Arbeitsrecht

Keine Vergütung der Überstunden eines Gewerkschaftssekretärs

Aktenzeichen  3 Sa 221/17

Datum:
12.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 27329
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
ArbGG § 69 Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

Überstunden eines Gewerkschaftssekretärs sind über gewährte Ausgleichstage hinaus nicht zu vergüten. (Rn. 29 – 31)

Verfahrensgang

2 Ca 4997/16 2017-04-05 Endurteil ARBGNUERNBERG ArbG Nürnberg

Gründe

I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II.
Die Berufung des Klägers ist aber unbegründet.
1. Nach dem Vortrag der Klagepartei in der Berufungsbegründung ist das Berufungsgericht der Ansicht, dass der Kläger die von ihm geleisteten Überstunden entsprechend der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts substantiiert dargelegt hat. Es mögen in Einzelfällen Unstimmigkeiten betreffend Pausen oder Fahrtzeiten vorliegen, im Wesentlichen jedoch scheinen die Angaben des Klägers zutreffend zu sein. Dafür spricht auch, dass unstreitig die Vorgesetzten des Klägers die detaillierten Zeiterfassungsbögen (Bl. 21 f. d.A.) zeitnah unterzeichnet haben. Aus ihnen ergibt sich klar ersichtlich eine Anzahl von Überstunden. Die geleisteten Aufzeichnungen sollten entsprechend dem E-Mail der Personalleiterin A. auch ausdrücklich der Erfassung der Arbeitszeit der Gewerkschaftssekretäre dienen, um den Anspruch der Gewerkschaftssekretär/innen in den Teams R & B nachzuweisen (vgl. Bl. 20 d.A.). Der Kläger hat den vorgeschriebenen Zeiterfassungsbogen benutzt und ihn entsprechend der Anweisung im Mail vom 23.12.2015 von dem Bezirksgeschäftsführer bzw. seiner Vertreterin unterzeichnen lassen. Aus dem Schreiben ergibt sich allerdings auch, dass die Unterschrift der Bezirksgeschäftsführer hier nicht eine Vergütungspflicht konstituieren sollte, sondern vielmehr durch die Aufzeichnungen der Nachweis geführt werden sollte, dass die benannten Rechtssekretäre Anspruch auf neun Ausgleichstage haben sollten. Die Parteien stimmen mittlerweile darin überein, dass alle Gewerkschaftssekretäre die Berechtigung nach § 10 Abs. 5 AAB haben. Durch die Unterschrift des Bezirksgeschäftsführers ist aber noch nichts über die Vergütungspflicht dieser Überstunden ausgesagt.
2. Der Arbeitsvertrag der Parteien enthält keine Regelung zu Überstunden. Er verweist insoweit auf das Regelwert „Allgemeine Arbeitsbedingungen für die ver.di-Beschäftigten“. In §§ 9 und 10 der AAB sind Arbeitszeit, Überstunden und Zeitzuschläge geregelt.
Es handelt sich um Regelungen, die typischerweise in Tarifverträgen zu finden sind. Da die Arbeitgeberin zugleich Gewerkschaft ist, kann sie mangels eines Tarifpartners für ihre Arbeitnehmer Tarifverträge nicht abschließen. Eine Gewerkschaft hat aber nicht nur das gleiche Interesse wie andere Arbeitgeber an der einheitlichen Gestaltung von Arbeitsbedingungen, sie muss wie andere Arbeitgeber – diese mit Hilfe von Tarifverträgen – auch eine Möglichkeit zur Schaffung einheitlicher Arbeitsbedingungen haben (BAG, Beschluss vom 14.12.1999 – 1 ABR 27/98, BAGE 93, 75-82).
Dies ist hier durch die AAB geschehen, bei denen es sich um eine Gesamtbetriebsvereinbarung handelt.
Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass die AAB auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sind und auch nicht, dass die Regelung von § 10 Abs. 5 AAB auf den Kläger anzuwenden ist. Zwischen den Parteien streitig ist, ob § 10 Abs. 3 AAB Gewerkschaftssekretäre, die unter § 10 Abs. 5 fallen, grundsätzlich vom Überstundenausgleich ausschließt oder nicht.
2.1 Es handelt sich bei den AAB um eine Gesamtbetriebsvereinbarung. Betriebsvereinbarungen gelten gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG unmittelbar und zwingend. Wegen ihres normativen Charakters sind sie wie Tarifverträge oder Gesetze auszulegen (BAG 17.11.1998 – 1 AZR 221/98). Auszugehen ist damit zunächst vom Wortlaut und den durch ihn vermittelten Wortsinn. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Betriebsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den Vorschriften seinen Niederschlag gefunden hat. Dabei sind insbesondere der Gesamtzusammenhang sowie Sinn und Zweck der Regelung zu beachten. Bleiben hiernach noch Zweifel, so können ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte oder auch eine praktische Übung herangezogen werden. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt der Auslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch handhabbaren Regelung führt (BAG 12.11.2002 – 1 AZR 632/01).
2.2 Bei Anwendung dieser höchstrichterlichen Auslegungskriterien, denen auch die erkennende Kammer folgt, ist davon auszugehen, dass § 10 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 AAB einen Zeitausgleich oder eine Vergütung von Überstunden über die neun Ausgleichstage pro Kalenderjahr hinaus ausschließt.
§ 10 Abs. 3 AAB regelt, dass Beschäftigte mit Ausnahme der Gewerkschaftssekretär/innen nach Absatz 5 für angeordnete und geleistete Überstunden, für Arbeit an Samstagen, Sonn- und Feiertagen sowie für Nachtarbeit einen Freizeitausgleich erhalten. Im Folgenden ist festgelegt, wie dieser Freizeitausgleich zu „fakturieren“ ist. Den Regelungen in a) bis e) lässt sich entnehmen, dass zusätzlich zur Zeit, die für Überstunden oder in der Nacht etc. aufgewendet wird, je nach der Erschwernis ein Zuschlag zu zahlen ist.
Der Freizeitausgleich, den § 10 Abs. 3 AAB regelt, setzt sich also zusammen aus den aufgewendeten Stunden und einem Zuschlag, § 10 Abs. 3 AAB regelt also nicht nur den Zuschlag, sondern den Freizeitausgleich insgesamt.
Für diesen Inhalt spricht auch die Regelung in Absatz 4, nach der Überstunden grundsätzlich durch entsprechende Arbeitsbefreiung auszugleichen sind. Diese entsprechende Arbeitsbefreiung ist der nach den in Absatz 3 festgelegten Kriterien berechnete Freizeitausgleich. Für die solchermaßen erhöhten Stundenzahlen wird dann das Entgelt fortgezahlt (§ 10 Abs. 4 Satz 2 AAB). Für jede nicht ausgeglichene Überstunde wird die Überstundenvergütung (nach § 10 Abs. 3 AAB) gezahlt, vergleiche § 10 Abs. 4 Satz 2 AAB.
Es handelt sich also bei § 10 Abs. 3 AAB um eine umfassende Regelung des Ausgleichs bzw. der Bezahlung von Überstunden, nicht nur der Festlegung von Zuschlägen.
Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AAB sind Gewerkschaftssekretär/innen nach Absatz 5 insgesamt von der Regelung in § 10 Abs. 3 AAB ausgenommen. Für sie gilt die Sonderregelung in § 10 Abs. 5 AAB, die dementsprechend als spezielle Regelung den Ausgleich bzw. die Vergütung von Überstunden für die entsprechenden Gewerkschaftssekretäre regelt. Soweit also ein Gewerkschaftssekretär unter den Regelungsbereich des § 10 Abs. 5 AAB fällt – wie unstreitig der Kläger -, weil er regelmäßig Mehrarbeit und/oder Arbeit zu ungünstigen Zeiten etc. leistet, richtet sich sein Vergütungsanspruch für Überstunden ausschließlich nach § 10 Abs. 5 AAB. Damit regelt § 10 Abs. 5 AAB nicht nur die Zuschläge für Mehrarbeit etc., sondern insgesamt abweichend von § 10 Abs. 3 AAB die Behandlung von Überstunden etc. bei bestimmten Gewerkschaftssekretären.
Dieses Ergebnis wird gestützt durch die gemeinsame Erklärung der Vertragsparteien Nr. 3 zu § 10 AAB. Dort wird Folgendes erklärt: „Die Parteien sind sich darüber einig, dass Gewerkschaftssekretär/innen, die nicht die Voraussetzungen des Absatz 5 erfüllen, Anspruch auf Überstunden und Zeitzuschläge nach Absatz 3 und 4 haben.“ Damit ist klargestellt, dass Gewerkschaftssekretäre, die nicht unter § 10 Abs. 5 AAB fallen, Anspruch auf Überstunden und Zeitzuschläge haben, also für sie wieder die generelle Regelung von Stunden und Zuschlägen gilt. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus klar, dass § 10 Abs. 5 AAB insoweit die Spezialregelung für bestimmte Gewerkschaftssekretäre ist und in diesem Bereich Überstunden etc. abschließend regelt.
Dieses Auslegungsergebnis wird weiter gestützt durch die Handhabung der Parteien. Grundsätzlich unbestritten geblieben ist der Vortrag der Beklagten, dass sich Gewerkschaftssekretäre wie der Kläger ihre Arbeitszeit frei einteilen können, etwas anderes hat der Kläger nur für den Bereich des Ticketsystems vorgetragen. Dem entspricht auch, dass jedenfalls im Normalfall Gewerkschaftssekretäre ihre Arbeitszeit nicht erfassen. Die im E-Mail vom 23.12.2015 angeregte Aufzeichnung der Arbeitszeit von Gewerkschaftssekretär/innen in den Teams R & B dient ausdrücklich dem Nachweis, dass die Voraussetzungen des § 10 Abs. 5 AAB erfüllt sind.
Dem entspricht auch der (bestrittene) Vortrag der beklagten Partei, dass auch in den früheren Einzelgewerkschaften Gewerkschaftssekretäre Überstunden nicht gesondert vergütet bekamen. Der Kläger jedenfalls hat in der mündlichen Verhandlung keinen anderweitigen Vortrag leisten können. Nach seinem eigenen Vortrag hat er auch in der Vergangenheit Überstunden in erheblichem Umfang abgeleistet, ohne eine Vergütung erhalten zu haben. Dies zeigt, dass jedenfalls in der Vergangenheit Überstunden von Gewerkschaftssekretären wohl generell nicht vergütet wurden. Damit spricht die tatsächliche Durchführung des Arbeitsverhältnisses für die Auslegung der Beklagten.
Nach Ansicht der Kammer entspricht diese Auslegung auch der unbestrittenen weitgehend weisungsfreien Einteilung der Arbeitszeit durch die Gewerkschaftssekretäre, die sich auch ohne weiteres aus den vom Kläger vorgelegten Aufzeichnungen seiner Tätigkeit ergibt (Bl. 263 ff. d.A.).
2.3 Nach Ansicht des Gerichts sind diese Regelungen auch nicht unwirksam.
Sie sind als Betriebsvereinbarungen nicht an den für allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Maßstäben zu messen (tarifvertragsersetzende Regelungen gemäß § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB). Die Rechtsprechung des BAG zur AGBrechtlichen Zulässigkeit zur Abgeltung/Vergütung von Überstunden ist auf sie nicht anwendbar.
Bei einer Gesamtschau der Umstände belasten sie den Gewerkschaftssekretär nicht unbillig. Er kann im Wesentlichen seine Arbeitszeit frei einteilen und einen Freizeitausgleich durchführen. Zusätzlich erhält er pro Jahr neun Tage Ausgleichsurlaub, über die er frei verfügen kann. Soweit dennoch Überlastungen zu befürchten sind, bleibt die Möglichkeit einer Überlastungsanzeige, von der der Kläger auch Gebrauch gemacht hat. Die recht hohen Arbeitszeiten in den Monaten Januar bis April sind nach dem insoweit übereinstimmenden Vortrag der Parteien durch unvorhergesehenen Ausfall von Arbeitskräften und ungewöhnliche Belastung durch Teamorganisationen erfolgt. Für den später folgenden Zeitraum hat der Kläger soweit ersichtlich keine Überstunden mehr geltend gemacht.
Eine unzulässige Ungleichbehandlung zu Gewerkschaftssekretären, die nicht unter § 10 Abs. 5 AAB fallen, liegt nicht vor. Weil bei diesen die Voraussetzungen der Ableistung von Überstunden (Beteiligung des Betriebsrates) anders geregelt sind und Mehrarbeit eben nicht regelmäßig anfällt, ist die unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt.
Gerade auch angesichts der für einen Gewerkschaftssekretär hohen Eingruppierung – nach unbestrittenem Sachvortrag der beklagten Partei zwei Stufen höher als andere Gewerkschaftssekretäre – geht das Gericht davon aus, dass jedenfalls für den Kläger diese Regelung unter Berücksichtigung der Vergütung nicht unangemessen ist. Insoweit hat der Kläger wohl tatsächlich „Dienste höherer Art“ verglichen mit anderen Gewerkschaftssekretären geleistet.
Die Regelungen verstoßen unter den genannten Bedingungen auch nicht gegen die Grundsätze der Lohnbestimmtheit. Der Kläger konnte gerade nicht eine Vergütung für die Mehrarbeitsstunden erwarten.
Damit kann der Kläger eine Vergütung etwa geleisteter Überstunden nicht verlangen.
Die Berufung war zurückzuweisen.
III.
1. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO.
2. Das Gericht hat die Revision zugelassen, da die entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob § 10 Abs. 5 AAB eine Vergütung von Überstunden für Gewerkschaftssekretäre insgesamt ausschließt, in Anbetracht der tarifvertragsähnlichen Regelung grundsätzliche Bedeutung hat (§ 72 Abs. 2 Nr. 1ArbGG).

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