene „Bindung“ an die Abgabe aus dem Mahnverfahren widerspricht dem klaren Wortlaut des Gesetzes und vermag eine tatsächlich nicht gegebene (Rechtswegs-)Zuständigkeit nicht zu begründen (vgl. zur Einschränkung der Bindungswirkung beim Verweisungsbeschluss bei „krasser Rechtsverletzung“, Zöller/Lückemann, GVG, § 17a Rdnr. 13).
b) Jedenfalls ist die Vorschrift des § 17a Abs. 5 GVG nicht anwendbar, da das Landgericht erst im Urteil vom 20.10.2016 seine Zuständigkeit bejaht hat, obwohl der Beklagte schon vorher Verweisung an das Arbeitsgericht beantragt hatte (Zöller/Lückemann, ZPO 31. Aufl., GVG, § 17a Rdnr. 17 m. w. N.). Das Landgericht hätte damit über die Zulässigkeit des Einspruchs nicht entscheiden dürfen, da es sich um eine arbeitsrechtliche Streitigkeit handelte.
3. Die Entscheidung über die gebotene Verweisung erfolgt im Beschlussverfahren nach § 17a GVG, da im Berufungsverfahren (ausnahmsweise, s. oben 2.) die gebotene Prüfung des Rechtswegs nachzuholen ist.
Das Berufungsgericht hebt danach im Verfahren des § 17a Abs. 2 GVG das erstinstanzliche Urteil auf und verweist die Sache an das zuständige Arbeitsgericht München (vgl. BGH Urteil vom 18.11.1998 – VIII ZR 269/97 = NJW 1999, 651 Rz 10 bei Juris).
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
Zunächst wird die Wirksamkeit der Zustellung des VB an den Beklagten zu prüfen sei. Hierbei stellt sich die Frage, ob die erfolgte Ersatzzustellung den gesetzlichen Voraussetzungen entsprochen hatte (vgl. Verfügung vom 08.03.2017 = Bl. 65 d.A.). Sollte sich danach die Wirksamkeit der Zustellung feststellen lassen, wäre über den vom Beklagten geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrund zu entscheiden.

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