Arbeitsrecht

Keine rückwirkende Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit eines Beamten

Aktenzeichen  W 1 K 16.1138

Datum:
21.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 105870
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG Art. 87 Abs. 2 S. 1, Abs. 5 S. 1, S. 2
SGB IX § 69
BeamtStG § 45

 

Leitsatz

1 Bereits vor der dienstlichen Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit iSd Art. 87 Abs. 5 S. 1 BayBG ist zu prüfen, ob die Mehrarbeit voraussichtlich durch Dienstbefreiung innerhalb von drei Monaten ausgeglichen werden kann. Ist eine abwägende und vorausschauende Berücksichtigung der relevanten Gesichtspunkte im Rahmen einer nachträglichen Entscheidung nicht möglich, scheidet eine nachträgliche Anordnung oder Genehmigung aus. (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine rückwirkende Ermäßigung der Pflichtstunden aufgrund einer Behinderung iSd § 69 Abs. 1 SGB IX ist nicht möglich, da eine Ermäßigung erst nach Feststellung der Behinderung und Vorlage des Nachweises der Behinderung beim Dienstherren gewährt werden kann. (redaktioneller Leitsatz)
3 Aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn können grundsätzlich keine Ansprüche geltend gemacht werden, die über die Ansprüche hinausgehen, die im Beamtenrecht selbst speziell und abschließend festgelegt sind (ebenso BVerwGE 24, 96). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die als Verpflichtungsklage statthafte Klage ist auch ansonsten zulässig, aber unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung einer Mehrarbeitsvergütung für die Zeit vom 15.03.2011 bis 14.02.2014 in Höhe von 8.064,00 € nicht zu.
Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus Art. 87 Abs. 5 S. 2 BayBG. Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass die Mehrarbeit bei Beamten, insbesondere Lehrern, mit der Folge einer dafür zu zahlenden Vergütung als Ausnahmetatbestand geregelt ist. Der Beamte ist grundsätzlich verpflichtet, ohne Vergütungsansprüche über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse es erfordern (Art. 87 Abs. 2 S. 1 BayBG). Werden Lehrkräfte an öffentlichen Schulen durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als drei Unterrichtstunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht, ist ihnen nach Maßgabe des Art. 87 Abs. 5 S. 1 BayBG eine entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren. Nur wenn eine Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen ausscheidet, ist eine Vergütung vorgesehen.
Eine solche Mehrarbeit, die einen Vergütungsanspruch auslösen könnte, liegt nicht vor. Der Kläger hat in der Zeit vom 15.03.2011 bis 14.02.2014 keine solche Mehrarbeit geleistet. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch lässt sich weder herleiten aus den beamtenrechtlichen Bestimmungen über die Mehrarbeit und ihre Vergütung und die Bekanntmachung über die Unterrichtspflichtzeit noch aus der Verbindung dieser Bestimmungen mit dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – SGB IX und die dazu ergangenen Teilhaberichtlinien.
1. Nach Art. 87 Abs. 5 S. 1 BayBG kommt eine Vergütung für eine Mehrarbeit nur dann in Betracht, wenn die Mehrarbeit u.a. „dienstlich angeordnet oder genehmigt wurde“ und diese „aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht durch Dienstbefreiung innerhalb von drei Monaten ausgeglichen werden kann“. Es fehlt vorliegend schon an der für den Anspruch tatbestandlich erforderlichen Genehmigung oder Anordnung.
Der Kläger hat während der strittigen Zeiten nicht auf Grund einer Anordnung oder Genehmigung seines Dienstherrn Mehrarbeit geleistet, sondern damals jedenfalls tatsächlich Arbeit im Rahmen seiner Pflichtstunden. Der Beklagte ist auch nicht verpflichtet, für diese Zeiten nachträglich Mehrarbeit anzuordnen oder zu genehmigen mit der Folge, dass dem Kläger Mehrarbeitsvergütung zu zahlen ist.
Die Anordnung oder die Genehmigung von Mehrarbeit mit der Folge, dass dem Beamten eine Mehrarbeitsvergütung gezahlt werden kann, ist eine Ermessensentscheidung des Dienstherrn, die er nur unter Abwägung der im konkreten Zeitpunkt maßgebenden Umstände sachgerecht treffen kann. Der Dienstherr hat dabei zu prüfen, ob nach den dienstlichen Notwendigkeiten überhaupt eine Mehrarbeit erforderlich ist und welchem Beamten sie übertragen werden soll. Wegen des in Art. 87 Abs. 5 S. 1 BayBG normierten Vorranges des Freizeitausgleichs und der zusätzlichen finanziellen Belastung des Dienstherrn durch Zahlung einer Mehrarbeitsvergütung für den Fall, dass Freizeitausgleich wegen zwingender dienstlicher Belange nicht gewährt werden kann, ist es außerdem sachgerecht und geboten, bereits bei der Anordnung oder Genehmigung der Mehrarbeit zu prüfen, ob die Mehrarbeit voraussichtlich durch Dienstbefreiung innerhalb von drei Monaten ausgeglichen werden kann. Eine abwägende und vorausschauende Berücksichtigung der genannten Gesichtspunkte wäre bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden im Rahmen einer nachträglichen Entscheidung nicht möglich. Da ferner die Mehrarbeitsvergütung nur gezahlt werden darf, wenn die Mehrarbeit „aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht durch Dienstbefreiung innerhalb von drei Monaten ausgeglichen werden kann“ (Art. 87 Abs. 5 S. 1 und 2 BayBG), könnte dieses an den Dienstherrn gerichtete Gebot, unter Beachtung des Vorranges des Freizeitausgleichs jeweils, gegebenenfalls sogar monatlich zu bestimmen, ob im konkreten Fall die Mehrarbeit durch Freizeit oder durch Zahlung einer Vergütung ausgeglichen wird, bei rückwirkender Genehmigung oder Anordnung keine Beachtung mehr finden (vgl. zu alldem schon BVerwG, U.v. 02.04.1981 – 2 C 1/81- juris).
2. Der geltend gemachte Anspruch ist auch nicht unter Berücksichtigung der Bestimmungen des SGB IX und der dazu ergangenen Teilhaberichtlinien gegeben. Insbesondere gibt es keine Verpflichtung des Beklagten, die Pflichtstunden des Klägers wegen seiner Schwerbehinderteneigenschaft rückwirkend ab 15.03.2011 zu ermäßigen. Dem steht schon entgegen, dass bereits geleistete Arbeit nicht rückgängig gemacht werden kann und deshalb eine Ermäßigung der Pflichtstunden zwangsläufig erst nach Feststellung der Behinderung (§ 69 Abs. 1 SGB IX) und Vorlage des Nachweises der Behinderung beim Dienstherrn gewährt werden kann (vgl. 2.2.2 Teilhaberichtlinien). Auch Sinn und Zweck des SGB IX und der dazu ergangenen Teilhaberichtlinien gebieten nicht, die Pflichtstunden jedenfalls rechtlich – gewissermaßen fiktiv – rückwirkend herabzusetzen und die danach tatsächlich über die herabgesetzten Pflichtstunden hinaus geleistete Arbeit nachträglich als Mehrarbeit mit der Folge eines Anspruchs auf Mehrarbeitsvergütung zu genehmigen. Die rechtlichen Wirkungen der Schwerbehinderteneigenschaft treten nicht ohne weiteres ein (vgl. BVerwG, U.v. 15.12.1988 – 5 C 67,85, juris-Rn. 8), Rechte aus dem SGB IX werden nicht von Amts wegen gewährt. Deshalb ist regelmäßig auf den Zeitpunkt des Antrags im Rahmen des Feststellungsverfahrens abzustellen (BVerwG, aaO, juris-Rn. 9). Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und auch des Bundesarbeitsgerichts (BAG, U.v. 23.02.1978 – 2 AZR 462/76 bei juris) insbesondere für den besonderen Kündigungsschutz für Schwerbehinderte, der grundsätzlich nur dann eintritt, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft im Zeitpunkt der Kündigung entweder bereits durch Verwaltungsakt festgestellt war oder doch wenigstens ein entsprechender Antrag beim Versorgungsamt gestellt war. Die Bestimmungen des Schwerbehindertenrechts sollen nämlich dazu dienen, die Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu fördern, und Benachteiligungen zu vermeiden und ihnen entgegenzuwirken (§ 1 SGB IX). Die Leistungen sind damit stets auf die Gegenwart und Zukunft gerichtet und nicht darauf, einen in der Vergangenheit liegenden Nachteil oder Schaden durch Geldleistungen zu kompensieren.
Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur rückwirkenden Feststellung einer Schwerbehinderteneigenschaft (vgl. BSG, U.v. 07.04.2011 – B 9 SB 3/10 R bei juris), auf die sich der Kläger beruft, ändert hieran nichts. Zwar stellt das BSG nochmals fest, dass der Status als schwerbehinderter Mensch grundsätzlich mit dem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen beginnt, führt aber gleichzeitig in Übereinstimmung mit der zitierten Rechtsprechung des BVerwG und des BAG aus, dass zum Nachweis der Eigenschaft eine behördliche Feststellung erforderlich ist. Das BSG stellt in diesem Zusammenhang fest, dass weder im früher geltenden Schwerbehindertengesetz noch im SGB IX ausdrücklich geregelt ist, von welchem Zeitpunkt an die Feststellung zu treffen ist. Da es sich um eine Statusfeststellung handelt, die in einer Vielzahl von Lebensbereichen die Inanspruchnahme von Vorteilen bzw. Nachteilsausgleichen ermöglichen soll, und eine derartige Inanspruchnahme auch nach Ansicht des BSG regelmäßig nicht für längere Zeit rückwirkend möglich ist, reicht es grundsätzlich aus, wenn die GdB-Feststellung für die Zeit ab Antragstellung erfolgt. Mit der Stellung des Antrags bringt nämlich der behinderte Mensch der Behörde gegenüber sein Interesse an einer verbindlichen Statusfeststellung erstmalig zum Ausdruck, weshalb es auch sachgerecht ist, von den behinderten Menschen die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses zu verlangen, wenn er seinen GdB ausnahmsweise schon für einen vor der Antragstellung liegenden Zeitraum festgestellt haben möchte. Die vorliegend maßgebliche Frage, ob der Kläger Vorteile aus der Behinderteneigenschaft im Sinne einer Pflichtstundenreduzierung in Anspruch nehmen kann, beantwortet sich dabei aber nicht aus dem Schwerbehindertenrecht, sondern den beamtenrechtlichen Bestimmungen.
Soweit der Kläger sich in diesem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung vom 21.02.2017 erstmals darauf berufen hat, er habe die Stellung des Antrags auf Anerkennung einer Schwerbehinderung gegenüber der Schule mitgeteilt, ergeben sich hierfür schon keine Anhaltspunkte aus dem Akteninhalt, der der Kammer vorliegt. Zudem konnte der Kläger auch nicht konkret darlegen, wem gegenüber und auf welche Weise er diese Mitteilung gemacht hat. Schließlich hat sich der Kläger seiner Dienststelle bzw. dem Dienstherrn gegenüber auch nicht darauf berufen, bis zu der Entscheidung über den Schwerbehindertenantrag unter Vorbehalt als schwerbehinderter Beschäftigter behandelt zu werden, obwohl 2.2.2 S. 4 der Teilhaberichtlinien diese Möglichkeit ausdrücklich vorsieht. Auch dadurch hat der Kläger deutlich gemacht, dass er im Rahmen seiner Lehrertätigkeit keine Veranlassung sah, durch eine Stundenreduzierung seine Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu fördern oder Benachteiligungen zu vermeiden und ihnen entgegenzuwirken. Es besteht daher auch kein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Mehrarbeitsvergütung für den Zeitraum ab Antragstellung beim Zentrum Bayern Familie und Soziales.
3. Der Kläger kann seinen Anspruch auch nicht aus der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht des Dienstherrn herleiten (§ 45 BeamtStG). Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerwG können aus der Fürsorgepflicht grundsätzlich keine Ansprüche geltend gemacht werden, die über die Ansprüche hinausgehen, die im Beamtenrecht selbst speziell und abschließend festgelegt sind (U.v. 12.05.1966 – BVerwG 2 C 197.62 – BVerwGE 24, 96 mit weiteren Nachweisen und B.v. 5.08.1971 – BVerwG 6 B 21.71).
Für einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 oder 14 GG ist ebenfalls nichts ersichtlich (BVerwG, U.v. 02.04.1981, a.a.O.).
Die Weigerung des Beklagten, dem Kläger nachträglich eine Pflichtstundenermäßigung zu gewähren und eine Mehrarbeit zu genehmigen und zu vergüten, ist daher rechtlich insgesamt nicht zu beanstanden.
4. Die Klage war daher mit der gesetzlichen Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.

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